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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 13.12.2004
Aktenzeichen: VGH B 7/04
Rechtsgebiete: LV, VwGO


Vorschriften:

LV Art. 124
VwGO § 124
VwGO § 124 a
Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 LV) verbietet, die Anforderungen an die Zulassung der Berufung (§§ 124, 124 a VwGO) zu überspannen und dadurch das Beschreiten des Rechtswegs in unzumutbarer Weise zu erschweren.
VERFASSUNGSGERICHTSHOF RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS IM NAMEN DES VOLKES

VGH B 7/04

In dem Verfahren

betreffend die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) das Urteil des Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße vom 06.02.2004 - 7 K 2949/03.NW -

b) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11.05.2004 - 6 A 10441/04.OVG -

hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. Dezember 2004, an der teilgenommen haben

Präsident des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Meyer Präsident des Oberlandesgerichts Dury Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Direktorin des Amtsgerichts Terner Universitätsprofessor Dr. Dr. Merten Kreisverwaltungsdirektorin Kleinmann Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Dr. Freimund-Holler Landrätin Röhl Rechtsanwalt Schnarr

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Mai 2004 - 6 A 10441/04.OVG - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 LV). Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.

Gründe:

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, nach denen er weiterhin zu dulden hat, dass die Abgasleitung seiner Gaszentralheizung einmal jährlich gereinigt wird.

I.

Der Beschwerdeführer ließ im Jahr 1999 einen neuen Gasheizkessel in seinem Wohnhaus installieren und dabei den Querschnitt des Abgasschornsteins durch Einbau eines Edelstahlrohres auf 13 cm vermindern. Im Folgejahr führte der Schornsteinfeger eine Reinigung der neuen Abgasleitung durch. Hierzu benutzte er nach dem Vortrag des Beschwerdeführers einen ölverschmutzten Kehrbesen. Im November 2003 erhob der Beschwerdeführer Klage zum Verwaltungsgericht mit dem Ziel festzustellen, dass für den Abgasschornstein an seiner Gaszentralheizung keine Reinigungspflicht bestehe. Zur Begründung führte er aus, dass es nicht erforderlich sei, das Abgasrohr einer modernen Gasheizung jährlich zu reinigen. Er verfüge in seinem Wohnhaus noch über ein weiteres Abgasrohr, an das zwei Gasdurchlauferhitzer angeschlossen seien. Dieses Rohr werde nie gereinigt, sondern lediglich mittels eines Spiegels auf Querschnittsfreiheit untersucht. Eine entsprechende Handhabung wünsche er auch für das neu installierte Edelstahlrohr. Für die Reinigung müsse er erhebliche Gebühren entrichten. Die Gebühr für das Überprüfen eines Abgasrohrs sei hingegen schon mit der Gebühr für die Messung der Abgaswege abgegolten. Er wolle sich nicht mit dem Wortlaut der Kehr- und Überprüfungsordnung - KÜO - zufrieden geben. Vielmehr frage er nach dem Sinn und Zweck dieser Verordnungsregelung.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 6. Februar 2004 mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO der Reinigungspflicht unterliege. Die Kammer habe auch keinen Zweifel an dem Bestehen eines Bedarfs für die regelmäßige Reinigung der senkrechten Abgasleitungen. Die maßgebliche Vorschrift diene dem Zweck, Gefahren durch den Betrieb von Feuerstätten abzuwehren. Soweit der Beschwerdeführer die Verordnung selbst für fehlerhaft halte, stehe ihm frei, diese mittels der dafür zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe anzugreifen.

