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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 30.01.2003
Aktenzeichen: 6 D 11965/02
Rechtsgebiete: VwGO, KapVO


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1 S 2
KapVO § 11
Zusätzliche Studienplätze, deren Vorhandensein erst in einem Rechtsstreit als Folge unzureichender Kapazitätsausnutzung nachgewiesen wird, sind nur unter den Bewerbern zu verteilen, die gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen haben.

Übersteigt die Zahl der um Rechtsschutz nachsuchenden Studienbewerber die Zahl der verfügbaren "verschwiegenen" Studienplätze, ist die Auswahl in erster Linie nach der zeitlichen Reihenfolge zu treffen, in der die Zulassungsanträge bei der Antragsgegnerin eingegangen sind. Als gleichzeitig eingegangen werden diejenigen Anträge behandelt, die bis zum In-Kraft-Treten der maßgeblichen Zulassungszahl-Verordnung gestellt wurden. Anträge, mit denen nach diesem Zeitpunkt bei der Hochschule um Zuweisung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Quote nachgesucht wird, sind als zeitgleich zu betrachten, wenn sie am selben Tag eingegangen sind. Wenn mehr gleichzeitig gestellte Anträge als Studienplätze vorhanden sind, wird nach dem Qualifikationsrang differenziert. Dazu wird der Quotient gebildet aus dem persönlichen Rang des Bewerbers auf der Qualifikationsrangliste und dem Grenzrang des letzten ausgewählten Bewerbers, wie sie sich aus dem ZVS-Ablehnungsbescheid ergeben.

Vergibt die Hochschule über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus einen Studienplatz an einen Bewerber, der keinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt hatte, so ist dies in der Regel nicht auf die im gerichtlichen Verfahren ermittelte Kapazität anzurechnen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

6 D 11965/02.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Zulassung zum Studium der Psychologie

hier: einstweilige Anordnung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 30. Januar 2003, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher

beschlossen:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Trier vom 27. November 2002 ergeht folgende einstweilige Anordnung:

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin auf Antrag vorläufig zum Studium der Psychologie ab dem 1. Fachsemester zuzulassen, und zwar unter folgenden Voraussetzungen:

a) Der Antrag muss bis zum 14. Februar 2003 einschließlich bei der Antragsgegnerin eingegangen sein.

b) Dem Antrag ist eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts beizufügen, dass die Antragstellerin an keiner Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland im Studiengang Psychologie oder in einem anderen Studiengang mit Zulassungsbeschränkung endgültig oder vorläufig eingeschrieben ist.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2000,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie hat einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet wird, sie zum Studium der Psychologie ab dem 1. Fachsemester zuzulassen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem ihr nur ein Anspruch auf Teilnahme an einem Nachrückverfahren zur Vergabe der über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus ermittelten Studienplätze zugebilligt wurde, ist daher abzuändern.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Kapazitätsermittlung ist zunächst hinsichtlich des Dienstleistungsbedarfs zu korrigieren. Es hat nämlich, was die Dienstleistungen für die der Lehreinheit Psychologie nicht zugeordneten Lehramtsstudiengänge betrifft, lediglich auf die Studienordnung für das Lehramt an Realschulen vom 29. Januar 1981, nicht aber auch auf die Studienordnung für das Studium der Erziehungswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien vom 8. Dezember 2000 abgestellt. Letztere verlangt in § 4 Abs. 1 Nr. 1 d) für die Zulassung zur Ersten Staatsprüfung die Vorlage eines Leistungsnachweises aus einem Seminar zu den Bereichen "Psychologische Aspekte des Erziehungshandelns" oder "Soziologische Aspekte des Erziehungshandelns", so dass bei der gebotenen pauschalierenden Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass die Hälfte der Studierenden insoweit Dienstleistungen der Lehreinheit Psychologie in Anspruch nimmt. Im Rahmen des Studiums für das Realschul-Lehramt ist demgegenüber mit dem Verwaltungsgericht anzunehmen, dass drei Fünftel der Studienanfänger an einem entsprechenden Proseminar teilnehmen. Der darauf entfallende Curricularanteil von 0,0333 ist daher zutreffend mit 0,6 multipliziert worden, was 0,01998 ergibt. Berücksichtigt man jedoch, dass dieser Faktor hinsichtlich der Studienanfänger für das Lehramt an Gymnasien 0,5 beträgt, errechnet sich ein Curricularanteil von 0,01665. Da sich die Studierenden erst im Laufe des Lehramtsstudiums auf eine Schulrichtung festlegen, ist aus diesen Curricularanteilen ein Mittelwert (0,018315) zu bilden und der weiteren Berechnung zugrunde zu legen. Dies führt zu einem Dienstleistungsbedarfs von 4,699 SWS, also von 4,7 SWS, mithin 0,34 SWS weniger als vom Verwaltungsgericht ermittelt. Das bereinigte Lehrangebot erhöht sich dadurch auf 577,33 SWS, was 144,33 Studienplätzen entspricht (577,33 : 4 = 144,33). Unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht zutreffend errechneten Schwundquote beträgt die Aufnahmekapazität demnach 171 Studienplätze (144,33 : 0,8465 = 170,505).

