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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 29.10.2003
Aktenzeichen: 3 W 32/03
Rechtsgebiete: SchoG, Schulpflichtverordnung


Vorschriften:

SchoG i.d.F.v. 09.07.2003 § 4 Abs. 4 Nr. 6
SchoG i.d.F.v. 07.07.2003 § 6 Abs. 1
SchoG i.d.F.v. 07.07.2003 § 6 Abs. 2
Schulpflichtverordnung i.d.F.v. 21.11.2000 § 6
Bei "flächendeckendem" Misserfolg in allen wissenschaftlichen Fächern der Regelschule, fehlendem Begreifen von Sachverhalten und einem festgestellten Intelligenzquotienten von 68 ist die Sonderschule für Lernbehinderte die bessere Förderform für Leistungsentwicklung und Selbstvertrauen als ein individueller Integrationsplan in der Regelschule mit Schwerpunktförderung.
Tenor:

1. Die Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe für das einstweilige Rechtsschutzverfahren versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18.9.2003 - 1 F 39/03 - wird zurückgewiesen.

2. Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird nicht gewährt.

3. Die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

5. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Klage 1 K 171/03 und dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren 1 F 39/03 gegen den nachträglich für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 22.7.2003, wonach sie für die Klassenstufe 6 von der ein Jahr lang besuchten Erweiterten Realschule S in die Schule für Lernbehinderte in S umgeschult wird. Das Verwaltungsgericht hat in dem Beschluss vom 18.9.2003 - 1 F 39/03 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt und das als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ausgelegte Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich in der Sache die Antragstellerin - die Mutter der Antragstellerin ist nur versehentlich als Beschwerdeführerin bezeichnet -, die für beide Instanzen Prozesskostenhilfe begehrt, im Beschwerdeverfahren und macht geltend, das Verwaltungsgericht habe das Ziel ihres Begehrens verkannt, da sie zusätzlich integrative Unterrichtung in der Regelschule begehre.

II.

Die nach § 146 I zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ebenso erfolglos wie der Antrag auf Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren hinsichtlich des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, da nach den §§ 166 VwGO, 114 ZPO auch unter Einbeziehung der sachdienlichen Antragsänderung (§ 91 I VwGO) keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestehen, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt.

Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren klargestellt, dass es ihr mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht schlicht um die Fortsetzung des Schulbesuchs in der Regelschule geht, sondern um die integrative Betreuung in der Regelschule nach § 1 der Integrations-Verordnung in der Fassung der ÄnderungsVO vom 4.7.2003 (Amtsbl. S. 1910). Erstrebt eine Schülerin wie hier nicht nur die Fortsetzung des Status quo, sondern eine andersartige Beschulung als vom Antragsgegner angeordnet und als bisher, ist dem in Form eines einstweiligen Rechtsschutzbegehrens auf der kombinierten Rechtsgrundlage der §§ 80 und 123 VwGO zulässigerweise Rechnung zu tragen, vgl. Beschluss des Senats vom 11.9.2002 - 3 W 21/02 -, S. 2 des amtl. Umdrucks, was hier noch im Wege einer sachdienlichen Antragsänderung geschehen kann (§ 91 I VwGO).

In der Sache selbst bleibt das Begehren aber erfolglos, da nach der zutreffenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts die Umschulung in die Schule für Lernbehinderte auf der Grundlage der §§ 4 IV Nr. 6 Schulordnungsgesetz (SchoG) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 9.7.2003 (Amtsbl. S. 1990), 6 I und II Schulpflichtgesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 9.7.2003 (Amtsbl. S. 1990) sowie 6 der Schulpflichtverordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom 21.11.2000 (Amtsbl. S. 2035) voraussichtlich Bestand hat.

