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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 2 B 214/08
Rechtsgebiete: GG, EMRK, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 6
EMRK Art. 8
EMRK Art. 8 Abs. 1
AsylVfG § 42 Satz 1
Die Aussetzung der Abschiebung eines "heiratswilligen" Ausländers unter dem Gesichtspunkt der als "Vorwirkung" der Ehe bereits vom Schutzbereich des Art. 6 GG mit umfassten Eheschließungsfreiheit setzt über das Bestehen ernsthafter Absichten der Partner hinaus voraus, dass eine mögliche Bleiberechte vermittelnde Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen "unmittelbar bevorsteht". Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn die notwendigen Unterlagen unvollständig sind und nach deren Vervollständigung auch noch deren Überprüfung durch das zuständige Oberlandesgericht aussteht.

Ein Bleibeanspruch eines im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK erfordert jedenfalls eine abgeschlossene "gelungene" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist und von der nicht bereits deswegen ausgegangen werden kann, weil sich der Betroffene eine bestimmte, auch längere Zeit im Aufnahmeland aufgehalten hat. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum "Aufnahmestaat" verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem Inländer" geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

Von einer gelungenen Integration kann nicht ausgegangen werden, wenn der Ausländer in vielfacher Hinsicht beziehungsweise erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und deswegen sogar - wie im konkreten Fall - bestandskräftig aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde.

Bei konkret im Raum stehenden Selbstmordabsichten - hier nach einem misslungenen Suizidversuch in der Abschiebehaft - muss die Ausländerbehörde eine lückenlose ärztliche Begleitung des Abschiebungsvorgangs und gegebenenfalls auch die deutsche Vertretung im Heimatland die Übernahme "vor Ort" durch einen Arzt sicherstellen.

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse darf die Ausländerbehörde ohne positive Entscheidung des Bundesamtes wegen der Bindungswirkungen nach § 42 Satz 1 AsylVfG an dessen negative Entscheidungen in den Asylverfahren generell nicht berücksichtigen. Das betrifft sowohl die Frage behaupteter unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten als auch die angebliche Gefährdung als Angehöriger einer ethnischen Minderheit im Kosovo.


Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. April 2008 - 10 L 409/08 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller stammt aus Gjakove im Kosovo und reiste mit den Eltern und Geschwistern im Oktober 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die für alle gestellten Asylanträge blieben erfolglos. (vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 20.9.1999 - 3 R 29/99 -) Der anschließend geduldete Antragsteller ist in der Folge mehrfach und ganz erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. (vgl. bereits die Urteile des Amtsgerichts Saarbrücken vom 3.11.1998 - 24 - 230/98 -(Raub, Körperverletzung, Diebstahl und Fahren ohne Fahrerlaubnis), vom 14.12.1999 - 24-480/99 - (Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung), vom 10.3.2000 (Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung in 6 Fällen), vom 9.6.2000 (Erwerb und Handel mit Haschisch), vom 12.1.1002 - 24-499/00 - (Besonders schwerer Diebstahl in mehreren Fällen), vom 16.3.2004 - 24-6/04 - (Gemeinschaftlicher schwerer Raub in Tateinheit mit Körperverletzung),)

Mit Bescheid vom 14.8.2006 wurde der Antragsteller - nach Aktenlage bestandskräftig - vom damals zuständigen Landesamt für Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und zur Ausreise aufgefordert. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung angedroht.

