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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 19.12.2006
Aktenzeichen: 2 W 30/06
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG § 60 a Abs. 2
1. Einzelfall einer psychisch kranken Antragstellerin.

2. Haben mehrere Antragsteller Beschwerde eingelegt, um vorläufigen Abschiebungsschutz für sich zu erlangen, sodann einige von ihnen ihre Beschwerde zurückgenommen und ist hinsichtlich der übrigen die Beschwerde zurückgewiesen worden, so ergibt sich für die Rücknehmenden mit Blick auf Nr. 5241 des Kostenverzeichnisses zum GKG 2004 kein gebührenmäßiger Vorteil, da es nicht zu einer Beendigung des gesamten Beschwerdeverfahren gekommen ist.


Tenor:

Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Antragsteller zu 1., 3. bis 6. eingestellt.

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 2. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. Oktober 2006 - 10 F 33/06 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren war hinsichtlich der Antragsteller zu 1., 3. bis 6. einzustellen, nachdem diese ihre Beschwerde zurückgenommen haben (§ 92 III VwGO entspr.).

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 2. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6.10.2006 - 10 F 33/06 -, soweit mit ihm ihr Antrag auf vorläufige Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zurückgewiesen wurde, ist nicht begründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde hat die Antragstellerin zu 2. im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines vollstreckungsbezogenen Abschiebungshindernisses verneint. Bereits aus den vorgelegten fachärztlichen Attesten des behandelnden Psychiaters Dr. T vom 4.7.2006 und des seit 2004 behandelnden Psychotherapeuten J vom 6.7.2006 ergebe sich, dass eine Abschiebung mit einer wesentlichen, ggf. lebensbedrohlichen Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes einhergehen würde. Diesen Attesten sei daher zweifelsfrei zu entnehmen, dass eine zwangsweise Abschiebung unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG vorläufig zu unterbleiben habe und ihr bis zur Klärung der Frage ihrer Reisefähigkeit vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren sei. Der Antragsgegner sei seiner Pflicht, den Sachverhalt umfänglich aufzuklären, bisher nicht nachgekommen. Er habe nämlich in seinem Schriftsatz vom 22.8.2006 ausgeführt, Art. 2 III 1 GG gebiete es vorliegend nicht, ihre Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Durchführung dieser Zwangsmaßnahme bis zur Klärung ihrer Reisefähigkeit zeitweise auszusetzen. Antragsgegner und Gericht hätten verkannt, dass Leben und Gesundheit hohe Rechtsgüter seien, deren Schutz im öffentlichen Interesse stehe. Für den Fall, dass der Antragsgegner Zweifel an der Eindeutigkeit der fachärztlichen Atteste habe, bleibe er - bereits im öffentlichen Interesse - zur weiteren Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Im Hauptsacheverfahren werde ein einzuholendes Sachverständigengutachten ergeben, dass sie nicht reisefähig sei und der Abbruch der Therapie zu einer Retraumatisierung führen würde.

Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung, durch die der Rahmen der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 146 IV 6 VwGO festgelegt wird, hat es bei dem erstinstanzlich gefundenen Ergebnis zu bleiben. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat die Antragstellerin zu 2. keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch die Beschwerdebegründung durchgreifend in Frage gestellt.

Auch nach Auffassung des Senats kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung der Antragstellerin zu 2. gemäß § 60 a II AufenthG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung auszusetzen, wenn sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Entgegen der Annahme der Antragstellerin zu 2. ist nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Abschiebung wegen ihrer Erkrankung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das ernsthafte Risiko bestünde, dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2. unmittelbar durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert würde. Die vorgelegten Atteste rechtfertigen diese Annahme jedoch nicht.

In dem nervenfachärztlichen Attest ist ausgeführt, dass die Antragstellerin zu 2. an einem depressiv-ängstlichen Syndrom im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und weiterhin von einer ganz erheblichen Einschränkung in der Lebensentfaltung und alltäglichen Lebensbewältigungen mit immer wieder auftretenden Angstzuständen bis hin zur Panik sowie depressiven Einbrüchen auszugehen sei. Die Fortführung der laufenden therapeutischen Maßnahmen sei unbedingt erforderlich. Bei einer Abschiebung "jetzt und auf nicht absehbare Zeit" in ihr ehemaliges Heimatland sei mit einer weiteren Dekompensation im psychischen Zustandsbild zu rechnen, ohne dass dort adäquate Hilfe zur Verfügung stünde. Dann seien auch weiterhin suizidale Tendenzen nicht auszuschließen.

