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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 03.07.2008
Aktenzeichen: 1 A 396/07
Rechtsgebiete: SVwVfG, VwGO, StAG
Vorschriften:
SVwVfG § 48 | |
SVwVfG § 48 Abs. 1 S. 1 | |
SVwVfG § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 | |
VwGO § 130 a | |
StAG § 3 Abs. 2 |
Tenor:
Unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 218/06 - wird der Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2006 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger war ursprünglich pakistanischer Staatsangehöriger. Mit Einbürgerungsurkunde vom 20.5.1997, die ihm am 9.6.1997 ausgehändigt wurde, wurde er eingebürgert. Die Einbürgerung nahm der Beklagte mit Bescheid vom 5.5.2006, zugestellt am 6.5.2006, rückwirkend zum 9.6.1997 zurück. Begründet wurde das damit, der Kläger habe seine Einbürgerung erschlichen; mehrfach, auch im Einbürgerungsverfahren, habe er wahrheitswidrig behauptet, seine erste Ehefrau, eine Pakistanerin, sei am 21.6.1981 bei einem Verkehrsunfall umgekommen, und zum Beleg dieser Behauptung eine falsche Sterbeurkunde eingereicht; auf dieser Grundlage habe er am 16.12.1981 eine britische Staatsangehörige geheiratet; diese seit dem 31.12.1993 geschiedene Ehe sei bigamisch und daher von Anfang an nichtig gewesen; diese Ehe und das daraus abgeleitete EG-Aufenthaltsrecht seien aber die Grundlage für die Einbürgerung gewesen, die gemessen an den tatsächlichen Gegebenheiten nicht hätte erfolgen dürfen; bei diesen Gegebenheiten rechtfertige § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SVwVfG die Rücknahme.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 3.7.2007 ergangenes, dem Kläger am 7.8.2007 zugestelltes Urteil abgewiesen. Darin geht das Verwaltungsgericht von der Anwendbarkeit des § 48 SVwVfG auf Einbürgerungen aus, bejaht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung im konkreten Fall und führt mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, BVerfGE 116, 24, aus, die Rücknahmeentscheidung sei vorliegend "zeitnah" erfolgt; insoweit gebe es keine feste zeitliche Grenze und die Fallumstände sprächen durchgreifend dafür, die angefochtene Rücknahme der Einbürgerung zu billigen, denn dem Kläger dürfte spätestens, seit im Jahre 1999 seine Täuschung aufgedeckt worden sei, bewusst gewesen sein, dass seine Einbürgerung keinen Bestand haben werde, und er habe sich auch nach seiner Einbürgerung in die hiesigen Lebensverhältnisse nicht integriert; insgesamt gesehen verdiene er daher keinen Schutz gegen die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 7.9.2007 eingegangene Berufung, mit der der Kläger insbesondere geltend macht, die Rücknahmeentscheidung sei nicht "zeitnah" erfolgt und daher rechtswidrig.
Der Beklagte verteidigt sein Vorgehen und das erstinstanzliche Urteil und setzt sich in diesem Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.2.2008 - 5 C 4.07 -, NVwZ 2008, 685, kritisch auseinander.
Der Senat hat die Beteiligten zu einer Beschlussentscheidung nach § 130 a VwGO angehört.
II.
Der Senat hält die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Er macht daher von der durch § 130 a VwGO eröffneten Möglichkeit einer Beschlussentscheidung Gebrauch.
Die Rücknahmeentscheidung des Beklagten vom 5.5.2006 muss aufgehoben werden. Sie ist rechtswidrig, da sie erst acht Jahre und elf Monate nach der am 9.6.1997 erfolgten Aushändigung der Einbürgerungsurkunde an den Kläger und daher nicht mehr "zeitnah" erfolgt ist.
In seinem Urteil vom 24.5.2006 a.a.O., hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 48 (S)VwVfG die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung mit Blick auf die grundrechtlich geschützte Erwartung des Eingebürgerten in den Bestand dieses statusbegründenden Aktes nur zulässt, wenn die Rücknahme "zeitnah" erfolgt. Dieser zeitliche Aspekt bezieht sich auf die von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichene Zeitspanne. Dagegen ist der Zeitpunkt, zu dem die Behörde von den rücknahmebegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat, insoweit ohne Belang. Im Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, es sei dem Gesetzgeber vorbehalten, die Rechtsfolgen eines Fehlverhaltens im Einbürgerungsverfahren für den Bestand der Staatsangehörigkeit näher zu regeln.
In Konkretisierung dieser bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14.2.2008 a.a.O., entschieden, bei einem Zeitraum von achteinhalb Jahren zwischen Einbürgerung und Rücknahme könne nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden, und hat in diesem Zusammenhang weiter darauf hingewiesen, dass es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers sei, in dem durch Art. 16 Abs. 1 GG gesetzten Rahmen durch eine differenzierende Regelung sowohl den Anforderungen an rechtsstaatliche Bestimmtheit als auch der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem vom Bundesverfassungsgericht betonten Anliegen Rechnung zu tragen, dass "eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen darf".
Der Senat schließt sich der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an. Zuzustimmen ist dem Beklagten zwar sicherlich darin, dass es auch gute Gründe gegeben hätte, das Merkmal "zeitnah" anders - etwa in Anlehnung an § 3 Abs. 2 StAG im Sinne einer zwölfjährigen Frist - zu konkretisieren. Der Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, jedenfalls achteinhalb Jahre zwischen Aushändigung der Einbürgerungsurkunde und Rücknahme sei zu lange, wird denn auch nicht konkret aus dem Gesetz abgeleitet. Im Weiteren ist die Bewertung nachvollziehbar, der Kläger habe den Bestand seiner Einbürgerung "nicht verdient". Indes muss auch klar gesehen werden, dass sich der Bundesgesetzgeber bisher außerstande gesehen hat, die einschlägige Problematik selbst zu regeln und daher das Bundesverwaltungsgericht nach der Weichenstellung durch das Bundesverfassungsgericht gehalten war, gleichsam als "Ersatzgesetzgeber" eine äußerste Frist zu bestimmen, bei der auf der Grundlage der derzeit geltenden Bestimmungen eine Rücknahme ausgeschlossen ist. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht insoweit eine Zeitspanne von achteinhalb Jahren zwischen Aushändigung der Einbürgerungsurkunde und der Rücknahmeentscheidung als zu lange angesehen hat, ohne dass insoweit die Umstände des Einzelfalls eine Rolle spielen der mit dem Urteil vom 14.2.2008 - 5 C 4.07 -, a.a.O., entschiedene Verwaltungsrechtsstreit betraf ebenfalls einen Bigamiefall, haben sich daran die Verwaltungsgerichte und die Verwaltung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit zu halten.
Daher muss unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung der angefochtene Bescheid aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
Die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG und erfolgt in Anlehnung an die Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Ende der Entscheidung
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