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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: 8 A 10464/04.OVG
Rechtsgebiete: LBauO, LNRG


Vorschriften:

LBauO § 8 Abs. 8 Satz 1 F: 1998
LBauO § 8 Abs. 8 Satz 3 F: 1998
LBauO § 8 F: 1998
LNRG § 45 F: 2003
Lebende Hecken sind keine Einfriedungen i.S. von § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO. Ihre Höhenbegrenzung ergibt sich allein aus dem Landesnachbarrechtsgesetz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 10464/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen baupolizeilicher Verfügung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch ehrenamtlicher Richter Pensionär Bertram ehrenamtlicher Richter Straßenbaumeister Waldmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 24. November 2003 wird die Verfügung der Beklagten vom 6. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2003 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die zulässige Höhe einer Thujahecke.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße (Flurstück Nr. ...) in A-Stadt. Es ist im nördlichen Bereich mit einem nach Osten hin nahezu grenzständigen Wohnhaus bebaut. Im Anschluss daran hat der Kläger entlang der östlichen Grundstücksgrenze auf einer Länge von etwa 50 m einen ca. 1,50 m hohen Maschendrahtzaun errichtet und dahinter eine Thuja-Hecke gepflanzt.

Im Osten grenzt das Grundstück des Klägers an das Flurstück Nr. ..., welches gleichfalls im nördlichen Bereich mit einem Wohnhaus (A. H. straße ...) bebaut ist; dieses hält zur westlichen Grundstücksgrenze nur einen Abstand von ca. 1,00 bis 1,50 m ein. Der Eigentümer dieses Grundstücks erstattete gegen den Kläger Anzeige, da die Thuja-Hecke etwa 4,00 m hoch, dicht und undurchsichtig sei und sein Anwesen unzumutbar verschatte.

Die Beklagte, die den Kläger zuvor angehört hatte, gab ihm mit Verfügung vom 6. November 2002 auf, innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft die besagte Thuja-Hecke auf eine Höhe von maximal 2,00 m zu kürzen und zukünftig dafür zu sorgen, dass sie diese Höhe nicht überschreitet. Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht fristgerecht nachkomme, drohte die Beklagte ihm ein Zwangsgeld von 500,00 € an. Zur Begründung führte sie aus, die Thuja-Hecke sei im Sinne des Bauordnungsrechts eine Einfriedung, die mit Rücksicht auf die Nachbarn nicht höher als 2 m sein dürfe.

Nach erfolglosem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 11. April 2003) hat der Kläger mit der Klage geltend gemacht: Er habe die Hecke in Übereinstimmung mit dem Nachbarrechtsgesetz in 0,75 m Abstand zur Grenze gepflanzt. Nicht sie, sondern allein der Drahtzaun sei Einfriedung im bauordnungsrechtlichen Sinn.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die angefochtene Verfügung rechtmäßig sei: Bei der Thuja-Hecke handele es sich zwar nicht um eine bauliche Anlage, wohl aber um eine andere Anlage oder Einrichtung, an die das Bauordnungsrecht Anforderungen stelle. Von der geschlossenen Hecke gingen Wirkungen wie von einem Gebäude aus. Da sie als Einfriedung anzusehen sei, dürfe sie eine Höhe von 2 m nicht überschreiten.

Mit der - vom Senat zugelassenen - Berufung hält der Kläger daran fest, dass seine Hecke keine Einfriedung im Sinne des Bauordnungsrechts sei. Die Höhenbegrenzung auf 2 m sei deshalb auf sie nicht anzuwenden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die bauaufsichtliche Verfügung der Beklagten vom 6. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt ihre Bescheide und das Urteil erster Instanz.

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beteiligten sowie aus den Verwaltungs- und Widerspruchsakten (zwei Hefte) der Beklagten. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Die angefochtene Verfügung in Gestalt des sie bestätigenden Widerspruchsbescheides verletzt den Kläger in eigenen Rechten. Sie lässt sich nicht auf § 81 Satz 1 Landesbauordnung - LBauO - stützen, wonach die (Teil-) Beseitigung baulicher Anlagen oder anderer Anlagen und Einrichtungen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 LBauO angeordnet werden kann, falls diese gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen. Zwar trifft es zu, dass eine Thuja-Hecke, die nicht aus Bauprodukten hergestellt und daher keine bauliche Anlage ist, eine andere Anlage oder Einrichtung i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 2 LBauO sein kann, an die dieses Gesetz, je nach dem betreffenden Sachzusammenhang, Anforderungen stellt. Gegen den hier allein in Betracht zu ziehenden § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO, der Einfriedungen regelmäßig auf eine Höhe bis zu 2 m begrenzt, verstößt die umstrittene Thuja-Hecke aber nicht, weil diese Norm auf sie nicht anwendbar ist. Der gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichts vermag der Senat im Hinblick auf Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm nicht zu folgen.

