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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: 1 B 331/07
Rechtsgebiete: SStrG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

SStrG § 2 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 929 Abs. 2
Die Zustimmung des privaten Grundstückseigentümers zur Widmung kann ebenso wie die Widmung als solche inhaltlich beschränkt werden, etwa darauf, dass nur für den Fußgängerverkehr gewidmet werden darf.

Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SStrG, nach der unselbständige Gehwege Teil der öffentlichen Straße sind, bewirkt nicht, dass eine dergestalt beschränkt erteilte Zustimmung mit der Widmung(sfiktion) hinfällig wird und der Straßenbaulastträger die Straße fortan beliebig umgestalten könnte. Will er einen Teil des Gehweges der Fahrbahn zuschlagen, muss er die für die Widmung geltenden gesetzlichen Vorgaben beachten.

Wird der Sachverhalt durch Besonderheiten geprägt, deren Zusammenwirken den Eintritt der Rechtsfolge der §§ 123 Abs. 3 VwGO, 929 Abs. 2 ZPO fallbezogen als unangemessen erscheinen lassen, so beanspruchen die genannten Vorschriften ausnahmsweise keine Geltung.


Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20. Juni 2007 - 11 L 737/07 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt, den Gehweg vor dem Grundstück der Antragsteller, U. Straße ..., für eine Benutzung durch Kraftfahrzeugverkehr auszubauen.

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang durch den Senat beschränkte Beschwerdevorbringen im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 20.7.2007 ist nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu erschüttern.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Bestehen eines Anordnungsanspruchs bejaht. Bei der gebotenen nur summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Antragsgegnerin weder aufgrund der Widmung der U. Straße als öffentliche Straße noch nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 SStrG berechtigt, den derzeit 1,50 m breiten Gehweg vor dem Grundstück der Antragsteller gegen deren Willen um bis zu einem Drittel auf zwischen 1,04 m und 1,25 m zu verschmälern. Von der Möglichkeit, den Verlauf und die dem Fußgänger- beziehungsweise dem Fahrzeugverkehr vorbehaltenen Flächen durch Erlass eines Bebauungsplans (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) festzusetzen, was ihr erforderlichenfalls die Einleitung eines Enteignungsverfahrens ermöglichen würde, hat die Antragsgegnerin bisher keinen Gebrauch gemacht. Da eine Duldungspflicht der Antragsteller mithin nicht erkennbar ist, können diese aufgrund der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB einstweiligen Rechtsschutz in Form der vorläufigen Untersagung der geplanten Baumaßnahmen beanspruchen.

