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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.04.2009
Aktenzeichen: 1 L 29/09
Rechtsgebiete: SG, WDO, VwGO


Vorschriften:

SG § 55 Abs. 5
WDO § 145 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
1. Zu den Voraussetzungen, nach denen ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre gemäß § 55 Abs. 5 SG fristlos entlassen werden kann.

2. Verneinung der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung.

3. Die Bindungswirkung nach § 145 Abs. 2 WDO der nach der WDO ergangenen Entscheidungen der Disziplinarvorgesetzten und der Wehrdienstgerichte erfasst allein den Entscheidungsausspruch selbst. Demgegenüber ordnet § 145 Abs. 2 WDO keine Bindung an Tatsachenfeststellungen an.

4. Parallelentscheidungen vom 23. April 2009 in den Verfahren 1 L 30/09 und 1 L 31/09.


Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 5. Kammer - vom 27. Januar 2009 hat keinen Erfolg.

Die von der Beklagten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

"Ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen nur dann, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg; ist hingegen der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens lediglich offen, rechtfertigt dies die Zulassung der Berufung nicht (OVG LSA in ständiger Rechtsprechung, etwa: Beschluss vom 3. Januar 2007 - Az.: 1 L 245/06 -, veröffentlicht bei juris [m. w. N.]). Deshalb reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33). Da gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO der Zulassungsgrund zudem in der gebotenen Weise darzulegen ist, erfordert dies, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - Az.: 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Mithin ist zugleich erforderlich, dass sich der Zulassungsantrag substantiiert inhaltlich mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt und u. a. konkret ausgeführt wird, dass die erhobenen Einwände entscheidungserheblich sind (OVG LSA, a. a. O. [m. w. N.]).

Das Vorbringen der Beklagten begründet im vorbezeichneten Sinne keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit - des Ergebnisses - der angefochtenen Entscheidung.

Gemäß § 55 Abs. 5 SG in der hier maßgeblichen Fassung kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Der Zweck der fristlosen Entlassung besteht darin, eine drohende Gefahr abzuwenden, mithin einem künftigen Schaden vorzubeugen (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971 - Az.: VIII C 180.67 -, BVerwGE 38, 178; Urteil vom 31. Januar 1980 - Az.: 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361; Urteil vom 24. September 1992 - Az.: 2 C 17.91 -, BVerwGE 91, 62; Beschluss vom 13. Januar 1994 - Az.: 2 WDB 7.93 -, BVerwGE 103, 60). § 55 Abs. 5 SG dient insofern allein dem Schutz der Bundeswehr (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1983 - Az.: 6 C 2.81 -, Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 11).

Gesetzliche Voraussetzung der fristlosen Entlassung ist, dass das Verbleiben des Soldaten in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr "gefährden würde". Daraus folgt, dass die für die Entlassung zuständige Stelle zu prüfen hat, ob eine Gefahr droht, die durch die Entlassung abgewendet werden kann. Ihr Blick ist in die Zukunft gerichtet: Vorausschauend beurteilt sie die drohende Gefahr; diese Vorausschau vollzieht das Verwaltungsgericht in einer "objektiv nachträglichen Prognose" nach. Die Vorausschau muss allerdings auch die in der Vergangenheit liegende Verletzung von Dienstpflichten im Auge behalten; denn zwischen dieser und der Gefahr eines für die Zukunft befürchteten Schadens besteht ein innerer Zusammenhang: Die Gefahr muss eine Auswirkung der Dienstpflichtverletzung sein.

§ 55 Abs. 5 SG stellt nicht etwa von der Dienstpflichtverletzung losgelöst zu betrachtende Gefährdungstatbestände auf. Näher bestimmt wird die Gefährdung zudem dadurch, dass sie "ernstlich" sein muss. Dieses Wort bezieht sich nur auf die Gefährdung, nicht auf die Dienstpflichtverletzung. Es kommt darauf an, ob der befürchtete Schaden ernst zu nehmen ist oder nicht; die Schwere der Dienstpflichtverletzung ist insoweit ohne Bedeutung (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971, a. a. O.; Urteil vom 24. September 1992, a. a. O.). Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung "ernstlich" sein muss, ist zugleich die Frage nach der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck beantwortet. Der Begriff der "ernstlichen Gefährdung" konkretisiert mithin den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem das Gesetz darüber hinaus durch die Begrenzung der Entlassung auf die ersten vier Dienstjahre Rechnung trägt. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist kein Raum (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980, a. a. O.; Urteil vom 20. Juni 1983, a. a. O.; Urteil vom 24. September 1992, a. a. O.).

