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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 22.05.2007
Aktenzeichen: 3 R 2/06
Rechtsgebiete: GG, SchüföG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
SchüFöG § 1
SchüFöG § 2
SchüFöG § 2 Abs. 2
Aus § 2 Abs. 2 ergibt sich bei Auslegung im Lichte des Behindertengrundrechts nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, dass behinderte Schüler einkommensunabhängig gefördert werden sollen, gleichgültig, ob sie Schulen für Behinderte oder (gleichgestellte) Regelschulen besuchen. Schülerförderung i.S.d. §§ 1,2 SchüföG (hier Fahrtkosten zur Schule) bedeuten mithin keine Privilegierung einer bestimmten Schule, sondern der behinderten Schüler; nur diese sollen gefördert werden, nicht die Schulform.
Tenor:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgericht des Saarlandes vom 27.12.2005 - 11 K 235/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der bei seinen Eltern in A-Stadt wohnende minderjährige Sohn der Kläger ist lernbehindert. Seit August 2002 besucht er die H. schule in F.-B. (J.-Schule). Aufgrund seiner Behinderung ist er nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel für die Fahrt zur Schule zu benutzen. Mangels anderweitigen Fahrdienstes wird er regelmäßig von den Klägern morgens zur Schule gebracht und dort mittags wieder abgeholt.

Hinsichtlich dieser Fahrten beantragten die Kläger mit Schreiben vom 11.06.2003 einen Fahrkostenzuschuss nach dem Schülerförderungsgesetz für das Schuljahr 2003/2004, der mit Bescheid der Beklagten vom 31.3.2004 endgültig abgelehnt wurde.

Der hiergegen am 8.4.2004 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses vom 31.01.2005, den Klägern zugestellt am 13.05.2005, im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Johannes-Schule nicht als eine Ersatzschule für eine Schule für Behinderte, sondern als eine Ersatzschule für eine Regelschule staatlich anerkannt worden sei.

Mit ihrer am 09.06.2005 erhobenen Klage machten die Kläger geltend, ihnen stehe gemäß § 2 Abs. 2 SchüFöG ein Fahrkostenzuschuss ohne Nachweis ihres Einkommens zu. Ihr Sohn sei als Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf zum Besuch des Unterrichts nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 SchulPflG verpflichtet. Die J-Schule sei eine Schule für Behinderte und damit als eine Sonderschule im Sinne einer Schule für Erziehungshilfe gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 2 SchoG anzusehen; denn an dieser Schule fänden ausschließlich lernbehinderte Kinder und Kinder mit Bedarf an Erziehungshilfe, so genannte L- und E-Schüler, nach staatlicher Zuweisung Aufnahme.

Dass die J-Schule einen eigenen Lehrplan habe, der sich nicht an den Lehrplänen der staatlichen Sonderschulen ausrichte, ändere nichts an ihrem Status als Sonderschule. Sie orientiere sich zwar an den Lehrplänen der W-schulen, die als Ersatzschulen für Regelschulen anzusehen seien, übernehme diese jedoch nicht vollständig und habe eine spezielle Ausrichtung. Die Schüler würden über einen Zeitraum von 12 Jahren unterrichtet und hätten am Ende der Schulzeit die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erreichen.

Im Übrigen seien Errichtung und Betrieb der J-Schule als W-schule für Erziehungshilfe in Form einer Ersatzschule für eine Sonderschule mit Bescheid vom 27.10.1987 genehmigt worden und die J-Schule am 10.09.1992 staatlich anerkannt worden. Auch fielen die seitens des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft geleisteten Zuwendungen für E-Schüler höher aus als diejenigen für L-Schüler.

Ordne man die J-Schule als Regelschule ein, ergebe sich ein Anspruch auf den begehrten Fahrkostenzuschuss aus § 2 Abs. 2 letzte Alt. SchüFöG.

Die Kläger haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

"unter Aufhebung des Bescheides vom 31.3.2004 und des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses vom 31.1.2005 die Beklagte zu verpflichten, ihnen hinsichtlich des Schuljahres 2003/2004 einen Fahrkostenzuschuss für ihren Sohn C. nach § 2 Abs. 2 SchüFöG zu gewähren."

Die Beklagte hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ihre Auffassung bekräftigt, die J-Schule sei keine anerkannte Schule für Behinderte und damit keine Sonderschule im Sinne von § 2 Abs. 2 SchüFöG. Dies ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass der Unterricht dort auf Grundlage des w-spezifischen Regelschulplans und nicht auf Grundlage der Lehrpläne für Sonderschulen erfolge. Zwar sei in dem Genehmigungsbescheid des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft vom 27.10.1987 und dem Bescheid über die staatliche Anerkennung vom 10.9.1992 lediglich von einer Ersatzschule und nicht von einer Ersatzschule für eine Regelschule die Rede. Aus dem fehlenden Zusatz "für eine Regelschule" lasse sich jedoch nicht der Wille des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft entnehmen, dass die Genehmigung für eine Ersatzschule als Sonderschule habe erteilt werden sollen. Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft habe mit Schreiben vom 9.10.2003 und 8.1.2004 den Status der J-Schule als Ersatzschule für eine Regelschule bestätigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.12.2005 - zugestellt am 9.1.2006 - hat das Verwaltungsgericht unter Berufungszulassung der Klage stattgegeben - 11 K 235/05 - und zur Begründung ausgeführt, die von dem lernbehinderten Sohn der Kläger besuchte J-Schule sei eine Schule für Behinderte i.S.d. § 2 Abs. 2 SchüFöG, da es sich um eine Sonderschule i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SchoG handele.

