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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: 1 M 73/06
Rechtsgebiete: EWGRL 91/439, FeV, VwGO
Vorschriften:
EWGRL 91/439 Art. 1 II | |
EWGRL 91/439 Art. 8 II | |
FeV § 28 I 1 | |
FeV § 28 IV 3 | |
FeV § 28 V | |
FeV § 47 I | |
FeV § 47 II 1 | |
VwGO § 80 V |
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 1 M 73/06
Datum: 13.07.2006
Gründe:
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.
Soweit der Antragsteller beantragt, die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung des Antragsgegners auszusetzen, ist der Antrag bereits unzulässig. Wie sich aus § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO ergibt, ist allein die Behörde befugt, die Vollziehung eines Verwaltungsakts auszusetzen.
Soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung Nr. 1 in dem Bescheid des Antragsgegners vom 09.02.2006 begehrt, hat der Eilantrag schon deshalb keinen Erfolg, weil für den Antrag kein Rechtsschutzinteresse besteht.
Mit dieser Verfügung hat der Antragsgegner geregelt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts hat, von der in Tschechien erworbenen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Unabhängig davon, ob es einer ausdrücklichen Entziehung der Fahrerlaubnis bedurft hat, ist der Antragsteller schon aufgrund § 28 Abs. 4 Nr. 3 i. V. m. Abs. 5 FeV nicht berechtigt, von der in Tschechien erteilten Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Denn gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, unter anderem dann nicht, wenn die Fahrerlaubnis im Inland rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist. Das Recht, von der Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, wird dem Inhaber gemäß § 28 Abs. 5 FeV erteilt. Dies setzt einerseits einen Antrag und andererseits voraus, dass die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Sind die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV erfüllt, etwa weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis im Inland von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen wurde, bedarf es für die Berechtigung, als Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, gemäß § 28 Abs. 5 FeV einer besonderen Zuerkennung (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2005 - 3 C 54.04 - , NJW 2006, 1151).
Mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die "Aberkennung" des Rechts, von der in Tschechien erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, würde sich nichts daran ändern, dass der Antragsteller ohne eine besondere Zuerkennung nach § 28 Abs. 5 FeV nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt ist. Denn dem Antragsteller wurde die im Inland erteilte Fahrerlaubnis durch einen ab dem 07.10.2004 rechtskräftigen Strafbefehl entzogen. Eine - nach § 28 Abs. 5 FeV erforderliche - Zuerkennung des Rechts, von der EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist, nicht zuletzt mangels eines entsprechenden Antrags, bisher nicht erfolgt.
Aus Regelungen des Gemeinschaftsrechts ergibt sich nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Recht des Antragstellers, von der in Tschechien erteilten Fahrerlaubnis im Inland ohne weiteres Gebrauch zu machen. Insbesondere widerspricht das Erfordernis einer besonderen Zuerkennung der EU-Fahrerlaubnis in dem Fall, dass dem Betroffenen bereits die Fahrerlaubnis im Inland gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV entzogen worden ist, nicht der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine "ohne jede Formalität" vor. Die Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klar definierte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - C-476/01 - "Kapper", DAR 2004, 333). Gemäß Art. 8 Abs. 2 der genannten Richtlinie ist der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes des Betroffenen jedoch berechtigt, die innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht der Senat davon aus, dass das Erfordernis einer besonderen formalen Zuerkennung des Rechts, von der EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, jedenfalls in den Fällen der Entziehung oder der Versagung der Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV mit Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG in Einklang steht.
