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Gericht: Oberverwaltungsgericht Saarland
Beschluss verkündet am 07.09.2005
Aktenzeichen: 7 Q 1/05
Rechtsgebiete: BDG


Vorschriften:

BDG § 60 II 1
Die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Disziplinargerichte bei der Anfechtung einer Disziplinarverfügung ist in entsprechender Anwendung des § 60 II 1 BDG durch den in der Verfügung angeführten Sachverhalt und den darauf aufbauenden disziplinaren Vorwurf begrenzt; unzulässig ist es deshalb, zur Rechtfertigung einer angefochtenen Disziplinarverfügung eine andere selbstständige Handlung und einen daran anknüpfenden neuen Pflichtverstoß nachzuschieben.
Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14. April 2005 - 13 K 12/04.D - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Zulassungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last

Gründe:

I. Mit Disziplinarverfügung vom 27.7.2004 verhängte die Beklagte gegen den Kläger wegen eines Dienstvergehens eine Kürzung der Dienstbezüge um 1/25 auf die Dauer von drei Monaten. Angelastet wurde dem Kläger, am 1.7.2003 insgesamt 27 Postsendungen - 26 für Empfänger in der Hellenthal-Straße 29 bis 52 in St. Ingbert und eine Sendung für einen Empfänger in der Ostheimer Straße ebenfalls in St. Ingbert - vorsätzlich ("eigenmächtig") von der gebotenen taggleichen Zustellung zurückgestellt zu haben. Auf die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren gerichtete Anfechtungsklage hin hat das Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid vom 14.4.2005 die Disziplinarverfügung vom 27.7.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.11.2004 aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt:

Dem Kläger könne nicht nachgewiesen werden, die in Rede stehenden 27 Sendungen am 1.7.2003 vorsätzlich von der Zustellung zurückgestellt zu haben. Dieser habe sich von Anfang an und immer wieder dahin erklärt, er habe sich kurzfristig ablenken lassen und deshalb die 27 Sendungen versehentlich vergessen. Diese glaubhafte Einlassung spreche für einen - einmaligen - Flüchtigkeitsfehler und damit für ein lediglich fahrlässiges Fehlverhalten. Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei doch Vorsatz anzulasten, da dieser als langjähriger und erfahrener Zusteller die über mehrere Steckfächer verteilten 27 Sendungen in dem leicht zu überblickenden Spind hätte bemerken können, überzeuge nicht. Dass jemand etwas hätte bemerken können oder gar hätte bemerken müssen, besage gerade nicht, dass er es tatsächlich bemerkt habe, wie es aber hier für die Bejahung von Vorsatz erforderlich wäre. Allen Menschen unterliefen nun einmal gelegentlich Fehler, auch wenn der einzelne Fehler im Nachhinein nicht zwingend erklärt werden könne. Könne dem Kläger aber nur Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, bewege sich sein Fehlverhalten unterhalb der Schwelle disziplinarer Relevanz.

Gegen den ihr am 19.4.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 9.5.2005 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und ihr Begehren am 1.6.2005 näher begründet.

Der Kläger ist dem Zulassungsantrag entgegengetreten.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 14.4.2005 ist zwar zulässig (§§ 64 Abs. 2 BDG, 124 a Abs. 4 VwGO 2002) zur - umstrittenen - Geltung der in § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO 2002 festgelegten Zwei-Monats-Frist zur Begründung des Berufungszulassungsantrags auch im Rahmen des § 64 Abs. 2 BDG vgl. Mayer in Köhler/Ratz, BDG, 3. Auflage, § 64 Rdnrn. 12 und 13; an der Nichteinhaltung der Ein-Monats-Frist des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO 1996 würde im Falle ihrer Geltung die Zulässigkeit des Antrags der Beklagten mangels entsprechender Belehrung in dem angefochtenen Gerichtsbescheid ebenfalls nicht scheitern (§§ 3 BDG, 58 Abs. 2 VwGO), aber unbegründet. Gemessen an den den Prüfungsumfang des Senats begrenzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 30.5.2005 liegen im Verständnis des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils vor, und deshalb kann die Berufung nicht zugelassen werden (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO 2002).

a) Die Beklagte greift in erster Linie die Annahme des Verwaltungsgerichts an, dem Kläger könne vorsätzliches Handeln nicht nachgewiesen werden. Die dahingehende Argumentation führt indes nicht zur Zulassung der Berufung.

Nach der Rechtsprechung des Senats Beschluss vom 16.8.2004 - 7 Q 1/04 -, SKZ 2005, 90 Leitsatz 2; ebenso Meyer-Ladewig in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO - Stand: Januar 2003 -, § 124 Rdnr. 28 e, und Happ in Eyermann, VwGO, 11. Auflage, § 124 Rdnr. 73, begründen Einwände gegen die freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene richterliche Überzeugung als Grundlage eines Urteils (§§ 3 BDG, 108 Abs. 1 VwGO) - hier: zur Frage der Schuldform - im Verständnis des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils - erst -, wenn gute Gründe dafür sprechen, das Verwaltungsgericht sei mit Blick auf eine entscheidungserhebliche Tatsache von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, oder wenn die vom Erstrichter vorgenommene Tatsachenwürdigung im Lichte der Begründung des Zulassungsantrags fragwürdig erscheint. Dagegen genügt nicht, wenn eine andere Bewertung von Indizien zwar möglich erscheint, für die Unrichtigkeit der die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Erwägungen aber keine beachtliche Wahrscheinlichkeit spricht. Bei Anwendung dieses Maßstabs kommt vorliegend eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht.

