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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 09.02.2007
Aktenzeichen: 8 B 10019/07.OVG
Rechtsgebiete: LBauO, VwGO, BauNVO


Vorschriften:

LBauO § 81
LBauO § 81 Satz 1
VwGO § 80
VwGO § 80 Abs. 5
BauNVO § 6
BauNVO § 6 Abs. 1
Anlass zum Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung besteht auch dann, wenn die baurechtswidrige Nutzung (hier: bordellartiger Betrieb in einer im Mischgebiet gelegenen Wohnung) zwar nicht aktuell nachgewiesen ist, bis kurz zuvor jedoch betrieben wurde und Grund zur Annahme besteht, dass diese Nutzung wieder erneut aufgenommen wird.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

8 B 10019/07.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baurechts

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 9. Februar 2007, an der teilgenommen haben Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß Richterin am Oberverwaltungsgericht Lang

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 12. Dezember 2006 wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der baupolizeilichen Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2006 wird abgelehnt, soweit dem Antragsteller unter Ziffer 1) mit sofortiger Wirkung auf Dauer untersagt wird, die Wohnung im Erdgeschoss des Wohnhauses F.-straße ..., N., zur bordellartigen Ausübung der Prostitution nutzen zu lassen und hierauf bezogen unter Ziffer 3) die Festsetzung eines Zwangsgeldes angedroht wird.

Im Übrigen wird die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 17. Oktober 2006 ausgesetzt.

Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die bauaufsichtsbehördliche Verfügung vom 17. Oktober 2006, mit der ihm auf Dauer untersagt wird, die Erdgeschosswohnung in seinem Mehrfamilienwohnhaus "zur Ausübung der Prostitution nutzen zu lassen". Ferner ist er aufgefordert worden, "das bestehende Miet- oder Nutzungsverhältnis mit Personen, die diese Räume zur Ausübung der Prostitution nutzen oder zur Verfügung stellen, mit sofortiger Wirkung zu beenden".

Beschwerden der übrigen Wohnungsmieter im Dezember 2005 veranlassten die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung der Erdgeschosswohnung zu überprüfen. Bei Ortsbesichtigungen am 3. Januar, 9. Februar, 29. März, 25. April, 28. Juni und 9. August 2006 trafen die Vertreter der Bauaufsichtsbehörde jeweils andere Prostituierte in der Dreizimmerwohnung an. Eine Nutzungsuntersagungsverfügung vom 16. März 2006 gegen die Hauptmieterin der Wohnung führte zu keiner wesentlichen Änderung der Situation. Mit Schreiben seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 9. August 2006 ließ der Antragsteller vortragen, der Mietvertrag mit der früheren Hauptmieterin sei im Anschluss an die Nutzungsuntersagungsverfügung mit sofortiger Wirkung aufgehoben worden. Nachmieter seien mehrere Frauen, wobei hinsichtlich des Verwendungszweckes der Wohnung keine Vereinbarung getroffen worden sei. Im Rahmen der Anhörung zu der Nutzungsuntersagungsverfügung gegen ihn teilte der Antragsteller mit, seit 1. August 2006 bestehe nur noch ein Mietverhältnis mit einer Person.

Hinsichtlich der gegen den Antragsteller am 17. Oktober 2006 verfügten Nutzungsuntersagung ordnete die Bauaufsichtsbehörde die sofortige Vollziehung an. Mit Verfügung vom selben Tage wurde der aktuellen Mieterin der Wohnung die Duldung der Nutzungsuntersagung gegen den Eigentümer aufgegeben.

Das Verwaltungsgericht hat dem Eilrechtsschutzantrag mit der Begründung stattgegeben, die Behörde habe ihr Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt und nicht hinreichend erwogen, welche Schwierigkeiten dem Eigentümer bei der Durchsetzung der gegen ihn anstelle der Mieterin erlassenen Nutzungsuntersagungsverfügung entstehen könnten. Außerdem sei die Verfügung inhaltlich nicht hinreichend bestimmt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Der Antragsteller ist ihr im Wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, jedenfalls seit Mitte August 2006 werde die Wohnung nur noch von einer Person bewohnt, die dort der Wohnungsprostitution nachgehe.

II.

Nach Auffassung des Senats ergibt die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung des von der Antragsgegnerin vertretenen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung und des Suspensivinteresses des Antragstellers, dass der Beschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben war. In diesem Umfang erweist sich die baupolizeiliche Verfügung vom 17. Oktober 2006 nach summarischer Prüfung aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstand als rechtmäßig und die Antragsgegnerin hat insofern auch ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung dargetan.

