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Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 04.12.2009
Aktenzeichen: 7 A 10881/09.OVG
Rechtsgebiete: AufenthG, ARB 1/80, EMRK, GG
Vorschriften:
AufenthG § 36 | |
AufenthG § 36 Abs. 2 | |
AufenthG § 53 | |
AufenthG § 56 | |
AufenthG § 56 Abs. 1 | |
AufenthG § 56 Abs. 1 Satz 1 | |
ARB 1/80 Art. 7 | |
ARB 1/80 Art. 7 Satz 1 | |
ARB 1/80 Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich | |
EMRK Art. 8 | |
GG Art. 2 | |
GG Art. 2 Abs. 1 |
2. Zum Erwerb eines aus Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleitenen Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers (hier: Erwerbstätigkeit des Vaters mit Unterbrechungen für insgesamt sieben Monate während eines Zeitraums von 16 Monaten)
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
7 A 10881/09.OVG
Verkündet am: 04.12.2009
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Ausweisung und Aufenthaltserlaubnis (Türkei)
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2009, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Stahnecker ehrenamtliche Richterin Hausfrau Bastian ehrenamtlicher Richter Kaufmann Schäfer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 4. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger, ein 1987 in Deutschland geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Sein Vater reiste im Jahre 1977 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der - ebenso wie weitere Folgeanträge - erfolglos blieb. Im Jahre 1980 heiratete der Vater eine türkische Staatsangehörige, von der er seit 1998 getrennt lebt. Aus der Ehe sind fünf Kinder hervorgegangen.
Am 17. Februar 1992 wurde dem Vater und den übrigen Familienmitgliedern einschließlich des Klägers eine Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung des § 100 AuslG erteilt, die in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde, für den Kläger zuletzt am 7. November 2002 bis zum 19. Juli 2004.
Der Vater stand ausweislich des Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung vom 9. Juni 2008 in der Zeit vom 17. Mai bis 31. Juli 1993, vom 16. August bis 21. September 1993 und vom 27. April bis 9. August 1994 in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, nachdem er zuvor letztmals im Jahre 1982 einer solchen Beschäftigung nachgegangen war. Danach war er bis zum 9. Dezember 2002 nicht mehr erwerbstätig mit Ausnahme einer kurzfristigen Beschäftigung in der Zeit vom 20. bis 25. Juni 1997, in der er indes keine Arbeitserlaubnis besaß.
Im Juni 1998 wurde den Eltern des Klägers das Sorgerecht für ihn entzogen und dem Jugendamt übertragen, das seine Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung bei T. veranlasste. Nachdem er dort untragbar geworden war, beendete das Jugendamt die Heimunterbringung, worauf er im Mai 2002 wieder nach A. zurückkehrte, wo seine Eltern und Geschwister leben.
In der Folgezeit wurde der Kläger, der bereits als strafunmündiges Kind vor Vollendung des 14. Lebensjahres durch über 80 selbständige Diebstähle aufgefallen war, wie folgt straffällig: Mit Urteil vom 26. November 2003 verurteilte ihn das Amtsgericht A. unter anderem wegen mehrfacher räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Am Tag des Urteils wurde er in der Jugendstrafanstalt S., die im Dienstbezirk des Beklagten liegt, in Haft genommen. Am 26. Mai 2004 verurteilte ihn das Amtsgericht wegen eines von der vorangegangenen Verurteilung nicht erfassten versuchten schweren Raubes und wegen der Verabredung eines schweren Raubes in drei Fällen unter Einbeziehung des Urteils vom 26. November 2003 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Mit Urteil vom 28. Juli 2004 wurde er wegen weiterer Taten, die nicht Gegenstand der beiden vorangegangenen Verurteilungen waren (u.a. sieben Fälle gemeinschaftlichen Raubes), unter Einbeziehung dieser Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Das Amtsgericht B. sprach ihn schließlich mit Urteil vom 27. Juni 2005 wegen Taten, die er in den ersten Monaten der Haft zum Nachteil von Mitgefangenen begangen hatte, eines Verbrechens des gemeinschaftlichen Raubes in Tatmehrheit mit sieben Verbrechen der räuberischen Erpressung, in Tatmehrheit mit einem Verbrechen der gemeinschaftlichen räuberischen Erpressung sowie mit acht Vergehen der - in sieben Fällen gefährlichen - Körperverletzung schuldig und verhängte gegen ihn unter Einbeziehung des Urteils vom 28. Juli 2004 eine Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Auf die hiergegen eingelegte Berufung setzte das Landgericht F. mit rechtskräftigem Urteil vom 17. Februar 2006 das Strafmaß auf sechs Jahre und neun Monate herab.
