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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 13.02.2004
Aktenzeichen: 6 B 10279/04.OVG
Rechtsgebiete: GastG, ImSchG


Vorschriften:

GastG § 12
GastG § 12 Abs. 1
ImSchG § 4
ImSchG § 4 Abs. 3
ImSchG § 4 Abs. 4
ImSchG § 4 Abs. 4 S. 1
ImSchG § 4 Abs. 4 S. 2
Veranstaltungen, bei denen die für seltene Störereignisse in der Freizeitlärm-Richtlinie festgelegten Immissionsrichtwerte voraussichtlich nicht eingehalten werden, können gemäß § 12 Abs. 1 Gaststättengesetz gestattet werden, wenn sie als sehr seltene Ereignisse trotz der mit ihnen verbundenen erheblichen Belästigungen wegen ihrer Herkömmlichkeit, ihrer Bedeutung für die örtliche Gemeinschaft oder ihrer sozialen Adäquanz den Nachbarn zumutbar sind.

Das gilt grundsätzlich für die im Rheinland zum überlieferten kulturellen Brauchtum zählenden Karnevalsveranstaltungen (z.B. eine Kappensitzung und eine Feier am Schwerdonnerstag - Weiberfastnacht -).

Aufgrund der auch bei Vorliegen eines sehr seltenen Ereignisses erforderlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten dürfen Musikdarbietungen in der Regel allenfalls bis 24.00 Uhr zugelassen werden, und zwar unter der Voraussetzung, dass der folgende Tag allgemein arbeitsfrei ist.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

6 B 10279/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Gaststättenrechts

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. Februar 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 12. Februar 2004 - 1 L 478/04.KO - teilweise abgeändert.

Unter Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzantrages im Übrigen wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte gaststättenrechtliche Gestattung vom 28. Januar 2004 insoweit wiederhergestellt, als die Veranstaltungen am 21.02.2004 (Mottofete) und am 23.02.2004 (After-Train-Party) zugelassen wurden und für die Veranstaltung am 19.02.2004 (Weiberfastnachtfete) musikalische Darbietungen über 22.00 Uhr hinaus sowie eine längere Betriebszeit als 24.00 Uhr erlaubt wurden.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Einhaltung dieser Beschränkungen der Gestattung durch eigene Mitarbeiter sicherzustellen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten beider Rechtszüge tragen die Antragsteller je zu drei Zehnteln, die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zu zwei Zehnteln. Von den außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zwei Zehntel. Die Antragsteller haben die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen in beiden Rechtszügen je zu drei Zehnteln zu tragen. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig, aber nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.

Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, sind die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen, und zwar unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen gemäß § 12 Abs. 1 Gaststättengesetz - GastG - erteilte Gestattung. Die in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt überwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gestattung der für den 21. Februar 2004 geplanten "Mottofete" und auch der "After-Train-Party", die am 23. Februar 2004 stattfinden soll. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch, dass die Antragsgegnerin für die Veranstaltung am 19. Februar 2004 (Weiberfastnachtfete) musikalische Darbietungen über 22.00 Uhr hinaus sowie eine längere Betriebszeit als 24.00 Uhr erlaubt hat. Die Gestattung der Weiberfastnachtfete im Übrigen und der Kappensitzung am 14. Februar 2004 sind - nach überschlägiger Prüfung des Senats - nicht zu beanstanden. Nur bei diesen beiden Veranstaltungen handelt es sich höchst wahrscheinlich um so genannte sehr seltene Störereignisse, während dies auf die Mottofete und die After-Train-Party nicht zutrifft.