Ob das Verbleiben eines Soldaten auf Zeit, der seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde, ist nicht nach der Schwere der Dienstpflichtverletzung an sich, sondern nach dem Ernst der der militärischen Ordnung oder dem Ansehen der Bundeswehr ohne die fristlose Entlassung drohenden Gefahr zu beurteilen.

§ 55 Abs. 5 SG setzt nicht voraus, dass Dienstpflichten schwer verletzt wurden. Ebenso wenig ist eine Ausnahme für den Fall vorgesehen, dass mildernde Umstände vorliegen. Es genügt jede Verletzung von Dienstpflichten unabhängig davon, ob es sich um einen schweren oder leichten Fall handelt und ob verschärfende oder mildernde Umstände hinzutreten (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971, a. a. O.; Urteil vom 20. Juni 1983, a. a. O.; Urteil vom 24. September 1992, a. a. O.). Erwägungen darüber, ob die Sanktion einer dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der Soldat auf Zeit im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist, sind deshalb im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG nicht gerechtfertigt.

Nur soweit ein befürchteter Schaden für die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr von vornherein etwa im Hinblick auf eine verhängte Disziplinarmaßnahme zu verneinen ist, kann deren Wirkung von Bedeutung sein. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine Dienstpflichtverletzung eine Affekthandlung ohne Wiederholungsgefahr und als solche nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretende Neigung zu Disziplinlosigkeit ist, so dass schon deshalb mangels Gefährdung der Bundeswehr in Auswirkung der Dienstpflichtverletzung eine Entlassung gemäß § 55 SG ausscheidet (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980, a. a. O.; Urteil vom 24. September 1992, a. a. O.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung besteht, kann daher zu berücksichtigen sein, ob dieser Gefahr auch durch eine Disziplinarmaßnahme als ein notwendiges, aber auch milderes Mittel begegnet werden kann mit der Folge, dass Schaden für die militärische Ordnung nicht zu befürchten ist. Dies hat die Rechtsprechung insbesondere in Fällen angenommen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeit zu werten war. Handelt es sich aber bei der Dienstpflichtverletzung des Soldaten um ein Teilstück einer allgemein um sich greifenden Disziplinlosigkeit, so ist davon auszugehen, dass dem befürchteten Schaden, der ernstlichen Gefährdung der Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr, durch Disziplinarmaßnahmen nicht wirksam zu begegnen ist (BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, a. a. O. [m. w. N.]). Ist der Einzelfall der Dienstpflichtverletzung nämlich nicht für sich zu betrachten, sondern als das typische Teilstück einer allgemeinen und schwer zu bekämpfenden Erscheinung, so ist die aus ihr drohende Gefahr wesentlich größer als der Einzelfall erkennen lässt. Auch hier muss bei der vorausschauenden Beurteilung der drohenden Gefahr und ihrer Ernstlichkeit berücksichtigt werden, dass derartige um sich greifende, in den Bereich typischer menschlicher Schwächen fallende schwere Nachlässigkeiten nur durch Aufwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel eingedämmt werden können (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980, a. a. O.).

Von diesen Voraussetzungen ist auch das Verwaltungsgericht in der hier angefochtenen Entscheidung ausgegangen. Entgegen dem Antragsvorbringen ist das Verwaltungsgericht hiervon auch - nicht gleichsam konkludent - abgewichen. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht nicht die "Schwere" bzw. "Qualität" der klägerischen Dienstpflichtverletzung als solche bewertet. Vielmehr hat es ausgehend von der angenommenen Dienstpflichtverletzung eine "objektiv nachträgliche Prognose" dahingehend angestellt, ob im Falle des Verbleibens des Klägers in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr aufgrund der Auswirkungen der Dienstpflichtverletzung ernstlich gefährden würde. Allein dies hat das Verwaltungsgericht insoweit erörtert.

Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang einwendet, das Verwaltungsgericht habe die Bindungswirkung des § 145 Abs. 2 WBO, der insbesondere auch tatbestandlich bindend feststelle, nicht (hinreichend) beachtet, vermag sie damit nicht durchzudringen. Denn nach § 145 Abs. 2 WDO (nicht WBO) sind lediglich die aufgrund dieses Gesetzes ergehenden Entscheidungen der Disziplinarvorgesetzten und der Wehrdienstgerichte für die Beurteilung der vor einem Gericht geltend gemachten Rechte aus dem Dienstverhältnis bindend. Unter "Entscheidung" ist indes allein der Entscheidungsausspruch selbst zu verstehen. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte hierbei auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. September 2008 in dem Verfahren 1 B 670/08 (veröffentlicht bei juris). Denn darin hat das Oberverwaltungsgericht vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass § 145 Abs. 2 WDO gerade keine Bindung an Tatsachenfeststellungen anordnet (a. a. O. Rn. 24, 34). Der beschließende Senat teilt diese Rechtsansicht, denn § 145 Abs. 2 WDO bezieht sich nach ihrem Wortlaut und ihrem systematischen Zusammenhang ausdrücklich nur auf den Entscheidungsausspruch selbst. Die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, welche die disziplinarrechtliche Würdigung entscheidungserheblich begründen, werden in die Bindungswirkung nicht einbezogen. Dies zeigt zudem der Vergleich mit § 108 WDO, der nur die Disziplinarmaßnahme, Freispruch oder Einstellung des Verfahrens zum Gegenstand hat. Eine weitergehende Feststellungswirkung im Hinblick auf tatsächliche Feststellungen hätte der Gesetzgeber in § 145 Abs. 2 WDO daher gesondert und eindeutig zum Ausdruck bringen müssen, wie dies etwa bei §§ 34 und 84 WDO der Fall ist (so schon: OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.; nicht überzeugend daher OVG Niedersachsen, etwa: Beschluss vom 2. März 2007 - Az.: 5 ME 252/06, NVwZ-RR 2007, 396). Dementsprechend war das Verwaltungsgericht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gehindert, ausgehend von der allein bindend feststehenden schuldhaften Dienstpflichtverletzung des Klägers den hier maßgeblichen Sachverhalt selbst zu ermitteln und unter den rechtlich erheblichen Gesichtspunkten des § 55 Abs. 5 SG zu bewerten.

Damit war das Verwaltungsgericht durch § 145 Abs. 2 WDO ebenso wenig gehindert, den Sachverhalt dahin zu überprüfen, inwiefern vorliegend tatsächlich ein (gezielter) "Angriff" und zudem "auf einen Vorgesetzten" vorgelegen hat und welche Auswirkungen von der - bindend feststehenden - Dienstpflichtverletzung des Klägers im Falle seines Verbleibens in seinem Dienstverhältnis auf die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr gehabt haben würde. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang einwendet, das Verwaltungsgericht habe hierbei in unzulässiger Weise zwischen der Person und dessen Vorgesetzteneigenschaft differenziert, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Der Begriff "militärische Ordnung" ist weiter als der Begriff "militärische Disziplin"; diese ist ein Mittel zu dem Zwecke, die militärische Ordnung aufrechtzuerhalten. Um diesen Begriff zu bestimmen, ist auszugehen von dem Zweck der Bundeswehr, der Verteidigung zu dienen (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971, a. a. O.). Unter militärischer Ordnung ist der Inbegriff der Elemente zu verstehen, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erhalten. Dabei kann es nicht genügen, wenn Randbereiche des Militärischen berührt werden. Es muss sich vielmehr um Regeln und Einrichtungen handeln, die über diese Randbereiche hinausgehen. Die militärische Ordnung ist nicht nur dann gefährdet, wenn die Ausrüstung nicht funktionstauglich ist, sondern auch, wenn die Verteidigungsbereitschaft der Truppe in Frage gestellt ist. Dies wird bei verminderter Einsatzbereitschaft der Soldaten regelmäßig der Fall sein (BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, a. a. O.). Im Gegensatz zum Schutz des Ansehens der Bundeswehr handelt es sich hier um den betriebsbezogenen Schutz, der erforderlich ist, um dem Zweck der Bundeswehr geordnet gerecht werden zu können. Eine ernstliche Gefährdung der so verstandenen militärischen Ordnung durch das Verbleiben eines Soldaten, der seine Dienstpflichten verletzt hat, im Dienst kann sich einerseits aus der begründeten Befürchtung ergeben, dass es bei dem zu entlassenden Soldaten zu weiteren vergleichbaren Dienstpflichtverletzungen kommen werde (Wiederholungsgefahr). Die Gefahr kann sich andererseits aber auch daraus ergeben, dass es sich bei der einzelnen Dienstpflichtverletzung um das typische Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeiten handelt, so dass ohne die fristlose Entlassung ein Anlass zu ähnlichem Verhalten für andere Soldaten gegeben wäre (Nachahmungsgefahr). Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung kann auch darin gesehen werden, dass durch das Verbleiben des zu entlassenden Soldaten die Neigung zu militärischer Disziplinlosigkeit gefördert würde, denn die Bewahrung der militärischen Disziplin ist zweifellos eines der Mittel, die militärische Ordnung aufrechtzuerhalten (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1983, a. a. O.).

