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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.01.2007
Aktenzeichen: 2 L 141/05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 72
Will die Behörde, die einen belastenden Verwaltungsakt durch eine Abhilfe im Sinne des § 72 VwGO aufgehoben hat, diese Abhilfe nachträglich rückgängig machen, kann sie entweder die Abhilfeentscheidung aufheben oder den Ausgangsbescheid neu erlassen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 141/05

Datum: 10.01.2007

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Inhaberin eines Entsorgungsfachbetriebes. Am 05.08.2002 führte sie einen Auftrag zur Entsorgung von Salpetersäure aus. Während des Abpumpens kam es zu einem Lochfraß nebst Säureaustritt, der einen Feuerwehreinsatz erforderlich machte. Wegen der Kosten des Einsatzes nahm der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 27.09.2002 auf Erstattung in Höhe von etwa 30.000,- € in Anspruch. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half er mit Abhilfebescheid vom 10.12.2002 ab und hob seinen Erstattungsbescheid wieder auf. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe in ihrem Widerspruch glaubhaft gemacht, dass ihr der Auftraggeber eine zu niedrige Säurekonzentration mitgeteilt und sie den Unfall deshalb nicht verschuldet habe.

Der Säureunfall war auch Gegenstand eines (u.a.) gegen den Geschäftsführer der Klägerin gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Dieses wurde im Jahre 2004 gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 1.000,- € gemäß § 153 a Abs. 1 StPO eingestellt. Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakte nahm der Beklagte die Klägerin mit (streitgegenständlichem) Bescheid vom 12.08.2004 erneut auf Kostenerstattung in Anspruch. Zur Begründung führte er aus, in Auswertung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sei er nunmehr zu der Erkenntnis gelangt, dass die Klägerin die zu entsorgende Salpetersäure vorsätzlich in ein hierfür nicht zugelassenes Fahrzeug gefüllt habe. Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Urteil vom 29.07.2005 (Az.: 1 A 616/04 MD) abgewiesen.

II.

Der gemäß § 124a Abs. 4-6 VwGO zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet.

1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

Entgegen der Antragsbegründung war der Beklagte an der erneuten Inanspruchnahme der Klägerin nicht deshalb gehindert, weil er seinen ursprünglichen Kostenbescheid aufgrund des dagegen erhobenen Widerspruchs im Wege eines Abhilfebescheides aufgehoben und die Klägerin auf den Bestand dieser Abhilfe vertraut hatte. Nach § 72 VwGO hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet hält. Ist der mit dem Widerspruch angefochtene Ausgangsbescheid - wie hier der ursprüngliche Kostenbescheid - ein belastender Verwaltungsakt, besteht die Abhilfe ihrem Inhalt nach in einer Aufhebung dieses Verwaltungsakts. Will die Behörde diese Abhilfe nachträglich rückgängig machen, stehen ihr hierfür grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung: Sie kann die Abhilfeentscheidung, die ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt, nach den Vorschriften der §§ 48 f. VwVfG LSA, d.h. durch Rücknahme oder Widerruf, aufheben und dadurch den belastenden Ausgangsbescheid wieder aufleben lassen (vgl. Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 72 RdNr. 15; Geis, in: Nomos-Kommentar zur VwGO, § 72 RdNr. 30); in diesem Fall ist das Vorverfahren fortzusetzen und der Widerspruch der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorzulegen (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 72 RdNr. 15). Andererseits hat sie auch die Möglichkeit, den durch den Abhilfebescheid aufgehobenen Ausgangsbescheid neu zu erlassen (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 72 RdNr. 10; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl., § 72 RdNr. 13). Für einen solchen Neuerlass bedarf es keiner Aufhebung des Abhilfebescheides, wenn dessen Regelungsgehalt - wovon regelmäßig auszugehen ist - nur darin besteht, den belastenden Ausgangsbescheid aufzuheben und das Vorverfahren abzuschließen, nicht aber darin, auf einen etwaigen Neuerlass des Ausgangsbescheides zu verzichten. Im vorliegenden Fall entschied sich der Beklagte für die zweite Möglichkeit, d.h. dafür, unter Aufrechterhaltung des Abhilfebescheides den Kostenerstattungsbescheid neu zu erlassen. Hieran war er - wie dargelegt - durch den Abhilfebescheid nicht gehindert, insbesondere standen dem nicht die §§ 48 f. und 51 VwVfG LSA entgegen, weil für den Neuerlass weder die Aufhebung der Abhilfe erforderlich war noch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne des § 51 VwVfG LSA.

