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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 1 M 172/06
Rechtsgebiete: DDR-StrVO, LSA-StrG, VwGO
Vorschriften:
DDR-StrVO § 3 Abs. 2 (F 1957) | |
DDR-StrVO § 4 Abs. 1 (F 1974) | |
LSA-StrG § 3 Abs. 1 Nr. 3 | |
LSA-StrG § 20 | |
LSA-StrG § 51 Abs. 3 | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
VwGO § 146 Abs. 4 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 1 M 172/06
Datum: 12.12.2006
Gründe:
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.
Die Rüge der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe ihr nicht in der gebotenen Weise rechtliches Gehör gewährt, weil sie keine Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 24.07.2006 erhalten habe und in der Entscheidung auf ihr nicht bekannte Lichtbilder Bezug genommen worden sei, greift nicht durch. Unabhängig davon, ob sich der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs berufen kann, setzt ein Erfolg der Gehörsrüge die Darlegung voraus, was der Antragsteller bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgebracht hätte (vgl. OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 15.04.2004 - 3 NB 472/03 -, juris und vom 12.01.2004 - 3 MB 28/03 -, NVwZ-RR 2004, 774). Die Antragsbegründungsschrift enthält hierzu jedoch keine Angaben. Insbesondere ist die Antragstellerin nicht auf die Lichtbilder eingegangen, die ihr jedenfalls im Beschwerdeverfahren übersandt worden sind.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der von ihr errichtete Zaun eine Gefahrenstelle für Passanten sein könne, wird das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nicht schlüssig in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat lediglich ausgeführt, dass die mit den Gefahren für Passanten erfolgte Begründung der Antragsgegnerin für die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen an die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht. Gegen diese Annahme hat die Antragstellerin keine Einwendungen erhoben. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen, ob die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung den Sofortvollzug auch in der Sache tragen würde.
Auch die Einwände der Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht angesprochene Möglichkeit, dass es sich bei dem fraglichen "Betonstreifen" um eine kommunale Straße i. S. des § 3 Abs. 2 Satz 1 der DDR-Verordnung über das Straßenwesen vom 18.07.1957 (GBl.-DDR I S. 377) - StrVO 1957 - handeln könnte, greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass diese Frage im Eilverfahren nicht geklärt werden könne, und seine Entscheidung maßgeblich auf eine Abwägung des Interesses der Antragstellerin an einer ungestörten Benutzung des südlichen Teils ihres Grundstücks mit dem öffentlichen Interesse an der Erreichbarkeit mehrerer anderer Grundstücke gestützt. Dieser Ansatz unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Das Gericht hat im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eine entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen und in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist; denn an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein schutzwürdiges öffentliches Interesse (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 28.12.1989 - 11 B 2793/89 -, NWVBl. 1990, 385). Ist der Verwaltungsakt weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig, so hat das Verwaltungsgericht bei der Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bloß das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung und das private Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe gegeneinander abzuwägen (BayVGH, Beschluss vom 25.07.1983 - 25 CS 83 C.170 -, NJW 1984, 2784).
Soweit die Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung geltend macht, dass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 StrVO 1957 bei der Antragsgegnerin liege und die Bezeichnung der Fläche als Kommunalstraße durch das VE Industriebau-Kombinat Magdeburg für eine entsprechende Einstufung nicht ausreiche, lässt sich aus diesen Ausführungen nicht darauf schließen, dass es sich bei der fraglichen Fläche nicht um eine öffentliche Straße handeln könnte und der angefochtene Bescheid deshalb offensichtlich rechtswidrig ist. Im Verwaltungsprozess, in dem der Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) gilt, gibt es grundsätzlich keine prozessuale Beweislast, sondern nur eine (materielle) Beweislast für den Fall, dass es dem Gericht trotz aller Bemühungen nicht gelingt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 108 Rdnr. 11, m. w. N.). Im Übrigen ist dem Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur eine summarische Überprüfung möglich, so dass umfangreiche Beweisaufnahmen in der Regel nicht geboten sind (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rdnr. 158, m. w. N.).