Den Antrag des Beschwerdeführers, seine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 11. Mai 2004 ab. Zur Begründung führte das Gericht zunächst aus, dass der Beschwerdeführer ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht dargetan habe. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO seien senkrechte Abgasleitungen für Gasfeuerstätten für den planmäßigen Unterdruckbetrieb einmal im Jahr zu reinigen. Diese Reinigungspflicht sei deshalb gerechtfertigt, weil das Gas bei diesen Anlagen nicht in gleicher Weise rückstandsfrei verbrenne wie bei senkrechten Abgasleitungen von Gasfeuerstätten für den planmäßigen Überdruckbetrieb, die ihrerseits nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 KÜO nur einmal alle zwei Jahre zu überprüfen und erforderlichenfalls zu reinigen seien. Diese Differenzierung sei durch den Zweck feuerpolizeilicher Gefahrenabwehr bestimmt. Eine Notwendigkeit, die Vereinbarkeit von § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO mit höherrangigem Recht als Vorfrage zu prüfen, bestehe nicht, denn die Bestimmung werfe weder in Bezug auf ihre rechtsstaatliche Geeignetheit noch in Bezug auf ihre Willkürfreiheit Gültigkeitszweifel auf. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die verwaltungsgerichtliche Klage sei für eine Inzidentprüfung nicht geeignet, verkenne zwar den Gegenstand des richterlichen Prüfungsrechts, doch beruhe die klageabweisende Entscheidung nicht auf diesem Mangel. Ferner sei die Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von dem Beschwerdeführer sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob auch ein Edelstahlrohr mit Rücksicht auf seine glatte Oberfläche im Inneren zwingend einer jährlichen Reinigung unterworfen werden müsse oder ob nach entsprechender Sichtkontrolle eine Reinigung bei konkretem Anlass genüge, lasse sich in Anwendung der einschlägigen Verordnungsregelung ohne weiteres im erstgenannten Sinne beantworten.

II.

Der Beschwerdeführer hat gegen beide verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt und die Verletzung seiner Ansprüche auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz gerügt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Die Verwaltungsgerichte seien ihrer Pflicht zur Gewährleistung einer möglichst wirksamen gerichtlichen Kontrolle nicht nachgekommen. Eine Inzidentprüfung der angegriffenen Verordnung sei verweigert worden. Die Verordnung sei rechtswidrig, weil sie die berechtigten Interessen der Hausbesitzer zugunsten der Interessen des Berufsstandes der Schornsteinfeger vernachlässige. Der Verordnungsgeber mute den Eigentümern zu, Scheindienstleistungen zu dulden. Ein Reinigen der Abgasleitungen moderner Gasheizungen sei nicht notwendig, da das Gas nahezu rückstandsfrei verbrenne. Mit dem dahingehenden Klagevorbringen hätten sich die Gerichte nicht auseinander gesetzt, sondern schlicht "kurzen Prozess" gemacht.

III.

Das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau hat zu der Verfassungsbeschwerde wie folgt Stellung genommen: § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO sei verfassungsgemäß. Insbesondere sei die Reinigung der Abgasleitungen erforderlich. Zwar träten bei Gasheizungen keine Verbrennungsprodukte in einer solchen Konzentration und Menge auf, dass der Schornstein oder die Abgasrohre wesentlich geschädigt werden könnten. Gefahren könnten bei solchen Anlagen aber dadurch entstehen, dass Vogelnester, Laub, tote Tiere etc. zu Verengungen oder gar zu Verstopfungen der Abgasrohre führten. Hinsichtlich der Häufigkeit der Kehr- und Überprüfungsmaßnahmen sei in der Verordnung berechtigterweise zwischen Abgasleitungen für Gasfeuerstätten für den planmäßigen Unterdruckbetrieb und solchen für den planmäßigen Überdruckbetrieb unterschieden worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass infolge von Querschnittverengungen Gefahrensituationen, wie etwa ein Rückstau der Abgase, entstehen könnten, sei bei Überdruckanlagen, die mit einem Gebläse oder Ventilator arbeiteten, geringer; hier genüge deshalb eine Überprüfung alle zwei Jahre.

Das Ministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen.

Die Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens hat dem Verfassungsgerichtshof vorgelegen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts richtet; im Übrigen ist sie unzulässig.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist fristgerecht erhoben. Der Rechtsweg ist erschöpft (vgl. BVerfGE 107, 395 [417]). Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ist gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - befugt, die Durchführung des bundesprozessrechtlich geregelten Verfahrens der Gerichte an den Grundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des Grundgesetzes haben (vgl. VerfGH Rh-Pf, AS 29, 89 [91 f.] m.w.N.). Die hier geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 6 Abs. 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 LV) sind inhaltsgleich mit den Gewährleistungen in Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz.

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet, fehlt es am Rechtsschutzinteresse. Denn der Beschwerdeführer ist durch diese Entscheidung erster Instanz nicht mehr beschwert.

