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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 29.12.2005
Aktenzeichen: 2 W 30/05
Rechtsgebiete: AufenthG, VwVfG
Vorschriften:
AufenthG § 101 I | |
VwVfG § 48 IV | |
VwVfG § 49 II |
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 12. September 2005 - 11 F 24/05 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12.9.2005, mit dem ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Widerruf ihrer als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verfügenden Bescheid des Antragsgegners vom 20.6.2005 zurückgewiesen wurde, ist unbegründet.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht gehe in dem angefochtenen Beschluss insbesondere zu Unrecht davon aus, dass § 52 AufenthG nach dem Willen des Gesetzgebers und aufgrund seines eindeutigen Wortlauts eine für den Bereich des Ausländerrechts abschließende Regelung darstelle, so dass ein Rückgriff auf die allgemeinen Widerrufsregelungen der §§ 48, 49 VwVfG ausgeschlossen sei. Der angegriffene Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil der Antragsgegner nach Ablauf eines Jahres gemäß § 49 II i.V.m. § 48 IV SVwVfG die als Niederlassungserlaubnis weitergeltende unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht mehr habe widerrufen dürfen. Diese Regelung sei anwendbar und keineswegs nach § 52 AufenthG, der lediglich Widerrufsgründe - allerdings insofern abschließend - enthalte und nur insoweit lex specialis zu § 49 I SVwVfG darstelle, ausgeschlossen. § 52 AufenthG sei eine Vorschrift im Sinne des § 49 II SVwVfG. Darüber hinaus sei auch die angestellte Ermessensausübung fehlerhaft. Zwar seien verschiedene Ermessenserwägungen in den Bescheid aufgenommen, aber nur formelhaft erwähnt, da die maßgeblichen Umstände nicht mit dem ihnen jeweils zukommenden Gewicht in die Entscheidung eingestellt worden seien. Dies betreffe besonders den Umstand, dass die Antragstellerin in Deutschland geboren und aufgewachsen sei. Auch sei der vom Verwaltungsgericht im vorherigen Verfahren gerügte Begründungsansatz - wenn auch mit anderen Worten - wieder eingeführt worden. So heiße es, dass besondere Umstände, die darauf schließen ließen, dass die persönlichen Interessen der Antragstellerin an einem weiteren Verbleib eine Ausnahmesituation darstellten, die von einer "Vielzahl gleichgelagerter Fälle abweiche", weder vorgetragen noch ersichtlich seien. Es sei jedoch nicht ersichtlich, warum eine "Ausnahmesituation" vorliegen müsse, um von einem Widerruf abzusehen; dies ergebe sich nicht aus dem Gesetz und stelle eine fehlerhafte Ermessenserwägung dar. Mit der Erwähnung der "Vielzahl gleichgelagerter Fälle" würden wiederum Fälle angesprochen, in denen aber zuvor keine Asylberechtigung ausgesprochen worden sei und bei denen kein rechtmäßiger Aufenthalt zugrunde gelegen habe, sondern eben nur jahrelange Zeiten einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung. Zwar erwähne der Antragsgegner dies nicht mehr ausdrücklich, ansonsten gebe es nämlich keineswegs eine "Vielzahl gleichgelagerter Fälle". Unrichtig sei auch, dass dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 25 IV AufenthG nicht vorlägen. Im Unterschied zu in Deutschland geborenen und ein paar Jahre hier aufgewachsenen Kindern von Flüchtlingen aus dem Kosovo habe sie den größten Teil ihres Lebens rechtmäßig hier verbracht und sei auch nicht von öffentlichen Leistungen abhängig, da ihr unterhaltspflichtiger Vater erwerbstätig sei. Angesichts des Umstands, dass es sich bei der Entscheidung nach § 52 AufenthG um eine Ermessensentscheidung handele, habe sie keineswegs mit einem Widerruf ihrer Aufenthaltserlaubnis und einer Rückkehr ins Heimatland rechnen müssen.
Das Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung, das nach § 146 IV 6 VwGO den Umfang der Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren bestimmt, rechtfertigt keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende rechtliche Bewertung ihres Begehrens. Zur Begründung kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss zunächst vollinhaltlich Bezug genommen werden. Aus ihnen ergibt sich, dass durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der gemäß § 101 I AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen.
Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde weiterhin die Nicht-Einhaltung der Jahresfrist der §§ 49 II, 48 IV SVwVfG für den Widerruf rügt. Zunächst ist festzustellen, dass eine spezielle Regelung hinsichtlich der Frist für den Widerruf weder der bis zum 31.12.2004 geltende § 43 AuslG noch der zum 1.1.2005 in Kraft getretene § 52 AufenthG enthält. Es kann auch dahinstehen, ob die Regelung des § 49 II 2 i.V.m. § 48 IV SVwVfG, wonach ein Widerruf nur innerhalb eines Jahres seit der Kenntnisnahme der Behörde von den dafür maßgebenden Tatsachen zulässig ist, im Rahmen des § 43 AuslG bzw. § 52 AufenthG unmittelbar oder als Ausfluss des Vertrauensschutzprinzips jedenfalls analog anzuwenden ist, denn auch die Heranziehung dieser Vorschriften würde einem Widerruf vorliegend nicht entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Jahresfrist in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen, welche die Rücknahme oder den Widerruf des Verwaltungsaktes rechtfertigen, erhalten hat. Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind. Zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gehören insbesondere die für die Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände. Diente eine Anhörung (§ 28 I SVwVfG) des Betroffenen der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist erst, sobald diese Sachaufklärung zur Entscheidungsreife geführt hat.
