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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.01.2008
Aktenzeichen: 2 L 126/07
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 3 Nr. 5
VwGO § 67 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4
1. Beantragt eine Behörde die Zulassung der Berufung, genügt zur Antragsbegründung eine Bezugnahme auf die Ausführungen Dritter grundsätzlich nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Dritte Postulationsfähigkeit besitzt. Der mit der behördlichen Prozessvertretung beauftragte Bedienstete muss selbst die fachliche und rechtliche Verantwortung für die Zulassungsschrift übernehmen, da die Rechtsmittelschrift - entsprechend dem Sinn und Zweck des durch § 67 Abs. 1 VwGO eingeführten Vertretungserfordernisses - auf einer eigenen Prüfung, Sichtung und rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs des Behördenbediensteten beruhen muss.

2. An dem Belang des Schutzes einer bestimmten Vogelart kann die Errichtung von Windenergieanlagen nicht nur innerhalb ausgewiesener oder faktischer Europäischer Vogelschutzgebiete scheitern. Die den Vogel- und Artenschutz betreffenden rechtlichen Regelungen in ihrer Gesamtheit schließen die Annahme einer derart beschränkten Wirkkraft des auf Vogelarten bezogenen Artenschutzes aus (vgl. Urt. d. Senats v. 16.08.2007 - 2 L 610/04).

3. Die bloße Möglichkeit, dass sich nach weiterer Sachverhaltsaufklärung oder Beweiserhebung eine (entscheidungserheblich) veränderte Sachlage ergeben kann, genügt nicht für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.


Gründe:

Soweit die Beigeladene zu 2 ihren Antrag auf Zulassung der Berufung durch schriftliche Erklärung vom 07.06.2007 zurückgenommen hat, ist das Rechtsmittelverfahren entsprechend §§ 92 Abs. 3, 126 VwGO einzustellen.

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der dort aufgezählten Zulassungsgründe vorliegt. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind in dem Antrag auf Zulassung der Berufung die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.

Nicht ausreichend ist die Bezugnahme des Beklagten hinsichtlich der Festsetzungen des Regionalen Entwicklungsplans auf die Begründung des Zulassungsantrags der Beigeladenen zu 2, auch wenn diese von einem Rechtsanwalt verfasst worden ist. Nach § 67 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 VwGO muss sich jeder Beteiligte vor dem Oberverwaltungsgericht, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. Es ist in der Rechtsprechung (vgl. hierzu NdsOVG, Beschl. v. 07.08.2003 - 12 ME 283/03 - , NJW 2003, 3503, m. w. Nachw.) allgemein anerkannt, dass dem Gebot der anwaltlichen Vertretung nach § 67 Abs. 1 VwGO nur genügt wird, wenn der Schriftsatz von dem Rechtsanwalt erarbeitet worden ist. Das Vorbringen muss erkennen lassen, dass der Bevollmächtigte den Streitstoff selbst gesichtet, geprüft und durchgearbeitet hat. Als eine unzulässige Umgehung des § 67 Abs. 1 VwGO ist es anzusehen, wenn seitens eines postulationsfähigen Prozessvertreters pauschal auf Ausführungen Bezug genommen wird, die der von ihm vertretene Beteiligte oder ein Dritter verfasst hat. Eine Inbezugnahme ist ausnahmsweise nur dann als ausreichend anzusehen, wenn unzweifelhaft ist, dass sie auf einer eigenen Prüfung, Sichtung, rechtlichen Durchdringung und Würdigung des postulationsfähigen Prozessvertreters beruht. Damit soll nicht nur erreicht werden, dass die dem Rechtsmittelgericht unterbreiteten Ausführungen ein bestimmtes fachliches Niveau haben, sondern auch, dass der Prozessbevollmächtigte hierfür die Verantwortung übernimmt; zulässig ist nur die Berücksichtigung ergänzender Ausführungen eines Dritten, etwa in einem Rechtsgutachten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.07.1989 - 4 B 140.98 -, NVwZ 1990, 459).