Durch den Bescheid vom 27.10.1987 sei insoweit "die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer W-schule für Erziehungshilfe in A-Stadt als Ersatzschule ab dem Schuljahr l987/88 erteilt" und mit weiterem Bescheid vom 10.9.1992 sei diese Schule unter Bezugnahme auf den Bescheid aus dem Jahre 1987" gemäß § 18 Abs. 1 Privatschulgesetz staatlich anerkannt" worden. Die Anerkennung sei mithin als Ersatzschule für eine Schule für Erziehungshilfe erfolgt. Eine Schule für Erziehungshilfe besuche gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SchoG, "wer aufgrund erheblicher psychischer Störungen und sozialer Auffälligkeiten, die nach Dauer, Häufigkeit und Intensität mit allgemeinen unterrichtlichen Mitteln und erzieherischen Maßnahmen oder durch ambulante Hilfe nicht mehr abgebaut werden könnten, in Schulen der Regelform nicht mehr hinreichend gefördert werden könne oder seine Mitschüler fortgesetzt erheblich beeinträchtige oder gefährde". Eine Schule für Erziehungshilfe sei aber keine Regelschule, sondern eine Sonderschule. Sei die von dem Sohn der Kläger besuchte Schule aber als Ersatzschule für eine Sonderschule staatlich anerkannt, so handele es sich um eine "Schule für Behinderte" i.S.d. § 2 Abs. 2 SchüFöG.

Ihrem Status als "Schule für Behinderte" entspreche im Übrigen, dass an der Johannes-Schule ausschließlich Kinder unterrichtet würden, die nach den einschlägigen Regelungen als Behinderte eingestuft seien.

Insbesondere führe die Tatsache, dass in der J-Schule Schüler mit verschiedenartigen Behinderungen unterrichtet würden, es sich in der Sache also um eine Kombination verschiedener Sonderschulformen i.S.d. § 4 Abs. 4 SchoG handele nicht dazu, dass von einer Regelschule ausgegangen werden müsste; im Gegenteil ändere gerade dieser Umstand nichts daran, dass in der J-Schule ausschließlich behinderte Schüler unterrichtet würden und es sich wegen dieser Ausschließlichkeit nur um eine Schule für Behinderte handeln könne.

In der zugelassenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die erstinstanzliche Stattgabe und vertieft mit dem am 20.1.2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ihr bisheriges Vorbringen. Sie betont, die J-Schule sei entsprechend dem Genehmigungs- und dem späteren Anerkennungsbescheid ausdrücklich eine Schule besonderer pädagogischer Prägung. Die Bezeichnung "W-schule für Erziehungshilfe" sei in dem Genehmigungsbescheid allein deshalb gewählt worden, um dem Erfordernis des § 3 Abs. 2 S. 1 PrivSchG, wonach die Schulform und die Schulart unter Beachtung der für öffentliche Schulen geltenden Regelungen genannt werden müssten, zu genügen. Aufgrund der besonderen pädagogischen Prägung könne sie gemäß § 5 Abs. 1 lit.b PrivSchG nicht zugleich eine Sonderschule i.S.d. SchoG bzw. des SchüföG sein; denn § 5 Abs. 1 PrivSchG unterteile der Ersatzschulen danach, ob sie in ihren Lehr- und Erziehungszielen den im Land bestehenden oder grundsätzlich vorgesehenen öffentlichen Schulen entsprächen oder Schulen besonderer pädagogischer Prägung seien.

Sei die J-Schule aber als Schule besonderer pädagogischer Prägung genehmigt worden, scheide ihre Qualifizierung als eine im öffentlichen Schulsystem vorgesehene Schule - wie etwa als Sonderschule bzw. Schule für Behinderte aus. Diese Ansicht werde auch seitens des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft (in einem Schreiben vom 16.11.2005) geteilt.

Selbst wenn man aber unterstelle, es handele sich bei der hier streitigen Schule um eine Schule für Behinderte, verkenne die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass den Klägern gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 4 SchoG i.V.m. § 2 Abs. 3 VO über die notwendigen Beförderungskosten ein Fahrkostenerstattungsanspruch gegen den (privaten) Schulträger zustehe. Damit seien die Kläger von einer (weiteren) Förderung nach dem SchüföG ausgeschlossen (§ 1 Abs. 2 SchüFöG).

