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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 06.07.2009
Aktenzeichen: 2 B 365/09
Rechtsgebiete: AufenthG, FEVG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 4
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
AufenthG § 81 Abs. 4
AufenthG § 106 Abs. 2 Satz 1
FEVG § 7 Abs. 1
FEVG § 9 Abs. 1
FEVG § 10 Abs. 2
FEVG § 12
VwGO § 123
Ein Ausländer, der die verhängte Abschiebungshaft aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen für unzulässig hält, weil seine Abschiebung dauerhaft unmöglich sei, kann seine Entlassung nicht mit einem Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zur Rücknahme des Haftantrags im Verwaltungsrechtsweg verfolgen.

Der Haftrichter ist für die Beurteilung der Haftgründe im engeren Sinne zuständig, das Verwaltungsgericht für die Prüfung, ob die Ausländerbehörde die durch die Haft zu sichernde Abschiebung zu Recht betreibt, ob also der Ausländer ausreisepflichtig ist und die Abschiebungsvoraussetzungen gegeben sind. In diesem Sinne kann von einer Zweigleisigkeit des Rechtswegs gesprochen werden, wobei dem Ausländer aber kein Wahlrecht eingeräumt ist, vor welchem Gericht er seine - im Ergebnis auch vorliegend begehrte - Entlassung aus der Abschiebungshaft erstreiten will. Vielmehr kann der Ausländer grundsätzlich nur die (materiellen) Voraussetzungen der Ausreisepflicht oder der Abschiebung und damit der aufenthaltsrechtlichen Grundlagen der Abschiebungshaft durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit klären lassen. Soweit sich das materielle (inhaltliche) Prüfprogramm der ordentlichen Gerichte im Freiheitsentziehungsverfahren auf die Durchführbarkeit der Abschiebung unter den Aspekten der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit - im engeren Sinne - der Freiheitsentziehung erstreckt, ist kein Raum für verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.


Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 7. Mai 2009 - 10 L 328/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 7.5.2009 - 10 L 328/09 -, durch den sein Antrag, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Haftantrag zurückzunehmen, zurückgewiesen wurde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat das - letztlich auf Entlassung aus der Abschiebungshaft gerichtete - Begehren des Antragstellers, der gemäß § 62 II Nrn. 2, 4 und 5 AufenthG zur Sicherung der Abschiebung in Sicherunghaft genommen wurde, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der gestellte Antrag ist unzulässig, da der Antragsteller seine Entlassung aus der Abschiebungshaft nicht im Verwaltungsrechtsweg verfolgen kann.

Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich gemäß § 106 II 1 AufenthG nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) (FEVG in der Gültigkeit bis 31.8.2009) . Die Freiheitsentziehung kann nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen (§ 3 S.1 FEVG). Gegen die Anordnung der (ggf. auch Verlängerung der) Abschiebungshaft findet gemäß § 7 I (i.V.m. § 12 FEVG) die sofortige Beschwerde statt. Die Aufhebung der Freiheitsentziehung ist u.a. auf den Antrag des Ausländers in jedem Fall zu prüfen und zu bescheiden (§ 10 II FEVG); die Entscheidung, durch die eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 9 I FEVG festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist (§ 10 I FEVG). Der Haftantrag der Ausländerbehörde, seine Rücknahme und die Beantragung der Aufhebung der Freiheitsentziehung sind somit als Bestandteile eines einheitlichen Freiheitsentziehungsverfahrens durch das FEVG den Amtsgerichten zugewiesen.

Der Haftrichter ist dabei für die Beurteilung der Haftgründe im engeren Sinne zuständig, das Verwaltungsgericht hingegen für die Prüfung, ob die Ausländerbehörde die durch die Haft zu sichernde Abschiebung zu Recht betreibt, ob also der Ausländer ausreisepflichtig ist und die Abschiebungsvoraussetzungen gegeben sind. In diesem Sinne kann von einer Zweigleisigkeit des Rechtswegs gesprochen werden (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 11.1.2001 - 9 V 52/00, 9 W 1/01 -; HTK, § 62 AufenthG, Anm. 1) , wobei dem Ausländer aber kein Wahlrecht eingeräumt ist, vor welchem Gericht er seine - im Ergebnis auch vorliegend begehrte - Entlassung aus der Abschiebungshaft erstreiten will. Vielmehr kann der Ausländer grundsätzlich nur die (materiellen) Voraussetzungen der Ausreisepflicht oder der Abschiebung und damit der aufenthaltsrechtlichen Grundlagen der Abschiebungshaft durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit klären lassen. Soweit sich das materielle (inhaltliche) Prüfprogramm der ordentlichen Gerichte im Freiheitsentziehungsverfahren auf die Durchführbarkeit der Abschiebung unter den Aspekten der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit - im engeren Sinne - der Freiheitsentziehung erstreckt, ist hingegen kein Raum für verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Dies schließt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden an das Verwaltungsgericht gerichtete Anträge aus, der Verwaltungsbehörde aufzugeben, ihren Haftantrag zurückzunehmen. (Anders OVG des Saarlandes, Beschluss vom 11.1.2001- 9 V 52/00, 9 W 1/01 - für den Fall der Stellung eines Asylantrags aus der Haft, und Beschluss vom 9.4.1986 - 3 W 794/86 -, InfAuslR 1986, 211 für einen Asylfolgeantragsteller; Renner, Ausländerrecht, 8.Aufl. 2005, § 62 Rdnr. 30;für generelle Zuständigkeit des Amtsgerichts: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.6.1988 - 11 B 346/87 -, InfAuslR 1989, 72; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.6.2006 - 18 B 1088/06 - InfAuslR 2007, 110;)