Nach der im Verwaltungsstreitverfahren 1 K 745/03.KO eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Schalltechnischen Ingenieurbüros für Gewerbe-, Freizeit- und Verkehrslärm Dipl. Ing. P. vom 14. Oktober 2003 ist damit zu rechnen, dass die aufgrund der Gestattung vom 28. Januar 2004 zu erwartenden Lärmimmissionen die für seltene Störereignisse in den Hinweisen des Länderausschusses für Immissionsschutz zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche (NVwZ 1997, 469 - Freizeitlärm-Richtlinie -) und dem Rundschreiben des Ministeriums für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1997 (MinBl. 1997, 213) festgelegten Immissionsrichtwerte überschreiten. Davon geht auch die Antragsgegnerin aus. Da diese Richtwerte als Anhalt, als Orientierungs- und Entscheidungshilfe dienen (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2001, NVwZ 2001, 1167; BGH, Urteil vom 26. September 2003, NJW 2003, 3699), war die Antragsgegnerin gehalten, nur Veranstaltungen gemäß § 12 Abs. 1 GastG zu gestatten, die als sehr seltene Ereignisse privilegiert sind, also trotz der mit ihnen verbundenen erheblichen Belästigungen den Nachbarn wegen ihrer Herkömmlichkeit, ihrer Bedeutung für die örtliche Gemeinschaft oder ihrer sozialen Adäquanz zumutbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2003, GewArch 2003, 300 f.; BGH, Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.; VGH Mannheim, Urteil vom 26. Juni 2002, VBlBW 2002, 483 <486>).

Die Differenzierung zwischen seltenen und sehr seltenen Ereignissen ist nach Auffassung des Senats auch in der Systematik des § 4 Landes-Immissionsschutzgesetz - LImSchG - angelegt, der sich zwar ausdrücklich nur auf die besonders schutzbedürftige Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) bezieht, für die in geringerem Umfang geschützte abendliche Ruhezeit (20.00 Uhr bis 22.00 Uhr) aber entsprechend herangezogen werden kann. Auf den in § 4 Abs. 1 LImSchG niedergelegten Grundsatz des Schutzes der Nachtruhe folgt in Absatz 2 eine Ausnahmeregelung. Die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 LImSchG lässt weitere Ausnahmen von dem Verbot des § 4 Abs. 1 LImSchG zu, wenn die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse einer beteiligten Person geboten ist. Schließlich kann die zuständige Behörde gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 LImSchG allgemeine Ausnahmen für bestimmte Veranstaltungen bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse zulassen. Daraus wird deutlich, dass die Nachtruhe umso weniger geschützt ist, je stärker das öffentliche Interesse an einer Veranstaltung ist. Ein öffentliches Bedürfnis liegt nach § 4 Abs. 4 Satz 2 LImSchG in der Regel vor, wenn eine Veranstaltung der Pflege des historischen oder kulturellen Brauchtums dient oder sonst von besonderer kommunaler Bedeutung ist und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber dem Interesse der Nachbarschaft an ungestörter Nachtruhe überwiegt. Die beispielhafte Aufzählung in § 4 Abs. 4 Satz 1 LImSchG (Messen, Märkte, Volksfeste, Silvester-/Neujahrsnacht) lässt erkennen, dass es sich bei diesen Veranstaltungen im Allgemeinen um jährlich einmal stattfindende handelt, die sich über allenfalls wenige Tage erstrecken (so auch BGH, Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.). Bei den sehr seltenen Ereignissen kann es sich nur um vereinzelte, besonders herausragende Veranstaltungen handeln, deren Bedeutung so groß ist, dass dahinter das Ruhebedürfnis der Anwohner zurückzutreten hat (OVG Rheinland-Pfalz <8. Senat>, Urteil vom 16. April 2003, BauR 2003, 1187; VGH Kassel, Beschluss vom 8. Oktober 1996, GewArch 1997, 162). Derartige Merkmale weisen etwa Jubiläumsfeste dörflicher Vereine (vgl. VGH München, Urteil vom 13. Mai 1997, NJW 1998, 401) oder traditionelle Jahrmärkte und Volksfeste auf (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 14. November 1995, GewArch 1996, 390). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.), mit der im Interesse der Harmonisierung zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Beurteilungsmaßstäbe eine Angleichung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vollzogen wurde, gehören Volks- und Gemeindefeste, Feiern örtlicher Vereine, traditionelle Umzüge und ähnliche Veranstaltungen zu den herkömmlichen, allgemein akzeptierten Formen gemeindlichen und städtischen Lebens, die für den Zusammenhalt der örtlichen Gemeinschaft von großer Bedeutung sein können, dabei auch die Identität dieser Gemeinschaft stärken und für viele Bewohner einen hohen Stellenwert besitzen, so dass die mit ihnen verbundenen Geräuschentwicklungen von einem verständigen Durchschnittsmenschen bei Würdigung auch anderer Belange in der Regel in höherem Maß akzeptiert werden als sonstige Immissionen; ereignen sie sich sehr selten, können auch Lärmimmissionen, die die Richtwerte der Freizeitlärm-Richtlinie überschreiten, ausnahmsweise noch unwesentlich sein.