Festzustellen ist zunächst, dass die Beklagte in der Begründung des Zulassungsantrags keine wirklich neuen Gesichtspunkte, was die Schuldform anlangt, in das Verfahren einführt. Sicherlich spricht die verhältnismäßig große Zahl der im Zustellspind zurückgebliebenen Sendungen mit Gewicht gegen die Annahme eines bloßen Versehens. Allerdings kann ein solches deswegen auch nicht ausgeschlossen werden. Fallbezogen gewinnt dann Gewicht, dass der Kläger, als er am 20.8.2003 zu dem Vorfall angehört wurde, seinen Fehler auf eine "Ablenkung" zurückgeführt hat. Dem wurde von der Beklagten nie näher nachgegangen. Dass aber jedenfalls bei einer besonderen Ablenkung gerade während der abschließenden Prüfung, ob dem Spind alle Sendungen entnommen sind, auch einmal 27 Sendungen übersehen werden können, ist durchaus nachvollziehbar, ohne dass insoweit eine Rolle spielt, ob die nicht geleerten Fächer sämtlich eng beieinander liegen oder - wie hier - eines davon deutlich von den anderen abgesetzt ist. Die Annahme eines vorsätzlichen Fehlverhaltens - und sei es in der Form des bloß bedingten Vorsatzes - läge unter den festgestellten Umständen dennoch tendenziell näher, wenn der Kläger einschlägig vorbelastet wäre. Das trifft indes nicht zu. Im Gegenteil wird der Kläger von seinem Vorgesetzten als gewissenhafter Briefzusteller geschildert, aus dessen Bezirk wenig Reklamationen eingingen. Berücksichtigung muss schließlich finden, dass die Beklagte kein Motiv genannt hat, aus dem heraus der Kläger am 1.7.2003 ein Interesse daran gehabt hätte, die Zustellung eines Teils der Sendungen auf den Folgetag zu verschieben. Dies spricht ebenfalls gegen die Annahme eines vorsätzlichen Zurückstellens.

Bei der gebotenen Gesamtschau der aufgezeigten Indizien spricht alles für die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Kläger sei nicht zu widerlegen, dass er am 1.7.2003 die 27 Sendungen nicht vorsätzlich von der taggleichen Zustellung zurückgestellt habe, sondern dass ihm insoweit ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sei. Dann verbietet sich aber nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" dazu Köhler in Köhler/Ratz, a.a.O., § 60 Rdnr. 13, die Annahme eines vorsätzlichen Fehlverhaltens.

b) Ebenso wenig ist der Einwand der Beklagten stichhaltig, das Verwaltungsgericht hätte die Disziplinarverfügung vom 27.7.2004 jedenfalls nicht vollständig aufheben dürfen, weil der Kläger nach seiner eigenen Einlassung ein anderes vorsätzliches Dienstvergehen begangen habe; eingestandenermaßen habe dieser nämlich es unterlassen, seine Vorgesetzten von dem Zurücklassen der 27 Sendungen Meldung zu machen, nachdem er während seines Zustellgangs, nämlich als er in der Hellenthal-Straße war, seinen Fehler bemerkt hatte.

Bei dieser Argumentation lässt die Beklagte außer Acht, dass die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Disziplinargerichte bei der Anfechtung einer Disziplinarverfügung durch den in der Verfügung angeführten Sachverhalt und den darauf aufbauenden disziplinaren Vorwurf begrenzt wird. Unzulässig ist es deshalb insbesondere, zur Rechtfertigung der angefochtenen Disziplinarverfügung eine andere selbstständige Handlung und einen daran anknüpfenden neuen Pflichtverstoß nachzuschieben. Das ergibt sich aus § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG. Die dort getroffene Regelung, dass bei einer Disziplinarklage nur die Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden dürfen, die dem Beamten in der Klage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden, gilt nämlich bei der Anfechtung einer Disziplinarverfügung mit der Maßgabe entsprechend, dass es darauf ankommt, was dem Beamten in der Disziplinarverfügung angelastet wird dazu Köhler, a.a.O., § 60 Rdnrn. 11 und 12; vgl. in diesem Zusammenhang auch Beschluss des Senats vom 2.2.2005 - 7 R 2/04 -, IÖD 2005, 140.

Dies war hier aber eindeutig ausschließlich das Zurücklassen der 27 Sendungen am 1.7.2003 und das in diesem Unterlassen gesehene Dienstvergehen. Das ergibt sich aus der dahingehenden Umschreibung des als disziplinarrechtlich relevant angesehenen Sachverhalts auf Seite 3 der Disziplinarverfügung. Das Unterbleiben einer Meldung an die Vorgesetzten, das zeitlich und örtlich von dem Zurücklassen der 27 Sendungen getrennt festzumachen ist, wird dort dagegen nicht erwähnt, sondern lediglich - und zwar gewissermaßen colorandi causa - auf Seite 4 im Zusammenhang mit der Argumentation, warum die Einlassung des Klägers, es habe ein einmaliges Versehen vorgelegen, nicht glaubhaft sei. Folgerichtig kommt das Absehen von einer Unterrichtung der Vorgesetzten auch bei der zusammenfassenden Beschreibung des Dienstvergehens auf Seite 5 der Disziplinarverfügung nicht zur Sprache, wo das Dienstvergehen wiederum ausschließlich in der nicht taggleichen Zustellung beziehungsweise der eigenmächtigen Zurückstellung der 27 Sendungen von der Zustellung gesehen wird. Dies verbietet es, die Disziplinarverfügung -teilweise - damit zu rechtfertigen, der Kläger habe nach Bemerken seines Fehlers seine Vorgesetzten nicht davon in Kenntnis gesetzt.

Nach allem muss der Zulassungsantrag zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 77 Abs. 4, 78 Abs. 1 BDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Ende der Entscheidung

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