Unabhängig davon, dass mit der genannten Dekompensation und den nicht auszuschließenden suizidalen Tendenzen keine hinreichend substantiierten Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2. beschrieben werden, beziehen sich die geschilderten Folgen offensichtlich nicht auf die Durchführung der drohenden Abschiebungs(maßnahme) selbst, sondern sie werden ausschließlich im Hinblick auf das angenommene Fehlen adäquater Hilfe im Heimatland - nach zwangsweiser Rückkehr - angenommen. Somit kann, wie das Verwaltungsgericht bereits ausgeführt hat, mit diesem Attest kein vollstreckungsbezogenes Abschiebungshindernis glaubhaft gemacht werden; zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sind jedoch im vorliegenden Verfahren unbeachtlich. Im Ergebnis gilt dies auch für das psychotherapeutische Attest, in dem u.a. darauf hingewiesen wird, dass die anhaltend ungeklärte Aufenthaltsberechtigung der Antragstellerin zu 2. den Prozess der Entwicklung und Aufrechterhaltung vertrauenswürdiger Beziehungen mit Therapeut und Dolmetscherin deutlich erschwert und zu Rückschlägen und Verschlimmerungen der ängstlich-depressiven Symptomatik bis hin zu Panik und Suizidalität geführt habe; bei einer Abschiebung sei daher "eine weitere Dekompensation der Ängste und Depressionen mit erhöhtem Suizidrisiko" zu befürchten, ohne dass eine sofortige und angemessene Fortsetzung der therapeutischen Maßnahmen zu erwarten sei. Auch in diesem Attest findet sich keine konkrete Aussage zu den Folgen der drohenden Vollstreckungsmaßnahme und deutet alles darauf hin, dass die Folgen tatsächlich in der angenommenen fehlenden Möglichkeit der Fortsetzung der Therapie gesehen werden.

Dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2. durch die Abschiebung selbst eine wesentliche Verschlechterung erfahren wird, ist somit nicht glaubhaft gemacht. Sie ist auch nicht zu erwarten, da der Antragsgegner ausweislich seines Schriftsatzes vom 22.8.2006 Vorkehrungen angekündigt hat, um der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin zu 2. im Rahmen der Abschiebungsmaßnahme Rechnung zu tragen. So wird die Maßnahme von Beginn an, d.h. bereits beim Zugriff, bis zur Ankunft am Zielflughafen ärztlich begleitet, eine Sicherheitsbegleitung soll während des Rückflugs für den Ausschluss jeglicher Gefährdungen sorgen. Außerdem wird der Antragstellerin zu 2. noch ein Vorrat an - ihr zuletzt ärztlich verordneten - antidepressiven Medikamenten mitgegeben werden.

Soweit die Antragstellerin zu 2. meint, der Antragsgegner habe den Sachverhalt hinsichtlich ihrer Reisefähigkeit nicht hinreichend aufgeklärt, diese Klärung habe auch im Hauptsacheverfahren zu erfolgen, kann ihr nicht - auch nicht mit Blick auf von ihr zur Sachaufklärungspflicht bei psychischen Erkrankungen in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - gefolgt werden. Im Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 (Der Hinweis auf einen Beschluss des BVerwG vom 28.3.2006 - 1 B 91.05 - hat bei juris kein Dokument ergeben.) -hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 VII 1 AufenthG ausgeführt, es stehe im tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts, ob es (weitere) Sachverständigengutachten einholt oder dies insbesondere im Hinblick auf vorliegende Erkenntnismittel oder eine sonst vorhandene eigene Sachkunde ablehne, wobei es allerdings für entscheidungserhebliche medizinische Fachfragen keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters gebe. Das vorliegende Verfahren steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung, denn hinsichtlich der bei einer Abschiebung zu prüfenden Frage der Reisefähigkeit der erkrankten Antragstellerin zu 2. kann auf hinreichende Erkenntnismittel zurückgegriffen werden. Abgesehen davon, dass die von ihr selbst vorgelegten fachärztlichen Atteste nicht bestätigen, dass sie nicht reisefähig ist, wird jedenfalls der bei Beginn der Abschiebungsmaßnahme anwesende Arzt zu entscheiden haben, ob Reisefähigkeit vorliegt; von seiner ärztlichen Stellungnahme wird abhängen, ob die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 2. war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich für die Antragsteller zu 1. und 3. bis 6., deren Beschwerderücknahme mit Blick auf Nr. 5241 des Kostenverzeichnisses zum GKG ("Beendigung des gesamten Verfahrens") zu keinem gebührenmäßigen Vorteil führt, aus § 155 II VwGO und für die Antragstellerin zu 2. aus § 154 II VwGO, jeweils in Verbindung mit §§ 159 S. 1 VwGO, 100 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt für das Beschwerdeverfahren aus §§ 63 II, 47, 53 III Nr. 1 i.V.m. 52 I GKG 2004.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

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