Während seiner Inhaftierung erreichte der Kläger den Hauptschulabschluss und besuchte für ein Jahr die Berufsfachschule I Technik an der Berufsbildenden Schule B., die ihm für seine sehr guten Leistungen ihre Anerkennung aussprach.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Oktober 2007 beantragte er die Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltsbefugnis als Aufenthaltserlaubnis.
Nach Anhörung des Klägers wies der Beklagte ihn mit Bescheid vom 20. Mai 2008 aus, befristete die Wirkungen der Ausweisung auf dreieinhalb Jahre ab dem Tage der Abschiebung und lehnte den Aufenthaltserlaubnisantrag ab. Zugleich verfügte er, der Kläger werde unmittelbar aus dem Gewahrsam in die Türkei abgeschoben. Die Abschiebung könne auch in einen anderen Staat erfolgen, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei.
Mit Beschluss vom 13. Juni 2008 setzte das Amtsgericht B. nach Einholung eines Berichts der Jugendstrafanstalt vom 24. April 2008 die Vollstreckung des Restes der gegen ihn verhängten Jugendstrafe zur Bewährung aus. Es machte ihm unter anderem zur Auflage, ab dem 5. August 2008 die Berufsfachschule II in W. zu besuchen. Daraufhin wurde er im Juni 2008 aus der Haft entlassen und wohnt seitdem bei seinem Vater in A.. Die Kreisverwaltung A. stimmte der Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten zu.
Im Februar 2009 wurde dem Kläger der Widerruf der Vollstreckungsaussetzung angedroht, weil dem Bericht seiner Bewährungshelferin zufolge die Berufsfachschule W. mitgeteilt hatte, dass er dem Unterricht häufig unentschuldigt ferngeblieben sei und deswegen eine Abmahnung erhalten habe. Außerdem kam es am 5. Februar 2009 zu einem Vorfall in der Berufsfachschule. Dem Kläger wurde vorgeworfen, er habe eine Mitschülerin mit einem Stuhl schlagen wollen und einen Mitschüler, der ihr zu Hilfe gekommen sei, mit einem Elektroschockgerät bedroht. Er bestritt diese Vorwürfe und gab an, er habe lediglich mit seinem Handy - und mittels eines heruntergeladenen Elektroschockgeräuschs - den Eindruck erweckt, dass er ein Elektroschockgerät benutze. Seit Februar/März 2009 besucht er eigenen Angaben zufolge die Berufsfachschule in W. nicht mehr.
Seine nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 24. November 2008) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4. Juni 2009 mit der Begründung abgewiesen, die Ausweisung und die Ablehnung des Aufenthaltserlaubnisantrags seien rechtmäßig. Gleiches gelte für die vom Beklagten erlassene Abschiebungsanordnung, bei der es sich der Sache nach um eine Abschiebungsandrohung handele, die wegen der Inhaftierung des Klägers ohne Fristsetzung ergangen sei. Allerdings müsse dem mittlerweile aus der Haft entlassenen Kläger noch eine Ausreisefrist gesetzt werden.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend: Er genieße entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, da er in Deutschland geboren und aufgewachsen sei. Über seine Ausweisung hätte zudem nur nach Ermessen entschieden werden dürfen, weil er eine Rechtsstellung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei erlangt habe. Sein Vater habe nämlich auch in der Zeit, als er nach dem Ende seines Beschäftigungsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet gewesen sei und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden habe, dem regulären Arbeitsmarkt angehört. Seine Ausweisung sei darüber hinaus im Hinblick auf Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. In der Türkei habe er keine Verwandten oder Kontaktpersonen. Er spreche fast kein Türkisch mehr. Wenn es zu Verständigungsschwierigkeiten mit seiner Mutter komme, die nur "ein paar Brocken" Deutsch könne, müsse er seinen Bruder Ü. oder dessen Frau um Hilfe bitten. Er kümmere sich täglich um seine psychisch kranke Mutter, deren Betreuer sein Bruder Ü. sei, der allerdings tagsüber arbeite und sich daher nicht allein um die Mutter sorgen könne. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Vollstreckung seiner Reststrafe im Hinblick auf eine günstige Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Er nehme an einem Kurs der Volkshochschule M. zur Erlangung des Realschulabschlusses teil, der am 9. September 2009 begonnen habe, wie sich aus der von ihm vorgelegten Bescheinigung der Volkshochschule ergebe. Die vom Beklagten ausgesprochene Befristung der Wirkungen der Ausweisung habe für ihn keine praktische Bedeutung, weil er volljährig sei und daher keine Aussicht auf Rückkehr und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen nach Ablauf der Frist habe. Eine endgültig wirkende Ausweisung sei unverhältnismäßig, da er in Deutschland geboren sei und seine nächsten Verwandten - seine Eltern und Geschwister - hier lebten.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 4. Juni 2009 den Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 24. November 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte verteidigt das angegriffen Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Vorbringens des Klägers - insbesondere zu seinen Sprachkenntnissen und seinen verwandtschaftlichen Beziehungen - in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts und des Senats wird auf die Sitzungsniederschriften vom 4. Juni 2009 und vom 4. Dezember 2009 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Behördenakten einschließlich der Ausländerakten der Eltern des Klägers sowie die Gerichtsakten 2 L 712/08.NW und 2 K 711/08.NW verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ausweisung des Klägers und die Ablehnung seines Aufenthaltserlaubnisantrags in dem angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2008 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid sind rechtmäßig.
1. Der Beklagte war für den Erlass des Bescheides örtlich zuständig. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz - POG - ist die allgemeine Ordnungsbehörde örtlich zuständig, in deren Dienstbezirk die ordnungsbehördlich zu schützenden Interessen gefährdet oder verletzt werden. Bei einem inhaftierten Ausländer, der wegen seiner Straftaten ausgewiesen werden soll, ist dies grundsätzlich die Ausländerbehörde, in deren Dienstbezirk der Haftort liegt, an dem jener nach Verbüßung der Strafe aus der Haft entlassen wird (vgl. Beschluss des Senats vom 2. Dezember 2008 - 7 B 11049/08.OVG -, ESOVGRP, m.w.N.). Der Kläger hielt sich bis zu seiner Haftentlassung im Juni 2008 in der Jugendstrafanstalt S. und damit im Dienstbezirk des Beklagten auf. Dessen örtliche Zuständigkeit ist nicht dadurch entfallen, dass sich der Kläger nach seiner Haftentlassung in A. aufhält, nachdem die nunmehr an sich zuständige Kreisverwaltung A. der Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten in entsprechender Anwendung von § 3 Abs. 3 VwVfG zugestimmt hat.
2. Rechtsgrundlage der Ausweisung des Klägers ist § 53 Nr. 1 AufenthG.
Danach wird ein Ausländer unter anderem dann ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (1. Alternative des § 53 Nr. 1 AufenthG). Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Kläger vom Landgericht F. wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten (u.a. Raub, räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung) rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist.
a) Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Er kann sich insbesondere nicht auf die Bestimmung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG berufen, die voraussetzt, dass der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Zwar wurde er im Bundesgebiet geboren und hat sich hier auch über fünf Jahre rechtmäßig aufgehalten. Er besitzt jedoch - seit 20. Juli 2004 - keine Aufenthaltserlaubnis mehr. Notwendig ist der tatsächliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Es genügt nicht, dass eine solche - wie hier im Oktober 2007 - beantragt wurde (vgl. Beschluss des Senats vom 2. Dezember 2008, a.a.O.; BayVGH, Beschluss vom 13. März 2006 - 24 ZB 05.3191 -, juris; Armbruster, in: HTK-AuslR, Stand: November 2009, § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Anm. 1 m.w.N.).
b) Dem Kläger steht auch kein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei - ARB 1/80 - zu, so dass die für eine Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen geltenden besonderen Vorgaben, wonach diese unter anderem nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ergehen darf (vgl. BVerwGE 121, 315; Hailbronner, AuslR, Stand: August 2009, Vor § 53 AufenthG Rn. 43 f.), keine Anwendung finden.