Zwar rügt er zutreffend, das Verwaltungsgericht habe eine Inzidentprüfung der für ungültig gehaltenen Kehr- und Überprüfungsordnung zu Unrecht verweigert. Denn es gehört zu den von Amts wegen zu erfüllenden Pflichten der Richter aller Gerichtsbarkeiten, die Vereinbarkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm mit höherrangigem Recht zu prüfen und die Norm bei Annahme der Unvereinbarkeit unangewendet zu lassen bzw. die Entscheidung des mit Verwerfungsmonopol ausgestatteten Verfassungsgerichts einzuholen (vgl. VerfGH Rh-Pf, AS 29, 215 [218]; Stelkens: in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Stand September 2004, § 1 Rn. 38; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 13. Aufl. 2003, § 40 Rn. 44; zum Verwerfungsmonopol der Verfassungsgerichte bei Gesetzen im formellen Sinn: Art. 100 Abs. 1 GG, Art. 130 Abs. 3 LV). Mit der grundsätzlichen Verweigerung der Inzidentkontrolle hat das Verwaltungsgericht es unterlassen, sich mit dem auf die Ungültigkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO bezogenen Vorbringen auseinander zu setzen, ohne hierzu aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts berechtigt gewesen zu sein.

Indessen ist der Beschwerdeführer durch diese Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr beschwert. Die Gewährung rechtlichen Gehörs in der zweiten Instanz hat diesen Verfahrensmangel geheilt (vgl. hierzu: BVerfGE 5, 9 [10]). Das Oberverwaltungsgericht hat im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens die von dem Beschwerdeführer vorgetragenen Zweifel an der Gültigkeit der Kehr- und Überprüfungsordnung zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Zwar ist es ihnen im Ergebnis ebenfalls nicht gefolgt, dies jedoch nicht aus formell-rechtlichen Erwägungen, wie das Verwaltungsgericht, sondern aus materiell-rechtlichen Gründen, indem es einen Verstoß von § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO gegen höherrangiges Recht verneint hat.

C.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.

I.

Die in der Verfassung für Rheinland-Pfalz gewährleistete Rechtsschutzgarantie (Art. 124 LV) verlangt nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. VerfGH Rh-Pf, AS 29, 215 [216]; Bamberger, in: Grimm/Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Art. 124 Rn. 9). Für das Rechtsmittelrecht folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass die Gewährleistung eines Instanzenzugs zwar von Verfassungs wegen nicht geboten ist. Sehen aber prozessrechtliche Vorschriften Rechtsbehelfe vor, so verbietet die Rechtsschutzgarantie eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die das Beschreiten des Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (vgl. BVerfGE 77, 275 [284]; Bamberger, a.a.O., Rn. 10). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124 a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten. Auch hier dürfen die Anforderungen an das Vorliegen von Zulassungsgründen nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, NVwZ 2000, 1163, und NVwZ 2001, 552). Zwar ist die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Die fehlerhafte Anwendung prozessrechtlicher Bestimmungen stellt jedoch dann zugleich einen Verstoß gegen Verfassungsrecht dar, wenn das Gericht bei Anwendung der Verfahrensvorschrift die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts - hier des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz - verkannt hat (vgl. VerfGH Rh-Pf, AS 29, 89 [93 f.]).

Im Ausgangsfall beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung vorrangig deshalb, weil ihm das Verwaltungsgericht die begehrte Inzidentkontrolle des § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO verweigert habe. Das Gericht habe ihn lediglich auf den Wortlaut der Vorschrift verwiesen, ohne der von ihm aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob die getroffene Verordnungsregelung ihrerseits gültig, d.h. mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Ob bei modernen Heizungsanlagen mit Abgasleitungen aus Edelstahl eine alljährliche Reinigung aus Gründen der Gefahrenabwehr überhaupt notwendig sei, hätte - gegebenenfalls durch Beweisaufnahme - näher aufgeklärt werden müssen. In seiner Antragsschrift bezeichnete der Beschwerdeführer dazu ausdrücklich die Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO. Durch die Forderung nach einer gründlichen Tatsachenklärung benannte er der Sache nach zugleich auch den Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

II.

