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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 19.05.2006
Aktenzeichen: 3 Q 81/06
Rechtsgebiete: AufenthaltsG


Vorschriften:

AufenthaltsG § 60 Abs. 7 Satz 1
Es entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG angesichts einer - auch psychischen - Erkrankung bei dem jeweiligen Ausländer vorliegen, nur einer Beurteilung anhand der jeweiligen Fallumstände, das heißt, des konkreten Krankheitsbildes und eventuell benötigter Medikamente zugänglich ist, die nicht "abstrakt" für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann.
Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 10 K 250/04.A - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe:

Dem Antrag der Klägerin, einer serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo, auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 24.1.2006, mit dem das Verwaltungsgericht ihre Verpflichtungsklage mit dem Antrag abgewiesen hat,

"die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6.8.2004, , soweit sie von diesem betroffen ist, und Abänderung des Bescheides vom 2.10.2000, 2588721-138, zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG hinsichtlich der Klägerin vorliegt,"

kann nicht entsprochen werden.

Die Klägerin, die im Dezember 1997 mit ihren noch minderjährigen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hat nach - bestandskräftigem - Widerruf der zu ihren Gunsten ausgesprochenen Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG und Ablehnung einer Feststellung nach § 53 Abs. 6 AuslG mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.6.2004 das Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Feststellung nach § 53 Abs. 6 AuslG beantragt und unter Vorlage von nervenfachärztlichen Attesten, die ihr Kombinationskopfschmerz - Spannungskopfschmerz und Migräne - verstärkt durch eine reaktive Depression bescheinigen, und ein psychologisches Attest des Vereins X. e.V. vom 23.6.2004, in dem es zusammenfassend heißt, sie leide an einer Reaktion auf schwere Belastungen (ICD-10 Nr. F 43.8), geltend gemacht, bei ihr lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Feststellung nach § 53 Abs. 6 AuslG vor.

Der Antrag wurde durch Bescheid der Beklagten vom 6.8.2004 abgelehnt. Zur Begründung ist unter anderem ausgeführt, die Klägerin habe vorgebracht, dass sie unter Migräne und Spannungskopfschmerz leide, die medikamentös mit Amitriptylin behandelt würden. Das deutsche Verbindungsbüro Kosovo führe hierzu in Auskünften an die Stadt Moers sowie an die Ausländerbehörden Duisburg und Gelsenkirchen aus, dass bezogen auf den Einzelfall eine posttraumatische Belastungsstörung (und eine mittelgradige depressive Episode) im Kosovo medikamentös und durch kontinuierliche nervenärztliche Betreuung behandelbar sei. Als Basismedikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen stünden unter anderem Fluxanol, Amitriptylin, Diazepam, Lexilium, Clomipramin und Haloperidol zur Verfügung, die grundsätzlich kostenfrei an den Patienten abgegeben würden. Damit sei sichergestellt, dass die Klägerin in ihrer Heimat die gleiche Behandlung erhalte, die auch in Deutschland angewendet werde.