Die gleichen Grundsätze müssen auch in den Fällen gelten, in denen juristische Personen des öffentlichen Rechts - wie vorliegend der Beklagte - das Vertretungsprivileg nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO in Anspruch nehmen. Die in dieser Vorschrift angeordnete Erleichterung für juristische Personen des öffentlichen Rechts erschöpft sich darin, dass sich diese auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen können. Sie ändert jedoch nichts daran, dass der mit der behördlichen Prozessvertretung beauftragte Bedienstete selbst die fachliche und rechtliche Verantwortung für die Zulassungsschrift übernehmen muss und dass die Rechtsmittelschrift - entsprechend dem oben genannten Sinn und Zweck des durch § 67 Abs. 1 VwGO eingeführten Vertretungserfordernisses - auf einer eigenen Prüfung, Sichtung und rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs des Behördenbediensteten beruhen muss (vgl. zum Ganzen: VGH BW, Beschl. v. 22.01.1999 - 7 S 2408/98 -, DVBl 1999, 474). Eine unzureichende Form einer Rechtsmittelschrift auf Grund bloßer Bezugnahme auf Ausführungen eines Dritten ist zwar in erster Linie in den Fällen angenommen worden, in denen der Dritte nicht postulationsfähig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.01.1995 - 1 B 118/94 -, InfAuslR 1995, 239). Aber auch wenn - wie hier - der Dritte, der die Rechtsmittelbegründung verfasst hat, Postulationsfähigkeit besitzt, genügt eine bloße Bezugnahme hierauf ohne eigene Prüfung, Sichtung, rechtliche Durchdringung und Würdigung und Durchdringung des Streitstoffs nicht (vgl. BayVGH, Beschl. v. 07.02.2000 - 10 ZS 00.2 -, VwRR BY 2000, 156). Durch die Regelungen in § 67 Abs. 1 und § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO soll - wie bereits ausgeführt - nicht nur erreicht werden, dass die Sachlichkeit des Verfahrens und die sachkundige Erörterung des Streitfalles durch einen Rechtskundigen gewährleistet ist; es soll auch sicher gestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte bzw. der Vertreter der Behörde die Verantwortung für seine Ausführungen übernimmt.

Im konkreten Fall kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Vertreterin des Beklagten, die die Begründung des Zulassungsantrags verfasst hat, vor Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags des Beigeladenen zu 2 den darin behandelten Streitstoff selbst geprüft, gesichtet, rechtlich durchdrungen und gewürdigt hat. Die Begründung des Zulassungsantrags der Beigeladenen zu 2 datiert vom 07.05.2007, so dass die darin gemachten Ausführungen der Vertreterin des Beklagten bei der Abfassung ihrer Begründung am 03.05.2007 noch nicht bekannt gewesen sein dürften. Damit kann offen bleiben, ob die Rücknahme des Zulassungsantrags der Beigeladenen zu 2 Auswirkungen auf eine (ausnahmsweise) zulässige Bezugnahme hätte haben können.

Auch die weiteren eigenen Ausführungen des Beklagten in der Begründung des Zulassungsantrags führen nicht zur Zulassung der Berufung. Der Beklagte benennt schon keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Gründe, die allein eine Zulassung der Berufung erlauben. Aber auch wenn anzunehmen sein sollte, der Beklagte mache ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend, kann sein Zulassungsantrag keinen Erfolg haben.

Der Beklagte trägt nunmehr vor, der Errichtung der noch in Streit stehenden Windenergieanlage stünden Belange des Naturschutzes entgegen, weil ihr Standort von Brutplätzen wildlebender Vogelarten umgeben sei, die durch die geplante Anlage erheblich in ihren Lebensverhältnissen beeinträchtigt würden. Er bezieht sich insoweit auf die Stellungnahme des Landesamts für Umweltschutz Sachsen-Anhalt vom 04.04.2007. Darin wird ausgeführt, dass im Umfeld der geplanten Anlage nach Angaben eines ehrenamtlich tätigen Mitarbeiters dieser Behörde jährlich vier bis fünf Rotmilan-Brutpaare sowie ein Brutpaar des Schwarzmilans vorkämen. Im Standard-Datenbogen für das FFH-Gebiet "Porphyrkuppen bei A." seien ein bis fünf Paare des Rotmilans aufgeführt. Ein Brutplatz des Rotmilans liege etwa 500 m von der geplanten Windenergieanlage entfernt und damit in deutlich geringerem Abstand als die Mindestabstandsempfehlungen vorgäben. Neben dem Rotmilan seien nach Angaben des Mitarbeiters auch ein bis zwei Brutpaare der Rohrweihe, sechs bis acht Brutpaare der Schleiereule, ein bis vier Brutpaare der Waldohreule sowie vier Brutpaare des Mäusebussards vorhanden. Ferner sei die Sandgrube im direkten Umfeld der geplanten Anlage als ornithologisch bedeutsam einzustufen, weil dort Wasservögel (z. B. bis zu sechs Brutpaare des Zwergtauchers) und eine Uferschwalbenkolonie von 70 bis 100 Paaren rasteten und brüteten. Auch bei diesen geschützten und zum Teil bestandsgefährdeten europäischen Vogelarten seien ein erheblicher Scheucheffekt sowie Verluste durch Vogelschlag an der Windenergieanlage zu erwarten. Damit vermag der Beklagte die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen.