Für den im Ermessen des Antragsgegners stehenden Widerruf der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war im Falle der Antragstellerin zur Ermittlung der für die Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände und damit zur Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen zunächst eine Anhörung erforderlich. Die Stellungnahme der Antragstellerin auf das Schreiben des Antragsgegners vom 11.9.2003 erfolgte unter dem 29.9.2003, so dass bei Erlass des - ersten - Widerrufsbescheides am 16.6.2004 die Jahresfrist unzweifelhaft noch nicht abgelaufen war. Allerdings wurde dieser Widerruf in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.8.2004 durch Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24.11.2004 - 10 K 266/04 - aufgehoben. Der zweite - streitgegenständliche - Widerruf erfolgte unter dem 20.6.2005 und, da mit Rechtskraft dieses Urteils die vorgenannte Jahresfrist neu zu laufen begann somit rechtzeitig. Dem Widerruf der der Antragstellerin erteilten Niederlassungserlaubnis vermag daher die Jahresfrist des § 49 II 2 i.V.m. § 48 IV SVwVfG nicht entgegenzustehen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Widerruf der Niederlassungserlaubnis wegen einer Verwirkung der Widerrufsbefugnis rechtswidrig sein könnte, bestehen gleichfalls nicht. Um Verwirkung annehmen zu können, muss nicht nur eine längere Zeit vergangen sein, während der die Behörde untätig gewesen ist. Es müssen vielmehr auch besondere Umstände hinzutreten, die den Schluss rechtfertigen, dass die Geltendmachung des Rechts als verspätet anzusehen ist. Hierfür spricht vorliegend jedoch nichts.
Der Widerrufsbescheid leidet auch ansonsten nicht an den von der Antragstellerin dargelegten Fehlern.
Nicht überzeugend ist die Rüge der Antragstellerin, der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf eine Vielzahl vergleichbarer Fälle sei lediglich als verkürzte Fassung der vom Verwaltungsgericht in dem vorgenannten Urteil gerügten Begründung zu sehen, in dem der Antragsgegner das Schicksal in Deutschland nur geduldeter, langjährig aufenthaltsamer Kinder als mit ihrem vergleichbar bezeichnet hatte, vor dem Hintergrund, dass auch bei dem Oberverwaltungsgericht bereits einige - dem der Antragstellerin vergleichbare - Verfahren betreffend den Widerruf von Aufenthaltserlaubnissen ursprünglich Familienasylberechtigter anhängig waren; dies legt nahe, dass das Schicksal der Antragstellerin kein Einzelfall darstellt, sondern es in der Tat eine größere Anzahl von vergleichbaren Verfahren gibt. Soweit sie in diesem Zusammenhang meint, die Annahme, es müsse eine "Ausnahmesituation" vorliegen, um von einem Widerruf abzusehen, stelle eine fehlerhafte Ermessenserwägung dar, verkennt sie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach darf die Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass in den Fällen des § 43 I Nr. 4 AuslG - nunmehr § 52 I Nr. 4 AufenthG - in der Regel ein gewichtiges öffentliches Interesse an dem Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung besteht, falls nicht aus anderen Rechtsgründen ein gleichwertiger Aufenthaltstitel zu gewähren ist. Bei ihrer Ermessensausübung muss die Ausländerbehörde allerdings sämtliche Umstände des Einzelfalls und damit auch die schutzwürdigen Belange des Ausländers an einem weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland in den Blick nehmen, wie sie beispielhaft für die Aufenthaltsbeendigung durch Ermessensausweisung in § 45 II AuslG - nunmehr § 55 III AufenthG - aufgeführt sind. Dem hat der Antragsgegner hinreichend Rechnung getragen. Im Übrigen kommt im Falle der Antragstellerin insofern - unter Ermessensgesichtspunkten - schutzmindernd hinzu, dass inhaltlich eine (Familien-)Asylberechtigung der Antragstellerin nie bestand, da der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, durch den ihr Vater als (Stamm-)Asylberechtigter anerkannt worden war, nicht bestandskräftig, sondern in der Folge durch Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben wurde.
Auch hatte der Antragsgegner keinen Anlass zur Annahme, dass im Falle der Antragstellerin "dringende humanitäre Gründe" im Sinne des § 25 IV AufenthG ihre vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten. Solche dringenden Gründe sind mit Blick auf die erkennbaren Folgen des Widerrufs der Niederlassungserlaubnis von der Antragstellerin weder dargetan noch ansonsten ersichtlich.
Dass im Widerrufsbescheid schutzwürdige Belange der Antragstellerin nicht gesehen worden seien, trägt sie selbst nicht vor. Allerdings sieht sie verschiedene Belange nur "formelhaft erwähnt", nicht aber angemessen berücksichtigt bzw. gewichtet. Damit beanstandet die Antragstellerin jedoch in der Sache lediglich das für sie ungünstige Ergebnis der Gewichtung der in die indes nicht zu beanstandende Ermessensausübung eingebrachten Belange.
Unbeachtlich ist ihr Hinweis, da es sich im Rahmen des § 52 AufenthG um eine Ermessensentscheidung handele, habe sie nicht mit einer Rückkehr ins Heimatland rechnen müssen. Hierbei übersieht sie, dass lediglich im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null, die sich vorliegend jedoch nicht aufdrängt, nur ein Ergebnis der Ermessensausübung rechtmäßig ist. Ihr Vertrauen auf den Fortbestand ihrer Niederlassungserlaubnis ist somit nicht schutzfähig.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 II VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht für das Beschwerdeverfahren auf §§ 63 II, 47, 53 III, 52 I, II GKG 2004.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Ende der Entscheidung
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