Die Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und ein weiteres Attest vorgelegt hat, hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 24.1.2006 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist nach Darlegung der Voraussetzungen für die Zubilligung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG wegen gesundheitlicher Gefährdung ausgeführt, hinsichtlich der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Erkrankungen habe die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid bereits überzeugend und erschöpfend ausgeführt, dass diese im Kosovo behandelbar seien. Auf diese Ausführungen werde gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen. Im Übrigen gelte, dass sich aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung eine Gesundheitsgefährdung von erheblicher Intensität in dem für die Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG geforderten Sinne nicht ableiten lasse. Sämtliche vorgelegten Atteste belegten im Kern lediglich, dass die Klägerin an Migräne beziehungsweise an wöchentlich öfter auftretenden starken Kopfschmerzen leide und ihre Erkrankung im Übrigen dadurch geprägt sei, dass sie dann jeweils auch im "Bett bleibe, nichts esse keine Lust und keine Kraft habe irgendetwas zu machen". Bereits diese Krankheitserscheinungen belegten, dass von einer schweren Erkrankung, die bei einer Rückkehr in den Kosovo alsbald zu einer wesentlichen Verschlimmerung führen würde, keine Rede sein könne. Im Übrigen werde die aus diesen Symptomen abgeleitete psychische Überforderung in Form einer Reaktion auf schwere Belastung, wie sie in dem Attest von X. e.V. vom 23.6.2004 diagnostiziert werde, wesentlich darauf zurückgeführt, dass die Klägerin, wie ebenfalls dieser Bescheinigung zu entnehmen sei, "große Angst vor einer Abschiebung habe", dass sie Niemanden im Kosovo habe und "die Kinder... doch hier zuhause" seien. Hiermit werde wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid bereits zu Recht angenommen habe, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis geltend gemacht, über das in dem vorliegenden Verfahren allein zu entscheiden sei. Im Übrigen ergebe sich aus den Attesten beziehungsweise psychologischen Bescheinigungen, von denen das Attest von X. e.V. vom 23.6.2004 noch am aussagekräftigsten sei, in keiner Weise, dass sich die Erkrankung der Klägerin bei einer erzwungenen Rückkehr in den Kosovo wesentlich verschlimmerte. Das wird in den Entscheidungsgründen des Urteils näher dargelegt. Ferner heißt es, die Klägerin müsse sich auf die in ihrem Heimatland möglichen und üblichen Therapiemethoden verweisen lassen, auch wenn diese dem in Deutschland geltenden Standard nicht entsprächen. Nach der Auskunftslage seien die in der "essential drug list" aufgeführten Psychopharmaka im Kosovo auch kostenlos erhältlich. Nur in Einzelfällen komme es vor, dass Medikamente, die eigentlich kostenfrei seien, nur gegen Bezahlung ausgehändigt würden. Die meisten anderen Medikamente könnten in Apotheken gegen Bezahlung erworben werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach Rückkehr in ihr Herkunftsland die dort mögliche Behandlung ihrer Erkrankung nicht erhalten werde, seien weder konkret dargelegt noch ersichtlich.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen im Kosovo behandelbar sein. Die Klägerin gibt in diesem Zusammenhang das psychologische Attest von X. e.V. vom 23.6.2004, in dem ihr eine Reaktion auf schwere Belastung (ICD-10 Nr. F 43.8) bescheinigt wird, auszugsweise wieder und führt aus, zwar räume das Verwaltungsgericht selbst ein dass sich die Klägerin auf die in ihrem Heimatland möglichen und üblichen Therapiemethoden verweisen lassen müsse. Auch seien die in der "essential drug list" aufgeführten Psychopharmaka im Kosovo kostenlos erhältlich und komme es nur in Einzelfällen vor, dass Medikamente, die eigentlich kostenfrei seien, gegen Bezahlung ausgehändigt würden. Völlig unberücksichtigt gelassen habe das Gericht jedoch, dass Schwierigkeiten bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen aufträten. So solle es im Kosovo lediglich 20 Psychotherapeuten geben, die darüber hinaus überwiegend in Prishtina ansässig seien. Angesichts dessen sei eine psychotherapeutische Behandlung der Klägerin im Kosovo zur Zeit nicht möglich. Von grundsätzlicher Bedeutung sei ferner die Beantwortung der Frage, ob bei Albanern aus dem Kosovo eine Behandlung in einem anderen Teil von Serbien-Montenegro möglich sei. Das sei über längere Zeit angenommen worden. Nach zwischenzeitlichen Erkenntnissen würden jedoch mittlerweile vor einer Behandlung Anforderungen an Wohnsitz und Sprachkenntnisse gestellt, die die Klägerin schon deshalb nicht erfülle, weil sie des Serbo-Kroatischen nicht mächtig sei und über keinerlei Beziehungen außerhalb des Kosovo verfüge.

Dieses Vorbringen, das den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung in dem vorliegenden Zulassungsverfahren begrenzt, rechtfertigt es nicht, die Berufung in Anwendung des allein geltend gemachten Tatbestandes des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zuzulassen.

