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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: 3 Q 160/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
Eine Extremgefahr in Kinshasa (Kongo) ist für allein stehende Kinder immer und für allein erziehende Mütter mit kleinen Kindern im Regelfall zu bejahen.
Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13.10.2006 - 2 K 189/06.A - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe:

Im Einverständnis mit den Beteiligten kann der Senat durch den Vorsitzenden entscheiden (§ 87 a Abs. 2 VwGO).

Dem Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 13.10.2006 - 2 K 189/06.A -, mit dem das Verwaltungsgericht das Begehren auf Abschiebungsschutz vor einem lediglich möglichen Bürgerkrieg abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.

I.

Die Kläger machen geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG). Sie sehen die grundsätzliche Bedeutung in der konkreten Gefahr einer künftigen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung nach der Stichwahl zwischen Staatschef Joseph Kabila und Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba am 29.10.2006.

Vorweg ist klarzustellen, dass die Kläger nicht eine tatsächlich bestehende bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung vortragen. Eine solche bürgerkriegsähnliche Situation besteht auch nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial in Kinshasa - dem allein in Betracht kommenden Ankunftsort für Rückkehrer - nicht. Die EU-Militärmission zur Unterstützung des friedlichen Ablaufs der Wahlen im Kongo war zunächst als voller Erfolg gewertet worden Handelsblatt vom 20.12.2006.

Fünf Monate nach den relativ friedlich verlaufenen Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Republik Kongo sind dann doch im März in der Hauptstadt Kinshasa schwere Kämpfe zwischen den Truppen Kabilas und der Garde Bembas ausgebrochen Süddeutsche Zeitung vom 24./25.3.2007, Seite 10.

Diese Kämpfe endeten mit einem Fiasko für den Oppositionsführer Bemba, der aufgab und nach Portugal ausreiste Frankfurter Rundschau vom 31.3.2007, Seite 6.

Inzwischen hat sich die Lage in Kinshasa wieder weitgehend beruhigt Auswärtiges Amt, Reiseinformation vom 2. April 2007; ebenso Süddeutsche Zeitung vom 7. Mai 2007, Seite 7, dort auch zum Besuch der deutschen Entwicklungsministerin bei Kabila.

Es ist mithin eindeutig, dass sowohl im Zeitpunkt der angefochten Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 13.10.2006 als auch im Zeitpunkt der Senatsentscheidung (11.7.2007) eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung in Kinshasa im Kongo nicht existiert.

Das Rechtschutzbegehren der Kläger geht aber darüber hinaus. Die Kläger beziehen die erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthaltsG im Sinne einer Extremgefahr bereits vorverlegt auf eine von dem Gericht zu prognostizierende bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung, die derzeit noch gar nicht stattfindet.

Damit ist aber der Sinn der Rechtsprechung zur Extremgefahr verkannt, mit der eine Schutzlücke im Gesetz aus Verfassungsgründen geschlossen werden soll. Nach der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts wird der Rechtsbegriff der Extremgefahr mit der Formulierung geprägt, es müsse vermieden werden, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wird Urteil des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -, Seite 86 des Umdrucks; BVerwG, Urteil vom 16.6.2004 - BVerwG 1 C 27.03 -; BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - BVerwG 1 C 5.01 -.

Auch der Prognosemaßstab der Extremgefahr ist in der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit geklärt Urteil des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -, Seite 86 des Umdrucks; BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 -330.

In zeitlicher Hinsicht muss sich die Extremgefahr nicht sofort nach Rückkehr in den Heimatstaat, sondern bald verwirklichen Urteil des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -, Seite 86 des Umdrucks; BVerwG, Beschluss vom 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98 -.

Die konkrete Gefahr bezieht sich auf das zu erwartende persönliche Schicksal des Rückkehrers. Für die Situation im Land ist dagegen von der tatsächlichen und absehbaren Lage in dem Heimatstaat auszugehen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass insofern für eine Extremgefahr eine konkrete Bürgerkriegssituation bereits vorliegen muss so BVerwG, Urteil vom 17.1.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 - 330, bejaht für Afghanistan; BVerwG Urteil vom 2.9.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -, bejaht für Somalia; Urteil des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 - Seite 91, dort bejaht für die irakische Bürgerkriegssituation in Falludscha im Herbst 2004.