Hiervon ausgehend ist für die Beurteilung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange von der Dienstpflichtverletzung Auswirkungen im Sinne einer Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr oder zur Förderung militärischer Disziplinlosigkeit und damit letztlich für die militärische Ordnung ausgehen, von Belang, ob der Kläger erkennbar gezielt einen Vorgesetzten angegangen ist und diesen hat tätlich angreifen wollen. Denn dies lässt nicht nur die erforderliche Prognose für eine in der Person des Soldaten liegenden Wiederholungsgefahr zu, sondern auch, ob und inwieweit das Verhalten bei anderen Soldaten objektiv Nachahmungseffekte hervorrufen oder die Neigung zu militärischer Disziplinlosigkeit fördern würde. Dies hat das Verwaltungsgericht hier mit nachvollziehbarer Begründung u. a. deswegen verneint, weil nach mehreren der vorliegenden Zeugenaussagen der sog. Schweinehaufen immer - so auch in diesem Fall - nur als ein "Spaß" gemeint war. Das Verwaltungsgericht hat daher nachvollziehbar festgestellt, dass hierdurch insbesondere auch nicht das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Einstandsbereitschaft der Soldaten zerstört würden. Die Beklagte legt auch nicht dar, dass sich der sog. Schweinehaufen stets oder regelmäßig gegen Vorgesetzte bzw. im vorliegenden Fall gezielt gegen einen - im Übrigen lediglich temporären -Vorgesetzten gerichtet hätte, so dass im Falle des Verbleibens des Klägers im Soldatenverhältnis ernstlich die Gefahr bestände, dass die "Einhaltung der hierarchisch militärischen Befehlsstruktur innerhalb der Streitkräfte" gefährdet würde.

Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte des Weiteren dagegen, dass nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtes einer etwaigen Wiederholungsgefahr durch eine geeignete, notwendige und angemessene Disziplinarmaßnahme hätte begegnet werden können. Das Verwaltungsgericht prüft im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG vorliegend - entgegen dem Antragsvorbringen - damit nicht, ob die Sanktion einer dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der Soldat auf Zeit im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist. Vielmehr prüft das Verwaltungsgericht nach den vorstehenden Ausführungen des Senates zu Recht, ob einer ernstlichen Gefahr für die militärische Ordnung auch durch eine Disziplinarmaßnahme als ein notwendiges, aber auch milderes Mittel begegnet werden kann mit der Folge, dass Schaden für die militärische Ordnung gerade nicht zu befürchten ist.

Selbst wenn im gegebenen Fall eine Wiederholungsgefahr zwar nicht typischerweise ausgeschlossen ist, schließt dies nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gleichwohl nicht aus, dass auch durch eine Disziplinarmaßnahme eine Wiederholungsgefahr verhindert werden kann und damit eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung nicht mehr zu befürchten wäre. Auf das zwingende Vorliegen eine Affekthandlung, auf welche die Beklagte rekurriert, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an. Das Verwaltungsgericht hat zudem und aus den vorstehenden Gründen zu Recht erörtert, ob es sich aber bei der Dienstpflichtverletzung des Soldaten um ein Teilstück einer allgemein um sich greifenden Disziplinlosigkeit handelt. Dies hat das Verwaltungsgericht letztlich verneint. Dass die Feststellungen unzutreffend wären, wird von der Beklagten lediglich behauptet, indes nicht substantiiert dargelegt. Es drängt sich dem Senat auch nicht anderweitig auf, dass die mit der Pflichtverletzung einhergehenden Handlungen derartig um sich greifende, in den Bereich typischer menschlicher Schwächen fallende schwere Nachlässigkeiten sind, die nur durch Aufwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel eingedämmt werden können. Dass die fristlose Entlassung des Klägers nach § 55 Abs. 5 SG erforderlich gewesen wäre, um eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung abzuwenden, legt die Antrags(begründungs)schrift letztlich nicht dar.