Die Klägerin lässt zunächst unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht seine ihre Klage abweisende Entscheidung nicht nur - weitgehend unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 6.8.2004 (siehe Seite 6 des Urteilsabdruckes) - mit der Erwägung begründet hat, die von ihr geltend gemachten Erkrankungen seien im Kosovo behandelbar. Es hat außerdem selbstständig tragend ("Im Übrigen gilt...") darauf abgestellt, dass sich aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen eine Gesundheitsgefährdung von erheblicher Intensität in dem für die Anerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG geforderten Sinne nicht ableiten lasse und führt unter Wiedergabe der in den Bescheinigungen, auch in dem Attest von X. e.V. vom 23.6.2004 geschilderten Symptome in diesem Zusammenhang aus, bereits diese Krankheitserscheinungen belegten, dass von einer schweren Erkrankung, die sich bei Rückkehr in den Kosovo alsbald wesentlich verschlimmern werde, keine Rede sein könne. Ferner hat das Verwaltungsgericht in der aus den Symptomen abgeleiteten "psychischen Überforderung" in Form einer Reaktion auf schwere Belastungen (ICD-10, Nr. F 43.8), wie sie in der letztgenannten Bescheinigung diagnostiziert wird, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gesehen und in diesem Zusammenhang die von der Klägerin geäußerten Befürchtungen angeführt.

Wird in Fallgestaltungen, in denen wie hier das angefochtene Urteil auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt wird, die Zulassung der Berufung beantragt, so kann diesem Begehren nur dann entsprochen werden, wenn hinsichtlich eines jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund dargelegt und vorliegt vgl. zum Beispiel Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405/89 - NVwZ - RR 1990, 379, OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 7.7.2005 - 2 Q 23/05 - (Fußnote 12); und vom 5.5.2006 - 3 Q 22/06 -; Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 155.

Daran fehlt es hier. Denn die Klägerin beschränkt sich in der insoweit maßgeblichen Begründung ihres Zulassungsantrages darauf, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit Blick auf die Frage der Behandelbarkeit der ihr attestierten posttraumatischen Belastungsstörung im Kosovo und mit Blick auf die Frage geltend zu machen, ob sie auf eine Behandlung in anderen Landesteilen von Serbien-Montenegro verwiesen werden könne. Hinsichtlich der weiteren selbständigen Beurteilung des Verwaltungsgerichts, sie leide nach den vorgelegten Attesten nicht an einer schwerwiegenden Erkrankung, die sich bei Rückkehr in den Kosovo alsbald wesentlich verschlimmern werde, hat sie hingegen keinen Zulassungsgrund vorgebracht.

Abgesehen hiervon entspricht es der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG angesichts einer - auch psychischen - Erkrankung bei dem jeweiligen Ausländer vorliegen, nur einer Beurteilung anhand der jeweiligen Fallumstände, das heißt, des konkreten Krankheitsbildes und eventuell benötigter Medikamente zugänglich ist, die nicht "abstrakt" für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann. Es handelt sich demnach nicht um eine allgemein klärungsfähige Frage von grundsätzlicher Bedeutung.

Vgl. zum Beispiel OVG des Saarlandes, Beschluss vom 15.3.2005 - 1 Q 9/05 - zum Fall einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Ob der hier gegebene Einzelfall vom Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend beurteilt worden ist, hat indes Bedeutung nur für diesen, was nach der Gesetzeslage die Zulassung der Berufung in Asylstreitigkeiten nicht rechtfertigen kann. Die Rechtsmittelbeschränkung in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz (§ 78 AsylVfG) verdeutlicht vielmehr, dass - anders als in Allgemeinverfahren (vgl. insoweit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - nicht jedem beim Verwaltungsgericht unterlegenen Asylbewerber allein unter Geltendmachung der angeblichen "Unrichtigkeit" der erstinstanzlichen Entscheidung die Berufungsmöglichkeit eröffnet werden und dass damit gerichtlicher Rechtschutz in diesem Bereich grundsätzlich auf eine Instanz beschränkt bleiben soll.

Die von der Klägerin außerdem aufgeworfene, als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob eine Verweisung auf Behandlungsmöglichkeiten in anderen Landesteilen von Serbien-Montenegro - außerhalb des Kosovo - in Betracht komme, vermag die Berufungszulassung auf der Grundlage von § 78 Abs. 3 Nr. 1 VwGO schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil diese Frage für das Verwaltungsgericht nicht erheblich war und es hierzu auch keine Feststellungen getroffen hat. Dass sich die Frage in einem Berufungsverfahren aufgrund einer bestimmten Verfahrenskonstellation als entscheidungserheblich erweisen könnte, reicht hingegen nicht aus vgl. zum Beispiel Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 173 m.w.N.; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, § 78 Rdnr. 153.

Von einer weiteren Begründung der Nichtzulassungsentscheidung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).

Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist danach kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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