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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 1 M 219/06
Rechtsgebiete: FeV


Vorschriften:

FeV § 46 Abs. 1
FeV Anl 4 Ziff 9.1.
Von einer im Regelfall die Kraftfahreignung ausschließenden Einnahme von Betäubungsmitteln nach Ziffer 9.1., der Anlage 4 zur FeV lässt sich nur bei einem wissentlichen Konsum ausgehen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 1 M 219/06

Datum: 28.02.2007

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.

Der Antragsgegner macht mit der Beschwerde ohne Erfolg geltend, die Fahreignung des Antragstellers sei nach § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen, weil die Einnahme von Amphetaminen/Ecstasy nachgewiesen sei und Umstände, die die somit einschlägige Regelannahme der Ziffer 9.1 in Frage stellen würden, auch nicht durch die Behauptung des Antragstellers begründet würden, dass er die bei ihm nachgewiesenen Amphetamine unwissentlich zu sich genommen habe.

Die Regelannahme der Ziffer 9.1 setzt die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) voraus. Zutreffend ist zwar, dass es bei "harten" Drogen weder auf eine bestimmte Häufigkeit des Konsums noch darauf ankommt, ob der Kraftfahrer Drogenkonsum und Fahren trennen kann (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 24.04.2002 - 3 Bs 19/02 -, juris). Deswegen genügt in der Regel bereits der einmalige Konsum derartiger Drogen, um die Kraftfahreignung auszuschließen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.05.2002 - 10 S 835/02 -, NZV 2002, 475; OVG Rheinl.-Pf., Beschluss vom 16.06.2003 - 12 ME 172/03 -, DAR 2003, 432; s. a. BayVGH, Beschluss vom 14.02.2006 - 11 ZB 05.1406 -, juris m. w. N.). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich aber von einer im Regelfall eignungsausschließenden Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem wissentlichen Konsum ausgehen. Dies legt schon der Begriff der "Einnahme" nahe, der auf eine bewusste Aufnahme deutet. Im Übrigen rechtfertigt eine unwissentliche Aufnahme von Betäubungsmitteln aber auch nicht die regelmäßige Annahme einer Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, da sich hieran keine beachtliche Wiederholungswahrscheinlichkeit knüpft. Es fehlt daher bei einer unwissentlichen Aufnahme von Betäubungsmitteln bereits an den Voraussetzungen für das Eingreifen der Regelannahme. Es handelt sich nicht - wovon der Antragsgegner ausgeht - um einen atypischen Umstand, bei dem trotz Konsums von Betäubungsmitteln die Eignung ausnahmsweise nicht ausgeschlossen ist (Vorbemerkung Nr. 3. der Anlage 4 zur FeV) und für den der Betroffene die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. hierzu BayVGH, Beschluss vom 23.02.1006 - 11 CS 05.1968 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.05.2002 - 10 S 835/02 -, NZV 2002, 475).

