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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 8 A 10664/04.OVG
Rechtsgebiete: LBauO, BGB


Vorschriften:

LBauO § 8
LBauO § 8 Abs. 1 S. 1
LBauO § 8 Abs. 4
LBauO § 8 Abs. 4 S. 5
LBauO § 8 Abs. 4 S. 5 Nr. 2a
LBauO § 8 Abs. 4 S. 5 Nr. 2b
LBauO § 68
LBauO § 68 Abs. 1
LBauO § 68 Abs. 1 S. 2
LBauO § 68 Abs. 1 S. 3
LBauO § 81
LBauO § 81 S. 1
BGB § 242
BGB § 1011
Werden an einem unter Verletzung der Abstandsvorschriften errichteten Gebäude, gegen das der Nachbar unter Verwirkung seiner nachbarlichen Abwehransprüche bisher nicht eingeschritten ist, Änderungen vorgenommen, die zwar selbst keine Auswirkungen auf den Umfang der erforderlichen Abstandsfläche haben, aber die vom bisherigen Baubestand ausgehende Beeinträchtigung der durch § 8 LBauO geschützten Belange des Nachbarn verstärken, so ist es nicht treuwidrig, wenn der Nachbar die Beseitigung dieser Änderungen verlangt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 10664/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Beseitigungsanordnung und Zwangsmittelandrohung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2004, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch ehrenamtlicher Richter Kundendienstleiter Schultheis ehrenamtlicher Richter Orthopädiemechanikermeister Pierdolla

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 16. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladenen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beigeladenen können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten gegen eine Gaube auf dem Haus der Beigeladenen.

Die Klägerin ist zusammen mit ihrem Ehemann Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung S. Flurstück Nr. ..., das mit einem Wohnhaus und Nebengebäuden bebaut ist. Das östlich angrenzende Grundstück Nr. ... gehört den Beigeladenen. Durch Bauschein vom 30. Oktober 1959 ist mit schriftlicher Zustimmung des Rechtsvorgängers der Klägerin eine Bebauung dieses Grundstücks mit Wohnhaus (Dachneigung 47 Grad) und Nebengebäude genehmigt worden, wobei nach den genehmigten Plänen die nordwestliche Ecke des Wohnhauses einen Abstand von ca. 3 m von der Ostgrenze des Flurstücks Nr. ... einhalten sollte. Tatsächlich beträgt der Abstand ca. 1,20 m.

Unter dem 13. Oktober 2000 erhielten die Beigeladenen vom Beklagten im vereinfachten Verfahren eine Baugenehmigung zum Dachgeschossausbau ihres Wohnhauses. Diese umfasste hinsichtlich der westlichen Dachseite auch die Errichtung einer ca. 2,50 m von der Dachkante zurückgesetzten, ca. 4,50 m breiten Gaube sowie eines unmittelbar daran anschließenden, ca. 0,80 cm von der Dachkante zurückgesetzten, ca. 2,65 m breiten Dachaufbaus zur Belichtung des Treppenhauses. Die Genehmigung, die ausdrücklich ohne bauordnungsrechtliche Prüfung erging, wurde nach erfolglosem Widerspruch der Klägerin bestandskräftig.

Nachdem zwischenzeitlich ein Tektur- und Befreiungsantrag der Beigeladenen zur Legalisierung einer genehmigungsabweichenden Bauausführung (Gaubenbreite 5,39 m) abgelehnt worden war, beantragte die Klägerin unter dem 30. Dezember 2001 ein bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen die Dachgaube.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2002 forderte der Beklagte den Beigeladenen zu 1) auf, die westliche Gaube auf eine Breite von 3,659 m zurückzubauen, wobei der zum Treppenhaus gehörende Dachaufbau als eigenes Bauteil nicht hinzuzurechnen sei. Zugleich erließ er gegen die Beigeladene zu 2) eine entsprechende Duldungsverfügung. Zur Begründung der Rückbauverfügung führte er aus, der zum Treppenhaus gehörende Dachaufbau sei lediglich eine Fortführung der darunter liegenden Außenwand und halte für sich gesehen die erforderliche Abstandsfläche ein. Im Übrigen halte die Dachgaube, weil das Haus selbst im nordwestlichen Bereich weniger als 3 m von der Grenze zum Grundstück der Klägerin entfernt sei, nicht den erforderlichen Mindestabstand ein und dürfe daher, um nicht abstandsflächenrechtlich relevant zu werden, nur halb so breit sein wie die darunter liegende Wand.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Beigeladenen blieb ebenso wie die nachfolgend eingelegten gerichtlichen Rechtsbehelfe ohne Erfolg.