Soweit die Klägerin einwendet, die Abhilfe entfalte feststellende Wirkung für die Zukunft und habe das Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten endgültig geregelt, lassen sich dem Abhilfebescheid dafür gerade keine Anhaltspunkte entnehmen. Fehl geht auch der Einwand, der Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens hätte keine den Neuerlass rechtfertigenden neuen Tatsachen zu Tage gefördert. Das Vorliegen derartiger neuer Tatsachen ist - wie dargelegt - für den Neuerlass eines aufgehobenen belastenden Verwaltungsakts nicht erforderlich. Erforderlich ist lediglich, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Neuerlass vorliegen.

Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Neuerlass des aufgehobenen Kostenbescheides habe ihr schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Abhilfe verletzt. Es mag nicht auszuschließen sein, dass die Klägerin auf den Bestand der Abhilfeentscheidung vertraute. Dieses Vertrauen genießt aber keinen aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ableitbaren Schutz; denn der Abhilfebescheid enthält keinerlei Hinweis geschweige denn eine Zusage dahingehend, dass die Abhilfe eine endgültige Regelung treffe und der Beklagte auf einen etwaigen Neuerlass des Ausgangsbescheides verzichte. Im Übrigen hat sich der Beklagte im Rahmen seiner Ermessenserwägungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid mit der Frage des Vertrauens der Klägerin hinreichend auseinandergesetzt.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin sind auch nicht "die Ermessenserwägungen des Beklagten im Hinblick auf die Auswahl des Kostenschuldners in tragenden Gründen auf falsche Schlüsse gestützt". Zu Recht ging der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung davon aus, dass das von der Klägerin verwendete Fahrzeug für den Transport der eingefüllten Säure weder geeignet noch zugelassen war. Ersteres zeigt bereits der Umstand, dass es zu dem eingetretenen Säurefraß kam. Hinsichtlich der Frage der Zulassung wendet die Klägerin ohne Erfolg ein, zum Transport habe das Fahrzeug überhaupt nicht verwendet werden sollen, weil die Säure lediglich unter Einsatz der Umpumpvorrichtung des Fahrzeugs in zur Aufbewahrung von Säure geeignete IBC-Behälter habe gepumpt werden sollen. Nach der Aktenlage stellt sich der Sachverhalt vielmehr so dar, dass die Säure sehr wohl zunächst in das Fahrzeug gepumpt und sodann zu den - wenn auch lediglich einige Meter entfernten - IBC-Behältern transportiert werden sollte.

Die Klägerin macht auch ohne Erfolg geltend, der Beklagte hätte, da er sie lediglich als Zustandsstörerin angesehen habe, im Rahmen seiner Ermessenserwägungen auch die Zustandsstörereigenschaft des Auftraggebers angemessen berücksichtigen und gewichten müssen. Tatsächlich war die Klägerin nicht nur Zustands-, sondern Verhaltensstörerin im Sinne des § 7 Abs. 1 SOG LSA, weil sie den Unfall durch den Einsatz des untauglichen Fahrzeugs verursachte. Dies hat der Beklagte auch erkannt. In der Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides bezeichnet er die Klägerin ausdrücklich als "Verhaltensstörer i.S.d. § 7 Abs. 1 und 3 SOG LSA".

2. Die Klägerin beruft sich auch ohne Erfolg auf den Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Sache weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf, sondern erfordert lediglich eine schulmäßige Prüfung der Wirkungen eines Abhilfebescheides im Sinne des § 72 VwGO sowie gängiger Fragen des Polizei- und Ordnungsrechts. Auch der Umstand, dass hinsichtlich der Frage der Verantwortlichkeit auch andere Rechtsgebiete wie das Abfallrecht und das Gefahrgutrecht beachtlich sein können, begründet keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten.

3. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt der Sache ebenfalls nicht zu. Für grundsätzlich bedeutsam hält die Klägerin die Frage, "inwieweit ... der Bürger Vertrauensschutz in Bezug auf eine ihn begünstigende Abhilfeentscheidung im Rechtsbehelfsverfahren (habe), d.h. inwieweit ... die Behörde auf eine mögliche erneute Entscheidung in der Zukunft hinweisen (müsse)". Diese Frage ist schon deshalb nicht grundsätzlich, weil sie sich so, wie sie gestellt ist, ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt. § 72 VwGO enthält keine Regelung dahingehend, dass der Abhilfebescheid einen Hinweis auf eine mögliche erneute Entscheidung in der Zukunft enthalten muss.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 2 GKG <Streitwert>.

Ende der Entscheidung

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