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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 2 B 207/08
Rechtsgebiete: AufenthG, AufenthV


Vorschriften:

AufenthG § 10 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 10 Abs. 3 Satz 3
AufenthG § 60a
AufenthG § 60a Abs. 2 Satz 1
AufenthV § 39
Der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG geregelte Ausnahmefall des Bestehens eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung des Aufenthaltstitels, der die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an abgelehnte Asylbewerber vor einer Ausreise beseitigt, erfasst nur Fälle, in denen der Anspruch in den besonderen Vorschriften des Aufenthaltsrechts ausdrücklich (zwingend) vorgegeben ist, wohingegen eine so genannte Ermessensreduzierung "auf Null" in Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber die Erteilung des Titels in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt hat, nicht genügt.

Die Sonderregelung in § 39 AufenthV, wonach ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, setzt in der dortigen Nr. 5 neben dem Erwerb eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Eheschließung im Bundesgebiet notwendig voraus, dass eine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist. Das Vorliegen rechtlichen Unmöglichkeit im Verständnis des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann daher insoweit nicht allein aus der Heirat hergeleitet werden.


Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. April 2008 - 2 L 226/08 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger und hält sich seit November 2002 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ein nach der Einreise gestellter Asylantrag wurde im Mai 2004 verbunden mit Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung abgelehnt. (vgl. den Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 4.5.2004 - 2803277-439 -) Rechtsbehelfe dagegen blieben ohne Erfolg. (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 30.11.2005 - 5 K 28/05.A -) Sein Aufenthalt wird seither geduldet. Bereits in den Jahren 2003 und 2004, aber auch danach, wurde der Antragsteller mehrfach an verschiedenen Orten außerhalb des Bereichs der ihm erteilten Aufenthaltsgestattung, insbesondere auch in Frankreich, angetroffen. (vgl. die Strafbefehle des Amtsgerichts Lebach vom 6.10.2005 - 31 Js 752/05 - betreffend zwei Aufenthalte in Frankreich, vom 22.2.2006 - 11 Js 1952/04 - betreffend Aufenthalte des Antragstellers in Kaiserlautern und Duisburg, vom 23.10.2006 - 11 Js 928/06 - und vom 17.10.2006 - 11 Js 955/06 -)

Am 28.6.2007 heiratete der Antragsteller in A-Stadt die deutsche Staatsangehörige M. S. Im Juli 2007 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt nicht über den Antrag entschieden worden war, erhob der Antragsteller am 25.1.2008 beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage. Eine Entscheidung über diesen Rechtsbehelf liegt nicht vor.

Durch Bescheid vom 27.2.2008 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ab. In der Begründung heißt es, der Antragsteller erfülle nach seiner Heirat zwar die speziellen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 AufenthG für den Ehegattennachzug. Aufgrund der illegalen Einreise in das Bundesgebiet ohne Visum sei aber die allgemeine Voraussetzung nicht erfüllt. Die Ausnahmeregelung nach § 39 Nr. 5 AufenthV greife nicht ein. Bei dem Antragsteller lägen auch die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ausweisung vor. Er habe durch eine Reihe von Zuwiderhandlungen gegen die Aufenthaltsbeschränkung nicht nur vereinzelt gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die durch Strafbefehle beziehungsweise Bußgeldbescheide geahndet worden seien. Die Rechtsverstöße seien auch nicht geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Eine Entscheidung, ob mit Blick auf die familiären Bindungen des Antragstellers auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ein Regel- oder ein Ausnahmefall vorliege, "komme nicht in Betracht". Nach der verdrängenden Spezialvorschrift in § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG stehe die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in seinem - des Antragsgegners - Ermessen. Zwar könne nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch dann von Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum abgesehen werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar sei, das Visumsverfahren nachzuholen. Es sei aber nicht erkennbar, warum es dem Antragsteller nicht zumutbar sein sollte, sich in das Heimatland zu begeben, um von dort aus das vorgeschriebene Visumsverfahren nachzuholen. Beachtliche Nachteile habe er nicht zu befürchten.