In Betracht kommt hier allein der Erwerb einer assoziationsrechtlich privilegierten Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80. Danach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - folgt aus dem Beschäftigungsrecht eines Familienangehörigen nach dieser Bestimmung das Bestehen eines entsprechenden Aufenthaltsrechts. Dabei sind auch im Aufnahmemitgliedstaat geborene volljährige Kinder eines türkischen Arbeitnehmers von der Begünstigung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 umfasst (vgl. EuGH, NVwZ 2005, 198 - Cetinkaya -; OVG RP, InfAuslR 2005, 238). Unerheblich ist, aus welchem Grund dem türkischen Arbeitnehmer Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet genehmigt wurden (vgl. EuGH, InfAuslR 2009, 93 - C. -). Der Erwerb der Rechtsstellung aus Art. 7 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 durch ein Kind eines türkischen Arbeitnehmers setzt indes voraus, dass der Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaats angehört und dass das Kind bei diesem seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hat. Diese beiden Voraussetzungen müssen gleichzeitig vorliegen. Der Arbeitnehmer muss demnach zumindest während der dreijährigen Dauer des Zusammenlebens mit dem Kind die Voraussetzungen der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt erfüllt haben (vgl. EuGH, InfAuslR 2009, 93 - C. -, Rn. 22, 30, 33 und 37).
An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Der Vater des Klägers gehörte nicht während der Zeit des Zusammenlebens mit seinem Sohn für die Dauer von mindestens drei Jahren dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland an.
Der Begriff des "regulären Arbeitsmarkts" bezeichnet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in dessen Hoheitsgebiet auszuüben. Ein türkischer Arbeitnehmer gehört trotz einer vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaats an, und zwar unabhängig davon, welchen Grund die Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt hat, sofern diese Abwesenheit vorübergehender Natur ist. Ein türkischer Arbeitnehmer ist erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wieder einzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden (vgl. EuGH, InfAuslR 2009, 93 - C. -, Rn. 23 - 25 und 27 f.). Eine unverschuldete Arbeitslosigkeit von sechs Monaten im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit von zweieinhalb Jahren steht der weiteren Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt nicht entgegen (vgl. nochmals EuGH, InfAuslR 2009, 93 - C. -, Rn. 26 und 40).
Hieran gemessen gehörte der Vater des Klägers nach dessen Geburt im Jahre 1987 und der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis im Jahre 1992 mit Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit im Mai 1993 dem regulären Arbeitsmarkt an, nachdem er ausweislich des Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung vom 9. Juni 2008 zuvor letztmals im Jahre 1982 beschäftigt war. Er stand sodann vom 17. Mai bis 31. Juli 1993, vom 16. August bis 21. September 1993 und vom 27. April bis 9. August 1994 in einem Beschäftigungsverhältnis, mithin in dem Zeitraum von Mai 1993 bis August 1994 mit Unterbrechungen für insgesamt rund sieben Monate. Anschließend war er bis Dezember 2002 und somit für mehr als acht Jahre arbeitslos mit Ausnahme einer kurzfristigen Beschäftigung in der Zeit vom 20. bis 25. Juni 1997, in der er indes keine Arbeitserlaubnis besaß. Er ist demnach nicht nur vorübergehend, sondern lang andauernd arbeitslos gewesen und damit aus dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschieden. Es kann dabei dahinstehen, ab welchem Zeitpunkt genau er nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Dies ist jedenfalls vor Ablauf der nach Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 maßgeblichen Frist von drei Jahren erfolgt. Denn der sich an seine Erwerbstätigkeit von rund sieben Monaten in der Zeit von Mai 1993 bis August 1994 (= 16 Monate) anschließende Zeitraum von 20 Monaten bis zum Ablauf der Dreijahresfrist ist nicht mehr als angemessen anzusehen, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung zu finden, zumal weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, dass sich der Vater des Klägers mit begründeter Aussicht auf Erfolg um eine Arbeitsstelle bemüht hätte. Da der Vater während des maßgeblichen Zeitraums des Zusammenlebens mit dem Kläger von drei Jahren lediglich mit Unterbrechungen insgesamt rund sieben Monate während eines Zeitraums von 16 Monaten erwerbstätig und anschließend langfristig arbeitslos war, steht dies seiner weiteren Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt bis zum Ablauf der Dreijahresfrist entgegen.