Nachdem auch der auf weitergehende Reduzierung der Gaubenbreite gerichtete Widerspruch der Klägerin erfolglos geblieben war, verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten, die Beseitigung der Gaube auf dem Haus der Beigeladenen insoweit anzuordnen, als das Wohnhaus einen Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze der Klägerin nicht einhält: Die Gaube verstoße, soweit sie sich auf dem den Grenzabstand von 3 m unterschreitenden Teil des Hauses befinde, gegen § 8 Abs. 1 und 4 LBauO. Der Beseitigungsanspruch der Klägerin sei auch nicht durch die langjährige Duldung des unter Verletzung der Abstandsvorschriften errichteten Wohnhauses verwirkt.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung machen die Beigeladenen geltend, der Einschreitensanspruch der als Miteigentümerin nicht allein aktiv legitimierten Klägerin sei durch die langjährige Duldung des Wohnhauses verwirkt. Die strittige Gaube sei bei isolierter Betrachtung abstandsflächenrechtlich unbedenklich. Überdies sei auch der Klageantrag völlig unbestimmt und habe keinen vollstreckungsfähigen Inhalt.

Die Beigeladenen beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist, ohne einen Antrag zu stellen, auf die eigene abstandsrechtliche Relevanz einer Dachgaube gemäß § 8 Abs. 4 Nr. 2b LBauO.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Dachgaube verstoße bereits im Hinblick auf ihre Breite selbständig gegen nachbarschützende Vorschriften über Grenzabstände, sodass es auf die bisherige Duldung des Wohnhauses der Beigeladenen nicht ankomme. Das Haus werde zudem durch die Gaube in einer Weise verändert, die Auswirkungen auf die von den Abstandsflächenvorschriften geschützten Belange habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten 5 K 1765/01.NW (8 A 10225/02.OVG), 5 K 2075/03. NW und 5 K 2280/03.NW (8 A 10396/04.OVG) lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, den Beigeladenen die Beseitigung der strittigen Gaube auf der dem Grundstück der Klägerin zugewandten Westseite ihres Hausdaches insoweit aufzugeben, als das Haus der Beigeladenen einen Abstand von 3 m zum Grundstück der Klägerin nicht einhält.

Der Senat teilt die Bedenken der Beigeladenen gegen die hinreichende Bestimmtheit des erstinstanzlichen Klageantrages nicht. Der Umfang der beantragten Beseitigung lässt sich anhand des angegebenen Maßes ohne weiteres bestimmen. Auch die Aktivlegitimation der Klägerin als bloßer Miteigentümerin ihres Wohngrundstückes unterliegt bei Geltendmachung öffentlichrechtlicher Abwehransprüche im Hinblick auf § 1011 BGB keinen Bedenken (s. z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Dezember 1991, BRS 54 Nr. 80 und Saarl. OVG, Beschluss vom 08. Januar 1996, - 2 W 46/95 -; juris). Der Anspruch der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten im erstinstanzlich beantragten Umfang folgt aus § 81 Satz 1 LBauO. Denn die strittige Gaube ist Bestandteil eines Gebäudes, das wegen nicht bestandsgeschützter Unterschreitung des erforderlichen Grenzabstandes zum Grundstück der Klägerin gegen nachbarschützende Bestimmmungen des § 8 LBauO verstößt (1). Dieser Verstoß rechtfertigt das hier in Rede stehende Beseitigungsverlangen der Klägerin trotz langjähriger Duldung des bisherigen Bestandes, weil die beanstandete Änderung des Daches sich negativ auf durch § 8 LBauO geschützte Belange der Klägerin auswirkt (2).

1. Das Haus der Beigeladenen hält entgegen §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 3 LBauO nicht den Mindestabstand von 3 m zum Grundstück der Klägerin ein. Dieser Rechtsverstoß ist auch nicht durch Bestandsschutz gedeckt. Denn wegen des nur ca. 1,20 m betragenden Grenzabstandes zum Grundstück der Klägerin widersprach des Haus bereits im Zeitpunkt seiner Errichtung den damals geltenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften und ist insoweit auch abweichend von der unter dem 30. Oktober 1959 erteilten Baugenehmigung errichtet worden. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf das zwischen denselben Beteiligten ergangene Urteil der Vorinstanz vom 03. Dezember 2001 (5 K 1765/01.NW, S. 9f. UA) sowie den diesbezüglichen Beschluss des Senats vom 13. März 2002 (8 A 10225/02. OVG) Bezug genommen werden. Genießt aber das Gesamtgebäude keinen Bestandsschutz, so gilt dies gleichermaßen für die strittige Dachgaube, die auch ihrerseits - weil abweichend von der unter dem 13. Oktober 2000 erteilten, Bauordnungsrecht ohnehin nicht einschließenden Genehmigung errichtet - nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist.