Es ist im Rahmen der Auslegung des Begriffs der ernstlichen Gefährdung jedenfalls - wie bereits ausgeführt - der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung und daher zu berücksichtigen, dass dieser Gefahr auch durch eine Disziplinarmaßnahme als notwendiges, aber milderes Mittel begegnet werden kann. So kam hier etwa die Dienstgradherabsetzung gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 WDO in Betracht, die nicht nur den Kläger selbst hinlänglich diszipliniert, sondern zugleich sichtlich Wirkungen auf die Disziplin auch im Übrigen gehabt hätte. Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung wäre somit durch das Verbleiben des Klägers im Dienst nicht gegeben, die vorhandene Gefährdung konnte vielmehr durch ein einfacheres Mittel sicher und endgültig beherrscht werden. Da seine Pflichtverletzung nicht ohne Ahndung geblieben wäre, bestand keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Verhalten des Klägers auslösender Faktor für Nachahmungshandlungen hätte sein können (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1983 - Az.: 6 C 2.81 -, Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 11).

Auf die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung kommt es mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG nach alledem nicht entscheidungserheblich an.

Soweit sich die Beklagte schließlich gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf den Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache beruft, sind diese nicht entsprechend den Darlegungserfordernissen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO dargelegt.

"Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten" der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bestehen dann, wenn die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder aufgrund der zugrunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, also das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht, mithin signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitsachen abweicht (OVG LSA in ständiger Rechtsprechung, etwa: Beschluss vom 6. Juni 2006 - Az.: 1 L 35/06 -, JMBl. LSA 2006, 386 [m. w. N.]). Im Hinblick auf die Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es erforderlich, im Einzelnen darzulegen, hinsichtlich welcher Fragen und aus welchen Gründen aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist (OVG LSA, a. a. O. [m. w. N.]), denn der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO soll eine allgemeine Fehlerkontrolle nur in solchen Fällen ermöglichen, die dazu besonderen Anlass geben (vgl.: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senates vom 23. Juni 2000 - Az.: 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163). Außerdem bedarf es Darlegungen dazu, dass die aufgeworfenen Fragen für den zu entscheidenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sind (vgl.: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senates vom 8. März 2001 - Az.: 1 BvR 1653/99 -, NVwZ 2001, 552). Nur wenn sich schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteiles ergibt, dass eine Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig ist, genügt ein Antragsteller der ihm gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegenden Darlegungslast bereits regelmäßig mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passagen des Urteiles (vgl.: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senates vom 23. Juni 2000, a. a. O.). Soweit der Antragsteller hingegen die Schwierigkeiten des Falles darin erblickt, dass das Gericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, hat er diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (BVerfG, a. a. O.).

Den vorstehenden Anforderungen wird das Vorbringen in der Antragsbegründungsschrift zum Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nicht gerecht. Auf bloße Zweifel daran, "ob die Gründe das Urteil zu tragen vermögen", kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da sie die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes jedenfalls nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat. Im Hinblick auf die von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen wird darüber hinaus schon nicht ein Einzelnen dargelegt, dass und vor allem aus welchen Gründen ihre Beantwortung in rechtlicher Hinsicht größere, also das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Dies ist nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen auch für den beschließenden Senat nicht ersichtlich. Im Übrigen ergibt sich auch nicht aus dem Begründungsaufwand des angefochtenen Urteiles, dass die Sache in rechtlicher Hinsicht besonders schwierig ist. Ungeachtet dessen ist die von der Beklagten abschließend aufgeworfene Frage bereits höchstrichterlich dahingehend geklärt, dass für die Beantwortung der Frage nach der Ernstlichkeit der Gefährdung der militärischen Ordnung ausschließlich eine "objektiv nachträgliche Prognose" anzustellen ist, wobei die Gefahr Auswirkung der Dienstpflichtverletzung sein muss (so schon grundlegend: BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971, a. a. O.; siehe u. a. auch: Urteil vom 31. Januar 1980, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Zulassungsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 40, 47 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 124a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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