Dies gilt auch dann, wenn sein Vater, wie vom Kläger geltend gemacht, arbeitslos gemeldet gewesen und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden haben sollte. Diesem Umstand kommt keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in der Rechtssache C. (vgl. InfAuslR 2009, 93) nicht wie Generalanwalt D. in seinem Schlussantrag (vgl. EuGH, Schlussantrag des Generalanwalts vom 11. September 2008 - C - 337/07 -juris, Rn. 61) die Antwort auf die Frage nach der Zugehörigkeit eines Arbeitslosen zum regulären Arbeitsmarkt vornehmlich davon abhängig gemacht, ob der Betroffene bei den zuständigen Stellen als Arbeitssuchender gemeldet ist, sondern, wie oben ausgeführt, - wenn kein Fall der objektiven Unmöglichkeit der Wiedereingliederung vorliegt - auf die Dauer der Beschäftigungslosigkeit abgestellt, worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat.
Der Kläger hat eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 auch nicht dadurch erworben, dass er nach dem Ende seiner Unterbringung in einem Heim im Mai 2002 erneut mit seinem Vater in häuslicher Gemeinschaft gelebt und dieser am 9. Dezember 2002 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Hiergegen spricht bereits, dass der Kläger am 26. November 2003 und damit vor dem Ende der Dreijahresfrist inhaftiert worden ist, sodass die häusliche Gemeinschaft mit seinem Vater ab diesem Zeitpunkt wieder aufgehoben sein dürfte. Entscheidend kommt hinzu, dass die Geltungsdauer des dem Kläger zuletzt erteilten Aufenthaltstitels am 19. Juli 2004 und damit ebenfalls vor dem Ende der Dreijahresfrist ausgelaufen ist. Seitdem ist sein Aufenthalt und Wohnsitz im Bundesgebiet nicht mehr ordnungsgemäß i.S.v. Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 (vgl. EuGH, InfAuslR 1997, 281 - K. -).
c) Nach alledem greift die Vorschrift des § 53 Nr. 1 AufenthG hier ein, die die Ausweisung des Klägers als zwingende Rechtsfolge vorsieht. Diese Folge verstößt nicht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Eine Ausweisung stellt einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers dar, der in materieller Hinsicht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens (neben dem Schutz des Familienlebens) gelten, sind auch hier heranzuziehen (vgl. BVerfG, InfAuslR 2007, 443 [444] m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - zu Art. 8 EMRK, die auch als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dient (vgl. BVerfG, NVwZ 2004, 852), sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eines Erwachsenen, der noch keine eigene Familie gegründet hat, folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. EGMR, InfAuslR 2008, 333 - G. - m.w.N.): Die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten; die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit der Begehung der Delikte verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser Zeit sowie die sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Zielstaat der Ausweisung. Bei der Anwendung einiger dieser Kriterien kann das Alter des Ausländers von Bedeutung sein. So ist bei der Beurteilung von Art und Schwere der begangenen Straftaten zu berücksichtigen, ob der Ausländer sich diese als Jugendlicher oder als Erwachsener zu Schulden hat kommen lassen. Bei der Bewertung der Dauer des Aufenthalts und der Bindungen im Gastland macht es einen Unterschied, ob der Betroffene bereits als Kind hergekommen ist oder sogar hier geboren wurde, oder ob er erst als Erwachsener zugezogen ist. Ist neben dem Privatleben auch der Schutz des Familienlebens betroffen, so sind zusätzlich die familiäre Situation und die durch Art. 6 GG geschützten familiären Bindungen des Ausländers zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen Beschluss des Senats vom 19. Februar 2009 - 7 B 11328/08.OVG -, ESOVGRP).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt sich die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung der durch Art. 8 EMRK geschützten Belange nicht als unverhältnismäßig dar.
Der Kläger wurde insbesondere wegen Raubes, räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung in zahlreichen Fällen zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Zwar hat er die Taten als Jugendlicher begangenen. Sie stellen aber gleichwohl schwerwiegende Straftaten von erheblichem Gewicht dar, wie auch in dem hohen Strafmaß zum Ausdruck kommt. Die gegen ihn verhängte Jugendstrafe von sechs Jahren und neun Monaten überschreitet die in § 53 Nr. 1 AufenthG für eine zwingende Ausweisung normierte Voraussetzung einer Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren sogar deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung eines straffällig gewordenen Ausländers in den Fällen der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG grundsätzlich ausschlaggebendes Gewicht einräumt, wenngleich dies nicht zum Ausschluss einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung oder einer lediglich "schematisierenden" Würdigung führen darf (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 12 f. m.w.N.). Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich auch nicht um reine Eigentums- oder Vermögensdelikte. Vielmehr waren sie regelmäßig mit der Anwendung oder Androhung von Gewalt gegenüber den Opfern verbunden (vgl. die den Verurteilungen zugrunde liegenden zahlreichen Fälle von gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Raub). Einen Teil dieser Taten hat er überdies nach seiner erstmaligen Verurteilung und Inhaftierung - ersichtlich unbeeindruckt hiervon - in der Jugendstrafanstalt zum Nachteil anderer Mitgefangener begangen.