Mit dem Erfordernis der Berufungszulassung hat der Gesetzgeber die Entlastung der Oberverwaltungsgerichte - und damit mittelbar auch des Bundesverwaltungsgerichts - bezweckt. Eine Berufungsinstanz soll nur in den Fällen zur Verfügung stehen, in denen eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung von der Sache her notwendig ist (vgl. Amtliche Begründung, BT-Drucks. 13/3993, S. 13). Ist dies jedoch der Fall, so bleibt es bei der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers für einen dreistufigen Rechtszug. Nach erfolgter Zulassung hat im anschließenden Berufungsverfahren eine umfassende Prüfung des Streitfalls sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu erfolgen (vgl. § 128 Satz 1 VwGO; BVerfG, NVwZ 2000, 1163). Dies schließt die Verpflichtung ein, den Sach- und Streitstand in mündlicher Verhandlung mit den Beteiligten zu erörtern sowie entscheidungserhebliche Umstände tatsächlicher Art gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen aufzuklären. Das Verfahren auf Zulassung der Berufung darf dieses Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der sich mit der Regelung in § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO überschneidet (vgl. OVG Rh-Pf, Beschluss vom 16. September 2003 - 8 A 11169/03.OVG -, ESOVGRP; Happ, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 2000, § 124 Rn. 53; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/5098, S. 24), dient der Richtigkeitskontrolle im Einzelfall. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils werden dann bejaht, wenn die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, NVwZ 2000, 1163). Die Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kommt in Betracht, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers gegen das erstinstanzliche Urteil Fragen von solcher Schwierigkeit aufwerfen, dass sich diese nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren klären und entscheiden lassen (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO-Kommentar, Stand Januar 2003, § 124 Rn. 154; Happ, a.a.O., Rnrn. 53 und 67; Kopp/Schenke, a.a.O., § 124 Rn. 9). Die Zulassung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dient dem Interesse an Rechtseinheit und Rechtsfortbildung. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache wird dann bejaht, wenn der Streitfall die Entscheidung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert, die noch nicht geklärt ist und an deren Klärung ein über den Einzelfall hinausgehendes allgemeines Interesse besteht (vgl. Seibert, a.a.O., Rn. 174; Happ, a.a.O., Rn. 76; Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 10). Klärungsbedürftigkeit in einem Berufungsverfahren wird allerdings dann verneint, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage auf der Grundlage des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. Seibert, a.a.O., Rn. 189; Happ, a.a.O., Rn. 78; Kopp/Schenke, a.a.O.).

III.

Bei verfassungskonformer, den Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle berücksichtigender Anwendung dieser Regeln für die Berufungszulassung hätte das Oberverwaltungsgericht die Berufung zulassen müssen.

Das Gericht war verpflichtet, dem Klagebegehren in einem Berufungsverfahren nachzugehen. Die Klage richtete sich im Kern gegen die Gültigkeit einer Rechtsverordnung des Landes. Das Verwaltungsgericht hatte die Inzidentkontrolle der Verordnung verweigert. Die vorgebrachten Gültigkeitszweifel waren nachvollziehbar. Sie ließen sich nicht ohne weiteres widerlegen. Vielmehr war eine nähere Auseinandersetzung mit den technischen Gegebenheiten und den Anforderungen an feuerpolizeiliche Gefahrenabwehr geboten. Der Rechtsprechungsauftrag des Oberverwaltungsgerichts zur verbindlichen Klärung und Auslegung des Landesrechts verlangte nach einer eingehenden Prüfung. Da die Gültigkeit einer Rechtsverordnung des Landes im Streit stand, wies die Rechtssache jedenfalls grundsätzliche Bedeutung auf. Mit der Verweigerung der Berufungszulassung hat das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an das Vorliegen von Zulassungsgründen überspannt. Es hat dadurch das Beschreiten des Rechtswegs für den Beschwerdeführer in nicht zu rechtfertigender Weise erschwert und ihn in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt.