Das Verwaltungsgericht hat, was die Belange des Naturschutzes, insbesondere den Schutz wildlebender Vogelarten anbetrifft, ausgeführt, das (faktische) Vogelschutzgebiet "Porphyrkuppen westlich A." stehe der Errichtung der streitigen Windenergieanlage nicht gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB entgegen, da sich der Standort außerhalb dieses Gebiets befinde. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Abstand von ca. 200 m zum Schutzgebiet den Schutzzweck gefährde.

Zwar hat der Senat entschieden (Urt. v. 16.08.2007 - 2 L 610/04), dass an dem Belang des Schutzes einer bestimmten Vogelart die Errichtung von Windenergieanlagen nicht nur innerhalb ausgewiesener oder faktischer Europäischer Vogelschutzgebiete scheitern kann. Die den Vogel- und Artenschutz betreffenden rechtlichen Regelungen in ihrer Gesamtheit schließen die Annahme einer derart beschränkten Wirkkraft des auf Vogelarten bezogenen Artenschutzes aus (so auch OVG RP, Urt. v. 16.03.2006 - 1 A 10884/05 - NVwZ-RR 2007, 309). In dieser Entscheidung ist der Senat ferner zu der Überzeugung gelangt, dass der Rotmilan, auf den besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich seiner Lebensräume anzuwenden sind, und bei dem es sich gleichzeitig um eine besonders geschützte Art im Sinne des § 10 Abs. 2 Nr. 10 a) BNatSchG und um eine streng geschützte Art im Sinne des § 10 Abs. 2 Nr. 11 a) BNatSchG handelt, artspezifisch zu den Arten gehört, die häufiger als andere Vogelarten als Schlagopfer von Windenergieanlagen auffallen. Dieser Einschätzung lagen verschiedene fachliche Stellungnahmen und Gutachten zugrunde. Diese waren auch Grundlage für die weitere Feststellung des Senats, dass das nördliche Harzvorland, wo in jenem Fall Windenergieanlagen errichtet werden sollten, ein weltweit bedeutendes Dichtezentrum des Rotmilans ist. Auf Grund der detaillierten und zum Teil mit weiteren aktuellen avifaunistischen Gutachten und Untersuchungsbefunden belegten Aussagen ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aufstellung und der Betrieb der dort geplanten Windkraftanlagen zu einer erheblichen Gefährdung des in der Gegend beheimateten Rotmilans führen würde. Auch in der bereits zitierten Entscheidung des OVG RP (a. a. O.) wurde durch ein Gutachten, das von einer staatlichen Vogelschutzwarte bestätigt worden war, eine sehr hohe Populationsdichte des Rotmilans von 15,9 Brutrevieren pro 100 qkm festgestellt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Urteil vom 30.06.2005 (26 B 01.2833 - JURIS) die Errichtung von Windenergieanlagen in einem von geschützten Vogelarten aufgesuchten Gebiet ebenfalls für unzulässig gehalten. Aber auch dieser Entscheidung lag ein Gutachten zugrunde, in welchem festgestellt wurde, dass der Standort der strittigen Anlagen inmitten einer Korridorbeziehung liege, das Gebiet eine Leitlinie des Vogelzuges in Richtung Südwesten darstelle und ein Schwerpunkt des Vorkommens des Rot- als auch des Schwarzmilans in Bayern sei.

Solche fundierten Gutachten über das Vorkommen der vom Beklagten genannten Vogelarten im Umfeld des geplanten Standorts der Windenergieanlage liegen hier nicht vor, sondern nur der Befund eines ehrenamtlichen Mitarbeiters des Landesamtes für Umweltschutz, über dessen fachliche Qualifikation der Beklagte ebenso wenig etwas vorgetragen hat wie über die Grundlagen seiner Erhebungen. Dieser Befund allein vermag damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass Belange des Vogelschutzes der Errichtung der Windenergieanlage nicht entgegenstehen, nicht zu begründen. Dem Beklagten stand es im erstinstanzlichen Verfahren frei, zur Frage des Vorkommens und der Gefährdung verschiedener Vogelarten am konkreten Standort eine Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten zu beantragen. Die bloße Möglichkeit, dass sich nach weiterer Sachverhaltsaufklärung oder Beweiserhebung eine (entscheidungserheblich) veränderte Sachlage ergeben kann, ist für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht hinreichend (vgl. Beschl. d. Senats v. 20.07.2005 - 2 L 436/02 -; NdsOVG, Beschl. v. 09.02.1998 - 12 M 5642/98 -, NdsVBl 1998, 162). Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 VwGO. Auch der Senat geht bei Streitigkeiten um die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung von Windenergieanlagen in ständiger Rechtsprechung von einem Streitwert von zehn Prozent der Herstellungskosten aus. Diese betragen nach den Angaben in den Bauunterlagen etwa 480.000,00 € je Anlage. Im Zulassungsverfahren ist nur noch eine Anlage im Streit.

Ende der Entscheidung

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