Hinsichtlich des Verhaltens des Klägers nach Begehung der Straftaten, derentwegen er im November 2003 inhaftiert worden war, ist festzustellen, dass er sich bis Juni 2008 in Haft befand und während dieser Zeit, wie bereits erwähnt, erhebliche Straftaten zum Nachteil seiner Mitgefangenen begangen hat und ausweislich des Berichts der Jugendstrafanstalt vom 24. April 2008 bis zuletzt immer wieder durch massive Regelverstöße aufgefallen ist. Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, dass er erstmals in Haft gewesen ist und dabei dem genannten Bericht der Jugendstrafanstalt zufolge immerhin insoweit eine positive Entwicklung genommen hat, dass diese seiner vorzeitigen Entlassung nach dem Schuljahresende 2008 zugestimmt hat, worauf das Amtsgericht die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Strafrestes zu Bewährung ausgesetzt hat. Allerdings ist er, wie der Vorfall in der Berufsschule W. am 5. Februar 2009 zeigt, auch wenn man zu seinen Gunsten nur den von ihm eingeräumten Teil zugrunde legt, nach der Entlassung aus der Haft neuerlich mit negativen Verhaltensweisen in Erscheinung getreten, durch die er seinen Mitmenschen Angst eingeflößt hat. Ferner enthält der genannte Bericht der Jugendstrafanstalt neben der Zustimmung zur vorzeitigen Entlassung des Klägers und der Schilderung positiver Entwicklungsansätze auch kritische Aussagen zu seinem Verhalten und damit eine lediglich eingeschränkt positive Prognose. So äußert sich der Mitarbeiter des Pädagogischen Dienstes der Jugendstrafanstalt dahin gehend, dass der Kläger sich insgesamt im Vollzug zum Positiven verändert habe, wenngleich er - auch in der letzten Zeit - immer wieder durch massive Regelverstöße aufgefallen sei, und dies insoweit zu denken gebe, ob er doch gewisse deviante Verhaltensmuster schon zu stark internalisiert habe. Außerdem hat der Kläger seine ersten in der Haft erzielten schulischen Erfolge - Erwerb des Hauptschulabschlusses und Besuch des ersten Jahres der Berufsfachschule mit Auszeichnung - unter den Bedingungen der Freiheit nicht fortzusetzen vermocht. Vielmehr hat er die Ausbildung an der Berufsfachschule in W., nachdem er laut Mitteilung seiner Bewährungshelferin häufig unentschuldigt vom Unterricht ferngeblieben ist, Anfang 2009 abgebrochen. Er besucht nunmehr seit September 2009 einen zweijährigen Kurs an der Volkshochschule M. zur Erlangung eines Realschulabschlusses. Vor diesem Hintergrund teilt der Senat auch unter Berücksichtigung des Berichts der Jugendstrafanstalt und der vollstreckungsrechtlichen Aussetzungsentscheidung des Amtsgerichts die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass angesichts des Verhaltens des Klägers nach seiner Haftentlassung, auch wenn es bislang nicht zu dem ihm bereits angedrohten Widerruf der Vollstreckungsaussetzung gekommen ist, ihm in aufenthaltsrechtlicher Sicht eine günstige Sozialprognose nicht gestellt werden kann.
Der Kläger ist im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen, was einen gewichtigen gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Abwägungsgesichtspunkt darstellt. Allerdings hat er stets nur befristete Aufenthaltstitel (von Februar 1992 bis Juli 2004) und nie ein Daueraufenthaltsrecht besessen. Er ist auch ledig, kinderlos und ein junger Mann von 22 Jahren. Zudem besitzt er lediglich einen Hauptschulabschluss, aber keine abgeschlossene Berufsausbildung. Andererseits leben seine Eltern und Geschwister ebenfalls in Deutschland. Er unterstützt seine psychisch kranke Mutter, indem er sie beispielsweise bei Arztbesuchen oder beim Einkaufen begleitet oder beim Wäschewaschen hilft. Es kann allerdings nicht angenommen werden, dass seine Mutter, die von ihrem Ehemann getrennt lebt, auf seine Unterstützung zwingend angewiesen ist. Seinen eigenen Angaben zufolge kümmern sich um sie vielmehr (zumindest) auch sein Bruder Ü., wenngleich dieser berufsbedingt tagsüber abwesend ist, und sein geistig behinderter Bruder E., der bei der Mutter lebt, sowie dessen Freundin, die tagsüber in die Wohnung der Mutter kommt.
