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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 8 A 10480/09.OVG
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 15
BauNVO § 15 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bordellbetrieb in einem Gewerbegebiet im Einzelfall unzulässig ist, weil er angesichts bereits vorhandener oder genehmigter Betriebe des Prostitutionsgewerbes der Eigenart des Baugebietes "nach Anzahl" widerspricht.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

8 A 10480/09.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Bauvorbescheids

hier: Zulassung der Berufung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 27. August 2009, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richterin am Oberverwaltungsgericht Lang Richter am Oberverwaltungsgericht Graf

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 6. April 2009 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 100.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Der Berufungszulassungsantrag ist nicht begründet.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3 und 5 VwGO liegen nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung eines Bauvorbescheides für die Nutzung eines im Gewerbegebiet gelegenen Anwesens als Bordellbetrieb im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass das Vorhaben nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Baunutzungsverordnung - BauNVO - unzulässig sei.

Angesichts von drei weiteren im Gebiet selbst oder in der näheren Umgebung des Vorhabens bereits vorhandener oder genehmigter Betriebe mit entsprechender Ausrichtung widerspreche die Zulassung eines weiteren Bordellbetriebs nach der Anzahl vergleichbarer Einrichtungen der Eigenart des Gewerbegebiets. Durch die Ansiedlung eines weiteren Bordells sei mit einer städtebaulich nicht hinnehmbaren Gebietsabwertung ("trading-down-Effekt") zu rechnen.

1. An der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Zulassung des vom Kläger beabsichtigten Bordellbetriebes die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO entgegensteht. Der vom Kläger geplante Bordellbetrieb widerspricht von der Anzahl entsprechender Anlagen her der Eigenart des Gewerbegebietes.

Im nordwestlichen Teil des Bebauungsplangebiets "Alte R., 1. Änderung", der als Gewerbegebiet ausgewiesen ist, käme es bei Zulassung des Bordellbetriebs des Klägers zu einer Konzentration von Betrieben des Prostitutionsgewerbes (a), die zu einer negativen Prägung dieses Bereiches führte (b).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, kann ein Bordell "nach Anzahl" der Eigenart eines Gewerbegebiets widersprechen, wenn in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn das Gebiet durch die Zulassung des Bordells eine Prägung erlangen könnte, die es nach seiner Eigenart und Zweckbestimmung gleichsam als ein Sondergebiet für Bordellbetriebe erscheinen ließe (vgl. BVerwGE 68, 213, 218 und juris Rn. 14). Ab welcher Anzahl ein neu hinzutretendes Vorhaben der Eigenart des Baugebiets widerspricht, ist allein nach städtebaulichen Gesichtspunkten zu beurteilen (BayVGH, Beschluss vom 13. Februar 2008, juris Rn. 6). Die im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO anzustellende Betrachtung muss sich in räumlicher Hinsicht nicht auf das gesamte Plangebiet erstrecken, sondern greift auch dann, wenn sich die Beeinträchtigungen auf einen engeren räumlichen Bereich innerhalb des Baugebiets beschränken. Hiermit soll erreicht werden, dass das Baugebiet hinsichtlich seiner Eigenart in allen seinen Teilen geschützt wird (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 89. Ergänzungslieferung 2008, § 15 BauNVO Rn. 13).

a) In engem räumlichen Zusammenhang mit dem geplanten Bordellbetrieb des Klägers in der I.-Straße 40 sind im Abstand von wenigen hundert Metern zwei weitere Betriebe vorhanden, in denen das Prostitutionsgewerbe nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in vergleichbarem Umfang, wie dies vom Kläger geplant ist, ausgeübt wird.