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen der Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV nicht erfüllt. Von einer Einnahme von Betäubungsmitteln im oben beschriebenen Sinn lässt sich nicht ausgehen, auch wenn der Antragsteller am 06.09.2004 als Fußgänger unter deutlichem Drogeneinfluss aufgefallen ist und die von der Polizei veranlasste Blutprobe den Nachweis von Amphetaminen/Ecstasy ergeben hat. Denn entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann das Vorbringen des Antragstellers, die in seinem Blut nachgewiesenen Drogen unwissentlich konsumiert zu haben, nicht als bloße Schutzbehauptung gewertet werden. Insoweit ist dem Antragsgegner zwar zuzugeben, dass der entsprechende Einwand eine für Drogenkonsumenten durchaus typische Schutzbehauptung darstellen mag und er daher grundsätzlich nur dann beachtlich sein kann, wenn der behauptete Geschehensablauf nicht nur theoretisch möglich ist, sondern ihm bei Würdigung des Gesamtgeschehens auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit zukommt. Gerade dies ist nach den besonderen Umständen des hier gegebenen Einzelfalles zu bejahen. Der vom Antragsteller geschilderte Sachverhalt, wonach die Drogen in einer Diskothek während eines Toilettenbesuchs seinem offenen Getränk beigesetzt worden sein müssten, erscheint hier als durchaus wahrscheinlich. Denn der Antragsteller hat - wie das Verwaltungsgericht zu Recht herausgestellt hat - bereits bei der Polizei in drogenbedingt deutlich verwirrtem Zustand und unter Einfluss von Angstzuständen leidend angegeben, dass er an dem fraglichen Abend am 06.09.2004 in die Diskothek "Jungle" in A-Stadt gegangen sei und dort Getränke zu sich genommen habe, wonach sich sein Befinden verschlechtert habe. Er habe die Diskothek dann verlassen und - was durch den Polizeibericht bestätigt wird - unterwegs die Orientierung verloren. Es lässt sich aber nicht annehmen, dass der Antragsteller in diesem Zustand der Verwirrung und Desorientierung taktisch überlegte Angaben hätte machen können. Deswegen lässt sich der behauptete Geschehensablauf in diesem konkreten Fall nicht als bloße Schutzbehauptung einstufen, selbst wenn der Antragsteller - wie die Beschwerde geltend macht - keine in Betracht kommenden Personen benannt und kein Motiv eines Dritten aufgezeigt hat, ihm ein Betäubungsmittel unterzuschieben. Die Schilderung derartiger Umstände mag zwar im Regelfall erforderlich sein, um den behaupteten Geschehensablauf nicht als bloß theoretisch möglich erscheinen zu lassen. Dies gilt aber angesichts der Umstände dieses Falles hier nicht. Schließlich sind die Kosten dieser Betäubungsmittel auch nicht so hoch, dass es als ausgeschlossen erscheinen würde, dass die Versetzung offener Getränke als bloßer "Spaß" oder "übler Streich" erfolgt. Von einer die Fahreignung ausschließenden wissentlichen Einnahme von Betäubungsmitteln lässt sich hiernach nicht ausgehen. Der Senat sieht die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen auch nicht durch das von ihm auf Anforderung der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners beigebrachte medizinisch-psychologische Gutachten des DEKRA e. V. F-Stadt belegt. Der Einwand der Beschwerde, das Gutachten sei wegen der dem Antragsteller nachgewiesenen "Einnahme" von Betäubungsmitteln und der somit greifenden Regelannahme der Nichteignung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schlüssig und überzeugend, greift nicht durch. Denn diese auch dem Gutachten zugrunde liegende Prämisse der Gutachter ist nach oben Gesagtem unzutreffend. Die Gutachter gehen einerseits davon aus, dass der vom Antragsteller behauptete Geschehensablauf "nicht völlig auszuschließen" sei. Andererseits ist nach ihrer Einschätzung wegen des "nachgewiesenen" Konsums von Amphetaminen mit ähnlichen Verhaltensweisen auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen, weswegen eine positive Eignungsbeurteilung nur vertretbar sei, wenn sich eine entscheidende Wandlung der Persönlichkeit belegen lasse, die zeige, dass die aus der Vorgeschichte abgeleiteten Verhaltenstendenzen nicht mehr von Bedeutung seien. Lässt sich aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit von einer wissentlichen Einnahme der Amphetamine ausgehen, fehlt es an einem tatsächlichen Anknüpfungspunkt für die von den Gutachtern bejahte Wiederholungswahrscheinlichkeit und die sich hieraus ableitende Forderung nach einer Persönlichkeitswandlung. Dem Gutachten, das zur Frage der Glaubhaftigkeit des vom Antragsteller behaupteten Geschehensablaufs keine näheren Ausführungen enthält, ist aber gerade nicht zu entnehmen, dass die Gutachter in tatsächlicher Hinsicht von einem wissentlichen Konsum ausgehen. In medizinischer Hinsicht hat die Untersuchung keinerlei Hinweise auf einen Drogenkonsum gegeben. Fortbestehende Zweifel knüpfen die Gutachter allein daran, dass der Antragsteller keine von ihm selbst veranlassten Drogenabstinenznachweise vorgelegt und einen Krankenhausbericht nicht beigebracht hat. Unabhängig davon, dass es zumindest fraglich erscheint, ob der Antragsteller sich angesichts seiner Einlassung zu einer unaufgeforderten Vorlage von Drogenabstinenznachweisen veranlasst sehen musste, und es auch bedenklich erscheint, einen Krankenhausbericht über einen bereits anderthalb Jahre zurückliegenden Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik anzufordern, ohne dass es greifbare Anhaltspunkte für einen Drogenzusammenhang gibt, lässt sich anhand des Gutachtens nicht nachvollziehen, dass und warum die Gutachter wegen der Nichtvorlage dieser Unterlagen in tatsächlicher Hinsicht von einer - wissentlichen - Einnahme von Betäubungsmittel ausgegangen wären.

Dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Kraftfahreignung des Antragstellers allein unter funktionspsychologischen Gesichtspunkten zu verneinen ist, macht die Beschwerde nicht geltend. Der Antragsgegner geht vielmehr davon aus, dass die bei dem Test zur Prüfung der Reaktionsgeschwindigkeit und Dauerbelastbarkeit von den Gutachtern des DEKRA e. V. F-Stadt festgestellten Leistungsminderungen "nicht kausal" für die im Gutachten erfolgte Annahme der fehlenden Fahreignung gewesen seien und deswegen auf die vom Verwaltungsgericht geforderte Kompensationsprüfung z. B. durch eine Fahrprobe verzichtet worden sei. Die Notwendigkeit einer solchen Prüfung stellt die Beschwerde dagegen nicht in Frage.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. In Anlehnung an Ziff. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 07./08.07.2004 (NVwZ 2004, 1327) war das Interesse des Antragstellers am Gebrauch der Fahrerlaubnis der Klasse B, die die der Klassen M und L einschließt, mit dem Auffangwert zu bemessen. Der sich ergebende Betrag wurde im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, halbiert (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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