Soweit nach dem Wortlaut von Ziffer 1 der baupolizeilichen Verfügung die Nutzung der Wohnung generell "zur Ausübung der Prostitution" untersagt wird, hat die Antragsgegnerin bereits im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht, dass sie eine solche generelle Nutzungsuntersagung, die auch Wohnungsprostitution erfassen würde, nicht bezweckt. Dann besteht insofern aber auch kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Inhalt der Verfügung indes nicht bereits ohne weitere Klarstellung im Sinne des (eingeschränkten) Verbots der "bordellartigen Ausübung der Prostitution" zu verstehen. Zwar befasst sich die - zum Zwecke der Auslegung des Verfügungsausspruchs heranzuziehende - Begründung des Bescheids ausführlich mit der Baurechtswidrigkeit einer bordellähnlichen Nutzung der Wohnung. Gerade deshalb verwundert es jedoch und deutet auf einen weiteren Verbotsumfang hin, wenn im Tenor der Verfügung - anders als in der an Frau D. gerichteten Nutzungsuntersagungsverfügung vom 16. März 2006 - die Ausübung der Prostitution in der Wohnung generell untersagt wird.

Ziffer 2 des Bescheids fehlt es ebenfalls an hinreichender Bestimmtheit. Bei der Aufforderung zur sofortigen Beendigung des bestehenden Mietverhältnisses ist unklar, welches Verhalten von dem Antragsteller verlangt wird. Weder dem Verfügungsausspruch noch der Begründung des Bescheids lässt sich hinreichend sicher entnehmen, ob das seit August 2006 mit Frau L. bestehende Mietverhältnis in jedem Fall oder nur im Fall der Aufnahme eines bordellartigen Betriebs beendet werden soll oder (dritte Alternative) ob nur die Aufnahme einer bordellähnlichen Nutzung für sich genommen beendet werden soll. Auch insofern überwiegt daher das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Dementsprechend konnte die Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung unter Ziffer 4 des Bescheids auch nur hinsichtlich des nicht beanstandeten Teils von Ziffer 1 der Verfügung aufrechterhalten werden.

Sofern dem Antragsteller in Ziffer 1 der Verfügung jedenfalls auch untersagt worden ist, seine Wohnung im Erdgeschoss des Wohnhauses F.-straße ... in N. zur bordellartigen Ausübung der Prostitution nutzen zu lassen, erweist sich der Bescheid der Antragsgegnerin nach dem bisherigen Sach- und Streitstand als rechtmäßig und ist ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung hinreichend dargetan.

Die bordellartige Nutzung der Wohnung ist bauaufsichtsbehördlich nicht genehmigt, verstößt damit gegen die formell-rechtliche Vorschrift des Bauordnungsrechts über den Genehmigungsvorbehalt (§ 61 LBauO), was in aller Regel zum Erlass einer Nutzungsuntersagung nach § 81 Satz 1 LBauO berechtigt (vgl. Lang, in: Jeromin, Kommentar zur LBauO 2005, § 81 Rn. 62 m.w.N.). Eine bordellähnliche Nutzung der Wohnung wäre angesichts des Mischgebietscharakters der näheren Umgebung zudem auch nicht genehmigungsfähig, wie die Antragsgegnerin im Bescheid vom 17. Oktober 2006 unter Bezugnahme auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. Juli 2002 (GewA 2003, 496 und juris) zutreffend ausgeführt hat. Die mit einer solchen bordellähnlichen Nutzung typischerweise verbundenen Auswirkungen ("milieubedingte Unruhe") führen zu einer das Wohnen im Sinne von § 6 Abs. 1 BauNVO wesentlich störenden Nutzung (vgl. VGH BW, a.a.O., juris, Rn. 28; ebenso: OVG Berlin, GewA 2003, 498 und juris, Rn. 10).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestand auch hinreichender Anlass, ihm gegenüber die bordellartige Ausübung der Prostitution in der Wohnung zu untersagen. Der Erlass der Nutzungsuntersagungsverfügung setzt nicht zwingend voraus, dass die untersagte Nutzung zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung auch betrieben wird. Vielmehr ist für die gerade auf ein zukünftiges Unterlassen gerichtete Verfügung ausreichend, dass hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, die rechtswidrige Nutzung werde in Kürze aufgenommen. Dies gilt erst recht dann, wenn die rechtswidrige Nutzung schon einmal aufgenommen, dann aber für einige Zeit unterbrochen wurde (vgl. zum Vorstehenden: Decker, in: Simon, BayBauO, Art. 82, Rn. 270 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung im Oktober 2006 und ist auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht hinreichend sicher ausgeschlossen, dass in der Erdgeschosswohnung F.-straße ... in N. nicht wieder ein bordellähnlicher Betrieb aufgenommen wird, wie er jedenfalls von Beginn des Jahres 2006 bis in den August 2006 hinein stattgefunden hat. Dass in dieser Wohnung bloß noch der Wohnungsprostitution nachgegangen wird und keine Gefahr der Aufnahme eines bordellartigen Betriebs mehr besteht, wie der Antragsteller vortragen lässt, durfte die Behörde zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung zu Recht bezweifeln und ist auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht hinreichend gewiss. Die Annahme von Wohnungsprostitution verlangt nämlich zum einen die über einen längeren Zeitraum als nur wenige Wochen oder Monate andauernde Identität zwischen der dort Wohnenden und der Prostituierten und zum anderen, dass diese gewerbliche Betätigung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht das Gepräge gibt (vgl. VGH BW, a.a.O., juris, Rn. 23 f.). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist bislang noch nicht hinreichend sicher dargetan. Das Mietverhältnis mit Frau L. dauert erst wenige Monate. Angesichts der Erfahrungen der Antragsgegnerin mit früherem Vorbringen des Antragstellers durfte sie Zweifel haben, ob die behauptete alleinige Nutzung der Wohnung durch Frau L. den Tatsachen entspricht und auf Dauer angelegt ist. So hatte der Antragsteller am 28. September 2006 geltend gemacht, dass bereits seit 1. August 2006 ein Mietvertrag lediglich mit Frau L. bestehe. Diese Angabe hatte sich bei der Ortsbesichtigung durch Behördenvertreter am 9. August 2006 als nicht zutreffend erwiesen. Auch das nur in Auszügen vorgelegte Exemplar eines Mietvertrages rechtfertigt ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Annahme, die besagte Wohnung werde nur noch ausschließlich durch Frau L. benutzt. Insofern mögen weitere Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens neue Erkenntnisse ergeben, die die Gefahr einer Wiederaufnahme der im Jahre 2006 betriebenen bordellähnlichen Nutzung hinreichend ausschließen. Neben entsprechenden tatsächlichen Feststellungen über einen längeren Zeitraum wäre in diesem Zusammenhang etwa auch hilfreich, der Antragsteller könnte die Vereinbarung eines Untervermietungsverbots mit Frau L. darlegen.

Schließlich leidet die Inanspruchnahme des Antragstellers nicht an fehlerhafter Betätigung des Auswahlermessens. Gerade in Fällen wie dem Vorliegenden erscheint es sachdienlich, die Nutzungsuntersagung nicht an den eigentlichen Nutzer der Wohnung, sondern an den Eigentümer zu richten. Denn der für die ersten acht Monate des Jahres 2006 durch Protokolle von Ortsbesichtigungen belegte häufige Wechsel der Wohnungsnutzerinnen macht es der Bauaufsichtsbehörde bei einem Vorgehen allein gegen diese schwer oder gar unmöglich, baurechtmäßige Zustände herbeizuführen (so: die beiden auch vom Verwaltungsgericht zitierten Beschlüsse des 1. Senats des erkennenden Gerichts vom 3. Dezember 2002 - 1 B 11653/02.OVG - [Hostessenräume] und vom 23. Juni 2006 - 1 B 10586/06.OVG -, S. 4 d.U.). Hinzu kommt, dass die angefochtene bauaufsichtsbehördliche Verfügung im Kern gerade die baurechtswidrige Nutzung der Wohnung in der Zukunft und "auf Dauer" ausschließen will, weshalb in Fällen der vorliegenden Art gerade auch der Eigentümer der Wohnung in Anspruch genommen werden darf (vgl. OVG Hamburg, NVwZ-RR 2006, 169 und juris, Rn. 10). Schließlich war die Inanspruchnahme des Antragstellers auch deshalb gerechtfertigt, weil er durch das Schreiben seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 9. August 2006 zu erkennen gegeben hat, dass er einerseits sehr effektiv Einfluss auf bestehende Mietverhältnisse nehmen kann (sofortige Aufhebung des Vertrags mit Frau D. nach Erlass der gegen sie gerichteten Nutzungsuntersagungsverfügung) und er andererseits selbst die bordellartige Nutzung der Wohnung durch Abschluss von Einzelmietverträgen mit mehreren Prostituierten zugelassen hatte.

Die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs der Verfügung hinsichtlich der Untersagung des bordellähnlichen Betriebs in der Erdgeschosswohnung F-straße ... in N. ist schließlich auch deshalb interessengerecht, weil sie den Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen wegen der ab Mitte August 2006 eingeleiteten Entwicklung nicht belastet, andererseits der Antragsgegnerin für den Fall der Wiederaufnahme des bordellartigen Betriebs Möglichkeiten der zwangsweisen Durchsetzung des Verbots belässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 und 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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