Die U. Straße gilt gemäß § 63 SStrG als gewidmet. Unstreitig handelt es sich um eine bereits zur Zeit des Inkrafttretens des Saarländischen Straßengesetzes im Jahr 1965 existente Straße. Nach § 63 SStrG gelten alle Straßen, Wege und Plätze, die bisher dem öffentlichen Verkehr zu dienen bestimmt waren, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Saarländischen Straßengesetzes an als dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Tatbestandliche Voraussetzung dieser Widmungsfiktion ist, dass die Straße bestimmt war, dem öffentlichen Verkehr zu dienen. Die Bestimmung einer Straße, dem öffentlichen Verkehr zu dienen, setzt voraus, dass der Verfügungsberechtigte im maßgeblichen Zeitpunkt mit der damaligen Zwecksetzung der Wegefläche einverstanden war. (Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, Rdnr. 509) Damit ist der Umfang des erteilten Einverständnisses betreffend den künftigen Gemeingebrauch neben dem tatsächlichen Ausbauzustand ein wichtiges Kriterium für die Ermittlung des Widmungsinhalts. Im Fall der förmlichen Widmung nach § 6 SStrG sind bei der Ermittlung des sachlichen Umfangs der Widmung neben den im Text vorgesehenen Einschränkungen der Benutzungsarten, Benutzerkreise oder ähnlichem ebenfalls die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich, etwa die Art und Beschaffenheit des Weges zum Zeitpunkt der Widmung. (Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kapitel 7 Rdnr. 2.3; Sauthoff, a.a.O., Rdnrn. 185 und 553) Dem Gemeingebrauch an einer Straße werden durch deren bau- und verkehrstechnische Beschaffenheit Grenzen gezogen. Soweit der zulässige Gebrauch durch die Widmung nicht ausdrücklich auf ein bestimmtes Maß begrenzt ist, ergibt sich die sachenrechtliche Beschränkung des Gemeingebrauchs aus der erkennbaren technischen Zweckbestimmung der Straße und ihrer einzelnen Teile. Darauf gründet sich zum Beispiel die Beschränkung des Gebrauches eines Gehweges auf den Verkehr für Fußgänger, auch wenn die Widmungsverfügung für die Straße, zu der der Gehweg gehört, hierüber nichts enthält. (Kodal/Krämer, a.a.O., Kapitel 7 Rdnr. 15.5; Sauthoff, a.a.O., Rdnr. 598) Gemessen an den für die Auslegung des Widmungsinhalts maßgeblichen Kriterien, nämlich dem Willen der die Zustimmung erteilenden Eigentümer und den bisherigen tatsächlichen Ausbauverhältnissen, entbehrt die seitens der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, die beabsichtigte Inanspruchnahme eines Teils des bisher als Gehweg genutzten Grundstücksstreifens der Antragsteller als Fahrbahnfläche entspreche vorliegend der nach § 63 SStrG fingierten Widmung, der Grundlage. Insbesondere lässt sich aus der straßenrechtlichen Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 3 SStrG, wonach unselbständige Gehwege Teil der öffentlichen Straße sind, nicht herleiten, dass eine zulässigerweise beschränkt erteilte Zustimmung des privaten Grundstückseigentümers ausschließlich zu einer bestimmten Nutzung seines Grundstückseigentums mit der Widmungsfiktion hinfällig wird und der Straßenbaulastträger die Straße fortan beliebig umgestalten könnte. Denn die gemäß § 6 Abs. 3 SStrG erforderliche - ausdrücklich schriftlich oder mündlich zu erteilende - Zustimmung des privaten Grundstückseigentümers zur Widmung ist zwar grundsätzlich unwiderruflich und bindet als öffentlich-rechtliche Verfügung auch den Rechtsnachfolger im Grundstückseigentum; sie kann aber - wie ausgeführt - ebenso wie die Widmung als solche inhaltlich beschränkt werden, etwa darauf, dass nur für Fußgängerverkehr gewidmet werden darf. (Sauthoff, a.a.O., Rdnrn. 105, 106, 110 und 112.) Ist eine solche Einschränkung wirksam erfolgt, was vorliegend außer Zweifel steht, gilt sie nicht nur für den Zeitpunkt der Widmung, sondern auch für die Zukunft.

Vorliegend steht außer Streit, dass die Rechtsvorgänger der Antragsteller, die zur Zeit der Anlegung des Gehweges der U. Straße Grundstückseigentümer waren, ihre Zustimmung - ausschließlich - dazu erteilt haben, dass ein 1,50 m breiter Streifen des Grundstücks als Gehweg ausgebaut und genutzt wird; das heißt, sie waren damit einverstanden, dass dieser Grundstücksstreifen die Bestimmung erhält, dem öffentlichen Fußgängerverkehr zu dienen. Dieses Einverständnis bindet einerseits die Antragsteller als Rechtsnachfolger und zeigt andererseits die Grenzen einer mit Blick auf die Eigentümerrechte rechtmäßigen Widmung auf. Der bisherige Ausbauzustand - insbesondere die Aufteilung in Gehweg und Fahrbahn - entsprach der erteilten Zustimmung. Bei dieser Sachlage darf der für den Fußgängerverkehr gewidmete Grundstücksstreifen der Antragsteller nicht ohne weiteres einer Nutzung als Fahrbahnfläche zugeführt werden. (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.10.1987 - 6 A 44/85 -, KStZ 1988, 94)

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Antragsgegnerin auf Dauer gehindert wäre, den als Gehweg gewidmeten Grundstücksstreifen als Fahrbahnfläche zu nutzen. Will sie die Zweckbestimmung der Gehwegfläche dahingehend ändern, dass diese teilweise dem Fahrzeugverkehr zur Verfügung gestellt wird, so verbleibt ihr - falls nicht bereits die Widmungsfiktion des § 6 Abs. 7 SStrG eingreift - neben der bereits angesprochenen Möglichkeit der Bauleitplanung die Möglichkeit, die Zustimmung der Grundstückseigentümer zu der neuen Zweckbestimmung einzuholen oder, sofern diese verweigert wird, unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 SStrG von der ihr dort zugestandenen Befugnis, die Rechte des Eigentümers in dem Umfang auszuüben, in dem dies die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert, Gebrauch zu machen.