Anders als das Verwaltungsgericht hält es der Senat nicht für geboten, bei der Vergabe dieser drei zusätzlichen, bisher "verschwiegenen" Studienplätze auch solche Bewerber nach ihrer Rangstelle zu berücksichtigen, die nicht um Rechtsschutz nachgesucht haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des bislang für das Hochschulzulassungsrecht zuständigen 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, sind zusätzliche Studienplätze, deren Vorhandensein erst in einem Rechtsstreit als Folge unzureichender Kapazitätsausnutzung nachgewiesen wird, unter den Bewerbern zu verteilen, die gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen haben (vgl. Beschlüsse vom 17.10.1995 - 1 D 10679/95.OVG - und vom 21.09.1999 - 1 D 11643/99.OVG -). Dies geht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 1975 (BVerfGE 39, 258 <276>) zurück, in der betont wird, dass ein hochschulreifer Bewerber um einen Studienplatz, den er im gerichtlichen Verfahren über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus nachgewiesen hat, in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt wird, wenn seine Klage allein mit Rücksicht auf seine ungünstige Rangstelle abgewiesen wird. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Zulassungsanspruch ist danach rechtlich unabhängig von der Rangstelle des Bewerbers zu sehen. Werden nämlich in einem Prozess ungenutzte Studienplätze ermittelt, dann stehen sich bezüglich dieser Plätze nur noch die Hochschule und die klagenden Bewerber gegenüber, während nichtklagende Bewerber mit besserer Rangstelle am Verfahren gar nicht beteiligt sind. Deshalb werden die letztgenannten Bewerber nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt, wenn ein Bewerber mit ungünstiger Rangstelle erfolgreich gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nimmt.

Auch hinsichtlich des Verfahrens zur Verteilung von Studienplätzen, die im gerichtlichen Verfahren über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus ermittelt werden, folgt der Senat der Rechtsprechung des bisher zuständig gewesenen 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 17.10.1995 - 1 D 10679/95.OVG - und vom 21.09.1999 - 1 D 11643/99.OVG -): Übersteigt die Zahl der um Rechtsschutz nachsuchenden Studienbewerber die Zahl der verfügbaren "verschwiegenen" Studienplätze, ist die Auswahl in erster Linie nach der zeitlichen Reihenfolge zu treffen, in der die Zulassungsanträge bei der Antragsgegnerin eingegangen sind. Als gleichzeitig eingegangen werden diejenigen Anträge behandelt, die bis zum In-Kraft-Treten der maßgeblichen Zulassungszahl gestellt wurden. Anträge, mit denen nach diesem Zeitpunkt bei der Hochschule um Zuweisung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Quote nachgesucht wird, sind als zeitgleich zu betrachten, wenn sie am selben Tag eingegangen sind. Wenn mehr gleichzeitig gestellte Anträge als Studienplätze vorhanden sind, wird in zweiter Linie nach dem Qualifikationsrang differenziert. Dazu wird der Quotient gebildet aus dem persönlichen Rang des Bewerbers auf der Qualifikationsrangliste und dem Grenzrang des letzten ausgewählten Bewerbers, wie sie sich aus dem ZVS-Ablehnungsbescheid ergeben. Ist ein solcher nicht vorgelegt worden, wird der betreffende Antragsteller nach den Bewerbern mit nachgewiesener Rangziffer berücksichtigt.

Von den im gerichtlichen Verfahren über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus ermittelten drei Studienplätzen ist nach diesen Maßstäben ein Studienplatz der Antragstellerin zuzuweisen. Sie hat in der Gruppe derjenigen, die ihren Zulassungsantrag vor dem In-Kraft-Treten der maßgeblichen Zulassungszahlverordnung am 13. Juli 2002 gestellt haben, die zweitbeste Rangziffer (1198 : 312 = 3,839).

Diesem Anspruch der Antragstellerin kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragsgegnerin nach Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses - ohne abzuwarten, ob dieser Beschluss rechtskräftig wird - bereits einen weiteren Bewerber zum Studium der Psychologie im ersten Fachsemester zugelassen hat, der nicht um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hatte. Zwar wird auch durch eine solche Zulassung verhindert, dass ein "verschwiegener" Studienplatz ungenutzt bleibt und insoweit eine mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbare Folge eintritt (vgl. BVerfG, a.a.O.). Gleichwohl ist die Vergabe eines Studienplatzes an einen Bewerber, der keinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt hatte, nicht auf die ermittelte Kapazität anzurechnen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 9. April 1975 nicht nur darauf hingewiesen, dass die vorhandene Ausbildungskapazität in vollem Umfang zu nutzen ist; es hat darüber hinaus - wie bereits erwähnt - Ausführungen dazu gemacht, an wen die im Prozess nachgewiesenen ungenutzten Studienplätze zu vergeben sind. In diesem Zusammenhang hat es einen rechtlich bedeutsamen Unterschied zwischen klagenden Bewerbern und solchen gesehen, die ihren Ablehnungsbescheid haben bestandskräftig werden lassen. Die Effektivität des Rechtsschutzes der Antragstellerin wäre nicht gewährleistet, wenn ihre Studienzulassung daran scheitern würde, dass ein Bewerber eingeschrieben wurde, der nicht um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hatte. Demgegenüber ist die Zulassung einer Studienbewerberin, die beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt hatte, auf die ermittelte Kapazität anzurechnen (vgl. auch VGH Kassel, Beschluss vom 18.01.2001, NVwZ-RR 2001, 448 zum Fall der sog. Überbuchung im ZVS-Vergabeverfahren). Dies wirkt sich aber nicht zum Nachteil der Antragstellerin aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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