Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.01.2003
Aktenzeichen: 2 L 21/01
Rechtsgebiete: BauGB, LSA-LPlG, VwGO, GKG


Vorschriften:

BauGB § 35
BauGB § 35 III 1 Nr. 5
BauGB § 36
GG Art. 28 II
LSA-LPlG § 3 I Nr. 2
LSA-LPlG § 3 IV
LSA-LPlG § 5
LSA-LPlG § 7
LSA-LPlG § 9 II
VwGO § 58 I
VwGO § 58 II
GKG § 13 I 1
1. Die Planungshoheit der Gemeinde kann auch durch die Erteilung einer Baugenehmigung auf der Grundlage des § 35 BauGB beeinträchtigt werden.

2. Die Gemeinde ist mit Einwänden gegen die einem Dritten erteilten Baugenehmigung ausgeschlossen, welche sie im Verfahren bei Aufstellung des Regionalplans hätte erheben müssen, aber nicht erhoben hat (hier: Naturschutz).

3. Ein Beteiligter, der Baugenehmigungen in mehreren Landkreisen erhalten hat, ist i. S. des § 58 Abs. 1 VwGO fehlerhaft belehrt, wenn die Rechtsmittelbelehrung im konkreten Fall auf die falsche Kreisbehörde verweist.

4. Bei Windkraftanlagen beträgt der Streitwert 10 % der Herstellungskosten. Für einen Vorbescheid sind 75 % dieses Wertes anzusetzen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 21/01

Datum: 21.01.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 124a; 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, geändert durch Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl I 1626) und zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.07.2001 (BGBl I 1543) - wegen der durch das Änderungsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) als § 194 Abs. 1 VwGO 02 eingefügten Übergangsregelung auf diesen Fall noch anwendbar -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159; 162 Abs. 3 VwGO (Kosten) und auf § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2001 (BGBl I 3638 [3639]) <Streitwert>. Bei der Ausübung des ihm gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG eingeräumten Ermessens folgt der Senat dem Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 13.12.2001 (- BVerwG 4 C 3.01 -, UPR 2002, 194) und geht bei einem Baugenehmigungsverfahren für Windkraftanlagen von einem Streitwert von zehn Prozent der Herstellungskosten aus, wovon fünfundsiebzig Prozent für das Verfahren auf Erteilung des hier streitigen Bauvorbescheids anzusetzen sind. Da sich die Herstellungskosten für die zwölf streitigen Windkraftanlagen nach den Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 17.01.2003 auf insgesamt 16.800.000,00 EURO belaufen, war der Streitwert vorliegend auf 1.260.000,00 EURO festzusetzen.

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig; insbesondere ist die Beigeladene zu 3. durch das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22.11.2000 beschwert. Die gemeindliche Planungshoheit, auf die sich die Beigeladene zu 3. beruft, kann nach der Wertung des Gesetzgebers auch dann berührt sein, wenn ein Vorhaben auf der Grundlage des § 35 des Baugesetzbuchs - BauGB 98 - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2001 (BGBl I 3762), zugelassen oder verwirklicht wird. Dies beruht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, auf der Erwägung,

"daß von der beabsichtigten oder der bereits ausgeführten Baumaßnahme ein Bereich betroffen ist, in dem die Gemeinde von der Möglichkeit der Überplanung überhaupt nicht oder jedenfalls nicht abschließend Gebrauch gemacht hat. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß die Situation im Gemeindegebiet überall dort dem Vorbehalt planerischer Bestimmung der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung durch die Gemeinde unterliegt, wo die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben nicht durch einen qualifizierten oder einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan gesteuert wird. Zur Sicherung der planerischen Handlungsfreiheit trifft er in § 36 Abs. 1 BauGB Vorsorge dafür, daß die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde in Ortsteilen, in denen sie noch nicht geplant hat, an der Beurteilung der bebauungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen mitentscheidend beteiligt wird [...]. Wird der Gemeinde als Ausfluß der Planungshoheit das Recht zugebilligt, Vorhaben abzuwehren, die mit § 35 BauGB nicht in Einklang stehen, so kann sie im Rahmen der Möglichkeiten, die das Prozeßrecht bietet, Rechtsschutz beanspruchen, unabhängig davon, ob den Gegenstand des Rechtsstreits eine Baugenehmigung oder eine repressive Maßnahme bildet."