Ein Fall des § 6 Abs. 7 SStrG kommt vorliegend nicht in Betracht. Die Vorschrift sieht vor, dass, wenn eine Straße verbreitert, begradigt, unerheblich verlegt oder im Querschnitt ergänzt wird, der neue Straßenteil durch die - vorliegend noch ausstehende - Verkehrsübergabe als gewidmet gilt, sofern die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 SStrG erfüllt sind, also entweder der Träger der Straßenbaulast das dingliche Recht hat, über das der Straße dienende Grundstück zu verfügen, oder der Eigentümer oder ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt hat beziehungsweise der Träger der Straßenbaulast in den Besitz des der Straße dienenden Grundstücks eingewiesen ist. Verfahrensbezogen scheitert die Annahme einer Widmungsfiktion nach § 6 Abs. 7 SStrG jedenfalls am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 SStrG. Weder sind die Antragsteller als Eigentümer derzeit bereit, ihre Zustimmung zu der beabsichtigten Neufestlegung des Widmungsinhalts zu erteilen, noch ist eine Einweisung der Antragsgegnerin in den Besitz des der Straße dienenden Grundstücks im Sinne der enteignungsrechtlichen Vorschriften (vgl. hierzu § 44 a SStrG) erfolgt. Der Antragsgegnerin steht auch kein dingliches Recht im Sinne des § 6 Abs. 3 SStrG zu, über das der Straße dienende Grundstück zu verfügen; insbesondere begründet § 11 Abs. 1 SStrG kein dingliches Recht der Antragsgegnerin, über das Eigentum der Antragsteller zu verfügen, da die Vorschrift das Eigentum nicht auf die Antragsgegnerin verlagert, sondern dieser lediglich - unter bestimmten Voraussetzungen - die Ausübung der Rechte des Eigentümers zugesteht.

Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer durch § 11 Abs. 1 SStrG begründeten Befugnis der Antragsgegnerin, die Rechte des Eigentümers, also unter anderem das Recht, die Zustimmung anstelle der Antragsteller mit der Folge zu erteilen, dass diese zur Duldung verpflichtet wären, (Niedersächsische OVG, Beschluss vom 28.2.2007 - 12 ME 95/07 -, juris) ausüben zu dürfen, erfüllt sind, ist sehr zweifelhaft, zumal die vorliegende Problematik sicherlich nicht zu den typischerweise durch die Vorschrift geregelten Fallgestaltungen gehört. Grundsätzlich zielen die straßenrechtlichen Vorschriften auf ein zügiges Zusammenführen von Eigentum und Straßenbaulast (§ 11 Abs. 2 und 3 SStrG) und wird den gemeindlichen Straßenbaulastträgern erforderlichenfalls durch die Möglichkeit der Bauleitplanung ein wirksames Instrumentarium an die Hand gegeben. Legt man ungeachtet dieser Bedenken vorliegend die Kriterien des § 11 Abs. 1 SStrG an, so ist entscheidend, ob die Antragsgegnerin durch ihren Beschluss, die Straße plangemäß umzugestalten, anstelle der Antragsteller die Zustimmung zu der künftigen Nutzung eines Teils der bisher dem Fußgängerverkehr gewidmeten Fläche als Fläche für den fließenden Verkehr wirksam erteilt und die Zustimmung der Antragsteller hierdurch ersetzt hat. Bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen nur summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht allerdings mehr gegen als für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 SStrG.

