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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.09.2003
Aktenzeichen: 2 L 195/03
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, LSA-GO
Vorschriften:
VwGO § 124 II Nr. 1 | |
VwGO § 124a IV 4 | |
BauGB § 125 I | |
BauGB § 125 III Nr. 1 | |
BauGB § 127 II Nr. 1 | |
BauGB § 135 V | |
LSA-GO § 6 V |
2. Ob eine einheitliche Erschießungsanlage anzunehmen ist, richtet sich nach den durch die tat-sächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild. Maßgeblich ist der Gesamteindruck. Unerheblich sind Straßenbezeichnungen oder getrennte Widmungen.
3. Ein Verstoß gegen § 125 Abs. 1 BauGB wird nicht dadurch begründet, dass die tatsächliche Ausführung die Planungsabsichten der Gemeinde unterschreitet. Maßgeblich ist, ob die Grundzüge der Planung gewahrt bleiben.
Eines die Plan-Unterschreitung billigenden Gemeinderatsbeschlusses bedarf es nicht.
4. Nichtige Ablösevereinbarungen erzwingen keine Billigkeitsmaßnahmen nach § 135 Abs. 5 BauGB.
5. Eine Satzung, die nach örtlichem Bekanntmachungsrecht durch zweiwöchigen Aushang veröffentlicht wird, tritt am ersten Tag nach Ablauf dieser Zwei-Wochen-Frist in Kraft.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 L 195/03
Datum: 10.09.2003
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987), sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
"Darlegen" bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als ein lediglich allgemeiner Hinweis; "etwas darlegen" verlangt vielmehr soviel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen" (BVerwG, Beschl. v. 02.10.1961 - BVerwG VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 [91]; Beschl. v. 09.03.1993 - BVerwG 3 B 105.92 -, Buchholz 310 [VwGO] § 133 [n. F.] Nr. 11). Genügte allein die herkömmliche Art der Rechtsmittelbegründung, dann bedürfte es der Zulassungsgründe nicht. Der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist vor der Zulassung des Rechtsmittels noch nicht, die angegriffene Entscheidung auf ihr Ergebnis hin zu kontrollieren, sondern ausschließlich die Frage, ob das Rechtsmittel zugelassen werden kann. Ob dies der Fall ist, prüft das Gericht nicht von Amts wegen; auch wenn nach der Zulassung im Rechtsmittelverfahren die "Amtsmaxime" des § 86 Abs. 1, 3 VwGO entsprechend gilt (vgl. § 125 Abs. 1 VwGO), hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelführer für das vorgeschaltete Antragsverfahren die besondere "Darlegungslast" nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auferlegt. Aus dem deutlichen Unterschied dieser Regelung im Vergleich zu der über die Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 3 S. 1, 4 VwGO) folgt, dass sich die "Gründe" i. S. des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auf die Zulassungsfragen beziehen müssen und nicht lediglich die angefochtene Entscheidung selbst in Frage stellen dürfen; erst die Berufungsbegründung des § 124a Abs. 3 VwGO 02 ist mit der früheren Art einer Rechtsmittelrechtfertigung vergleichbar.
Das gilt auch für § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; er hat nicht etwa die Bedeutung, Anträgen, welche aus anderen Gründen nicht zur Zulassung führen, sozusagen auffangweise zur Zulassung zu verhelfen, sondern ist Teil des Systems, das grundsätzlich keine Rechtsmittelinstanz eröffnet und die Zulassung nur ausnahmsweise ermöglicht, indem es die Durchführung des Rechtsmittels von dessen Zulassung abhängig macht. Auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann sich nicht schon berufen, wer die angefochtene Entscheidung mit Hilfe einer "Rechtsmittelbegründung alten Rechts" in Frage stellen will, indem er sich mit der Entscheidung auseinander setzt und Gegenpositionen bezieht. Der Darlegungslast genügt vielmehr nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt.
Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Antragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragsschrift nicht.