Nachdem der Antragsteller in Abschiebehaft genommen worden war, beantragte er am 14.4.2008 beim Verwaltungsgericht, ihm mit Blick auf eine beabsichtigte Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen Z. bis zu deren Durchführung Abschiebungsschutz zu gewähren. Frau Z. kenne er seit 2003 und seit 2006 lebe er mit ihr "faktisch zusammen". Alle Unterlagen für den Heiratsantrag seien abgegeben. Das Standesamt habe allerdings mitgeteilt, dass bei der Ledigkeitserklärung noch ein Stempel fehle, der nach Rücksendung der Unterlagen in den Kosovo entsprechend einer Auskunft von UNMIK in der nächsten Woche vorliegen solle. Dann hänge die Heirat nur noch von der Genehmigung durch das Saarländische OLG ab. Ferner verwies er auf einen in der Haft unternommenen Selbstmordversuch. Dieser Zusammenbruch in der Abschiebehaft sei "nicht unerwartet" gekommen, da sein psychischer Gesundheitszustand infolge der Erlebnisse in der Heimat, wegen eines in Deutschland über neun Jahre lang erlittenen sexuellen Missbrauchs und einer sich dann anschließenden Drogenabhängigkeit beeinträchtigt sei. Ferner halte er sich seit frühester Kindheit in Deutschland auf, sei mit der deutschen Sprache aufgewachsen und könne kein Albanisch. Insoweit ergebe sich auch in Ansehung der begangenen Straftaten ein Abschiebungshindernis aus Art. 8 EMRK. Seit seiner zweiten Inhaftierung, während der er Lesen und Schreiben gelernt sowie eine Ausbildung gemacht habe, sei seine ganze Entwicklung positiv verlaufen. Im Kosovo bestünden keine Behandlungsmöglichkeiten und es gebe keine Freunde oder Verwandte, die ihm Hilfestellung leisten könnten. Darüber hinaus sei er Ashkali und müsse eine Verfolgung aufgrund seiner Volkszugehörigkeit befürchten. Deswegen habe er "parallel" einen Asylfolgeantrag gestellt.

Durch Bescheid vom 29.4.2008 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylfolgeantrag des Antragstellers abgelehnt. Ein insoweit beim Verwaltungsgericht gestelltes Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers wurde durch unanfechtbaren Beschluss vom heutigen Tage - 10 L 410/08 - zurückgewiesen.

Durch weiteren Beschluss vom 30.4.2008 wurde dann der Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz ebenfalls zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, die nach Angaben des Antragstellers beabsichtigte Eheschließung stehe nach seinem Vortrag nicht unmittelbar bevor. Auch der Art. 8 EMRK vermittle ihm kein Bleiberecht, da er ausgewiesen worden sei und keine wirtschaftliche Integration festzustellen sei. Ferner stehe seine Reisefähigkeit nicht in Zweifel, weil nach Auskunft des Antragsgegners die Abschiebung ärztlich begleitet werden und der Antragsteller am Zielort von einem über die deutsche Auslandsvertretung bereit gestellten Arzt in Empfang genommen werden solle, der dann über gegebenenfalls weitere Maßnahmen entscheide.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die vom Antragsteller begehrte Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren konnte wegen von Anfang an fehlender hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht gewährt werden (§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO).

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30.4.2008 - 10 L 409/08 - muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, Abschiebemaßnahmen so lange auszusetzen "bis die Heirat durchgeführt werden kann und über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG entschieden wurde", zu Recht nicht entsprochen. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 30.4.2008 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Auch nach dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens kann nicht vom Bestehen eines auf die vorläufige Untersagung weiterer Abschiebungsmaßnahmen gerichteten Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 1 VwGO) ausgegangen werden.

Dass der Antragsteller nach eigenem Bekunden beabsichtigt, Frau Z. zu heiraten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine rechtliche Unmöglichkeit (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) lässt sich aus dem Sachvortrag nicht herleiten. Das hat das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend ausgeführt. Die Aussetzung der Abschiebung eines "heiratswilligen" Ausländers unter dem Gesichtspunkt der als "Vorwirkung" der Ehe bereits vom Schutzbereich des Art. 6 GG mit umfassten Eheschließungsfreiheit setzt über das Bestehen ernsthafter Absichten der Partner hinaus voraus, dass eine mögliche Bleiberechte vermittelnde Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen "unmittelbar bevorsteht". (vgl. beispielsweise OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 24.4.2008 - 2 B 199/08 -, vom 26.11.2007 - 2 B 461/07 -, bei juris, vom 30.9.2003 - 2 W 62/03 -, mit zahlreichen Nachweisen auch aus der Rechtsprechung anderer Obergerichte, vom 12.12.2005 - 2 W 27/05 -, SKZ 2006, 63. Leitsatz Nr. 79 und vom 7.12.2006 - 2 W 33/06 -, SKZ 2007, 48, Leitsatz Nr. 65) Davon kann nicht ausgegangen werden. Nach eigenem Vorbringen sind die notwendigen Unterlagen unvollständig. Außerdem steht danach auch noch deren anschließend notwendige Überprüfung durch das zuständige Saarländische OLG aus.