Nach genannter Vorschrift steht der Antragsgegnerin als Straßenbaulastträgerin für die Gemeindestraßen innerhalb ihres Gemeindegebietes (§ 50 SStrG) die Ausübung der Rechte (und Pflichten) der Grundstückseigentümer - der Antragsteller - in dem Umfang zu, wie es die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauch erfordert. Nach § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SStrG umfasst die Straßenbaulast alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straße zusammenhängenden Aufgaben. Die Träger der Straßenbaulast haben nach ihrer Leistungsfähigkeit die Straßen in einem dem gewöhnlichen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. Geänderte Verkehrsbedürfnisse können dem Straßenbaulastträger daher durchaus Anlass zu einer Neustrukturierung der Straßenunterteilung geben. Vorliegend spricht allerdings nach bisherigem Erkenntnisstand wenig dafür, dass die Verbreiterung der Fahrbahn zu Lasten der Gehwegbreite zur Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erforderlich ist.

Die Antragsgegnerin argumentiert damit, dass die Verbreiterung der U. Straße, deren Fahrbahn bisher zwischen 5 m und 6 m variiert hat, zur Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erforderlich sei, weil sie die Funktion einer Ortsverbindungsstraße (zwischen Wahlen und Rissenthal) erfülle und nach den Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen - EAE 85/95 - für den ihrer Auffassung nach maßgeblichen Begegnungsfall Bus/Bus selbst bei verminderter Geschwindigkeit eine Fahrbahnbreite von 6 m notwendig sei. Zwar finde kein öffentlicher Personennahverkehr durch die U. Straße statt, doch verkehrten der Kindergartenbus und der Schulbus mehrmals am Tag durch die Straße. Des Weiteren befänden sich im näheren beziehungsweise weiteren Einzugsbereich mehrere Aussiedlerhöfe, die mit schweren landwirtschaftlichen Maschinen bewirtschaftet würden, sowie am Ortsausgang von Wahlen ein ausgewiesenes Gewerbegebiet, was einen Begegnungsverkehr mit Lastkraftwagen bedinge. Um eine Inanspruchnahme der Gehwege im Begegnungsfall zu vermeiden, sei die Verbreiterung der Fahrbahn auf 6 m daher geboten. Dem stehe nicht entgegen, dass im unteren Straßenbereich eine Engstelle mit einstreifiger Verkehrsführung wegen der vorhandenen Bebauung rechts und links der Straße unvermeidbar gewesen sei. Die Anforderungen der EAE 85/95 an die Breite von Gehwegen würden bis auf wenige Ausnahmen eingehalten. Dies sei vertretbar, wenn bei beengten Verhältnissen andernfalls auf Gehwegflächen verzichtet werden müsste.

Gemessen an den Empfehlungen der EAE 85/95 und der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Funktionsfähigkeit von Gehwegen überzeugt diese Argumentation bei summarischer Betrachtung nicht.

Zunächst ist fraglich, ob der Begegnungsfall Bus/Bus, der nach den EAE 85/95 (S. 29) den höchsten Bedarf an Fahrbahnbreite, nämlich bei verminderter Geschwindigkeit von maximal 40 km/h eine empfohlene Breite von 6 m, auslöst, während der Begegnungsfall Lkw/Lkw lediglich einen Raumbedarf von 5,50 m begründet, als maßgeblich zu erachten ist. Unter Ordnungsziffer 4.2.5. heißt es hierzu, dass aufgrund der maßgebenden Funktion der Straßenverkehrsanlage und der Fahrtenhäufigkeit zu entscheiden ist, welche Begegnungsfälle und Fahrweisen der Bemessung zugrunde zu legen seien. Da unstreitig ist, dass öffentlicher Personennahverkehr nicht stattfindet und Kindergarten- beziehungsweise Schulbusse naturgemäß nur zu bestimmten Zeiten verkehren, leuchtet die angebliche Notwendigkeit, auf den Begegnungsfall Bus/Bus abzustellen und damit die bei verminderter Geschwindigkeit höchste empfohlene Fahrbahnbreite für Erschließungsstraßen zu wählen, nicht ohne Weiteres ein.