Der Antragsteller hält die verhängte Abschiebungshaft aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen für unzulässig, weil seine Abschiebung dauerhaft unmöglich sei. Nach seinen Angaben verfügt er über keinen Pass mehr; die Ausstellung eines Passes oder auch nur eines Passersatzpapiers hält er für ausgeschlossen. Hierzu weist er zunächst auf eidesstattliche Versicherungen seines Vaters und einer Schwester hin, nach denen diese am 8.4.2009 das algerische Generalkonsulat aufgesucht hätten, um den Pass der Schwester verlängern zu lassen, und dabei auf Nachfrage von der Ehefrau des Generalkonsuls erfahren hätten, dass das Generalkonsulat dem Antragsteller weder Pass noch Laissez-Passer ausstellen werde, weil er bereits als Dreijähriger nach Deutschland übergesiedelt sei, nur noch Familie in Deutschland habe, mit einer Deutschen verlobt sei und diese heiraten wolle, hier seine Ausbildung gemacht habe und deshalb verpflichtet sei, dies durch Arbeitsleistung in Deutschland zu "vergelten". Zum anderen weist er auf die erfolglose Vorführung durch die Behörde beim algerischen Generalkonsulat am 29.5.2009 hin. Im Übrigen wendet er ein, dass seiner Abschiebung auch rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Hierzu verweist er unter Hinweis auf Art. 6 I GG und Art. 8 EMRK im Wesentlichen auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland und die damit verbundene Integration ("faktischer Inländer"), sein trotz Volljährigkeit bestehendes Bedürfnis nach Beistand durch seine aufenthaltsberechtigte Großfamilie, seine Heiratabsichten sowie fehlende Bindungen an sein Heimatland.

Mit den vorgetragenen tatsächlichen Hindernissen für die Durchführung der Abschiebung stellt der Antragsteller die Erforderlichkeit der Abschiebungshaft in Abrede, da Reisepapiere jedenfalls nicht in absehbarer Zeit zu beschaffen seien und demzufolge seine Abschiebung tatsächlich nicht durchführbar sei; gleichzeitig wird die insoweit fehlende Verhältnismäßigkeit der angeordneten Haft gerügt. Diese Aspekte gehören offensichtlich zum - eingeschränkten - Prüfprogramm des Haftrichters. (HiK-AuslR, § 62 Anm. 2; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 62 AufenthG, Rdnr. 11) Insoweit kann der Antragsteller effektiven Rechtsschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit erlangen. Er kann nicht nur jederzeit die Aufhebung der Abschiebungshaft gemäß § 10 II FEVG beantragen, sondern auch gegen eine Verlängerung die sofortige Beschwerde gemäß § 12 i.V.m. § 7 I FEVG erheben. Es ist dann Sache des Amtsgerichts bzw. des Beschwerdegerichts zu beurteilen, ob insbesondere die für die Beschaffung eines Reisepapiers erforderliche erneute Vorführung des Antragstellers beim Generalkonsulat trotz des noch offenen Termins und üblicher Vorlaufzeiten sein Verbleiben in Abschiebungshaft rechtfertigt oder ob eine Fortdauer der Haft sich unter Berücksichtigung aller Umstände als unverhältnismäßig darstellt und seine Entlassung aus der Haft anzuordnen ist. Das ist im Übrigen hier auch geschehen, da das Amtsgericht Bingen in seinem in der Freiheitsentziehungssache ergangenen Beschluss vom 29.6.2009, mit dem es die Verlängerung der Abschiebungshaft um drei Monate angeordnet hat, die Frage der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Vorbringens des Antragstellers geprüft hat.

Das vorliegende auf Rücknahme des Haftantrags gerichtete verwaltungsgerichtliche Verfahren kann seine Rechtfertigung auch nicht darin finden, dass es zusätzlich mit Angriffen auf die materiellen Grundlagen der beabsichtigten Abschiebung begründet ist. Der Antragsteller ist auch insofern auf andere Rechtsschutzmöglichkeiten zu verweisen, die nicht unmittelbar in das Freiheitsentziehungsverfahren eingreifen und von denen er teilweise auch Gebrauch gemacht hat; eine Rechtsschutzlücke besteht nicht.

So hat der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29.10.2008, durch den die Ablehnung der beantragten Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und seine - nicht für sofort vollziehbar erklärte - Ausweisung verfügt wurden, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2009 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, ist allerdings erfolglos geblieben, da der erst zwei Monate nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellte Verlängerungsantrag keine Fiktionswirkung gemäß § 81 IV AufenthG auslösen konnte und der Aussetzungsantrag daher auch im Erfolgsfall nicht zu einem vorläufigen Aufenthaltsrecht des Antragstellers hätte führen können und folglich unzulässig war. Demgegenüber wäre die Klärung der Frage, ob der Antragsgegner in seinem Fall aufenthaltsbeendende Maßnahmen überhaupt durchführen darf, angesichts des Umstands, dass der Antragsteller sich in Abschiebungshaft befindet, sicherlich dringlich und auch in einem entsprechenden Verfahren nach § 123 VwGO möglich, worauf bereits im Aussetzungsverfahren hingewiesen wurde (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.6.2009 - 2 B 366/09 -) . Sofern in einem solchen Verfahren festgestellt würde, dass seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei (§ 60a II AufenthG), könnte er auch unter Berufung hierauf seine Entlassung aus der Haft gemäß § 10 II FEVG beantragen.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 II VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 II, 47, 53 III, 52 II GKG, wobei die Halbierung des Regelstreitwertes für das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren der Senatsrechtsprechung entspricht.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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