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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 06.06.2007
Aktenzeichen: 1 B 145/07
Rechtsgebiete: FeV, VwGO


Vorschriften:

FeV § 11 Abs. 3
FeV § 11 Abs. 6 Satz 1
FeV § 11 Abs. 6 Satz 2
FeV § 11 Abs. 7
VwGO § 80 Abs. 5
1. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Fahrerlaubnisinhaber den körperlichen und geistigen Anforderungen für die Beförderung von Fahrgästen nicht mehr genügt, so bedarf es zur Klärung dieser Frage in aller Regel zunächst (lediglich) einer medizinischen Begutachtung.

2. Eine medizinisch-psychologische Doppelbegutachtung ist nur dann veranlasst, wenn neben den körperlichen und geistigen Eignungszweifeln zusätzlich Zweifel an der charakterlichen Eignung begründeterweise geltend gemacht werden.

3. Bei Fahrerlaubnisklassen im Zusammenhang mit einer Fahrgastbeförderung kann die Fahrerlaubnisbehörde die gebotene medizinische Begutachtung, wie sich aus Ziffer 2 der Anlage 5 der FeV ergibt, durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung anordnen.


Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsteller zur Last.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14.3.2007 - 10 L 72/07 - bleibt ohne Erfolg.

Durch die angefochtene Entscheidung wurde der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis für die Klassen D 1, D 1E, D und DE gemäß dem Bescheid des Antragsgegners vom 4.12.2006 zurückgewiesen. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung vom 11.4.2007 dargelegten Gründe, die allein der Senat zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben - auch unter Berücksichtigung der der Antragsbegründung beigefügten Kopien aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (3 Js 2774/06) sowie der ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 10.5.2007 - keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern.

Der Senat schließt sich den insgesamt überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss an, dass nach den im Einzelnen dargelegten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers ein hinreichender Gefahrenverdacht dahingehend besteht, dass diesem die Fahreignung für die mit einer Fahrgastbeförderung einhergehende Fahrerlaubnis der Klassen D 1, D1E, D und DE abzuerkennen ist.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der 1939 geborene Antragsteller in gesundheitlicher Hinsicht mehrfach beeinträchtigt ist. So erfolgte bei ihm bereits 1994 aufgrund "einer langstreckigen Koronarsklerose" eine Bypass-Operation vgl. dazu das Fachärztliche Attest von Dr. med. R. vom 31.8.2006 (Bl. 84 der Behördenakte).

Unstreitig wurde bei ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt vgl. dazu die Arbeitsmedizinische Begutachtung des Dr. med. K. vom 8.2.2007, in welcher die "Schrittmacherversorgung" Erwähnung findet.

Im Januar 2005 musste ihm aufgrund eines akuten arteriellen Verschlusses der linke Oberschenkel amputiert werden vgl. das bereits genannte Attest des Dr. med. R. vom 31.8.2006; in der Arbeitsmedizinischen Begutachtung des Dr. med. K. vom 13.6.2005 (Bl. 7-10 der Behördenakte) ist allerdings von der Amputation des "linken Unterschenkels" die Rede.

Der Antragsteller leidet - so das bereits erwähnte Attest des Dr. R. vom 31.8.2006 - zudem an einer "insulinpflichtigen Diabetes".

Von diesem komplexen, ärztlicherseits überwachungs- und behandlungsbedürftigen Krankheitsbild ausgehend, kann sodann der vom Antragsteller am 26.9.2006 verschuldete Verkehrsunfall in keiner Weise, wie dies der Antragsteller und seine Prozessbevollmächtigten versuchen vgl. dazu den Schriftsatz vom 14.12.2006 sowie die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers gleichen Datums, verharmlost werden. Ausweislich der Verkehrsunfallanzeige vom 26.9.2006 vgl. Bl. 50-52 der Behördenakte, missachtete der Antragsteller, der nach Schulschluss ca. 30 Schüler mit dem von ihm geführten KOM beförderte, die Vorfahrtsregel "rechts vor links" in einem Bereich, wo die Geschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war. Es handelte sich mithin um eine Örtlichkeit, die dem Antragsteller als Lenker eines Schulbusses genauestens bekannt sein musste, was die Kenntnis der "bedingten Übersichtlichkeit" - so der Polizeibericht - einschließt. Wenn in der Verkehrsunfallanzeige von dem polizeilichen Sachbearbeiter unter der Rubrik "Verkehrstüchtigkeit (ggf. Ausfallerscheinungen)" vermerkt worden ist, "Person erschien zerstreut, unkonzentriert, Verkennung der Realität in Bezug auf das Unfallgeschehen", so gibt dies vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen gesundheitlichen und körperlichen Beeinträchtigungen durchaus Veranlassung, die Eignung des Antragsteller zumindest unter dem Gesichtspunkt seiner Befugnis zur Fahrgastbeförderung mit den in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen (vgl. dazu § 6 FeV) in Frage zu stellen. Der vom Antragsteller bzw. seinen Prozessbevollmächtigten gegenüber der Polizei erhobene Vorwurf der Voreingenommenheit, der (u.a.) in der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Polizeikommissar F. vom 1.9.2006 Ausdruck findet, kann nach den Gegebenheiten, wie sie sich (bisher) für den Senat darstellen, nicht gegenüber Polizeioberkommissar St. durchdringen, der den Verkehrsunfall vom 26.9.2006 bearbeitet hat.