Zwar ist der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erheblich eingeschränkt. Die Vorschrift ist eng auszulegen. Der Mitgliedstaat darf sich insbesondere nicht auf sie berufen, um einer nach Ablauf der Sperrfrist erteilten EU-Fahrerlaubnis auf unbestimmte Zeit die Anerkennung zu versagen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung darf durch die Berufung auf nationale Vorschriften nicht unterlaufen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.2004, a. a. O.). So dürfte es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 29.04.2004, a. a. O.; Beschluss vom 06.04.2006 - C-227/05 - "Halbritter") nicht zulässig sein, die Anerkennung einer nach Ablauf der Sperrfrist erteilten EU-Fahrerlaubnis deshalb zu versagen, weil sich der Betroffene nicht einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzogen hat oder weil er seinen Wohnsitz zurzeit der Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis nicht in dem ausstellenden Mitgliedstaat hatte (vgl. nunmehr auch OVG Schl.-Holst., Beschluss vom 20.06.2006 - 4 MB 44/06 -). Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lassen sich jedoch nach Auffassung des Senats keine generellen Zweifel an der Zulässigkeit des antragsgebundenen Zuerkennungsverfahrens nach § 28 Abs. 5 FeV ableiten; vielmehr hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 29.04.2004 (a. a. O., S. 339), den deutschen Behörden ausdrücklich eine Gestaltungsbefugnis eingeräumt (vgl. einschränkend: Nds. OVG, Beschluss vom 11.10.2005 - 12 ME 288/05 -, NJW 2006, 1158; offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 17.11.2005, a. a. O.; Hess. VGH, Beschluss vom 16.12.2005 - 2 TG 2511/05 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.09.2005 - 10 S 1777/05 -).
Das Erfordernis einer Zuerkennung ist in den von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV erfassten Fällen - also bei Personen, denen die Fahrerlaubnis im Inland bereits entzogen oder versagt worden ist - jedenfalls sinnvoll und zweckmäßig, um sicher zu stellen, dass von der EU-Fahrerlaubnis nicht Gebrauch gemacht werden kann, wenn sich aus der Zeit nach deren Erteilung begründete Eignungsmängel ergeben. Für die Überprüfung besteht im Interesse der Verkehrssicherheit auch Bedarf. Denn die Entziehung oder Versagung der Fahrerlaubnis in den Fällen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV betrifft in erster Linie das Fahren unter Alkohol und Drogen. Auch nach der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis im Ausland ist jedenfalls ein erhöhtes Risiko zwischenzeitlicher Fahrten unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss nicht auszuschließen. Soweit ersichtlich, besteht in der Rechtsprechung auch Einigkeit, dass Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die Mitgliedstaaten ermächtigt, die nationalen Eignungsüberprüfungs- und Entzugsvorschriften auf diejenigen Fahrzeugführer anzuwenden, die nach Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis im Inland auffällig werden und dadurch Bedenken hinsichtlich ihrer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen (so EuGH, Beschluss vom 06.04.2006, a. a. O.; OVG Saarl., Beschluss vom 27.03.2006 - 1 W 12/06, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 11.10.2005, a. a. O.; OVG Rheinl.-Pf., Beschlüsse vom 30.01.2006 - 10 B 10013/06 - und vom 15.08.2005 - 7 B 11021/05 -, NJW 2005, 2338).
Das Zuerkennungsverfahren nach § 28 Abs. 5 FeV stellt den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen nicht in Frage. Die Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen erfolgt grundsätzlich - wie es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gefordert wird - "ohne jede Formalität". Gemäß § 28 Abs. 1 FeV sind Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis grundsätzlich ohne weiteres zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt. Eine obligatorische Überprüfung von EU-Fahrerlaubnissen findet nicht statt. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV betrifft lediglich die in dieser Bestimmung genannten Fälle, in denen die Fahrerlaubnis im Inland vor der Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis entzogen oder versagt worden ist. Da nach dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 06.04.2006 (a. a. O.) eine generelle Eignungsüberprüfung im Hinblick auf vor Erteilung der EU-Fahrerlaubnis festgestellte Mängel nicht zulässig sein dürfte, ist auch in den Fällen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ein schnelles und einfaches Zuerkennungsverfahren gewährleistet, das sich auf die Überprüfung nachträglich begründeter Eignungsmängel zu beschränken hat. Ein solches Prüfungsverfahren, welches etwa die Einholung einer aktuellen Auskunft aus dem Zentralregister beinhaltet, ist im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit geboten und führt auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Antragstellers, denn diesem wird die Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis gerade nicht "auf unbestimmte Zeit" versagt. Das Zuerkennungsverfahren führt bei diesem Verständnis der Regelung auch nicht zu einer - gemeinschaftsrechtlich fragwürdigen - weiteren Überprüfung, ob bei der Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis die nationalen Eignungsvoraussetzungen erfüllt waren.