In formaler Hinsicht ist zunächst festzustellen, dass ungeachtet der Rügen der Antragstellerin das auf die Umschulung bezogene Verwaltungsverfahren nach § 6 II Schulpflichtgesetz sowie § 6 Schulpflichtverordnung korrekt durchgeführt ist. Eine Anhörung der erziehungsberechtigten Mutter (§ 6 II Schulpflichtgesetz, § 6 III Schulpflichtverordnung) hat stattgefunden; ebenso ein Überprüfungsverfahren mit dem sonderpädagogischen Gutachten vom 26.3.2003 (§ 6 II Schulpflichtgesetz, § 6 IV Schulpflichtverordnung) und die zwischenzeitlich nach dem Änderungsgesetz vom 9.7.2003 (Amtsbl. S. 1990) nicht mehr obligatorische Hinzuziehung eines Schulpsychologen nach § 6 II Schulpflichtgesetz hat in Form der Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 59) stattgefunden. Dagegen betreffen die von der Antragstellerin aufgeführten formellen Fehler des Förderausschusses vom 28.5.2003 (Behördenakte Bl. 53, 49) Stimmengewichtung der alleinerziehenden Mutter nur mit einer Stimme statt wie vorgeschrieben mit zwei Stimmen nach § 8 I 2 Integrationsverordnung sowie nach der Antragserwiderung unstreitig keine Anhörung des Vorsitzenden der Elternvertretung nach § 8 V Integrationsverordnung das vom Verfahrensgegenstand zu unterscheidende Verwaltungsverfahren zur Integrationsfeststellung nach den §§ 6 bis 8 Integrationsverordnung, bei dem etwaige Verfahrensfehler einen Integrationsanspruch von vornherein nicht begründen können.

Mithin entscheidet der Senat wie das Verwaltungsgericht in der Sache insbesondere auf der Grundlage des überzeugenden sonderpädagogischen Gutachtens vom 26.3.2003 (Behördenakte Bl. 42). Bei der Würdigung der Schulleistung in der ein Jahr besuchten Erweiterten Realschule weist das Jahreszeugnis vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 69) mangelhafte Leistungen in Deutsch, Mathematik, Französisch, Biologie und Erdkunde auf. In dem gleichzeitig erstellten Entwicklungsbericht vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 68) ist dazu insbesondere ausgeführt, dass es der Antragstellerin oft am grundlegenden Verständnis fehlt. Zur schulischen Situation ist im sonderpädagogischen Gutachten vom 26.3.2003 ausgeführt, dass der Antragstellerin in Deutsch sämtliche Grundkenntnisse fehlen, in Mathematik große Probleme in den Grundrechenarten bestehen und sie im Sachunterricht Sachverhalte nicht begreift, was der Gutachter zusammenfassend als völliges Schulversagen bezeichnet. Das Unverständnis von Sachverhalten wird in dem Gutachten überzeugend mit den den Ergebnissen der Intelligenztests erklärt, wonach bei dem CPM-Test mit einem Prozentsatz von 3 die Leistungsstufe geistiger Behinderung erreicht wird und der CFT-Intelligenztest einen IQ nach der Altersnorm von 68 ergibt. Nachvollziehbar hält der Gutachter bei seiner Anhörung durch den Förderausschuss (Behördenakte Bl. 53) eine Integrationsmaßnahme an der Regelschule bei dieser Sachlage nicht für sinnvoll. Der Senat würdigt in seiner Rechtsprechung zur Frage eines deutlichen Intelligenzrückstandes (§ 4 IV Nr. 6 SchoG) als Voraussetzung des Besuchs der Schule für Lernbehinderte, dass abweichend von dem Normalfall eines Intelligenzquotienten von 100 ein Wert von 70 bis 80 eine leichte Intelligenzeinschränkung enthält, ein Wert von 60 bis 70 bereits eine mittelgradige und ein Wert von unter 60 eine hochgradige Einschränkung bedeutet. Beschluss des Senats vom 11.9.2002 - 3 W 21/02 -, S. 6 des amtl. Umdrucks; unter Verweisung auf den Duden, Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrük-ke, 6. Auflage 1998, Stichwort: Intelligenzquotient.

Das durch die Intelligenzeinschränkung als langfristigen Faktor bedingte Nichtverstehen von Sachverhalten mit der Konsequenz eines vollständig fehlenden Erfolgs an der Regelschule bietet keinen positiven Anhaltspunkt dafür, für eine zieldifferente Unterrichtung (§ 9 Integrationsverordnung) einen individuellen Förderplan aufzustellen (§ 3 Satz 2 der Integrationsverordnung). Bei der Frage der besten Förderungsform leuchtet es nicht ein, dass die Förderung gerade in der Schulart erfolgen soll, in der es in kürzester Zeit zu einem verglichen mit der Grundschule schwerwiegenden Misserfolg gekommen ist.