2. Die Beigeladenen können sich gegenüber der von der Klägerin verlangten Teilbeseitigung ihres baurechtswidrigen Wohnhauses auch nicht auf Verwirkung berufen.

Zwar mögen die aus Verletzung der Abstandsvorschriften folgenden Abwehrrechte der Klägerin gegen das Haus in seiner seit 1959 bestehenden Form verwirkt sein, weil ihre Rechtsvorgänger diese Rechte unter Berücksichtigung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (s. dazu BVerwG, Beschluss vom 18. März 1988, BRS 48 Nr. 176) nicht rechtzeitig geltend gemacht haben und ihr dies wegen der Grundstücksbezogenheit nachbarlicher Abwehrrechte zuzurechnen ist (s. Senatsurteil vom 16. April 2003, BauR 2003, 1187). Dies zwingt die Klägerin indessen nach Treu und Glauben nicht, Änderungen des illegalen Baubestandes unbegrenzt hinzunehmen. Denn dies müsste sie selbst dann nicht tun, wenn sie das Haus der Beigeladenen nicht nur geduldet, sondern seiner Errichtung unter Verletzung von Abstandsvorschriften durch Unterzeichnen der Bauantragsunterlagen gemäß § 68 Abs. 1 LBauO zugestimmt hätte. Vielmehr führten in einem solchen Fall nachträgliche Änderungen an der Planung zum Erlöschen der Zustimmung (s. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. Mai 1981, BRS 38 Nr. 180 = AS 16, 292).

Daraus folgt allerdings nicht, dass nachträgliche Änderungen einer geduldeten nachbarrechtswidrigen Bebauung in gleichem Maße zu einem Wegfall der Verwirkung führen, wie Planungsänderungen ein Erlöschen der Nachbarzustimmung bewirken: Bei der Nachbarunterschrift auf dem Bauantrag (s. § 68 Abs. 1 Satz 2 und 3 LBauO) findet der Vertrauensschutz des Bauherrn seine Grundlage in einer ausdrücklichen Erklärung, die in Kenntnis sämtlicher, aus den Bauplänen ersichtlicher Einzelheiten des konkreten Bauvorhabens abgegeben wird und die kraft Gesetzes als Zustimmung gilt (§ 68 Abs. 1 Satz 3 LBauO). Diese Erklärung beruht regelmäßig auf einer umfassenden Abwägungsentscheidung des Nachbarn, die sich auf die gesamte Ausgestaltung des Bauvorhabens bezieht und nicht allein das Ausmaß der Beeinträchtigung nachbarlicher Belange zum Gegenstand hat (s. dazu Lang in Jeromin, LBauO, § 68 Rn 55). Ihr wird deshalb durch jegliche Planungsänderung die Grundlage entzogen und nicht erst durch eine solche, die zur Beeinträchtigung nachbarlicher Belange geeignet ist (OVG Rheinland-Pfalz, aaO.).

Im Falle der Verwirkung, die einen Unterfall des venire contra factum proprium bildet (s. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2004, NVwZ-RR 2004, 314), fehlt es hingegen an einer nachbarlichen Willenserklärung, die auf einer das gesamte Bauvorhaben umfassenden Geschäftsgrundlage beruht. Vielmehr richtet sich hier die Reichweite des Vertrauensschutzes allein danach, inwieweit eine Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte nach Änderung des geduldeten Baubestandes einen treuwidrigen Widerspruch zum bisherigen Verhalten des Nachbarn darstellen würde. Die Verwirkungsrelevanz des mangelnden Vorgehens gegen ein nachbarrechtswidriges Bauvorhaben knüpft aber nicht an die - vom Nachbarn häufig gar nicht zu erlangende - detaillierte Kenntnis des gesamten Bauvorhabens, sondern lediglich an die Erkennbarkeit der nachbarlichen Beeinträchtigung an (s. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juni 1999 - 1 A 12573/98.OVG - ESOVGRP für die Verwirkung der Widerspruchbefugnis). Tritt diese ein, ohne dass der Nachbar hierauf innerhalb angemessener Zeit reagiert, so kann der Bauherr darauf vertrauen, dass der Nachbar die erkennbar gewordene Beeinträchtigung ungeachtet der Ausgestaltung des Vorhabens im Übrigen hinnehmen wird. Ist daher nicht das Bauvorhaben als Ganzes, sondern lediglich der Umfang der nachbarlichen Beeinträchtigung "Geschäftsgrundlage" der Verwirkung, so bleibt diese von Änderungen des Bauvorhabens, die die nachbarliche Beeinträchtigung nicht intensivieren, unberührt.