In der Türkei hat der Kläger seinen Angaben zufolge keine Verwandten mehr. Bezüglich seiner Sprachkenntnisse hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2009 angegeben, er habe sich bis zu seinem elften Lebensjahr, das heißt bis zu seiner Heimunterbringung, problemlos in Türkisch verständigen können. Mit seiner Mutter habe er vor seiner Heimunterbringung auf jeden Fall türkisch gesprochen. Türkisch sei selbstverständlich seine Muttersprache. Türkisch lesen und schreiben habe er indes nicht gekonnt. Seit dem Ende seiner Heimunterbringung verständige er sich nicht mehr in Türkisch. Er könne selbst einen Döner im Dönerladen nicht mehr richtig in türkischer Sprache bestellen, ohne von dortigen Türken ausgelacht zu werden. Mit seiner Mutter unterhalte er sich nur über das Notwendigste, er spreche dann "gebrochen türkisch". Der Senat geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass er aufgrund seiner mehrjährigen Heimunterbringung schlechtere Türkischkenntnisse hat als sein Bruder Ü. und bei Verständigungsschwierigkeiten mit seiner Mutter, seinen Bruder oder dessen Frau um Hilfe bittet. Insofern bestand kein Anlass, den vom Kläger zum Beweis dieser Behauptung als Zeugen angebotenen Bruder Ü. zu vernehmen. Der Senat teilt indes nicht die Selbsteinschätzung des Klägers, dass er "fast kein Türkisch mehr spreche" - so schriftsätzlich mit der Berufungsbegründung geltend gemacht - bzw. "kein Türkisch und deshalb auch nicht übersetzen könne" - so seine Angabe in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2009. Dies steht bereits in unauflöslichem Widerspruch zu seinen in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben, wonach er mit seiner Mutter "gebrochen türkisch" spreche und er auch, wenngleich "nicht mehr richtig", in einem Dönerladen einen Döner in türkischer Sprache bestellt habe. Der Kläger hat jedenfalls bis zum elften Lebensjahr die türkische Sprache als seine Muttersprache erlernt und beherrscht; auch nach seiner Heimunterbringung hat er den Kontakt zu seiner Familie nicht völlig verloren und insbesondere den Umgang mit seiner Mutter, die nach seinen eigenen Angaben "nur ein paar Brocken Deutsch" kann, nach seiner Haftentlassung täglich gepflegt. Deshalb ist der Kläger nach Überzeugung des Senats mit der türkischen Sprache zumindest noch in einem Maße vertraut, dass es ihm bei einer Rückkehr in die Türkei möglich ist, hieran anzuknüpfen und - gerade als noch junger Mann - bestehende Kenntnislücken zu schließen sowie anfängliche Verständigungsschwierigkeiten zu bewältigen.
Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht feststellen, dass die Ausweisung des Klägers aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles unverhältnismäßig ist, auch wenn die Schwierigkeiten, denen sich der im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kläger in der Türkei, dem Zielstaat der Ausweisung, gegenübersehen wird, nicht als gering anzusehen sind. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Mai 2008 gegenüber der Ausländerbehörde des Beklagten selbst eine Ausreise für den Fall der Befristung auf 18 Monate nach Abschluss der Schule angeboten hat.
Dies gilt umso mehr, als der Beklagte die Wirkungen der Ausweisung bereits mit Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Gegen die Länge der Frist von dreieinhalb Jahren sind rechtliche Bedenken weder dargetan noch ersichtlich.
Fehl geht der Einwand des Klägers, die hier ausgesprochene Befristung sei ohne praktische Wirkung, weil er als lediger, unverheirateter und volljähriger Mann keinen Anknüpfungspunkt für ein erneutes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet habe; eine endgültig wirkende Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation sei unverhältnismäßig, da er im Bundesgebiet, wo auch seine Eltern und Geschwister lebten, geboren und aufgewachsen sei.