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

Ohne Erfolg stellt die Beigeladene zu 3. die Einhaltung der Klagefrist mit dem Argument in Abrede, die falsche Bezeichnung des Landkreises habe dem Kläger die Einreichung der Klage nicht nennenswert erschweren können, da sie nicht zu einem Irrtum über die formellen oder die materiellen Voraussetzungen der fristgemäßen Einreichung der Klage geführt habe. Zwar trifft es zu, dass die Frist für ein Rechtsmittel nach § 58 Abs. 1 VwGO zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte - wie hier - über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Allerdings ist eine Rechtsmittelbelehrung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht bloß dann im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO unrichtig erteilt, wenn sie die in Abs. 1 zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Zur Fehlerhaftigkeit führen vielmehr auch unrichtige oder irreführende Zusätze, die generell geeignet sind, den Betroffenen in einen Irrtum über die formellen und/oder die materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs zu versetzen und ihn davon abzuhalten, das Rechtsmittel - überhaupt, rechtzeitig oder in der rechten Weise - einzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.1978 - BVerwG 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188; Urteil vom 27.05.1981 - BVerwG 8 C 49.81 -, Buchholz 310 [VwGO] § 58 Nr. 42, und Beschl. v. 02.03.1989 - BVerwG 5 B 16.89 -, Buchholz 310 [VwGO] § 58 Nr. 56).

So liegt es hier; denn der Zusatz "Köthen/Anhalt" war geeignet, bei dem Kläger den Irrtum hervorzurufen, dass gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dessau vom 13.07.1999 ein fristwahrender Rechtsbehelf noch nicht eingelegt werden müsse, zumal der Kläger im maßgeblichen Zeitraum auch ein Genehmigungsverfahren beim Landkreis Köthen/Anhalt für den geplanten Windpark ... betrieb.

Hat das Verwaltungsgericht mithin die Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts zur Fehlerhaftigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung aufgrund unrichtiger oder irreführender Zusätze zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt, kann insoweit auch keine die Zulassung der Berufung eröffnende Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 3. angenommen werden.

Der Einwand der Beigeladenen zu 3., das Verwaltungsgericht gehe in seiner Entscheidung zu Unrecht davon aus, dass die Regelung des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB 98 nicht einschlägig sei, vielmehr seien die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege durchaus beeinträchtigt, vermag ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen; denn die Beigeladene zu 3. ist mit diesem Einwand im Rahmen der hier allein streitigen Erteilung eines Bauvorbescheids ausgeschlossen, weil die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften sowie Abwägungsmängeln bereits im Rahmen des Aufstellungsverfahrens der Regionalen Entwicklungspläne gemäß §§ 5 und 7 des Landesplanungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - LPlG LSA - vom 28.04.1998 (LSA-GVBl., S. 255) geltend zu machen gewesen wäre, und zwar innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Raumordnungsplans (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 LPlG LSA i. V. m. § 9 Abs. 2 LPlG LSA).

Dies ergibt sich aus Folgendem: Bei der Aufstellung der Raumordnungspläne sind nicht nur die Grundsätze der Raumordnung gegeneinander und untereinander abzuwägen (§ 3 Abs. 4 Satz 1 LPlG LSA), sondern auch sonstige öffentliche Belange in der Abwägung zu berücksichtigen, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind (§ 3 Abs. 4 Satz 2 LPlG LSA). Dass zu den "sonstigen öffentlichen Belangen" in diesem Sinne auch die Belange des Landschafts- und Naturschutzes sowie des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB gehören, ist nicht zweifelhaft. Diese Belange sind auch tatsächlich im Rahmen der Entscheidung über die Ausweisung von Eignungsgebieten im Regionalen Entwicklungsprogramm für den Regierungsbezirk Dessau - RegProgr - (vgl. Beschl. der Landesregierung vom 30.01.1996 [LSA-MBl 541 <573>] i. d. F. Nr. 3 d. Änderungsbeschl. v. 21.03.2000 [LSA-MBl 331]) berücksichtigt worden.