Unter diesen Voraussetzungen bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, es könnte sich bei der fraglichen Fläche um eine öffentliche Straße i. S. des § 51 Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG handeln, weil sie möglicherweise bereits nach der Verordnung über das Straßenwesen vom 18.07.1957 (DDR-StrVO 1957) den Charakter einer kommunalen Straße hatte. Kreisstraßen und kommunale Straßen waren nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StrVO 1957 öffentlich, wenn bisher ihrer Benutzung durch die Verkehrsteilnehmer seitens der Rechtsträger bzw. Eigentümer nicht widersprochen wurde. Die Öffentlichkeit der kommunalen Straßen war demnach allein von dem tatsächlichen Vorgang des allgemeinen Verkehrs und dessen Duldung durch den Rechtsträger oder Eigentümer des Straßenlandes abhängig (OVG LSA, Beschluss vom 10.11.1997 - A 4 S 241/97 -, JMBl. LSA 1998, 244 und Beschluss vom 27.09. 2004 - 2 O 158/03 -, jeweils mit Nachw. aus der DDR-Literatur; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 30.10.2002 - 8 C 24.01 -, ZOV 2003, 51; OLG Naumburg, Urteil vom 27.10.2003 - 1 U 58/03 -, OLG-NL 2004, 82; OVG Berlin, Urteil vom 10.11.2004 - 1 B 8.04 -, NJ 2005, 510). Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die fragliche Fläche, die nach den Ausführungen der Antragsgegnerin bereits vor 1957 den Charakter eines unbefestigten Weges hatte, von einem nicht näher bestimmten Personenkreis als faktischer Verbindungsweg (vgl. dazu OVG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 13.02.2002 - 1 L 151/00 -, NordÖR 2002, 324) zwischen den Straßen "D-Weg" und "E-Teich" genutzt wurde. In diesem Fall käme es auch nicht darauf an, ob eine Freigabe des Weges nach § 3 Abs. 2 DDR-StrVO 1957 oder ein Beschluss durch den Rat der Stadt über die öffentliche Nutzung und über die Zuordnung der Straße gemäß § 4 Abs. 1 DDR-StrVO 1974 erfolgt ist und ob derartige Maßnahmen für die Einstufung als öffentliche Straße überhaupt erforderlich waren (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a. a. O.; Thür. OVG, Urteil vom 11.12.2001 - 2 KO 730/00 -, VRS 103, 147; Sauthoff, "Alte Straßen in den neuen Ländern", LKV 1998, 472; offen gelassen: OVG LSA, Beschluss vom 12.01.2000 - A 1 S 85/99 -, LKV 2000, 543). Die Behauptung der Antragstellerin, vor dem strittigen Bereich seien "zu DDR-Zeiten" ein Verbotsschild und Poller zur Verhinderung der Durchfahrt angebracht gewesen, wird - ungeachtet der Frage, ob dieses nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) eingegangene Vorbringen im Beschwerdeverfahren noch Berücksichtigung finden kann - nicht hinreichend belegt. Es werden lediglich Zeugen benannt, die in einem Hauptsacheverfahren vernommen werden könnten. Im vorliegenden Eilverfahren ist eine Zeugenvernehmung jedoch zur Sachverhaltsaufklärung nicht geboten. Der Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen sind, wird dadurch eher bestätigt als widerlegt. Letztlich ist weder von der Antragstellerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass bereits alle Möglichkeiten zur Klärung der Eigenschaft der fraglichen Fläche als öffentliche Straße ausgeschöpft sind und damit auch die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides sicher beurteilt werden kann.