Ob bei dem aufgrund einer Vielzahl schwerwiegender Straftaten im Jahr 2006 bestandskräftig aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen Antragsteller überhaupt ernsthaft ein Bleiberecht nach vollzogener Heirat in Betracht gezogen werden kann, braucht daher nicht weiter hinterfragt zu werden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird dem ausgewiesenen Ausländer jedenfalls generell auch bei Vorliegen eines Anspruchs kein Aufenthaltstitel erteilt. Zumindest unter dem Aspekt kann es nicht nachvollzogen werden, wenn der Antragsteller auf einen aus seiner Sicht "unwürdigen Wettlauf zwischen der Eheschließung und der Abschiebung" hinweist.

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt auch ein Anspruch des im Kindesalter eingereisten und in Deutschland aufgewachsenen Antragstellers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter "faktischer Inländer" nicht ernsthaft in Betracht. Von einer abgeschlossenen "gelungenen" Integration eines Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, kann nicht bereits deswegen ausgegangen werden, weil dieser sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten hat. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über so "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum "Aufnahmestaat" verfügt, dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem Inländer" geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann. Das ist hier auch bei Berücksichtigung der Bindungen aufgrund des langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht der Fall. Der Antragsteller ist weder wirtschaftlich noch - wie die vielen, letztlich zu seiner Ausweisung Anlass gebenden, zweifellos auch seiner Lebensgefährtin bekannten erheblichen strafrechtlichen Verfehlungen belegen - sozial in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Im Übrigen wären diese Aspekte gegebenenfalls in einem Rechtsbehelfsverfahren gegenüber der Ausweisungsverfügung geltend zu machen gewesen. Ein solcher Rechtsbehelf wurde nicht eingelegt. Auch die dem Antragsteller obliegende Stellung eines Antrags auf Befristung von Ausweisungsfolgen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG lässt sich den vorliegenden Ausländerakten nicht entnehmen. In einem solchen Verfahren hätte auch Gelegenheit bestanden, die vom Antragsteller behauptete nachhaltige Verhaltensänderung infolge seiner zweiten Inhaftierung geltend zu machen.

Soweit der Antragsteller einwendet, dass seine Reisefähigkeit noch nicht untersucht worden sei, und er auf erneute Selbstmordabsichten seinerseits hinweist, so hat der Antragsgegner auf telefonische Anfrage des Senats noch einmal ausdrücklich erklärt, dass eine lückenlose ärztliche Begleitung des Abschiebungsvorgangs sichergestellt sei und auch die deutsche Botschaft in Pristina die Inempfangnahme im Heimatland durch einen Arzt zugesichert habe, der gegebenenfalls die medizinischen Vorkehrung zu treffen hat. Daher ist davon auszugehen, dass der Antragsteller auch bei der Rückkehr nicht sich selbst überlassen bleiben sondern in fachkundige Obhut genommen werden wird. Im Rahmen der vorgesehenen Begleitung wird der Antragsgegner von Anfang an, insbesondere vor dem Hintergrund des vorliegenden Attests der Rheinhessen-Fachklinik in Alzey vom 24.4.2008, wonach "weiterhin akute Eigengefährdung" bestehen soll, auf die medizinische Reisefähigkeit und deren dauerhafte Sicherstellung zu achten haben.

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse kann der Antragsgegner als Ausländerbehörde ohne positive Entscheidung des Bundesamtes wegen der Bindungswirkungen nach § 42 Satz 1 AsylVfG an dessen negative Entscheidungen in den Asylverfahren generell nicht berücksichtigen. Das betrifft sowohl die Frage der behaupteten unzureichenden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten als auch die angebliche Gefährdung als Angehöriger einer ethnischen Minderheit im Kosovo.

Aus den genannten Gründen ist die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu bestätigen und die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine Halbierung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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