Vorliegend haben die Beigeladenen durch den Umbau der westlichen Dachhälfte ihr nachbarrechtswidriges Vorhaben indessen in einer Weise geändert, die die von der Unterschreitung der Abstandsfläche ausgehende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Belange der Klägerin verschärft und daher von der bisherigen Verwirkung der nachbarlichen Abwehrrechte insoweit unberührt bleibt. Dies folgt schon daraus, dass der Einbau zusätzlicher Fenster in Gaube und Treppenhausaufbau im Vergleich zu den drei bisher vorhandenen Dachfenstern (s. Westansicht - alt - in der Anlage zum Bauantrag vom 16. Mai 2000) die Einblicksmöglichkeiten auf das Grundstück der Klägerin quantitativ und qualitativ verbessert und damit den von § 8 LBauO auch geschützten Belang des Wohnfriedens (s. z.B. Senatsbeschluss vom 08. Juni 2001 - 8 B 10855/01.OVG -, ESOVGRP) stärker berührt.

Die verstärkte Beeinträchtigung nachbarlicher Belange ist im Hinblick auf die Verwirkung entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch nicht deshalb unbeachtlich, weil der Einbau der Dachgaube wegen einer vorhandenen Dachneigung von mehr als 45 Grad (s. dazu § 8 Abs. 4 Satz 5 Nr. 2a LBauO) ungeachtet der Gaubenbreite nicht gemäß § 8 Abs. 4 Satz 5 Nr. 2b LBauO zu einer Vergrößerung der an sich erforderlichen Abstandsfläche führen kann (s. dazu schon den Senatsbeschluss vom 13. März 2002, aaO. S. 4). Zwar sind nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (s. z.B. Urteil vom 25. November 1993 - 1 A 10793/93.OVG - sowie Beschluss vom 19. November 1996 - 1 B 12937/96.OVG; beide ESOVGRP) Änderungen an einem genehmigten, gegen die Abstandsvorschriften verstoßenden Bauwerk dann zulässig und vom Nachbarn hinzunehmen, wenn sie die für die Abstandsberechnung nach § 8 LBauO maßgebenden Faktoren nicht zum Nachteil des Nachbarn verändern.

Diese, die Reichweite des Bestandsschutzes betreffenden Grundsätze können jedoch nicht auf den Umfang einer bloßen Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte gegen ein nicht bestandsgeschütztes Vorhaben übertragen werden. Denn die Feststellungswirkung einer bestandskräftigen Baugenehmigung führt - anders als die Verwirkung von Abwehrrechten gegen ungenehmigte Vorhaben - dazu, dass die materielle Legalität des Bauvorhabens behördlicherseits nicht mehr in Frage gestellt werden darf (s. Ortloff: "Inhalt und Bindungswirkungen der Baugenehmigung", NJW 1987, 1665, 1670). Das genehmigte Vorhaben gilt daher als legal. Die Zulässigkeitsbeurteilung von Änderungen kann deshalb nicht an die Nachbarrechtswidrigkeit des genehmigten Bestandes und eine bloße Intensivierung von deren Auswirkungen anknüpfen, sondern muss auf selbständige Rechtsverstöße der Änderung abstellen. Im Unterschied dazu sind ungenehmigte, nachbarrechtswidrige Vorhaben grundsätzlich nicht davor geschützt, behördlicherseits als illegal behandelt zu werden. Im Falle einer Verwirkung nachbarrechtlicher Abwehransprüche durch Untätigkeit des Nachbarn kann der Bauherr lediglich darauf vertrauen, dass dieser die Bauaufsichtsbehörde nicht zwingen kann, gegen die vom vorhandenen Bestand ausgehenden Beeinträchtigungen seiner Belange vorzugehen. Ändert sich hingegen das Ausmaß dieser Beeinträchtigung, entfällt insoweit auch der Vertrauensschutz, ohne dass es darauf ankommt, ob die Änderung einen zusätzlichen, eigenständigen Rechtsverstoß bewirkt.

Konnten daher die Beigeladenen angesichts der ungenehmigten Änderung der westlichen Dachhälfte ihres Hauses nach Treu und Glauben nicht mehr davon ausgehen, dass die Klägerin in Zukunft den geänderten illegalen Baubestand innerhalb des Bauwichs hinnehmen werde, so steht jedenfalls einem Beseitigungsverlangen in dem von der Klägerin geltend gemachten Umfang nicht der Einwand der Verwirkung entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten aus §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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