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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 20.08.2009
Aktenzeichen: 3 A 320/08
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
Eine mangelnde Sachaufklärung stellt in der Regel keinen Verfahrensfehler im Verständnis des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG dar. Ihr ist unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs allenfalls dann Relevanz beizumessen, wenn sich dem erstinstanzlichen Gericht - von dessen Rechtsstandpunkt gesehen - eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste.
Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2008 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 10 K 28/06.A - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe:

Durch Urteil vom 29.5.2008 hat das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin, einer serbischen Staatsangehörigen aus dem Kosovo, die ihren Angaben zufolge der Volksgruppe der Ashkali angehört, auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 20.3.2006 und Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 AufenthG abgewiesen.

Mit ihrem - fristgerecht eingereichten - Antrag auf Zulassung der Berufung beruft sich die Klägerin auf den Zulassungstatbestand des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG und führt näher aus, das Verwaltungsgericht habe in mehrfacher Hinsicht gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, indem es die ihm nach § 86 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO obliegende Aufklärungs- und Hinweispflicht verletzt habe. Insbesondere habe das Gericht die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Dr. J. vom 13.2.2008 ohne hinreichende medizinisch-fachliche Auseinandersetzung und ohne hinreichende Begründung verworfen. Auch habe sich das Gericht mit der Stellungnahme der Psychologin V. vom 6.6.2007 nicht befasst, sondern diese lediglich erwähnt. Da hinreichende Anhaltspunkte für die Erkrankung der Klägerin vorgelegen hätten, habe das Gericht von einer weiteren Amtsermittlung nicht ohne entsprechenden Hinweis absehen dürfen und (zumindest) der Anregung des Beweisantrags nachgehen müssen.

Dem Begehren der Klägerin kann indes nicht entsprochen werden, da der Begründung ihres Zulassungsantrages, die den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, nicht entnommen werden kann, dass das angefochtene Urteil unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist.

Der durch Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das angerufene Gericht dazu, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Allerdings folgt hieraus nicht, dass sich das Gericht in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Einzelaspekt des Beteiligtenvorbringens ausführlich befassen muss. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein Gericht das von ihm entgegen genommene Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat, kann eine Verletzung des Gebotes, rechtliches Gehör zu gewähren, erst dann angenommen werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass es seiner insoweit bestehenden Verpflichtung nicht nachgekommen ist hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 27.5.1998 - 2 BvR 378/98 - NVwZ-RR 1999, 217 m.w.N.; Eichberger in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2008, § 138 Rdnr. 95 m.w.N..

Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind hingegen grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen. Derartige Fehler und daraus gegebenenfalls resultierend die "Unrichtigkeit" der erstinstanzlichen Entscheidung eröffnen aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung in Asylverfahren (§ 78 AsylVfG) prinzipiell nicht die Berufungsmöglichkeit.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe besteht kein Grund für die Annahme, das Verwaltungsgericht habe die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen und psychologischen Atteste, die es im Tatbestand des Urteils - auf Seite 4 des Urteilsabdrucks - anführt und in den Entscheidungsgründen - ab Seite 7 des Urteilsabdrucks - zum Teil unter näherer Befassung mit der Aussagekraft der dort wiedergegebenen Befunde erwähnt, in Wirklichkeit nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Würdigung miteinbezogen.

Ob das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der von ihm im Kontext der Gesamtumstände und unter Würdigung des persönlichen Eindrucks der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angestellten Erwägungen zu Recht die Tragweite des attestierten posttraumatischen Belastungssyndroms sowie dessen Eignung und Bewertung als Grundlage eines - hier allein maßgeblichen - zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbotes in Zweifel gezogen hat, ist nach den eingangs dargelegten Maßstäben ohne Belang; denn eine eventuelle rechtliche Fehlbeurteilung auf dieser Ebene begründet keine Verletzung des Gehörsgebotes.

Soweit die Klägerin weiter beanstandet, das Verwaltungsgericht habe aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen und den - aus ihrer Sicht - darin enthaltenen hinreichenden Anhaltspunkten für ihre Erkrankung eine weitere Amtsermittlung betreiben und der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Beweisanregung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens über ihren psychischen Zustand nachkommen müssen, macht sie der Sache nach einen Verfahrensfehler in Form der Verletzung der richterlichen Sachaufklärungspflicht geltend. Dies rechtfertigt indes die erstrebte Rechtsmittelzulassung nicht.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung eine mangelhafte Sachaufklärung in der Regel keinen Verfahrensfehler im Verständnis des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG darstellt, der zur Berufungszulassung in Verfahren der vorliegenden Art führt, da eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht zu den in § 138 VwGO bezeichneten - qualifizierten - Verfahrensmängeln gehört hierzu die Rechtsprechungsnachweise bei Marx, AsylVfG, 7. Auflage, § 78 Rdnr. 1045.

Aber auch wenn demgegenüber - ausnahmsweise - mit Blick auf die Funktion der Aufklärungsrüge einer zu Unrecht unterlassenen Sachaufklärung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) Relevanz für die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beizumessen ist hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 - (für das Revisionszulassungsrecht), zitiert nach juris; Marx, a.a.O., § 78 Rdnr. 1047 ff., so ist ein solcher Sachverhalt vorliegend nicht gegeben.