Nach diesen Maßstäben ist die Durchführung einer Kappensitzung ebenso wie eine Feier am Schwerdonnerstag (Weiberfastnacht) überliefertes kulturelles Brauchtum im Rheinland, ohne dass es entscheidend darauf ankommt, ob deren Ablauf streng nach historischem Vorbild gestaltet wird oder ob die Veranstaltung seit vielen Jahren an einem bestimmten Ort stattfindet. Nicht ausreichend ist jedoch, wenn eine Feier keinen erkennbaren Bezug zur Brauchtumspflege hat, sondern die Tradition lediglich zum Anlass für eine Tanz- bzw. Musikveranstaltung beispielsweise nach Art einer Disco nimmt. Nach dem Ergebnis der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden überschlägigen Prüfung fehlt sowohl der Mottofete als auch der After-Train-Party ein hinreichend deutlicher Bezug zum tradierten rheinischen Karneval, auch wenn sie sich - wie es in der Beschwerdebegründung heißt - von typischen Disco-Veranstaltungen dadurch unterscheiden sollten, dass nicht hauptsächlich Musik mit hohem Bassanteil gespielt werden soll.

Angesichts des Umstandes, dass auch eine Kirmes typischerweise zu den in der örtlichen Gemeinschaft verwurzelten traditionellen Festen gehört, muss darauf geachtet werden, dass die Gesamtzahl der sehr seltenen Veranstaltungen eines Kalenderjahres deutlich niedriger liegt als die höchstzulässige Anzahl der seltenen Ereignisse.

Stellt eine Veranstaltung i.S.d. § 4 Abs. 4 LImSchG ein sehr seltenes Ereignis dar, bedeutet dies nicht, dass der Schutz der Nachtruhe vollständig entfällt. Vielmehr hat eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Beteiligten stattzufinden. Dabei stimmt der Senat mit dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.) darin überein, dass Musikdarbietungen in der Regel allenfalls bis 24.00 Uhr zugelassen werden dürfen. Dies kann allerdings nur gelten, wenn der darauf folgende Tag allgemein arbeitsfrei ist, so dass sich die in ihrer Nachtruhe beeinträchtigten Anwohner durch längeres Ausschlafen erholen können. Schließt sich an eine sehr seltene Veranstaltung ein Arbeitstag an, wie dies bei der geplanten Weiberfastnachtfete der Fall ist, sind musikalische Darbietungen um 22.00 Uhr, die Feier selbst um 24.00 Uhr zu beenden. Anders als bei einer typischen Disco-Veranstaltung wird durch eine solche Begrenzung der bereits um 18.11 Uhr beginnenden Weiberfastnachtfete deren Charakter nicht grundlegend verändert (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschluss vom 8. Oktober 1996, a.a.O.).

Ob die Beigeladene auf einen anderen Veranstaltungsort verwiesen werden kann (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.), muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren ggf. durch eine Ortsbesichtigung vorbehalten bleiben.

Angesichts der seit Jahren immer wieder auftretenden Auseinandersetzungen um die Karnevalsveranstaltungen der Beigeladenen erscheint es dem Senat angezeigt, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Einhaltung dieser Beschränkungen der Gestattung durch eigene Mitarbeiter sicherzustellen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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