Gegen die in der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erfolgte Interessenabwägung kann sich die Antragstellerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es bleibe ihr als Eigentümerin der fraglichen Fläche selbst überlassen, wie sie ihr Eigentum nutze. Sofern sich herausstellen sollte, dass es sich bei der fraglichen Fläche gemäß § 51 Abs. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA um eine öffentliche Straße handeln sollte, ergeben sich aus der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung Beschränkungen der Eigentumsrechte des Grundstückseigentümers (vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 5, Rdnr. 21 ff.), darunter auch die Möglichkeit von Anordnungen gegenüber dem Grundstückseigentümer nach § 20 StrG LSA. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Antragsgegnerin im Jahr 2001 die Möglichkeit gehabt haben sollte, das Eigentum an der fraglichen Fläche durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu erwerben. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht bei der Interessenabwägung ausdrücklich berücksichtigt, dass die Antragstellerin in dem Fall, dass sich die Verfügung der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen sollte, in "ihrem Interesse beeinträchtigt" werde, "die Verkehrsfläche ausschließlich selbst und ungestört durch Anlieger-, Besucher- oder Durchgangsverkehr zu benutzen", dieses Interesse aber gegenüber den öffentlichen Interessen als nachrangig angesehen. Dem ist die Antragstellerin nicht substantiiert entgegen getreten.
Soweit sich die Antragstellerin im Hinblick auf ihre Verkehrssicherungspflicht Haftungsrisiken ausgesetzt sieht, steht dies der Annahme eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Wiederherstellung der öffentlichen Nutzung des fraglichen Weges nicht entgegen. Die Antragstellerin hat nichts vorgetragen, was - für den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - auf eine Unzumutbarkeit der Einhaltung etwaiger Verkehrssicherungspflichten hindeutet, zumal die Antragsgegnerin sich selbst als verkehrssicherungspflichtig ansieht. Im Übrigen ist unabhängig davon, wer für die fragliche Fläche verkehrssicherungspflichtig ist, das Interesse der Antragstellerin, von Haftungsrisiken verschont zu bleiben, nicht als gegenüber dem öffentlichen Interesse an der unbeschränkten Nutzung des Weges vorrangig anzusehen.
Denn bei Streit um die Öffentlichkeit eines im Privateigentum stehenden Weges besteht grundsätzlich ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beibehaltung der bisherigen Nutzungsmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit, solange die Frage der Öffentlichkeit des Weges nicht abschließend geklärt ist. Vorher ist der Eigentümer des Weges grundsätzlich nicht befugt, die bisherige Nutzbarkeit zu verhindern (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.11.1995 - 5 S 2778/95 -, NVwZ-RR 1996, 371; OVG Meck.-Vorp., Beschluss vom 11.11.1998 - 1 M 135/97 -, DÖV 1999, 259 und Beschluss vom 08.12.1999 - 2 M 54/99 -, LKV 2000, 542). Dies gilt auch dann, wenn neben dem gesperrten Weg noch andere Zugangsmöglichkeiten zu den anliegenden Grundstücken bestehen oder die bisherigen Nutzer des Weges lediglich Umwege in Kauf nehmen müssen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.11.1995, a. a. O.). Deshalb kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob die an dem Weg "F-Platz" anliegenden Grundstücke über anderweitige Zufahrts- und Zugangsmöglichkeiten verfügen. Dem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung der Nutzungsmöglichkeit des fraglichen Weges steht auch nicht entgegen, dass nach der streitgegenständlichen Anbringung des Zaunes durch die Antragstellerin - notgedrungen - ein anderer Zufahrtsweg für den Zugang zum Kegelheim geschaffen bzw. ein bestehender (unbefestigter) Weg ausgebaut wurde.
Soweit die Antragstellerin meint, sie sei jedenfalls nicht verpflichtet, die Nutzung des neben dem Betonstreifen angelegten Parkplatzes zu dulden, steht dies ebenfalls dem überwiegenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob es sich bei dieser Fläche - wie die Antragsgegnerin meint - um eine öffentliche Parkfläche handelt. Denn jedenfalls hat die Antragstellerin mit dem von ihr angebrachten Zaun nicht (nur) die Nutzung des Parkplatzes, sondern des gesamten Weges, soweit er in ihrem Eigentum steht, für die Öffentlichkeit verhindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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