aa) Neben dem Betrieb H.-Straße 3 ist dabei auch der von dem Kläger geführte Betrieb I.-Straße 18 in die Betrachtung einzubeziehen. Soweit der Kläger darauf verweist, dass eine Berücksichtigung dieses Betriebes unzulässig sei, da er außerhalb des Bebauungsplangebietes "Alte R., 1. Änderung" im Geltungsbereich des Bebauungsplanes "Am R." liege, kann hieraus nicht die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hergeleitet werden. Zwar ist hinsichtlich der Beurteilung, ob das Vorhaben des Klägers zulässig ist, auf die Verhältnisse im Bebauungsplangebiet "Alte R., 1. Änderung" abzustellen. Hinsichtlich der hierbei zu berücksichtigenden tatsächlichen Beeinträchtigungen, die einem Vorhaben entgegenstehen, können jedoch Umstände einbezogen werden, die von außen auf dieses Baugebiet einwirken. Dies gilt im Falle des Klägers auch deshalb, weil sich der betroffene Bereich bei natürlicher Betrachtung als Einheit darstellt. Durch den Bebauungsplan "Am R." wird auf der westlichen Seite der I.-Straße in Fortsetzung der entsprechenden Gebietseinstufung des Bebauungsplanes "Alte R., 1. Änderung" ein Gewerbegebiet festgesetzt, ohne dass sich hinsichtlich der tatsächlichen Bebauung Unterschiede zwischen beiden Gebieten feststellen lassen.

Hinsichtlich des Betriebes I.-Straße 18 ist auch nicht von Belang, dass dieser möglicherweise ohne entsprechende Genehmigung als Bordellbetrieb genutzt wird. Soweit der Kläger anführt, in diesem Anwesen sei lediglich eine Wohnungsprostitution genehmigt, liegt in jedem Fall ein Betrieb des Prostitutionsgewerbes vor, der hinsichtlich der Prägung eines Gebiets die gleichen Auswirkungen hat wie ein Bordellbetrieb, so dass die tatsächliche Ausgestaltung des Betriebes letztlich dahinstehen kann.

bb) Was die Berücksichtigung des in der L.-Straße genehmigten "Großbordells" angeht, so ist dem Kläger zwar zuzugestehen, dass dieser Betrieb angesichts einer Entfernung von mehreren Kilometern zum nordwestlichen Bereich des Bebauungsplangebiets nicht in gleichem Umfang auf den dortigen Gebietscharakter einwirkt, wie dies bei den in diesem Bereich nach einer Genehmigung der beantragten Nutzungsänderung ansässigen Unternehmen der Fall wäre. Indessen kann ihm ein mittelbarer Einfluss, der die dort feststellbare Prägung durch entsprechende Betriebe verstärkt, nicht abgesprochen werden.

Insbesondere erscheint die vom Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung angesprochene Wechselbeziehung durch Pendeln der Kunden zwischen den einzelnen Betrieben des Prostitutionsgewerbes ohne weiteres nachvollziehbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch der Bereich L.-Straße über die I.-Straße angebunden ist, so dass eine direkte Verkehrsverbindung zwischen beiden Teilen des Plangebiets besteht.

b) Ist hiernach bei einer nach Genehmigung der vom Kläger beantragten Nutzungsänderung eine Prägung des nordwestlichen Bereichs des Plangebiets "Alte R., 1. Änderung" durch Betriebe des Prostitutionsgewerbes zu erwarten, so ist die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, dass hiermit eine negative städtebauliche Entwicklung verbunden ist.

aa) Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 11. Mai 2005, BRS 69 Nr. 35 und juris Rn. 21 f.; Beschluss vom 9. Juni 2008 - 8 A 10254/08.OVG -) von einem Erfahrungssatz auszugehen, wonach eine Konzentration von Bordellbetrieben, sonstigen Einrichtungen des Sex-Gewerbes und Vergnügungsstätten eine Gebietsabwertung ("trading-down-Effekt") auslösen kann. Diese Entwicklung ist einerseits gekennzeichnet durch eine Konkurrenzsituation zwischen Betrieben mit typischerweise geringem Investitionsbedarf und vergleichsweise hoher Ertragsstärke sowie "normalen" Gewerbebetrieben mit deutlich höherem Investitionsbedarf und geringerer Ertragsstärke. Hierdurch kommt es tendenziell zu einer Erhöhung der Grundstücks- und Mietpreise und damit zu einer Verdrängung von Gewerbebranchen mit schwächerer Finanzkraft. Andererseits besteht die Gefahr, dass sich das Gebiet für die gewünschte Nutzung als unattraktiv erweist, weil sie auf eine aus ihrer Sicht nachteilige Vorprägung des Gebietes trifft.