§ 8 Abs. 8 LBauO beruht in seiner heutigen Fassung auf dem Gesetz vom 24. November 1998 (GVBl S. 365). Zuvor waren die nun dort zusammengefassten abstandsrechtlichen Regelungen für bauliche Anlagen, andere Anlagen und Einrichtungen, von denen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen, einerseits und für Einfriedungen und Stützmauern andererseits auf verschiedene Absätze des § 8 verteilt (s. § 8 Abs. 9, Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 LBauO 1986 bzw. § 8 Abs. 8, Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO 1995). Gleichwohl hat der erkennende Senat schon für die damalige Rechtslage betont, dass jene Bestimmungen nicht isoliert zu lesen waren, sondern ihren zutreffenden Aussagegehalt erst aus dem Kontext gewannen. Daraus hat er gefolgert, dass Einfriedungen i.S. des § 8 LBauO nur solche sind, von denen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen (Urteil vom 13. Oktober 1993, AS 24, 149 [151]). Für die Neuregelung, die - dem systematischen Verständnis jenes Urteils folgend - Anlagen und Einrichtungen, von denen gebäudegleiche Wirkungen ausgehen, sowie Einfriedungen in einem Absatz zusammengefasst hat, muss dasselbe erst recht gelten.

Von lebenden Hecken geht eine gebäudegleiche Wirkung nicht aus (so zutreffend Simon/Dhom, Bayerische Bauordnung, Art. 6 Rn. 292). Sie unterscheiden sich von Gebäuden nicht nur insofern, als sie jedenfalls typischerweise nicht in gleicher Weise licht- und luftundurchlässig sind wie diese, sondern auch dadurch, dass sie wegen ihres Höhen- und Breitenwachstums einerseits und ihres möglichen und nachbarrechtlich gebotenen Rückschnitts andererseits einer ständigen Veränderung unterliegen. Auch Gründe des Brandschutzes erfordern es ersichtlich nicht, die für die oben genannten Einfriedungen geltende Abstandregel auf Hecken auszudehnen.

Die Gesetzesmaterialien zu § 8 Abs. 8 LBauO stützen dieses Auslegungsergebnis. Mit Einfriedungen sind danach nur "bauliche Anlagen (...), die keine Gebäude sind" gemeint (LT-Drucks. 13/3040 vom 5. Mai 1998, S. 51). Auch die dort weiter angestellte Erwägung, dass für die früher in § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO 1995 getroffene Regelung, wonach Einfriedungen auch in einem Abstand von bis zu 1 m von der Grundstücksgrenze errichtet werden durften, kein praktisches Bedürfnis bestehe und sie daher entfallen könne, verdeutlicht, dass lebende Hecken damit nicht angesprochen sind. Gerade sie werden nämlich regelmäßig nicht unmittelbar an der Grenze, sondern in einem gewissen Abstand zu ihr errichtet.

Ein weiterer, entscheidender Hinweis darauf, dass § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO auf Hecken keine Anwendung findet, ergibt sich schließlich aus den Vorschriften des Landesnachbarrechtsgesetzes - LNRG -, das in seinem § 45 detaillierte Regelungen über Grenzabstände für Hecken trifft. Aus der Begründung zu dieser durch Gesetz vom 21. Juli 2003 (GVBl S. 209) geänderten Bestimmung ergibt sich, dass die dortigen Abstandsregelungen für Pflanzen regelmäßig als geeignet angesehen werden, einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Grundstücksnachbarn herbeizuführen. Gerade für Hecken, die höher als 2 m sind, wurde die jetzt in § 45 LNRG n.F. getroffene Neuregelung für erforderlich, aber auch ausreichend gehalten, um einerseits dem Eigentümer die größtmögliche Gestaltungsfreiheit zu belassen und andererseits den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen seines Grundstücks zu schützen (LT-Drucks. 14/2154 vom 29. April 2003, S. 8). Der Senat verkennt zwar nicht, dass das dem Zivilrecht angehörende Nachbarrechtsgesetz und die Landesbauordnung grundsätzlich unabhängig nebeneinander stehen (Jeromin, LBauO, § 8 Rn. 13 m.w.N.). Dies schließt es aber nicht aus, aus dem einen Regelwerk gewisse Auslegungshinweise für das jeweils andere zu gewinnen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Die detaillierte Regelung über Grenzabstände (auch) für höhere Hecken liefe erkennbar leer, wenn bereits kraft nachbarschützender, öffentlich-rechtlicher Norm feststünde, dass sie nicht höher als 2 m sein dürfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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