Soweit der Kläger vorträgt, er wolle im Berufungsverfahren nachweisen, dass § 18 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 14.12.1993 nicht hinreichend bestimmt und die Widmung der Erschließungsanlage unwirksam sei, wird dieser Vortrag den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gerecht; denn der Kläger ist verpflichtet, bereits im Zulassungsverfahren alle Umstände darzulegen, die die erstinstanzliche Entscheidung ernstlich in Frage stellen und eine für den Rechtsmittelführer positive Entscheidung zu begründen vermögen. Gleiches gilt hinsichtlich seines Einwands, der Bebauungsplan werde sich im Berufungsverfahren als ungültig herausstellen. Allein der Hinweis auf eine fehlerhafte Bekanntmachung genügt nicht, zumal der öffentliche Aushang der Genehmigung des Bebauungsplans unter gleichzeitigem Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Bebauungsplans und seiner Begründung zu den Dienstzeiten des Bauamts am 05.12.2001 den Anforderungen des § 10 Abs. 3 Satz 1 des Baugesetzbuchs - BauGB 98 - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.07.2002 (BGBl I 2850 [2852]), i. V. m. § 14 Abs. 1 der Hauptsatzung der Beklagten vom 28.06.2001 gerecht wird. Insoweit wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, substanziiert darzulegen, warum diese öffentliche Bekanntmachung nicht ausreicht, um den Bebauungsplan als Satzung wirksam in Kraft zu setzen.
Soweit die Antragsschrift den Feststellungen des Verwaltungsgerichts widerspricht, bei den Straßen "-1-", "-2-" und dem befestigten Teil des "-3-" handele es sich um eine einheitliche Erschließungsanlage, führt auch dieser Einwand nicht zur Zulassung der Berufung; denn maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Straßenzug als eine einzelne Erschließungsanlage zu qualifizieren ist oder aus mehreren Anlagen besteht, ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild und nicht eine etwa nur "auf dem Papier stehende" planerische Festsetzung (OVG LSA, Beschl. v. 21.05.2003 - 2 M 189/02 -). Es kommt grundsätzlich in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten auf den Gesamteindruck an, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Maßgebend ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten wie Straßenführung, Straßenlänge, Straßenbreite und Straßenausstattung geprägte Erscheinungsbild (BVerwG, Urt. v. 07.06.1996 - BVerwG 8 C 30.94 -, DÖV 1997, 294). Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es mithin weder auf die unterschiedliche Straßenbezeichnung noch auf die getrennte Widmung an, wenn die Straßen nach den tatsächlich geschaffenen Verhältnissen - wie hier - eine Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB 98 darstellen. Insoweit bedurfte es auch keiner getrennten Ermittlung des umlagefähigen Aufwands für die einzelnen, lediglich namentlich getrennten Anlagenteile.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend auch das für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten zu beachtende erschließungsrechtliche Planerfordernis im Sinne des § 125 Abs. 1 BauGB 98 (BVerwG, Urt. v. 18.01.1991 - BVerwG 8 C 14.89 -, BVerwGE 87, 288 [291]) gewahrt. Das Vorliegen dieser Voraussetzung kann nicht mit dem Einwand bezweifelt werden, das Bauvorhaben bleibe in erheblichem Umfang hinter den Festsetzungen des Bebauungsplans zurück. Wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, ist der die Festsetzungen des Bebauungsplans unterschreitende Ausbau (Minderausbau einer Teillänge von 130 m in gerader Linie bis zur Grenze des Baugebietes und Verzicht auf eine etwa 180 m lange Stichstraße in Richtung Süden) mit den Grundzügen der Planung vereinbar (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB 98), weil die Abweichung noch im Bereich dessen liegt, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (BVerwG, Urt. v. 09.03.1990 - BVerwG 8 C 76.88 -, BVerwGE 85, 66 [73]). Mit diesen rechtlichen Erwägungen setzt sich der Kläger nicht im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO substanziiert auseinander, wenn er lediglich der Einschätzung des Verwaltungsgerichts widerspricht.
Die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten kann entgegen der Auffassung des Klägers angesichts der rechtlich unbedenklichen Planunterschreitung nicht davon abhängig gemacht werden, ob ein die Abweichung billigender Beschluss des Gemeinderates vorliegt. Der Bundesgesetzgeber hat in § 125 Abs. 1 und 3 BauGB 98 geregelt, unter welchen Voraussetzungen Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechtmäßigkeit der Herstellung einer Erschließungsanlage nicht berühren. Eine Vorschrift des Inhalts, dass eine Abweichung, insbesondere in den Fällen der Nr. 1, des Einverständnisses der Gemeindevertretung bedarf, hat er nicht vorgesehen. Denkbar wäre durchaus, dass der Gemeinde im Hinblick auf ihre Hoheit für die verbindliche Bauleitplanung (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 BauGB 98) eine Befugnis etwa in Gestalt eines Zustimmungsvorbehaltes eingeräumt wird. Eine derartige Befugnis kann indessen weder stillschweigend angenommen noch ergänzend aus Landesrecht hergeleitet werden; vielmehr wäre eine dahingehende ausdrückliche Regelung des Bundesgesetzgebers erforderlich gewesen. Das Schweigen des Gesetzgebers muss dahin gedeutet werden, dass eine Mitwirkung der Gemeinde in Gestalt einer "Fertigstellungserklärung" im Falle einer Planabweichung im Sinne des § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB nicht gewollt war (so auch NdsOVG, Urt. v. 22.01.1997 - 9 L 4721/95 -, NdsRpfl. 1997, 121; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., § 7 RdNrn. 17, 55).