Fraglich ist bereits die Annahme, dass eine endgültig wirkende Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation - wie des Klägers - stets unverhältnismäßig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befristung der Ausweisungswirkungen nur eines von mehreren Kriterien im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung. Sollte ein im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer die für sein Privatleben konstitutiven Beziehungen unwiederbringlich verlieren, müssen die für die Ausweisung sprechenden Gründe indes überragendes Gewicht haben (vgl. BVerfG, InfAuslR 2007, 275 [277 f.] mit Nachweisen auch zur Rechtsprechung des EGMR; vgl. auch BVerwGE 129, 367). Ob im vorliegenden Fall Gründe von hinreichendem Gewicht für eine endgültig wirkende Ausweisung vorliegen, kann jedoch offenbleiben. Denn die angefochtene Ausweisung wurde, wie bereits ausgeführt, befristet und diese Befristung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht ohne praktische Wirkung.
Da die Eltern und vier Geschwister des Klägers in Deutschland leben, bietet ihm § 36 Abs. 2 AufenthG einen Anknüpfungspunkt für die Neubegründung eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet. Sofern zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK eine Rückkehrmöglichkeit erforderlich sein sollte, wäre im Wege einer verfassungskonformen Auslegung das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte i.S.v. § 36 Abs. 2 AufenthG und - jedenfalls zunächst - eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) zu bejahen, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, in der Bundesrepublik - auch wirtschaftlich - (erneut) Fuß zu fassen (vgl. Beschluss des Senats vom 4. März 2008 - 7 A 10575/07.OVG -). Den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen hinsichtlich der Möglichkeit einer Wiedereinreise ins Bundesgebiet kann mithin hinreichend auf der Ebene der Auslegung der Vorschriften über die Erteilung eines Aufenthaltstitels Rechnung getragen werden. Der gegenteiligen Auffassung des Klägers, wonach seine Ausweisung unverhältnismäßig sei, weil er im Vergleich zu anderen straffällig gewordenen Ausländern der zweiten Generation, die ein Kind oder einen Ehegatten in Deutschland hätten, keine realistische Aussicht auf Wiedereinreise ins Bundesgebiet habe, kann auch deswegen nicht gefolgt werden, weil sie zu einem Wertungswiderspruch führen würde. Obwohl der Kläger als lediger und kinderloser Erwachsener über weniger schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet verfügt als ein Ausländer der zweiten Generation mit Kind oder Ehegatten im Bundesgebiet, wäre im Gegensatz zu diesem bei ihm, folgte man seiner Auffassung, nicht einmal eine vorübergehende Aufenthaltsbeendigung möglich.
3. Ist die Ausweisung nach alledem rechtmäßig, so scheidet auch die beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen der Sperrwirkung der Ausweisung aus (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). In Betracht käme allenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilt werden kann. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind indessen nicht erfüllt. Insbesondere ist die Ausreise des Klägers nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, wie sich aus obigen Darlegungen zur Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ergibt.
4. Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch im Ergebnis zu Recht die Klage gegen den in Nr. 3 der angefochtenen Verfügung vom 20. Mai 2008 enthaltenen Ausspruch abgewiesen, wonach der Kläger unmittelbar aus dem Gewahrsam in die Türkei abgeschoben werde; die Abschiebung könne auch in einen anderen Staat erfolgen, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Hierbei handelt es sich weder um eine Abschiebungsanordnung noch um eine Abschiebungsandrohung, sondern um eine Ankündigung der Abschiebung aus der Haft nach § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Der angegriffene Bescheid enthält keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass über die Ankündigung der Abschiebung aus der Haft hinaus eine Abschiebungsandrohung erlassen worden ist. Diese Ankündigung ist mit der Haftentlassung des Klägers im Juni 2008 gegenstandslos geworden, sodass er dadurch nicht mehr beschwert ist und damit auch kein Rechtsschutzinteresse an einer Aufhebung dieses Teils der Verfügung hat. Er kann allerdings aufgrund der Ankündigung der Abschiebung aus der Haft nicht mehr abgeschoben werden. Hierzu bedarf es jetzt vielmehr einer Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 2009 - 1 B 13.09 -, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Der vorliegende Fall wirft insbesondere keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Auslegung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 auf, die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere seit der Entscheidung in der Rechtssache C. (vgl. InfAuslR 2009, 93), nicht hinreichend geklärt sind.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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