Mit Schreiben vom 3.3.2008 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, mitzuteilen, ob er bereit sei, die Bundesrepublik zu verlassen. Andernfalls würden aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen ihn eingeleitet.

Einen im März 2008 gestellten Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Abstand zu nehmen, hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 8.4.2008 - 2 L 226/08 - zurückgewiesen. Darin heißt es, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen, da der Antragsteller unanfechtbar als Asylbewerber abgelehnt worden sei und ihm kein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung zustehe. Da ein Ausweisungsgrund gegeben sei, stehe einem solchen Anspruch der § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Eine Abschiebung sei auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Die Trennung von der deutschen Ehefrau werde voraussichtlich nur vorübergehend sein. Das sei hinnehmbar. Besondere Umstände, die die Anwesenheit des Antragstellers bei der Ehefrau als unabweisbar erscheinen lassen könnten, seien nicht ersichtlich.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8.4.2008 - 2 L 226/08 - muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht konnte seinem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ihm gegenüber Abstand zu nehmen, im Ergebnis nicht entsprechen. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 23.4.2008 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Auch nach dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens kann nicht vom Bestehen eines auf die vorläufige Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen gerichteten Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 1 VwGO) ausgegangen werden.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller als abgelehnter und seither grundsätzlich ausreisepflichtiger ehemaliger Asylbewerber der speziellen Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unterfällt. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, ein Aufenthaltstitel vor seiner Ausreise nur nach den - hier nicht in Rede stehenden - Vorschriften in Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG geregelte Ausnahmefall des Bestehens eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung des Aufenthaltstitels erfasst nur Fälle, in denen diese in den besonderen Vorschriften des Aufenthaltsrechts ausdrücklich (zwingend) vorgeschrieben ist, wohingegen eine so genannte Ermessensreduzierung "auf Null" in Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber die Erteilung des Titels in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt hat, nicht genügt. (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 27.12.2007 - 2 A 323/07 -, SKZ 2008, 103 Leitsatz Nr. 57)

Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand kann nicht vom Bestehen eines sicherungsbedürftigen Anspruchs des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Einhaltung des auch unter der Geltung des Aufenthaltsgesetzes im Falle seiner Nichtbeachtung mit weit reichenden Konsequenzen versehenen Visumszwangs (§ 4 Abs. 1 AufenthG) ausgegangen werden. Zwar erfüllt der Antragsteller nach der im vergangenen Jahr erfolgten Heirat mit der deutschen Staatsangehörigen M. S., wovon auch der Antragsgegner ausgeht, unstreitig die speziellen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für einen Familiennachzug zu Deutschen. Darüber hinaus bestehen auch erhebliche Zweifel, ob dem Antragsteller im Rahmen des beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens die Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen der Verwirklichung des Ausweisungstatbestands in § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG infolge der wiederholten Nichtbeachtung der räumlichen Beschränkung nach § 56 AsylVfG (§ 85 Nr. 2 AsylVfG) entgegengehalten werden kann. Zwar hat der Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom 27.2.2008 darauf hingewiesen, dass es insoweit auf die tatbestandliche Verwirklichung dieses Straftatbestandes ankommt. In dem weiteren Inhalt der Entscheidung des Antragsgegners, der nach der für Fälle des Familiennachzugs den § 5 AufenthG ergänzenden Regelung des § 27 Abs. 3 Satz 3 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG "absehen kann", kommt allerdings bereits klar zum Ausdruck, dass er selbst - zu Recht - nicht davon ausgeht, dass sich nach den aus den Akten ersichtlichen Sachverhaltsumständen bei Gewichtung der Rechtsverstöße einerseits und der unter grundrechtlichem Schutz stehenden familiären Verbindung nach seiner Heirat (Art. 6 GG) ernsthaft eine Ausweisung des Antragstellers rechtfertigen ließe. Der Antragsteller hat mit der Beschwerde zutreffend auf das Fehlen einer Wiederholungsgefahr hingewiesen, so dass hier insoweit ohnehin allenfalls an eine Ausweisung unter generalpräventiven Gesichtspunkten gedacht werden könnte.

