Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 20.09.2005
Aktenzeichen: 6 A 10898/05.OVG
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 133
BauGB § 133 Abs. 1
BauGB § 133 Abs. 1 Satz 2
BauGB § 34
BauGB § 34 Abs. 4
BauGB § 34 Abs. 4 Satz 1
BauGB § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
Zur maßgeblichen Grundstücksfläche im Erschließungsbeitragsrecht:

Geht die erschließungsbeitragsrechtliche Tiefengrenze über den Bereich hinaus, den eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB als im Zusammenhang bebauten Ortsteil festlegt, ergibt sich der Vorrang der Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB aus der Verbindlichkeit, mit der sie die Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich, also des Baulands i.S.d. § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB von grundsätzlich unbebaubaren Grundstücksteilen regelt.

Verläuft die erschließungsbeitragsrechtliche Tiefengrenze jedoch innerhalb des von einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB bestimmten Innenbereichs, ist diese Satzung nicht vorrangig, weil sie die in dieser Fallgestaltung maßgebliche beitragsrechtliche Frage nicht beantwortet, wie weit die Erschließungswirkung der in Rede stehenden Anlage reicht.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 A 10898/05.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Erschließungsbeitrags

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 20. September 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher ehrenamtliche Richterin Angestellte Kerz ehrenamtlicher Richter Beamter a. D. Adams

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 23. Mai 2005 - 8 K 1540/04.KO - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wurde als Eigentümer der bebauten Grundstücke in der Gemarkung S...., Flur 3, Parzellen 51 und 53 zu Erschließungsbeiträgen für die erstmalige Herstellung eines Teilstücks des S....wegs in Höhe von 8.281,- DM (= 4.234,01 €) und von 12.384,86 DM (= 6.332,28 €) durch Bescheide der Beklagten vom 21. November 2001 herangezogen.

Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts nimmt der Senat gemäß § 130 b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich in vollem Umfang zu Eigen macht.

Nach erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens hat der Kläger Klage erhoben, der das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Mai 2005 insoweit stattgegeben hat, als für die Parzelle 51 ein höherer Beitrag als 2.903,23 € und für die Parzelle 53 ein höherer Beitrag als 2.651,77 € festgesetzt wurde. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 Baugesetzbuch - BauGB - unterlägen erschlossene Grundstücke, für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, der Beitragspflicht, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland seien und nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung anstünden. Grundstücke im Außenbereich seien dementsprechend nicht beitragspflichtig. Eine Beitragspflicht für die Parzellen 51 und 53 des Klägers bestehe daher nicht bis zur Tiefenbegrenzung von 40 m gemäß § 6 Abs. 2 b) der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 20. Februar 1991 in der Fassung der Änderungssatzung vom 2. Dezember 2003 - EBS -, sondern lediglich, soweit sie im Geltungsbereich der Ergänzungssatzung vom 29. November 1999 lägen.

Gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB könne die Gemeinde durch Satzung einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt seien. Davon habe die Beklagte vorliegend mit Erlass der Ergänzungssatzung vom 29. November 1999 Gebrauch gemacht und u. a. lediglich Teilflächen von 508 qm (Parzelle 51) bzw. 464 qm (Parzelle 53) der Grundstücke des Klägers in den unbeplanten Innenbereich im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einbezogen. Damit habe die Beklagte mit Bindungswirkung gegenüber öffentlichen Planungsträgern und sonstigen Stellen, insbesondere der Baugenehmigungsbehörde festgelegt, wo in dem vom Geltungsbereich der Ergänzungssatzung erfassten Teil ihres Gebietes die Grenze des im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB verlaufe und der Außenbereich beginne. An diese normative Grenzziehung sei sie auch selbst bei anderen Entscheidungen gebunden.

Gegenüber der in der Erschließungsbeitragssatzung enthaltenen Tiefenbegrenzungsregelung stellten die Festsetzungen in einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB die speziellere Regelung dar. Mit einer Tiefenbegrenzungsregelung in einer Beitragssatzung könne die Gemeinde lediglich die widerlegliche Vermutung aufstellen, wo bei besonders tiefen Grundstücken im unbeplanten Innenbereich der Teil endet, der noch dem Innenbereich angehört, und die Fläche beginnt, die schon im Außenbereich liegt. Die Tiefenbegrenzungsregelung stelle eine generalisierende und pauschalierende Vermutungsregel für das gesamte Gemeindegebiet auf, dass die Flächen diesseits der Tiefengrenze dem unbeplanten Innenbereich und die Flächen jenseits der Tiefengrenze dem Außenbereich zuzuordnen sind. Diese Vermutung sei in der einen wie in der anderen Richtung widerlegbar: Sie sei - in einer die Tiefengrenze überschreitenden Weise - widerlegt, wenn ein Grundstück über die Grenze hinaus tatsächlich baulich oder gewerblich benutzt werde; und sie sei in einer hinter dieser Tiefengrenze zurückbleibenden Weise widerlegt, wenn eine Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB eine hinter der beitragsrechtlichen Tiefengrenze zurückbleibende Grenze festlege. Ausgehend von der allgemeinen Kollisionsregel, nach der spezielleres Recht allgemeinem Recht der gleichen Rangstufe vorgehe, werde daher die in einer Erschließungsbeitragssatzung geregelte Tiefenbegrenzung durch die Festsetzung einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB verdrängt.