Der Beschwerdeführer hatte bereits in erster Instanz klargestellt, dass er mit seiner Klage nicht die korrekte Anwendung der Kehr- und Überprüfungsordnung im Einzelfall einfordere, sondern die Gültigkeit der Verordnungsregelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO grundsätzlich in Frage stelle; der Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift werde diesem Begehren nicht gerecht. Im Berufungszulassungsantrag vertiefte er sein Klageziel noch einmal. Hierzu verwies er auf den aktuellen Stand der Heiztechnik, die den Verordnungsgeber hinsichtlich einiger Anlagentypen bereits veranlasst habe, lediglich eine Überprüfung der Abgasleitung und nur erforderlichenfalls eine Kehrung zu verlangen. Nach seiner Auffassung sei auch im Falle seiner Heizungsanlage eine Überprüfung mit anschließender Reinigung bei Bedarf ausreichend. Bei dem verwendeten glatten Edelstahlrohr sei die alljährlich zwingend durchzuführende Reinigung aus Gründen feuerpolizeilicher Gefahrenabwehr nicht notwendig. Damit hatte der Beschwerdeführer sowohl das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 2 Schornsteinfegergesetz in Frage gestellt als auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit geltend gemacht. An der Klärung der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage nach der Gültigkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO bestand ein allgemeines, über den Einzelfall hinausgehendes Interesse. Dies umso mehr, als in der vom Bund-Länder-Ausschuss "Handwerksrecht - Schornsteinfegerwesen" erlassenen Muster-Kehr- und Überprüfungsordnung (abgedr. in: Musielak/Schira/Manke, Schornsteinfegergesetz-Kommentar, 5. Aufl. 1998, Anhang I 11) für Abgaswege von Gasfeuerstätten ohne Unterschied lediglich eine Überprüfung und nur erforderlichenfalls eine Kehrung vorgesehen ist. Die anderen Bundesländer sind diesem Vorschlag grundsätzlich gefolgt (vgl. nur § 3 Abs. 2 und 3 KÜO Bayern; § 1 Abs. 2 KÜO Baden-Württemberg; § 5 Abs. 3 KÜO Hessen; § 3 Abs. 1 KÜO Nordrhein-Westfalen).

Das Oberverwaltungsgericht hat die von dem Kläger aufgeworfene Frage deshalb nicht als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen, weil sie sich "in Anwendung der einschlägigen Verordnungsregelung schon im Zulassungsverfahren beantworten" lasse. Diese Begründung wird dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Zulassungsantrag und dem von ihm eindeutig formulierten Klageziel nicht gerecht. Dessen Argumentation bezog sich gerade nicht auf die korrekte Anwendung der Kehr- und Überprüfungsordnung. Sie stellte vielmehr die Gültigkeit der Regelung in Frage. Die Gültigkeit der Norm konnte jedoch nur unter Hinweis auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, nicht aber unter Bezugnahme auf die vorhandene Regelung begründet werden. Hierzu bedurfte es der umfassenden Prüfung in einem Berufungsverfahren.

Auch der vom Oberverwaltungsgericht in anderem Zusammenhang gegebene Hinweis auf die Unterschiede zwischen Gasfeuerstätten für den planmäßigen Unterdruckbetrieb und solchen für den planmäßigen Überdruckbetrieb, der darin bestehe, dass bei ersteren verstärkt Verbrennungsrückstände aufträten, vermochte die Gültigkeitszweifel des Beschwerdeführers nicht ohne weiteres zu entkräften. Denn das Gericht hat einen Beleg für diese Annahme nicht benannt, was jedoch im Hinblick auf die glatte Oberfläche von Edelstahlrohren erforderlich gewesen wäre. Die Tragfähigkeit der Argumentation des Oberverwaltungsgerichts wird auch durch die im Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegte Stellungnahme des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Frage gestellt. Denn das Ministerium führt aus, dass die Gefahr bei solchen Anlagen weniger in der Konzentration oder Menge der Verbrennungsprodukte begründet liege als vielmehr in der Möglichkeit von Verstopfungen der Abgasleitung. Besteht die eigentliche Gefahr aber in der Möglichkeit von Querschnittsverengungen der Abgasleitungen, ist die Frage berechtigt, ob aus feuerpolizeilichen Gründen nicht lediglich eine Überprüfung mit anschließender Reinigung nur bei Bedarf ausreichend ist.

Konnte der Beschwerdeführer damit bereits bei verfassungskonformer Anwendung des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Zulassung der Berufung beanspruchen, kann dahingestellt bleiben, ob das Oberverwaltungsgericht auch hinsichtlich der anderen Gründe die Anforderungen an die Zulassung der Berufung überspannt hat. Nach den vorstehenden Ausführungen stand zumindest auch die Zulassung wegen tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeit der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) im Raum.

Es obliegt nun dem Oberverwaltungsgericht im Anschluss an die Zurückverweisung der Sache (§ 49 Abs. 3 VerfGHG) und nach Zulassung der Berufung, die Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 a KÜO auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen, was in tatsächlicher Hinsicht wohl nicht ohne Hilfe von Sachverständigen möglich sein wird.

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 VerfGHG). Der Ausspruch über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 21 a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG.



Ende der Entscheidung

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