Hinzu kommt, dass die EAE 85/95 der Sicherheit des Fußgängerverkehrs durchaus zentrale Bedeutung einräumt (zum Beispiel Ziffern 4.1.2., 4.2.2., 5.2.1.3.) und für straßenbegleitende Gehwege vorgibt, dass eine Breite von 2 m nach Möglichkeit nicht unterschritten werden sollte. (ebenso in Anknüpfung an die EAE 85/95: BayVGH, Urteil vom 11.6.2002 - 6 B 97.2354 - juris) Selbst hinsichtlich Gehwegbreiten von 1,50 m heißt es in den EAE 85/95, dass Überholen, Nebeneinandergehen und Begegnen von Fußgängern mit Einhaltung psychologisch erwünschter Mindestabstände nur bedingt möglich seien. Bei Mitführen von Taschen oder ähnlichem sei ein häufiges Ausweichen auf benachbarte Flächen nötig (S. 27). Nach Ziffer 5.2.1.3. der Empfehlungen ist in der Nähe von Schulen und Freizeiteinrichtungen eine durchlaufende Mindestbreite von 3 m anzustreben, eine Empfehlung, die vorliegend trotz des Vorhandenseins einer Schule in der U. Straße und der in unmittelbarer Nähe befindlichen Sport- und Kulturhalle (Planungsunterlagen Übersichtskarte) offenbar keine Beachtung gefunden hat. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bedingt die Verschmälerung eines durchschnittlich 1,52 m breiten Gehwegs auf etwa 1,12 m einen beachtlichen Qualitätssprung nach unten, da ein Nebeneinandergehen und der Begegnungsverkehr erheblich eingeschränkt beziehungsweise unmöglich gemacht würden und die Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs daher deutlich erschwert werde. (BayVGH, Urteil vom 26.3.2002 - 6 B 96.3901 - juris)

Im Übrigen ist fraglich, ob es gerade bei Straßen, die nicht nur der innerörtlichen Erschließung dienen, sondern als Ortsverbindungen auch überörtliche Bedeutung haben, vertretbar ist, den den Fußgängern zur Verfügung stehenden Raum zugunsten des fließenden Verkehrs teilweise drastisch einzuschränken, zumal breitere Fahrbahnen üblicherweise zu einer schnelleren Fahrweise verlocken, was die Schutzbedürftigkeit der Gruppe der Fußgänger tendenziell erhöht.

Nach alledem drängt sich bei summarischer Prüfung keineswegs auf, dass die Verbreiterung der Fahrbahn auf Kosten der Gehwege im Sinne des § 11 Abs. 1 SStrG zur Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erforderlich ist. Mit Blick auf das Ausbauinteresse der Antragsgegnerin ist die Sach- und Rechtslage günstigstenfalls als offen zu erachten. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der vorgenommenen Interessenabwägung zu Recht die Interessen der Antragsteller als vorrangig erachtet. Auf die diesbezügliche Argumentation wird verwiesen.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht daraus, dass den Antragstellern ein treuwidriges Zuwarten mit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes vorzuwerfen wäre. Insoweit gibt die Aktenlage keine Hinweise darauf, dass den Antragstellern vor Erhalt des Schreibens vom 30.5.2007 definitiv bekannt gewesen wäre, dass der Gehweg vor ihrem Grundstück auf eine Breite von 1,04 bis 1,25 m verschmälert werden soll. Nichts desto trotz haben sie schon im Vorfeld dieser Information keinen Zweifel daran gelassen, dass sie mit einer Nutzung ihres Grundeigentums für Zwecke des Kraftfahrzeugverkehrs nicht einverstanden sind. Es wäre daher Sache der Antragsgegnerin gewesen, vor Beginn der Bauarbeiten für klare rechtliche Verhältnisse zu sorgen.

Ebenso wenig lässt sich unter den konkreten Gegebenheiten aus den §§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. 929 Abs. 2 ZPO herleiten, dass die seitens des Verwaltungsgerichts erlassene einstweilige Anordnung aufzuheben wäre.