Nach Nr. 2.5.2. RegProgr sind nämlich Windenergieanlagen so zu planen, dass sie Konflikte mit den Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes und der Erholungsfunktion der Landschaft sowie mit anderen räumlichen Nutzungsansprüchen vermeiden. Zudem sollen die Anlagen sich gut in das Landschaftsschutzgebiet einfügen und die Eingriffe durch Erschließung (Zuwegungen) und Netzanbindungen gering gehalten werden. Ergänzt werden diese Planungsziele durch die Richtlinie des Ministeriums für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt zur Standortplanung und -beurteilung von Windenergieanlagen (RdErl. des MU vom 29.04.1996, LSA-MBl., S. 1423), die unter Nr. 2.3. bestimmte Standorte für die Errichtung von Windenergieanlagen aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege ausnimmt und vorsieht, dass außerdem Rast-, Nahrungs- und Brutplätze von Zugvögeln bzw. vom Aussterben bedrohte Vogelarten zu beachten sind (Nr. 2.3., Satz 2). Unter Berücksichtigung dieser öffentlichen Belange erfolgte in Nr. 2.5.5. RegProgr die Ausweisung der Eignungsgebiete für die Nutzung der Windenergie, u. a. unter Nr. 3. das hier streitgegenständliche Eignungsgebiet Coswig/Nord.

Sind aber die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Landschaftsbildes bereits im Rahmen der Aufstellung der Regionalen Entwicklungspläne gegeneinander und untereinander abzuwägen, sind etwaige Abwägungsmängel innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Raumordnungsplans schriftlich gegenüber dem für die Aufstellung des Raumordnungsplans zuständigen Planungsträger geltend zu machen (§ 9 Abs. 2 LPlG LSA) und nicht erst im Rahmen des hier anhängigen Baugenehmigungsverfahrens.

Soweit die Beigeladene zu 3. schließlich geltend macht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass dem klägerischen Vorhaben gravierend die Belange des Denkmalschutzes gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, 3. Alt. BauGB 98 entgegen stehen, kann dieses Vorbringen schon deswegen nicht berücksichtigt werden, weil es nicht innerhalb der Monatsfrist zur Begründung des Zulassungsantrags (§ 194 Abs. 1 VwGO 02 i. V. m. § 124a Abs. 1 S. 1 und 4 VwGO) bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangen ist. Das Urteil ist der Beigeladenen zu 3. nämlich am 12.12.2001 zugestellt worden, so dass die Begründung des Zulassungsantrags bis zum 14.01.2002 hätte vorliegen müssen; der Schriftsatz der Beigeladenen zu 3. vom 31.01.2002, mit dem erstmals Belange des Denkmalschutzes geltend gemacht werden, ging aber erst am 02.02.2002 beim Oberverwaltungsgericht - und damit verspätet - ein.

3. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.

Soweit die Antragsschrift meint, die Angelegenheit weise "besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten" im Sinne dieser Vorschrift auf, weil nicht abzusehen sei, zu welchem Ergebnis das erstrebte Berufungsverfahren führe, so genügt sie hiermit nicht den Darlegungsanforderungen i. S. d. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO. Sie belegt nicht, weshalb der zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum verwaltungsgerichtlicher Streitverfahren abweicht. Der Umstand allein, dass der Ausgang des Verfahrens offen ist, rechtfertigt die Zulassung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht.

3. Die "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht dargelegt; denn die Beigeladene zu 3. wirft schon keine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, aber in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage auf, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist.

Ende der Entscheidung

Zurück