Auch sonst steht das Zuerkennungsverfahren in den Fällen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht im Widerspruch zu den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die gegenseitige Anerkennung von Fahrerlaubnissen, die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergeben. Nach dem Beschluss vom 06.04.2006 (a. a. O.) darf die Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen nicht deshalb versagt werden, weil sich der Fahrerlaubnisinhaber nach dem Entzug der Fahrerlaubnis im Inland nicht der dort erforderlichen Eignungsprüfung unterzogen hat. Eine "Umschreibung" der EU-Fahrerlaubnis darf daher nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine erneute Untersuchung der Fahreignung des Antragstellers vorgenommen wird, die nach inländischem Recht zur Ausräumung von Zweifeln aufgrund von Umständen erforderlich ist, die vor dem Erwerb der EU-Fahrerlaubnis bestanden. Der Beschluss stellt indes die Zulässigkeit des Antrags- und Zuerkennungsverfahrens nach § 28 Abs. 5 FeV nicht in Frage, sondern stellt - hier nicht erfüllte - Kriterien auf, nach denen die "Umschreibung" der im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis nicht versagt werden darf.
Selbst wenn man von der Zulässigkeit des vorliegenden Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ausginge, ist der Antrag jedenfalls unbegründet. Der Antragsgegner war nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage befugt, durch einen feststellenden Verwaltungsakt zu regeln, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, von der in Tschechien erteilten Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Die fehlende Befugnis des Antragstellers, aufgrund dieser Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge zu führen, ergibt sich - wie oben ausgeführt - bereits aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV. Für die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners ist es unerheblich, dass die Verfügung im Wesentlichen mit der fehlenden Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründet wurde.
Die in der Beschwerdebegründungsschrift weiter vorgebrachten Einwände des Antragstellers greifen nicht durch. Fehlt dem Antragsteller bereits mangels der nach § 28 Abs. 5 FeV erforderlichen Zuerkennung das Recht, von der in Tschechien ausgestellten Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, so ist es unerheblich, ob aus der Nichtbeibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die mangelnde Fahreignung geschlossen werden durfte oder ob der Antragsteller aus beruflichen Gründen auf eine Fahrerlaubnis angewiesen ist.
Mit seinem Einwand, der Antragsgegner habe das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht hinreichend begründet, tritt der Antragsteller zudem der erstinstanzlichen Entscheidung nicht substantiiert entgegen. Im Übrigen ist es nicht zu beanstanden, wenn - wie hier - das Interesse an einer sofortigen Vollziehung mit Gefahren für die Gesundheit und das Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer begründet wird (vgl. Hamb. OVG, Beschluss vom 20.06.2005 - 3 Bs 72/05 -, VRS 2005, 210).
Soweit der Antragsteller begehrt, die Verfügung Nr. 2 in dem Bescheid vom 09.02.2006 aufzuheben "bzw." auszusetzen, bestehen bereits Bedenken, ob der Antrag hinreichend bestimmt ist. Sollte der Antrag so auszulegen sein, dass der Antragsteller begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung Nr. 2 in dem Bescheid vom 09.02.2006 wiederherzustellen, hat er keinen Erfolg. Denn der Antragsteller wurde gemäß § 47 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FeV zu Recht verpflichtet, den in Tschechien erworbenen Führerschein zur Eintragung des - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - fehlenden Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, vorzulegen (vgl. dazu auch BayVGH, Beschluss vom 20.10.2005 - 11 CS 05.2088 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren nach §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 2.500 Euro festzusetzen. In Anlehnung an Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung vom 07./08.07.2004 (NVwZ 2004, 1327) ist das Interesse des Antragstellers am Gebrauch der Fahrerlaubnis der Klasse B in Höhe des Auffangwertes zu bemessen, der im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, halbiert wurde.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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