Die genannten Vorschriften sehen vor, dass aus einer einstweiligen Anordnung binnen einer Frist von einem Monat die Vollstreckung zu betreiben ist. Ist die Monatsfrist verstrichen, so wird die Vollziehung unstatthaft. Nach allgemeiner Auffassung (vgl. zum Beispiel Bader/Funke-Kaiser, VwGO, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 123 Rdnrn. 76 und 77; Eyermann/Fröhler, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 123 Rdnr. 84; Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 123 Rdnr. 135) führt dies dazu, dass der Vollstreckungsschuldner - vorliegend die Antragsgegnerin - im Rahmen eines anhängigen Beschwerdeverfahrens die Aufhebung der einstweiligen Anordnung beziehungsweise - sofern keine Beschwerde anhängig ist - entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO die Abänderung der einstweiligen Anordnung beantragen kann. Nach Aufhebung der einstweiligen Anordnung ist der Vollstreckungsgläubiger nicht gehindert, eine neue einstweilige Anordnung zu beantragen, worüber nach den dann maßgeblichen Umständen neu zu entscheiden ist. Auch der erkennende Senat hat diese Auffassung in mehreren Beschlüssen vertreten. (OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 10.3.1982 - 1 W 19/82 - und vom 11.5.1987 - 1 W 98/87-, SKZ 1987, 302 LS 41) Allerdings erscheint unter den Besonderheiten der vorliegenden Fallkonstellation eine Ausnahme geboten. (zu einer weiteren Ausnahmekonstellation im Falle der Bereitschaft der Behörde, die einstweilige Anordnung bei Unterliegen im Beschwerdeverfahren zu befolgen, vgl.: BayVGH, Beschluss vom 24.4.2001 - 12 CE 00.1337 -, juris)

Zunächst ist Gegenstand der einstweiligen Anordnung ein Unterlassungsgebot, wobei hinsichtlich Unterlassungsverfügungen zum Teil mit der Begründung, dass diese sich praktisch von selbst ohne zusätzliche Initiative des Vollstreckungsgläubigers vollzögen, die Auffassung vertreten wird, dass diesbezüglich bereits in der Zustellung der einstweiligen Anordnung der fristwahrende Vollzug im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO zu sehen sei. (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand Februar 2007, § 123 Rdnr. 173) Ob dieser Meinung, für die durchaus gewichtige Gründe sprechen, beizupflichten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Antragsgegnerin selbst, vertreten durch ihren Bürgermeister, hat den Antragstellern binnen der laufenden Monatsfrist mit Schreiben vom 4.7.2007 unter Hinweis auf die anstehende gerichtliche Entscheidung ausdrücklich bestätigt, dass sie im Bereich vor dem Grundstück der Antragsteller keine weiteren Arbeiten durchführen werde, um keine Fakten zu schaffen. Angesichts dieser verbindlichen Festlegung, die im Einklang mit der im Gerichtsbezirk üblichen Praxis der Verwaltungsbehörden steht, in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen gerichtlichen Entscheidungen während des laufenden Verfahrens Folge zu leisten, hätte sich hinsichtlich der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Antragsteller durchaus die Frage nach deren Rechtsschutzbedürfnis gestellt. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin ihre Beschwerde erst am 20.6.2007, dem letzten Tag der Beschwerdefrist, begründet, sich in der Begründungsschrift sofort auf das Verstreichen der Vollstreckungsfrist, die ebenfalls am 20.6.2007 abgelaufen ist, berufen hat und im Übrigen zum Teil Argumente vorgetragen hat, die es notwendig gemacht haben, den Antragstellern vor Erlass einer Entscheidung Gelegenheit zur Gegenäußerung einzuräumen. Eine Entscheidung des Senats binnen der Monatsfrist der §§ 123 Abs. 3 VwGO, 929 Abs. 2 ZPO über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Anordnung war daher ausgeschlossen. Demgegenüber bestand für die Antragsteller - wie ausgeführt - während der laufenden Vollstreckungsfrist mit Blick auf die schriftliche Zusicherung der Antragsgegnerin aus tatsächlichen Gründen keine Veranlassung, Maßnahmen zur Vollstreckung der seitens des Verwaltungsgerichts erlassenen einstweiligen Anordnung einzuleiten.

Schließlich würde es in Anbetracht der den Antragstellern eröffneten Möglichkeit, sofort einen neuen Unterlassungsantrag beim Verwaltungsgericht einzureichen, über den mangels einer zwischenzeitlichen Änderung der maßgeblichen Verhältnisse unter unveränderten Rahmenbedingungen zu entscheiden wäre, dem Gebot des effektiven Rechtschutzes widersprechen, die Antragsteller auf diesen Weg zu verweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit der bereits seitens des Verwaltungsgerichts in Bezug genommenen Empfehlung unter Nr. 43.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und berücksichtigt die Vorläufigkeit des Verfahrens.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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