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Gerichtsbescheides die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertiefen ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend weisen sie daraufhin dass, - die Rechtsansicht der Beklagten zur Rechtsform der J-Schule einmal unterstellt - zu berücksichtigen sei, dass ihr Sohn dann dort zumindest integrativ unterrichtet werde (vgl. §§ 4 Abs. 3 SchoG, 6 Abs. 1 SchulPflG) und damit gleichfalls eine einkommensunabhängige Bezuschussung zu erfolgen habe. Im Übrigen sei die von der Beklagten (hilfsweise) vorgebrachte Anwendung des § 45 SchoG nach § 8 SchoG ausgeschlossen.

II.

Der Senat hält die Berufung der Beklagten unter Berücksichtigung ihres Gesamtvorbringens einstimmig für nicht begründet und macht daher nach Anhörung der Beteiligten von der durch § 130 a VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das schriftliche Verfahren im Beschlussweg offen steht, da der Berufungsklägerin erstinstanzlich - ausweislich der konkreten Rechtsmittelbelehrung - eine mündliche Verhandlung eröffnet war (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 14.3.2002 - 1 C 15/01 -). Die Beteiligten haben hierzu auch keine Einwände geäußert.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis zutreffend und muss die dagegen gerichtete Berufung erfolglos bleiben. Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgendem: Allgemeine Anspruchsgrundlage für die von den Klägern begehrten Fahrtkosten ihres behinderten Sohnes zur Waldorfschule in Bildstock ist § 1 Abs. 1 Schülerförderungsgesetz (vom 20.6.1984, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.3.2005 Abl. S. 438 - im folgenden SchüföG). Danach fördert das Land - nach Maßgabe dieses Gesetzes - die Schüler der öffentlichen Schulen i.S.d. Schulordnungsgesetzes (SchoG) und der auf Grund des Privatschulgesetzes genehmigten privaten Ersatzschulen u.a. durch Fahrkostenzuschüsse. Schüler von öffentlichen Schulen und von genehmigten Ersatzschulen werden mithin völlig gleichgestellt. Die hier in Rede stehende W-schule ist unstreitig eine seit 1987 genehmigte Ersatzschule, an der - ebenfalls unstreitig - ausschließlich behinderte Kinder (bzw. behinderte und besonders erziehungsbedürftige) unterrichtet werden.

Nach der speziellen Anspruchsgrundlage des § 2 Abs. 2 SchüföG erhalten Schüler der Schulen für Behinderte ohne Nachweis der Einkommensverhältnisse einen Fahrkostenzuschuss.

Im staatlichen Schulsystem werden alle behinderten Schüler gleichmäßig gefördert, da sie nach § 4 Abs. 1 und 4 SchoG nur entweder in Regelschulen mit Nichtbehinderten oder in Schulen für Behinderte unterrichtet werden können. Beide Fälle werden von der Förderungsvorschrift des § 2 Abs. 2 SchüföG gleichmäßig erfasst. Nach der aufgezeigten Grundregel des § 1 Abs. 1 SchüföG - sowie entsprechend dem Sinn und Zweck des Behindertengrundrechts ( Art. 3 Abs. 3 S 2 GG) - werden behinderte Schüler von Ersatzschulen den behinderten Schülern des staatlichen Schulsystems gleichgestellt.

Mithin ist die Unterscheidung von Schulen für Behinderte und Schulen der Regelform in der Fördernorm des § 2 Abs. 2 SchüföG auf Ersatzschulen sinngemäß zu übertragen.

Das Verwaltungsgericht ist zu der nahe liegenden und einleuchtenden Einordnung gelangt, dass die ausschließlich von Behinderten besuchte Waldorfschule - ungeachtet ihres Bildungsgangs besonderer Prägung - der Rechtsform nach eine Schule für Behinderte darstellt.

Unterstellt man die wenig überzeugende Gegenansicht der Beklagten als richtig, liegt rein formell eine genehmigte Regelschule vor, die ausschließlich behinderte Schüler unterrichtet.

Die - hier umstrittene - Rechtsform der Schule ist aber vom Förderzweck her gesehen letztlich nicht ausschlaggebend.

Aus § 2 Abs. 2 SchüföG ergibt sich bei Auslegung im Lichte des Behindertengrundrechts der Zweck, dass behinderte Schüler einkommensunabhängig gefördert werden sollen, gleichgültig ob sie Schulen für Behinderte oder (gleichgestellte) Regelschulen besuchen. Schülerförderung im Sinne der §§ 1, 2 SchüföG bedeutet keine Privilegierung einer bestimmten Schulform, sondern der behinderten Schüler; nur diese sollen gefördert werden, nicht die Schulform. Deshalb ist auch der unterstellte Fall einer genehmigten Schule der Regelform ausschließlich für behinderte Kinder - wie von der Berufungsführerin angenommen - förderungsrechtlich sinngemäß einer Schule für Behinderte gleichzustellen.

Die Hilfsargumentation der Berufungsführerin aus der Kostenvorschrift des § 45 SchoG greift nicht, da nach der Weichenstellung in § 8 SchoG die Norm des § 45 SchoG mangels ausdrücklicher Anordnung nicht auf Privatschulen wie die hier streitige W-schule anwendbar ist.

Nach allem hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Beklagte verpflichtet, den Klägern den geltend gemachten Fahrkostenzuschuss für ihren Sohn C. nach § 2 Abs. 2 SchüföG zu gewähren und ist die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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