In den Bürgerkriegsfällen in der Rechtsprechung muss mithin eine konkrete Bürgerkriegssituation im Land bereits vorliegen, damit eine Extremgefahr für den einzelnen Rückkehrer bejaht werden kann. Es liegt auf der Hand, dass die notwendig unsichere Prognose eines Gerichts, in einer noch ruhigen Lage werde künftig eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung ausbrechen, nicht für die Feststellung ausreichen kann, der Ausländer würde gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert, und zwar bereits bald nach der Rückkehr.

Die Kläger begehren im Grunde die Schutzvorverlegung der Extremgefahr in einer noch ruhigen Lage im Heimatland. Dazu dient die Extremgefahr als Schließung einer verfassungsrechtlichen Schutzlücke, wie in der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist, eindeutig nicht. Ein künftiger Umbruch in der Situation im Kongo kann mit einem Asylfolgeantrag geltend gemacht werden.

Ein weiterer Klärungsbedarf besteht nicht.

Mithin bleibt die allein erhobene Grundsatzrüge der Gefahr aus einer erst zu prognostizierenden Bürgerkriegssituation ohne Erfolg.

II.

Vorsorglich weist der Senat übereinstimmend mit seiner Rechtsprechung Beschluss vom 10.11.2004 - 3 Q 32/04 -; Beschluss vom 12.7.2006 - 3 Q 45/05 - darauf hin, dass die drei 1998, 1999 und 2000 geborenen klagenden Kinder bei einer zu erwartenden Abschiebung nur mit dem vollständigen Familienverband nach Kinshasa zurückgeführt werden dürfen vgl. zum Verfahren der Eltern der Kläger den Beschluss des Senats vom 9.7.2007 - 3 Q 158/06 -.

Sollte die Behörde beabsichtigen, die Kläger als kleinere Kinder allein nach Kinshasa abzuschieben, würde dies der dargelegten Rechtsprechung des Senats diametral widersprechen. Nach der Rechtsprechung des Senats erfordert das Überleben in Kinshasa Überlebensstrategien, die einem vollständigen Familienverband möglich und zumutbar sind, nicht aber Kindern als solchen und allein stehenden Müttern mit kleinen Kindern.

Beschluss des Senats vom 12.7.2006 - 3 Q 45/05 -, Seite 4 des Umdrucks.

Dies gilt auch nach dem aktuellen Stand der Lage in Kinshasa. Die Bevölkerung in Kinshasa ist nach wie vor auf Überlebensstrategien angewiesen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Seite 17.

Solche Überlebensstrategien sind Kindern allein schwerlich zumutbar. Hinzukommt, dass Kinder allen Arten sexueller Gewalt ausgesetzt sind Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 5.9.2006, Seite 5.

Mithin hält der Senat auch nach dem neuesten Stand von 2007 an seiner asylrechtlichen Rechtsprechung fest, dass für einen vollständigen Familienverband oder Männer allein Überlebensstrategien in Betracht kommen und eine Extremgefahr auszuschließen ist. Demgegenüber sind solche Überlebensstrategien für Kinder nicht möglich und für allein erziehende Mütter mit kleineren Kindern in aller Regel ausgeschlossen, sodass in diesen Konstellationen eine Extremgefahr zu bejahen ist.

Dabei handelt es sich aber um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG, das nach der Rechtsprechung des OVG des Saarlandes im Abschiebungsverfahren gegen die Ausländerbehörde formell nicht berücksichtigt werden kann Beschluss des OVG des Saarlandes vom 17.5.2006 - 2 W 11/06 -.

Verfahrensrechtlich geht der Senat aber davon aus, dass die Kläger im Fall ihrer beabsichtigten Abschiebung ohne Familienverband nach Kinshasa effektiven Rechtsschutz durch einen Folgeantrag im Asylverfahren gegen das Bundesamt erlangen können. Durch die Auflösung des Familienverbandes mit getrennter Abschiebung entsteht eine grundlegend geänderte Abschiebungssituation. Dies rechtfertigt einen Folgeantrag ähnlich wie wenn eine bisher nicht bedrohliche Krankheit sich nachträglich lebensbedrohlich zuspitzt. Vergleichbar verändert sich die Abschiebungssituation im Familienverband, die noch keine Extremgefahr darstellt, ganz wesentlich im Sinne einer lebensbedrohlichen Situation, wenn kleinere Kinder allein nach Kinshasa abgeschoben werden sollen. Es wird Sache der Behörden sein, diese Rechtsprechung des Senats zu beachten.

Nach der gegenwärtigen prozessualen Lage stellt sich indes keine Grundsatzfrage, die in einem neuen Berufungsverfahren zu entscheiden wäre.

Für die derzeit erstrebte Rechtsmittelzulassung ist danach kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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