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus § 11 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten, der die Merkmale der endgültigen Herstellung von Erschließungsanlagen regelt; denn § 11 macht die endgültige Herstellung nicht von einem Beschluss des Gemeinderates abhängig, sondern allein von der Erfüllung der satzungsmäßig festgelegten Merkmale. Dies ist für die hier streitgegenständliche Erschließungsanlage der Fall.
Schließlich führt auch der Einwand des Klägers, die Beklagte habe es anders als bei ihm in anderen Beitragsfällen bei Ablösevereinbarungen belassen, nicht zur Zulassung der Berufung; denn selbst wenn dieser Einwand zutreffen würde, hat der Kläger wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung im "Unrecht" (BVerwG, Urt. v. 26.02.1993 - BVerwG 8 C 20.92 -, BVerwGE 92, 152; VGH BW, Urt. v. 16.09.1993 - 2 S 1934/91 -; OVG NW, Urt. v. 28.11.1997 - 3 A 1466/94 - [beide juris]). Aus diesem Grund kann die Nichtberücksichtigung einer nichtigen Ablösevereinbarung auch nicht Gegenstand einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 135 Abs. 5 BauGB 98 sein.
2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.
Soweit die Antragsschrift meint, der vorliegende Fall weise "entsprechende tatsächliche und auch rechtliche Schwierigkeiten" auf, die sachgerecht nur im regulären Berufungsverfahren behandelt werden könnten, so genügt sie hiermit nicht den Darlegungsanforderungen i. S. d. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Sie belegt nämlich nicht, weshalb der zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum verwaltungsgerichtlicher Streitverfahren abweicht. Im Übrigen lösen sich die geltend gemachten "Schwierigkeiten" durch einfache Auslegung der gesetzlichen und satzungsrechtlichen Vorschriften.
3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer "grundsätzlichen Bedeutung" der Rechtssache i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, denn die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob eine Erschließungsbeitragssatzung wirksam wird, wenn sie eine Klausel enthält, wonach sie "nach ihrer Bekanntgabe" in Kraft treten soll, lässt sich bereits anhand der Regelungen in § 6 Abs. 5 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - GO LSA - vom 05.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [136 <Nr. 53>]), i. V. m. § 14 Abs. 1 der Hauptsatzung der Beklagten vom 28.06.2000 beantworten. Gemäß § 6 Abs. 5 GO LSA treten Satzungen, wenn kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem Tag nach der Bekanntmachung in Kraft. Wie die Bekanntmachung von Satzungen zu erfolgen hat, bestimmt § 14 Abs. 1 Satz 1 der Hauptsatzung der Beklagten, wonach die gesetzlich erforderlichen Bekanntmachungen in einem Aushangkasten erfolgen. Da die Aushangfrist zwei Wochen beträgt (§ 14 Abs. 1 Satz 3 der Hauptsatzung), gilt eine Satzung am Tage nach Ablauf dieser zweiwöchigen Aushangfrist als bekannt gegeben; denn im Regelfall gehört die durch das Verkündungsrecht der Gemeinde bestimmte Aushangfrist zu den formellen Voraussetzungen der wirksamen Bekanntmachung, die dann erst nach Erfüllung aller Erfordernisse bewirkt sein kann. Diese Regelungen gelten auch für die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten, so dass es einer In-Kraft-Tretens-Regelung in der Erschließungsbeitragssatzung selbst nicht bedurfte, mit der Folge, dass selbst die Unwirksamkeit von § 18 nicht die Nichtigkeit der gesamten Erschließungsbeitragssatzung zur Folge hätte (vgl. auch SaarlOVG, Urt. v. 23.08.1985 - 2 R 71/85 -, KStZ 1986, 55; Driehaus, a. a. O., § 11 RdNr. 31).
Ende der Entscheidung
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