Im Ansatz ist davon auszugehen, dass - ungeachtet der in der Tat nicht gegebenen Beweisführungspflicht der Klägerin hinsichtlich des Ausmaßes und der Auswirkungen der von ihr geltend gemachten psychischen Erkrankung - hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 11.9.2007 - 10 C 17/07 - und vom 29.6.2005 - 1 B 174/04 -, jeweils zitiert nach juris ein Verwaltungsgericht die ihm gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Sachaufklärungspflicht dann nicht verletzt, wenn es von der Durchführung einer Beweisaufnahme absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht (unbedingt) beantragt hat hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 10.10.2001 - 9 BN 2/01 - NVwZ-RR 2002, 140; Beschlüsse des OVG des Saarlandes vom 26.3.2009 - 2 A 471/08 - und vom 8.5.2006 - 3 Q 18/06 -; differenzierend hinsichtlich des Verlusts eines entsprechenden Rügerechts bei in der mündlichen Verhandlung gestellten hilfsweisen Beweisanträgen OVG Bautzen, Beschluss vom 26.5.2005 - 3 B 16/02 -, NVwZ-RR 2006, 741.

In einem solchen Fall muss sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Aufklärung in der Regel nicht aufdrängen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin drängte sich eine weitere Sachaufklärung in Form der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens auch nicht - wie von ihr gerügt - auf Grund der vorgelegten ärztlichen und psychologischen Bescheinigungen auf.

Abzustellen ist insoweit auf die maßgebliche rechtliche Sicht des erstinstanzlichen Gerichts hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 24.5.2006, a.a.O., und vom 18.12.2006 - 4 BN 30/06 -, NVwZ-RR 2007, 285, Marx, AsylVfG, 7. Auflage, § 78 Rdnr. 1070.

Ausgehend hiervon fehlt es bereits an einer Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin begehrten weiteren Aufklärung ihres konkreten Krankheitsbildes jedenfalls als zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot und kann im vorliegenden Verfahren die in dem Eilverfahren 10 L 711/07 angesprochene eventuelle Aufklärung einer rein abschiebungsbedingten Suizidgefahr (inlandsbezogenes Abschiebungsverbot) dahinstehen.

Wie sich den erstinstanzlichen Ausführungen auf Seite 11 des Urteilsabdrucks entnehmen lässt - "davon abgesehen" hält das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007 posttraumatische Belastungsstörungen im Kosovo prinzipiell - ungeachtet von Tragweite und Schwere der Erkrankung - in den öffentlichen Institutionen der Gesundheitsversorgung und den Institutionen der privaten Organisationen (sog. NGO) sowie von niedergelassenen Therapeuten des Landes für angemessen und gesprächsweise behandelbar. Aus diesem Grunde hat es ausdrücklich von der in der mündlichen Verhandlung angeregten Beweiserhebung abgesehen.

Diese - selbständig tragende - Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Behandelbarkeit posttraumatischer Belastungsstörungen, die im Übrigen durch Erkenntnisse aus jüngerer Zeit erhärtet wird vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.2.2009 - 508-516.0/3 KOS -; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina an VG Gießen vom 11.2.2009 - RK 516.80-E 201/07 -; zur Krankenversorgung mittelloser Personen Botschaftsberichte an VG Frankfurt/Main vom 8.5.2009 - RK 516-80-E 282/07 - und an VG Aachen vom 1.4.2009 - RK 516.80-E 40/08 -, wird in dem Zulassungsvorbringen nicht - auch nicht hinsichtlich einer finanziellen Erreichbarkeit der gebotenen Behandlung - angegriffen, was indes für den (möglichen) Erfolg eines Zulassungsbegehrens erforderlich wäre zum Erfordernis der Darlegung eines Zulassungsgrundes für jeden Begründungsteil der erstinstanzlichen Entscheidung etwa BVerwG, Beschluss vom 16.12.1994 - 11 B 182.94 -, zitiert nach juris. .

Bei dieser Sachlage ist eine weitere Überprüfung der Aussagekraft der vorgelegten Atteste dahingehend, ob sie den Mindestanforderungen entsprächen vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 17/07 -, zitiert nach juris, angesichts derer sich eine weitere Sachaufklärung und Beweiserhebung hätte erstinstanzlich aufdrängen müssen, nicht veranlasst.

Schließlich bleibt auch die von der Klägerin erhobene Rüge der Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht ohne Erfolg. Dies ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit weiterer Sachaufklärung und Beweiserhebung. Im übrigen ist es nicht erforderlich, dass das Gericht sämtliche rechtliche Gesichtspunkte in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert; insbesondere ist es nicht verpflichtet, diesen zuvor seine aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu ziehenden Schlüsse mitzuteilen hierzu Marx, AsylVfG, 7. Aufl. § 78 Rdnr. 1062 f.

Soweit in dem Vorbringen der Klägerin eine Rüge der "unzulässigen Überraschungsentscheidung" zu sehen ist, liegt eine solche nach dem Gesagten offenkundig nicht vor. Die psychische Erkrankung der Klägerin und deren Auswirkungen waren zentraler Punkt des vorliegenden Wiederaufnahmeverfahrens und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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