Das gelte jedoch nicht, wenn die Tiefenbegrenzung nur Teilflächen eines Grundstücks erfasse, das vollständig im Geltungsbereich der Ergänzungssatzung liege. In diesem Falle gehe es nicht um die baurechtliche Frage der Abgrenzung des unbeplanten Innenbereichs vom Außenbereich, sondern um die davon zu unterscheidende spezifisch erschließungsbeitragsrechtliche Frage nach der Begrenzung der Erschließungswirkung einer Erschließungsanlage bei übertiefen Grundstücken, die vollständig innerhalb des unbeplanten Innenbereichs gelegen sind. Für diese Frage könne die Ergänzungssatzung keinen Vorrang gegenüber der Tiefenbegrenzungsregelung in der Erschließungsbeitragssatzung beanspruchen, so dass es insoweit bei der Anwendung der Tiefenbegrenzung bleibe.

Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, die Tiefenbegrenzung einer Erschließungsbeitragssatzung werde von einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB nur verdrängt, wenn diese "den Inhalt eines qualifizierten Bebauungsplans der §§ 9 Abs. 1, 2 und BauGB" habe. Auch wenn die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten in § 6 Abs. 2 bei der Festlegung der maßgeblichen Grundstücksfläche - anders als deren Ausbaubeitragssatzung - Satzungen nach § 34 Abs. 4 BauGB nicht erwähne, sei doch erkennbar, dass die "tatsächlichen Grundstücksflächen nach Abzug der Tiefenbegrenzung" zu berücksichtigen seien. Eine Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB könne zudem nur in einem groben Rahmen die Bebaubarkeit eines Grundstücks festlegen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil und bekräftigt sein erstinstanzliches Vorbringen.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte und den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, über die nach §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, bleibt ohne Erfolg.

Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die angefochtenen Bescheide insoweit den Kläger in seinen Rechten verletzen und deshalb keinen Bestand haben können, als Grundstücksteilflächen in die Veranlagung einbezogen worden sind, die nach der Ergänzungssatzung "S....weg" der Beklagten im Außenbereich liegen. Die Berufung wird aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird gemäß § 130 b Satz 2 VwGO abgesehen.

Die Berufungsbegründung gibt lediglich Veranlassung, die vom Verwaltungsgericht bereits hervorgehobenen Gesichtspunkte, die das Verhältnis einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB gegenüber der Tiefenbegrenzungsregelung einer Erschließungsbeitragssatzung bestimmen, noch einmal zu verdeutlichen:

Reicht die erschließungsbeitragsrechtliche Tiefengrenze über den Bereich hinaus, den eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB als im Zusammenhang bebauten Ortsteil festlegt, ergibt sich der Vorrang der Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB aus der Verbindlichkeit, mit der sie die Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich, also des Baulands i.S.d. § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB von grundsätzlich unbebaubaren Grundstücksteilen regelt (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 17 Rz 38; Ernst in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 11/1997, § 131 Rz 6 a; Vogel in: Brügelmann, BauGB, Stand 7/200, § 131 Rz 30; Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 131 Rz 21; a.A. Johlen, KStZ 1996, 148). Demgegenüber legt die Tiefenbegrenzungsregelung einer Erschließungsbeitragssatzung keine solche verbindliche Abgrenzung fest, sondern stellt - im Interesse einer praktikablen Beitragsabrechnung - lediglich die widerlegliche Vermutung auf, wo bei besonders tiefen Grundstücken, die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen, der Teil endet, der (noch) dem Innenbereich angehört, und die Fläche beginnt, die (schon) im Außenbereich liegt (Driehaus, a.a.O., § 17 Rz 38; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 1. September 2004, BVerwGE 121, 365 = NVwZ 2004, 1502; und zum Ausbaubeitragsrecht: Urteil des Senats vom 16. März 2004 - 6 A 11575/03.OVG - veröffentlicht in ESOVGRP). Wenn die Tiefenbegrenzung über den Bereich hinausgeht, den eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB als im Zusammenhang bebauten Ortsteil festlegt, zieht diese Satzung die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich; ob die Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB neben dieser Grenzziehung auch Festsetzungen nach § 9 Abs. 1, 2 und 4 BauGB enthält, kann - anders als die Beklagte meint - keine Rolle spielen.

Verläuft die erschließungsbeitragsrechtliche Tiefengrenze jedoch innerhalb des von einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB bestimmten Innenbereichs, bedarf es keiner Abgrenzung des im Zusammenhang bebauten Ortsteils vom Außenbereich. In dieser Fallgestaltung ist vielmehr die beitragsrechtliche Frage zu beantworten, ob die Erschließungswirkung der in Rede stehenden Anlage nur bis zur Tiefenbegrenzungslinie reicht. Da eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB aber die Reichweite der Erschließungswirkung nicht regelt, kann sie insoweit nicht vorrangig sein gegenüber der Tiefenbegrenzung der Erschließungsbeitragssatzung, mit der der baulich nutzbare (vordere) Bereich eines übergroßen, vollständig im unbeplanten Innenbereich liegenden Grundstücks pauschalierend festgelegt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2004, BVerwGE 121, 365 = NVwZ 2004, 1502; und zum Ausbaubeitragsrecht: Urteile des Senats vom 20. August 2002, NVwZ-RR 2003, 380, und vom 16. März 2004 - 6 A 11575/03.OVG - beide veröffentlicht in ESOVGRP).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren im zweiten Rechtszug auf 5011,29 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück