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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 28.10.2005
Aktenzeichen: 8 B 11345/05.OVG
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, BestG


Vorschriften:

BauGB § 34
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 35
BauGB § 35 Abs. 3
BauNVO § 9
BauNVO § 9 Abs. 2
BauNVO § 9 Abs. 2 Nr. 1
BauNVO § 9 Abs. 3
BauNVO § 9 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO § 15
BauNVO § 15 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
BestG § 8
BestG § 8 Abs. 1
BestG § 8 Abs. 4
BestG § 16
BestG § 16 Abs. 2
BestG § 16 Abs. 3

Entscheidung wurde am 16.01.2006 korrigiert: unter II. 3. muß es im 3. Absatz 3. Satz statt § 65 Abs. 4 LBauO, § 65 Abs. 4 Satz 1 LBauO und § 65 Abs. 4 Satz 4 LBauO richtig § 65 Abs. 5 LBauO, § 65 Abs. 5 Satz 1 LBauO und § 65 Abs. 5 Satz 4 LBauO heißen
1. Ein privat betriebenes Krematorium ist in einem Industriegebiet genehmigungsfähig.

2. Die grundsätzlich umfassende Prüfungs- und Sachentscheidungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde ist eingeschränkt, sofern die Entscheidung über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften einer anderen Behörde obliegt.

3. Zur sog. Schlusspunkttheorie im rheinland-pfälzischen Baugenehmigungsrecht.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

8 B 11345/05.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Baunachbarrechts

hier: aufschiebende Wirkung

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 28. Oktober 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 30. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Krematoriums.

Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Stadt H. "G..., 3. Änderung". Der Bereich ist als Industriegebiet festgesetzt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in demselben Industriegebiet. Dort befindet sich die Werkhalle ihres Maschinenbaubetriebes sowie ein Verwaltungsgebäude. Die Entfernung zwischen dem Baugrundstück und dem Grundstück der Antragstellerin beträgt ca. 220 m.

Ende Mai 2005 reichten die Beigeladenen ihren Bauantrag ein. Das Krematorium soll auf einer Grundfläche von ca. 18 x 37 m errichtet werden. Der First des Flachdaches soll die natürliche Geländeoberfläche um knapp 4 m überragen. Die Höhe des Kamins soll 10 m über Grund betragen. Nach Anhörung der Fachbehörden wurde den Beigeladenen am 13. Juli 2005 die Baugenehmigung unter Übernahme der fachbehördlich verlangten Auflagen erteilt.

Am 17. August 2005 erteilte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion der Stadt H. die bestattungsrechtliche Genehmigung, auf dem fraglichen Baugrundstück eine Einäscherungsanlage zu errichten und zu betreiben. Gleichzeitig wurde ihr nach § 16 Abs. 3 BestG die Genehmigung erteilt, die Errichtung und den Betrieb der Einäscherungsanlage auf die derzeit in Gründung befindliche I. H. GmbH zu übertragen. Gesellschafter dieser GmbH sind die Beigeladenen.

Bereits zuvor hat die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres gegen die Baugenehmigung eingelegten Widerspruchs nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Sie verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Errichtung und Betrieb eines Krematoriums sei mit dem Charakter des Industriegebiets unverträglich. Eine Einäscherungsanlage in unmittelbarer Nachbarschaft von Maschinenbaubetrieben sei pietätlos und unwürdig. Die Abgase aus der Leichenverbrennung sowie der ständige Anblick von Leichenwagen sei für die Mitarbeiter ihres Betriebs unzumutbar. Die Baugenehmigung sei aber auch wegen Verstoßes gegen § 16 Absätze 2 und 3 BestG rechtswidrig.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilrechtsschutzantrag mit Beschluss vom 30. August 2005 mit der Begründung ab, dass die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausfalle, weil vieles dafür spreche, dass eine subjektive Rechtsverletzung bei ihr nicht vorliege. Auf die Verletzung von § 16 Abs. 3 BestG könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil die Vorschrift ersichtlich nur dem Schutze der öffentlichen Ordnung diene. Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme werde durch die angefochtene Baugenehmigung nicht verletzt. Bei dem Vorhaben der Beigeladenen handele es sich um eine Anlage für kulturelle Zwecke, die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans ausnahmsweise zugelassen werden könne. Industriegebiete seien zur Aufnahme von Feuerbestattungsanlagen nicht erkennbar ungeeignet. Ferner sei nicht zu erwarten, dass von der Anlage unzumutbare Immissionen ausgingen. Ebenfalls liege eine unzumutbare Beeinträchtigung durch vorbeifahrende Leichenwagen oder durch die Sichtbeziehung zu dem Krematorium nicht vor.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, dass das Verwaltungsgericht der ethisch-kulturellen Dimension des Streitfalls nicht gerecht geworden sei. Bei der genehmigten Anlage handele es sich um eine Einrichtung der Bestattungskultur, bei deren Einbettung in die Umgebung Pietätsgesichtspunkte zu berücksichtigen seien. Die profitorientierte Einäscherung von Leichen in unmittelbarer Nachbarschaft von Gewerbebetrieben sei geschmack- und pietätlos. § 16 Abs. 3 BestG verbiete die Übertragung der Errichtung und des Betriebs von Einäscherungsanlagen auf Private. Diese Vorschrift sei auch von der Bauaufsichtsbehörde zu berücksichtigen, jedenfalls dann, wenn die insofern parallel zu erteilende bestattungsrechtliche Genehmigung zum Zeitpunkt des Erlasses des Bauscheins noch nicht vorliege. Bei der Anwendung der Ausnahmeregelung gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und des Rücksichtnahmegebots gemäß § 15 BauNVO müsse geprüft werden, ob von einem Krematorium unzumutbare Beeinträchtigungen ausgingen. Dies sei zu bejahen. Krematorien seien grundsätzlich außerhalb von Gewerbe- oder Industriegebieten in pietätvoller Umgebung anzusiedeln. Hierauf habe der im Gewerbe- bzw. Industriegebiet angesiedelte Betrieb einen Anspruch. Die Errichtung eines Krematoriums in einem solchen Gebiet verändere den Gebietscharakter nachhaltig.

Antragsgegner und Beigeladene sind der Beschwerde entgegengetreten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Rechtsbehelf der Antragstellerin in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird und deshalb das in § 212 a Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der Baugenehmigung überwiegt. Nach dem Ergebnis der im Verfahren des Eilrechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Baugenehmigung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.

1. Zunächst kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Gebietsgewährleistungsanspruchs berufen. Insofern ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte allerdings anerkannt, dass Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines Baugebiets einen Anspruch darauf haben, dass die Festsetzung im Bebauungsplan über die Art der Nutzung eingehalten wird. Sie werden hierdurch in die Lage versetzt, einer "schleichenden Umwandlung" des Gebiets vorzubeugen. Derselbe Nachbarschutz besteht im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht - § 34 Abs. 2 BauGB - (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, DVBl. 1994, 284 f; Beschluss vom 2. Februar 2000, ZfBR 2000, 421).

Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist letztlich noch ungeklärt, ob die Voraussetzungen für das Geltendmachen eines Gebietsgewährleistungsanspruchs überhaupt vorliegen. Nach Mitteilung der Kreisverwaltung leiden die Bebauungspläne zum "Industriegebiet G..." in sämtlichen Fassungen an der fehlenden Ausfertigung. Dies gilt auch für den vom Bevollmächtigten der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2005 in Kopie vorgelegten Ursprungsplan aus dem Jahr 1977. Auf der Planurkunde findet sich nach dem Vermerk über die aufsichtsbehördliche Genehmigung nämlich nur der Bekanntmachungsvermerk. Da die angefochtene Baugenehmigung nicht auf der Grundlage von § 33 BauGB erlassen wurde, richtet sich die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens der Beigeladenen somit entweder nach § 34 BauGB oder nach § 35 BauGB. Auf einen Gebietsgewährleistungsanspruch könnte sich die Antragstellerin aber nur dann berufen, wenn die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB vorlägen, was von der Antragstellerin und den Beigeladenen bejaht wird (vgl. zum Ausschluss des Gebietsgewährleistungsanspruchs über die Fälle des § 34 Abs. 2 BauGB hinaus: BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1999, UPR 2000, 37). Ob das Vorhaben der Beigeladenen innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt und die Eigenart der näheren Umgebung einem Industriegebiet entspricht, kann im Rahmen dieses Eilrechtsschutzverfahrens allerdings nicht geklärt werden.

Aber selbst wenn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB unterstellt wird, kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg auf den Gebietsgewährleistungsanspruch berufen. Denn das von den Beigeladenen geplante Krematorium steht mit dem nach § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend anwendbaren § 9 BauNVO in Einklang. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das privat und mit dem Zweck der Gewinnerzielung betriebene Krematorium nicht schon dem - grundsätzlich weiten - Begriff des "Gewerbebetriebs aller Art" unterfällt und deshalb nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig ist. Zweifel bestehen im Anschluss an das von der Antragstellerin zitierte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2005 - 15 BV 04.576 - (juris) deshalb, weil bei der Auslegung dieses Begriffs auch auf die typische Funktion des Gewerbe- oder - wie hier - Industriegebiets abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1992, BVerwGE 90, 140). Danach sind Nutzungen, die den für ein Gewerbe- oder Industriegebiet typischen Nachteilen oder Belästigungen nicht ausgesetzt werden sollen, in einem solchen Gebiet nicht allgemein zulässig (vgl. BVerwG, a.a.O.). Bei einem Krematorium ist zu berücksichtigen, dass seine Nutzung sich nicht in dem technischen Vorgang der Verbrennung Verstorbener erschöpft, sondern auch einen kulturellen Bezug aufweist. Die Einäscherung ist nämlich Teil der Bestattungskultur. Bei der Feuerbestattung gehört dazu nach der - allgemeinem Verständnis folgenden - Legaldefinition in § 8 Abs. 4 Satz 3 BestG nicht nur die Beisetzung der Asche in einer Grabstätte, sondern auch die vorherige Einäscherung der Leiche. Diesem Umstand wird auch in dem von den Beigeladenen geplanten Krematorium dadurch Rechnung getragen, dass es über einen abgesonderten Bereich verfügt, in dem den Angehörigen das Abschiednehmen von dem Verstorbenen ermöglicht wird. Diese Einbindung der Einäscherung in den Vorgang der Bestattung und die Rücksichtnahme auf die bei der Bestattung zu achtende Würde des Toten und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit (§ 8 Abs. 1 BestG) könnten es verbieten, das Krematorium an jedwedem Standort innerhalb eines Gewerbe- oder Industriegebiets als allgemein zulässig zu betrachten.

Diese Bedenken an der allgemeinen Zulässigkeit eines Krematoriums im Industriegebiet können hier aber deshalb dahingestellt bleiben, weil jedenfalls die ausnahmsweise Zulässigkeit einer solchen Einäscherungsanlage als Anlage für kulturelle oder soziale Zwecke i.S.v. § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zu bejahen ist (vgl. ebenso: BayVGH, a.a.O.). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann dem Bauplanungsrecht also ein gänzlicher Ausschluss privat betriebener Krematorien in Industriegebieten ungeachtet ihrer konkreten Lage und Nachbarschaft gerade nicht entnommen werden. Die zu den Akten gereichten Pläne und Fotografien lassen nicht den Schluss zu, dass die ausnahmsweise Zulassung des Krematoriums an dem gewählten Standort mit dem Charakter des Gebiets unvereinbar wäre. Hiergegen spricht, dass das Baugrundstück nach Norden und Osten durch einen Waldstreifen abgeschirmt ist und im Übrigen in unmittelbarer Nachbarschaft keine für den Betrieb des Krematoriums störenden Gewerbebetriebe vorhanden sind.

Soweit die Antragstellerin sich zur Begründung ihres Rechtsbehelfs auf das zitierte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beruft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Denn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte über die Klage einer Gemeinde gegen die ohne ihr Einvernehmen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer privat betriebenen Einäscherungsanlage zu entscheiden. Im vorliegenden Fall hat die Stadt H. hingegen ihr - nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB notwendiges - Einvernehmen zu dem Vorhaben der Beigeladenen erteilt.

2. Die Antragstellerin hat auch nicht dargetan, dass die angefochtene Baugenehmigung zu ihren Lasten gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Die Anwendbarkeit dieses Gebots ergibt sich vorliegend entweder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO, aus dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB oder als Ausprägung öffentlicher Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1990, NVwZ 1990, 557; Urteil vom 27. August 1998, NVwZ 1999, 523 [525]; Urteil vom 18. November 2004, NVwZ 2005, 328 [329] - nachteilige Wirkungen über schädliche Umwelteinwirkungen hinaus -). Danach ist ein Vorhaben entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO im Einzelfall zum einen dann unzulässig, wenn von ihm für die Umgebung unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen (Störeignung des Vorhabens), zum anderen aber auch dann, wenn es seinerseits solchen Belastungen oder Störungen ausgesetzt wird (Störanfälligkeit des Vorhabens).

Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass von dem geplanten Krematorium für den Betrieb der Antragstellerin keine unzumutbaren Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Die Einhaltung der einschlägigen Vorgaben, insbesondere in der Verordnung über Anlagen zur Feuerbestattung - 27. BImSchV -, sind durch Auflagen im Bauschein sichergestellt. Die als störend empfundene Sichtbeziehung wird in ihrer Wirkung zum einen durch die Entfernung, die andere Zuwegung und die geplante Begrünung des Krematoriums, vor allem aber dadurch gemindert, dass die Büroräume in den Gebäuden der Antragstellerin nach dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Lageplan keine unmittelbare Sichtverbindung zum Krematorium ermöglicht. Der von der Antragstellerin als unzumutbar gerügte wiederholte Anblick von Leichenwagen würde sich in vergleichbarer Intensität bei einem städtischen Grundstück in der Nachbarschaft eines Friedhofs ergeben. Die Wahrnehmbarkeit dieses Bestattungsvorgangs ist als Teil menschlichen Lebens hinzunehmen.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Störanfälligkeit des Vorhabens ist eine Rechtsverletzung der Antragstellerin nicht erkennbar. Die Verletzung des Rücksichtnahmegebots käme insofern nur dann in Betracht, wenn der Antragstellerin durch das angegriffene Vorhaben in Zukunft Einschränkungen ihrer Betriebsweise drohten (vgl. zum Problem des Heranrückens einer Bebauung an einen störenden Betrieb: Urteil des Senats vom 13. Juni 2002 - 8 A 11660/01.OVG -). Dies ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht, das Vorhaben der Beigeladenen sei deshalb nicht im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative BauNVO genehmigungsfähig, weil es gerade von ihrem Unternehmen unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgesetzt werde, die bei Aufrechterhaltung der angefochtenen Baugenehmigung nachträgliche Nutzungseinschränkungen ihres Betriebs befürchten ließen. Über das Vorbringen hinaus, es sei allgemein pietätlos, ein Krematorium in einem Industriegebiet anzusiedeln, hat die Antragstellerin nicht dargetan, dass gerade die Nachbarschaft zu ihrem Unternehmen das sittliche Empfinden der Allgemeinheit und insbesondere das Empfinden der das Krematorium aufsuchenden Trauernden erheblich beeinträchtigen werde. Die zu den Akten gereichten Fotografien der näheren Umgebung des Grundstücks der Beigeladenen und der im Hintergrund erkennbaren Betriebsgebäude der Antragstellerin geben hierfür ebenfalls nichts her.

3. Schließlich lässt sich die Rechtswidrigkeit und eine rechtsverletzende Wirkung der Baugenehmigung zu Lasten der Antragstellerin auch nicht aus einem Verstoß gegen § 16 Absätze 2 und 3 BestG herleiten. Denn die Vereinbarkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen mit den Vorschriften des Bestattungsgesetzes gehört nicht zum Prüfungsprogramm der Bauaufsichtsbehörde und hat demzufolge auch nicht Teil an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung.

Zwar hat die Bauaufsichtsbehörde im Grundsatz umfassend zu prüfen, ob dem Vorhaben neben baurechtlichen nicht auch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§§ 65 Abs. 1 Satz 1 und 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO). Diese umfassende Prüfungs- und Sachentscheidungskompetenz ist jedoch eingeschränkt, sofern die Entscheidung über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften einer anderen Behörde obliegt (§ 65 Abs. 1 Satz 2 LBauO; vgl. im Übrigen: BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989, DVBl. 1989, 1055 [1058]; VGH BW, Urteil vom 22. Oktober 2002, BauR 2003, 492 [494]). Für die bestattungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebs der Einäscherungsanlage durch die Beigeladenen bzw. die von ihnen zu gründende GmbH besteht in § 16 Absätze 2 und 3 BestG ein spezieller Genehmigungsvorbehalt zu Gunsten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion. Danach kommt es auf die - mit dem Verwaltungsgericht zu verneinende - drittschützende Wirkung der bestattungsrechtlichen Vorschrift nicht mehr an.

Die angefochtene Baugenehmigung vom 13. Juli 2005 wird im Verfahren der Hauptsache auch nicht deshalb aufzuheben sein, weil sie nicht als Schlusspunkt mehrerer für das Vorhaben notwendiger und parallel einzuholender Genehmigungen erteilt worden ist. Dabei kann hier die Geltung der sog. Schlusspunkttheorie im rheinland-pfälzischen Baugenehmigungsrecht letztlich dahingestellt bleiben. Für deren Anwendung wird allerdings mit guten Gründen die in § 65 Abs. 5 LBauO angelegte Koordinierungsfunktion der Bauaufsichtsbehörden mit den Pflichten zur Einholung paralleler Genehmigungen (§ 65 Abs. 5 Satz 1 LBauO - Sternverfahren -) und zur einheitlichen Bekanntgabe aller parallelen Entscheidungen (§ 65 Abs. 5 Satz 4 LBauO) angeführt (vgl. Jeromin, LBauO-Kommentar, 2005, § 65 Rn. 24 und § 70 Rn. 46 f. unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 13. Juli 2001 - 8 E 10991/01.OVG -, ESOVGRP; vgl. insofern auch: OVG NRW, Urteil vom 11. September 2003, BauR 2003, 1870 [1871]). Die Einschränkung der Sachentscheidungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 LBauO und damit die Einschränkung der Feststellungswirkung der Baugenehmigung schließen es nämlich nicht aus, der Bauaufsichtsbehörde eine Kontrollkompetenz hinsichtlich des Vorliegens der parallel einzuholenden Genehmigungen mit der Maßgabe einzuräumen, dass die Baugenehmigung - aus verfahrensrechtlichen Gründen - zu versagen ist, wenn die für das Vorhaben im Übrigen notwendigen Genehmigungen noch nicht erteilt worden sind.

Diese Fragen können im vorliegenden Fall aber aus zweierlei Gründen auf sich beruhen. Zum einen entfaltet die verfahrensrechtliche Forderung nach einer Bündelung verschiedener paralleler Genehmigungen mit der Baugenehmigung als Schlusspunkt keine drittschützende Wirkung zu Gunsten der Antragstellerin. Zum anderen ist die hier parallel notwendige Genehmigung nach § 16 Absätze 2 und 3 BestG inzwischen erteilt worden, so dass die geäußerten verfahrensrechtlichen Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ausgeräumt sind.

Der Inhalt des Genehmigungsbescheids der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom 17. August 2005 ist aus den oben dargelegten Gründen nicht Gegenstand des nur die Anfechtung der Baugenehmigung betreffenden Verfahrens. Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem umfangreichen und den Kern der Beschwerdebegründung bildenden Darlegungen der Antragstellerin, das rheinland-pfälzische Bestattungsrecht lasse eine Übertragung des Krematoriumsbetriebs auf eine privatrechtlich organisierte und auf Gewinnerzielung ausgerichtete Gesellschaft nicht zu. Insofern sei ergänzend lediglich bemerkt: Ungeachtet der einfachgesetzlichen Frage nach der Zulässigkeit der von den Landesbehörden vertretenen erweiterten Auslegung des § 16 Abs. 3 BestG erscheinen die von der Antragstellerin geltend gemachten grundsätzlichen, letztlich im Verfassungsrecht wurzelnden Bedenken gegen die "Kommerzialisierung der Feuerbestattung" wenig überzeugend. Die Übertragung der Errichtung und des Betriebs von Krematorien auf private Rechtsträger ist in den Bestattungsgesetzen der meisten Bundesländer ausdrücklich vorgesehen (vgl. Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Aufl. 2004, Teil IV, Kap. 4., S. 221). Ebenso wie die seit langem praktizierte und allgemein anerkannte Tätigkeit privater Bestattungsunternehmer nicht zwangsläufig die Würde des Toten und das sittliche Empfinden der Trauernden beeinträchtigt, gilt dies entsprechend für die Mitwirkung privater Gewerbetreibender beim Vorgang der Feuerbestattung. Eine privatrechtliche, durchaus auch auf Gewinnerzielung ausgerichtete Organisation der Einäscherung vermag den Pietätsvorstellungen der Betroffenen grundsätzlich in gleichem Maße Rechnung zu tragen wie das Verfahren in einer kommunalen Einrichtung. Hinzu kommt, dass bei der hier gewählten Organisationsform das private Unternehmen durch den Betreibervertrag mit der Stadt und deren Benutzungsordnung sowie die Aufsicht des Landes umfangreichen Kontrollen unterliegt, die eine pietätvolle Praxis der Feuerbestattung gewährleisten (vgl. im Übrigen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 4. Juli 1996 zum Betrieb von Krematorien in privater Trägerschaft, die sich eingehend auch mit der von der Antragstellerin zitierten Argumentation Gröschners auseinander setzt, NVwZ 1997, 481).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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