Dem Bestehen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht aber § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, wonach die Erteilung im Inland voraussetzt, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Dies war bei dem Antragsteller - ebenfalls unstreitig - nicht der Fall. Auch die Sonderfälle des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung oder das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls, die die Nachholung des Visumsverfahrens nicht zumutbar erscheinen lassen, führten, sofern man die Voraussetzungen bejaht, nur dazu, dass dem Antragsgegner nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein Ermessen eingeräumt würde, was selbst im Falle seiner Reduzierung "auf Null" keinen Anspruch im Verständnis des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG begründen würde.

Die Sonderregelung in § 39 AufenthV, wonach ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, rechtfertigt im Fall des Antragstellers keine abweichende Bewertung. Nach der einzig in Betracht kommenden Bestimmung in der dortigen Nr. 5 ist ausdrücklich neben ("und") dem Erwerb eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Eheschließung im Bundesgebiet notwendig, dass eine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist. Für das Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen, insbesondere für eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung, ist im Falle des Antragstellers nichts vorgetragen. Wegen der vom Verordnungsgeber gewählten Aufzählung in § 39 Nr. 5 AufenthV kann insoweit entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht allein die Heirat als Grundlage einer rechtlichen Unmöglichkeit im Verständnis des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG angeführt werden.

Dem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebenden Beschwerdevorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass die Einholung des vom Antragsgegner geforderten Einreisevisums im Heimatland für den Antragsteller, etwa wegen einer bei ihm vorliegenden Erkrankung, mit über den Normalfall hinausgehenden Problemen verbunden, das heißt, dass die insoweit vom Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss zugrunde gelegte Prognose, dass es sich nur um eine "vorübergehende" oder "zeitweilige" Trennung von der deutschen Ehefrau handelt, unzutreffend wäre. Echte zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse könnte der Antragsgegner als Ausländerbehörde ohne positive Entscheidung des Bundesamtes wegen der Bindungswirkungen nach § 42 Satz 1 AsylVfG ohnehin nicht berücksichtigen.

Aus dem Bescheid des Antragsgegners vom 27.2.2008 ergibt sich unzweideutig, dass es diesem (allein) um eine Nachholung der formellen Voraussetzungen bei der Einreise geht, wobei er offenbar davon ausgeht, dass der Antragsteller dies "im Rahmen eines Erholungsurlaubs" erledigen könnte, was allerdings bereits mit Blick auf das eigene Mitwirkungserfordernis des Antragsgegners nach § 31 AufenthV - sofern er nicht von der Möglichkeit der Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV Gebrauch macht - eine in zeitlicher Hinsicht sehr optimistische Prognose darstellen dürfte. Die offenbar beabsichtigte positive Begleitung des Visumsverfahrens durch den Antragsgegner zeigt im Übrigen, dass dem im Ablehnungsbescheid enthaltenen Verweis auf das Vorliegen eines Ausweisungstatbestands auch aus seiner Sicht keine wesentliche, sondern auch nur "formale" Bedeutung zukommt, was nach dem konkreten Sachverhalt auch ohne weiteres nachvollzogen werden kann. Da es dann letztlich doch um eine offenbar auch von Seiten des Antragsgegners als ohne weiteres möglich erachtete Ausräumung nur eines formalen Hindernisses geht, erscheint dem Senat bei einer Gesamtbewertung des vorliegenden Akteninhalts speziell mit Blick auf die entstehenden Kosten des nicht rückkehrwilligen Antragstellers und eine zumindest nicht auszuschließende Gefährdung des seinen Lebensunterhalt in Deutschland sichernden Arbeitsplatzes die Ausübung des durch § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessens im Sinne des Antragstellers zumindest überdenkenswert.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine Halbierung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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