Besteht nach alldem ein hinreichender Gefahrenverdacht, der einen Eignungsmangel hinsichtlich der in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen als naheliegend erscheinen lässt, so ist eine Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers durchaus veranlasst. Bei einer sachangemessenen Überprüfung der körperlichen und geistigen Eignung werden in einer Situation, wie sie sich hier darstellt, Grundrechte des Antragstellers wie die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), insbesondere aber auch der verfassungsrechtlich geschützte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nicht verletzt vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 24.6.1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69 (85 f.) = NJW 1993, 2365, vom 20.6.2002 - 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378, und vom 8.7.2002 - 1 BvR 2428/95 -, NJW 2002, 2381; BVerwG, Urteil vom 5.7.2001 - 3 C 13/01 -, NJW 2002, 78 (79).

Im Weiteren teilt der Senat die vom Verwaltungsgericht eingehend begründete Auffassung, dass der Antragsgegner dem Antragsteller nicht, wie dies § 11 Abs. 6 Sätze 1 und 2 FeV vorschreibt, in der gebotenen Weise nachvollziehbar erklärt hat, aus welchen Gründen er sich neben einer medizinischen auch einer psychologischen, also einer Doppelbegutachtung zu unterziehen habe. Sowohl in dem Schreiben des Antragsgegners vom 17.8.2006 als auch in dem ergänzenden Schreiben vom 9.10.2006 wird die Notwendigkeit einer gutachterlichen Untersuchung im Kern und der Sache nach allein damit begründet, dass nach den im Einzelnen aufgeführten Eignungszweifeln zu klären sei, ob der Antragsteller die körperlichen und geistigen Anforderungen für die Beförderung von Fahrgästen erfüllt. Zweifel an seiner charakterlichen Fahreignung, wie sie vom Antragsgegner - soweit ersichtlich - erstmals vor dem Senat mit Schriftsatz vom 2.5.2007 angedeutet werden, können, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (Seite 6 des Beschlusses), nicht nachträglich zur Rechtfertigung der konkreten Gutachtenanordnung geltend gemacht werden. Um die körperliche und geistige Eignung des Antragstellers zur Fahrgastbeförderung zu klären, bedarf es indes - jedenfalls zunächst - lediglich einer medizinischen Begutachtung. Diese ist im Übrigen durch die vom Antragsteller vorgelegte (weitere) "Arbeitsmedizinische Begutachtung" des Dr. med. K. vom 8.2.2007, in welcher nunmehr neben der "Oberschenkelamputation links" (im Gutachten desselben Arztes vom 13.6.2005 war abweichend hiervon - wie bereits erwähnt - von der Amputation des linken Unterschenkel die Rede) auch die "Schrittmacherversorgung" erwähnt wird, nicht entbehrlich geworden. Denn nötig ist eine interdisziplinäre Abklärung, ob und inwieweit die beim Antragsteller bestehenden körperlichen (Amputation des linken Ober- oder Unterschenkels) und gesundheitlichen (Herzprobleme und insulinpflichtige Diabetes) Beeinträchtigungen sich auf seine Fahreignung in Bezug auf die Personenbeförderung in Fahrzeugen mit mehr als acht Sitzplätzen (Fahrerlaubnisklassen D und D1 - § 6 Abs. 1 FeV -) auswirken. Diese fahreignungsrelevante umfassende Begutachtung der beim Antragsteller bestehenden körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht noch aus und ist vom Antragsgegner - sofern er nicht § 11 Abs. 7 FeV als gegeben ansieht - im Rahmen des noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens in die Wege zu leiten. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass es dem Antragsgegner nicht verwehrt ist, vom Antragsteller die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu verlangen. Das ergibt sich - worauf der Antragsgegner zu Recht hingewiesen hat - mittelbar aus Ziffer 2 der Anlage 5 der FeV. Damit ist indes noch keine medizinisch-psychologische Doppelbegutachtung möglich, wie sie grundsätzlich nur unter den in § 11 Abs. 3 FeV (sowie den dort einbezogenen Vorschriften, insbesondere §§ 13, 14 FeV) festgelegten Voraussetzungen verlangt werden kann. Will die Fahrerlaubnisbehörde eine Doppelbegutachtung, muss sie die für die aus ihrer Sicht erforderliche psychologische Begutachtung maßgeblichen Umstände offen legen.

In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht auch der Senat von einer hauptsacheoffenen Situation bezüglich der zu überprüfenden Fahreignung des Antragstellers aus ggf. muss im gerichtlichen Hauptsacheverfahren bezogen auf die letzte behördliche Entscheidung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden, ob die Kraftfahreignung des Antragstellers in Bezug auf die hier in Rede stehenden Fahrerlaubnisklassen gegeben war, vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11.7.1985 - 7 C 33/83 -, NJW 1986, 1562.

Dass dabei im Rahmen der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zur Abwendung von Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer dem öffentlichen Interesse an einem vorläufigen Vollzug der angegriffenen Verwaltungsentscheidung Vorrang einzuräumen ist vor den privaten Interessen des Antragstellers, vorerst weiter als Busfahrer tätig zu sein, hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der aufgezeigten Eignungszweifel zu Recht festgestellt. Der Senat macht sich die entsprechenden Ausführungen zu Eigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Nrn. 1.5 und 46.12 abgedruckt u.a. in NVwZ 2004, 1327.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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