Auf der Grundlage dieses Erfahrungssatzes konnte das Verwaltungsgericht die Gefahr eines "trading-down-Effektes" annehmen, ohne dass hierfür eine weitere Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre. Der Kläger hat keine Umstände benannt, aus denen sich in seinem Fall Besonderheiten ergeben, die ein Abweichen von den Erfahrungswerten nahelegten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Einschätzung des Verwaltungsgerichts eine Prognose und keine bloße Tatsachenfeststellung zugrunde liegt .

bb) Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung dem Vorhaben des Klägers in unzulässiger Weise moralisch-ethische Wertvorstellungen entgegengehalten hat. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil gerade nicht auf moralische-ethische Wertungen abgestellt, sondern hat sich auf städtebauliche Aspekte bezogen. Es hat auf die Beeinträchtigungen des Gewerbegebiets durch eine Konzentration von Betrieben des Prostitutionsgewerbes abgestellt. Soweit hierbei der Aspekt betont wurde, dass in der Bevölkerung Vorbehalte gegen entsprechende Betriebe bestünden, hat es sich die entsprechende Wertung nicht zu eigen gemacht, sondern lediglich die hieraus für das Gebiet zu erwartenden städtebaulichen Auswirkungen im Sinne eines Attraktivitätsverlustes hergeleitet. Eine solche Betrachtung stellt aber nicht auf die Unsittlichkeit der Prostitution ab, sondern bezieht sich auf deren konkreten Öffentlichkeitsbezug und steht damit dem seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes eingetretenen Wandel der Wertvorstellung der Rechtsgemeinschaft nicht entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 2009, NVwZ 2009, 909, 910 und juris Rn. 7).

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Soweit der Kläger darauf verweist, dass die im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vorzunehmende Prognose durch weitere Untersuchungen hätte untermauert werden müssen und dass der angefochtenen Entscheidung eine den Vorgaben des Prostitutionsgesetzes zuwiderlaufende Betrachtung zugrunde gelegen habe, ergibt sich dies bereits daraus, dass diesbezüglich an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine Zweifel bestehen.

3. Eine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der Rechtssache ebenfalls nicht zu. Die vom Kläger sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, ob bei der Entscheidung über die Zulassung eines Bordellbetriebs auf die moralisch-ethische Einstufung der Prostitution als sozial unwertig zurückgegriffen werden kann, war für das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht erheblich. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr eine städtebauliche Beeinträchtigung angenommen, die sich unter anderem in einem Attraktivitätsverluust des Gebietes äußert, ohne selbst eine sittliche Wertung vorzunehmen. Die weitere Frage, ob im Zusammenhang mit bordellartigen Betrieben von einem "trading-down-Effekt" ausgegangen werden könne, ist in der Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt (vgl. die Entscheidungen des Senats vom 11. Mai 2005 und vom 9. Juni 2008, a.a.O. sowie BayVGH, Beschluss vom 13.08.2008, a.a.O.). Ebenfalls geklärt ist, dass Unternehmen, in denen der Prostitution nachgegangen wird, rechtlich einer gegenüber sonstigen Gewerbebetrieben differenzierenden Betrachtung unterliegen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 und Beschluss vom 23.März 2009, a.a.O.).

4. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Mit seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, einen Ortstermin durchzuführen und den Sachverhalt hinsichtlich des Vorliegens eines "trading-down-Effekts" weiter aufzuklären, kann der im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger schon deshalb nicht durchdringen, weil er keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.03.2001, NVwZ 2001, 922, 923 und juris Rn. 14).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Wert des Streitgegenstandes bestimmt sich nach den §§ 47 und 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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