Die Antragstellerin führt in der Beschwerdebegründung insgesamt keinen überzeugenden Gesichtspunkt an, der die dem deutlichen Intelligenzrückstand entsprechende geeignete Schulform der Schule für Lernbehinderte ausschließt. Soweit die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung der Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 58) entgegenhält, sie widerspreche hinsichtlich sozialer Integration und Selbstwertgefühl dem doch positiveren Entwicklungsbericht der erweiterten Realschule vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 68), trifft dies unstreitig zu. Die wohl teilweise unzutreffende Beurteilung des Sozialverhaltens der Antragstellerin durch den schulpsychologischen Dienst ändert aber nichts daran, dass dessen Stellungnahme überzeugt, soweit es um die intelligenzbedingte Bestätigung der gravierenden Lernschwäche geht und eine künftig stärkere Absicherung des Selbstwertgefühls der Antragstellerin. Letztlich führen Schulerfolge an der insgesamt für die besonderen Bedürfnisse der Lernbehinderten eingerichteten Schule zu einem auch künftig abgesicherten Selbstwertgefühl der Antragstellerin, was für ihre Lebensbewältigung von Bedeutung ist.

Soweit die Antragstellerin wie auch das Verwaltungsgericht (S. 10 des Beschlusses) eine Diskrepanz zu dem positiveren Entwicklungsbericht der Grundschule vom 25.1.2002 (Behördenakte Bl. 2/1) sehen, trifft dies im Ansatz zu. Immerhin schließt aber der Entwicklungsbericht der Grundschule an das Halbjahreszeugnis an, das für das Fach Mathematik die Note mangelhaft enthält, und im Entwicklungsbericht selbst ist ausgeführt, dass sich selbstständiges Denken der Antragstellerin nicht erschließen lässt. Die in dem sonderpädagogischen Gutachten festgestellte Einschränkung des Denkvermögens und des Verständnisses enthält mithin keine schwerwiegende Diskrepanz zu dem Entwicklungsbericht der Grundschule, der sehr vorsichtig abgefasst selbstständiges Denken nicht bestätigen kann.

Soweit die Antragstellerin weiter annimmt, der neuere Entwicklungsbericht der Erweiterten Realschule vom 18.7.2003 (Behördenakte Bl. 68) bestätige eine positive Entwicklung und merkliche Fortschritte und damit gerade einen deutlichen Ansatzpunkt für Integrationsmaßnahmen an der Regelschule, überzeugt dies nicht. Die in dem Entwicklungsbericht bestätigten Fortschritte beziehen sich allein auf das Arbeitsverhalten der Antragstellerin, nicht aber auf ihr Denkvermögen und ihre Auffassungsgabe, bei der es nach dem Entwicklungsbericht oft am grundlegenden Verständnis fehlt; darüber hinaus führt der Entwicklungsbericht abschließend ausdrücklich den festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf an. Ein Ansatzpunkt für eine Integrationsmaßnahme an der Regelschule lässt sich diesem Entwicklungsbericht nicht entnehmen.

Nach allem ist festzustellen, dass nach der Gutachtenlage sowohl das öffentliche Interesse an einer effektiven schulischen Ausbildung wie auch vor allem das wohlverstandene Interesse der Antragstellerin an einer langfristig für ihr Selbstbewusstsein förderlichen Ausbildung für eine nunmehr durchzuführende sofortige Vollziehung der Umschulungsverfügung (nach der Antragserwiderung ist dies noch nicht geschehen) und damit deren Befolgung bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens sprechen. Mit dem Besuch der Sonderschule für Lernbehinderte ist nach der Senatsrechtsprechung keine Diskriminierung verbunden.

Beschluss des 8. Senats des OVG des Saarlandes vom 20.4.1995 - 8 U 7/95 -, S. 5 des amtl. Umdrucks.

Die dortigen Pädagogen sind für ihre Aufgabe besonders ausgebildet, und es sollte auch der Mutter der Antragstellerin einen Versuch wert sein, ob die Antragstellerin dort nicht besser als bisher schulisch gefördert werden kann.

Nach allem bleibt die Beschwerde mit Blick auf das einstweilige Anordnungsverfahren erfolglos.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 II VwGO.

Für die Streitwertentscheidung in Umschulungssachen ergibt sich aus der Senatsrechtsprechung nach den §§ 13, 14 GKG unter Mitberücksichtigung von Nr. 37.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605) der Auffangwert von nach § 13 I 2 GKG 4.000,-- Euro.

Beschluss des Senats vom 11.9.2002 - 3 W 21/02 -, S. 7 des amtl. Umdrucks.

Wegen der Vorläufigkeit des Rechtsschutzverfahrens ist dieser Wert zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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