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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 228/03
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, ZPO, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 76 I
AsylVfG § 77 II
AsylVfG § 78 III 3
VwGO § 108 I 2
VwGO § 138 Nr. 1
VwGO § 138 Nr. 6
VwGO § 173
ZPO § 295 I
ZPO § 295 II
GG Art. 101 I 2
1. Die Rüge unvorschriftsmäßiger Besetzung der Richterbank ist nicht verzichtbar.

2. Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters liegt nicht schon bei unrichtiger Handhabung formaler Vorschriften über die Zuständigkeit vor, sondern erst dann, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Entscheidung bestimmend gewesen sind oder wenn sie nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

3. Für die Übertragung auf den Einzelrichter reicht es aus, dass der Geschäftsverteilungsplan des Spruchkörpers die Kriterien bestimmt, nach denen die Mitglieder des Spruchkörpers zuständig werden.

4. Die Begründungspflicht ist erst verletzt, wenn eine Begründung ganz unterblieben ist oder die beigefügten Gründe, dem Kernanliegen des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht mehr genügen, die tragenden Entscheidungsgründe knapp, aber verständlich zu vermitteln.

Davon kann erst ausgegangen werden, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 228/03

Datum: 16.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 78 Abs. 3 - 5; 83b des Asylverfahrensgesetzes - Asyl-VfG - i. d. F. d. Bek. v. 27.07.1993 (BGBl I 1361), geändert durch Gesetz vom 02.08.1993 (BGBl I 1442), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 (BGBl I 361 [371]), und auf § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987).

Der auf die Besetzungsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 1 VwGO) und die Verletzung der Begründungspflicht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Verwaltungsgerichts, welches nicht durch die Kammer, sondern eines ihrer Mitglieder entschieden hat, greift nicht durch.

Der Verstoß ist nicht bereits durch einen Rügeverzicht des anwaltlich vertretenen Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung - ZPO - i. V. m. § 173 VwGO unbeachtlich geworden; denn ein derartiger Rügeverzicht tritt nach § 295 Abs. 2 ZPO nicht ein, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung die Partei nicht wirksam verzichten kann. Dazu gehören die Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts (BVerwG, Urt. v. 23.8.1996 - BVerwG 8 C 19.95 -, BVerwGE 102, 7 [10]).

Ein zur Zulassung der Berufung nötigender Verfahrensverstoß im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO ist hier indessen im Ergebnis deshalb zu verneinen, weil im Zulassungsantrag keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden oder sonst erkennbar sind, dass für die Entscheidung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter willkürliche oder manipulative Gründe maßgeblich gewesen sind und dem Kläger insoweit unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sein gesetzlicher Richter entzogen worden ist.

Die unrichtige Anwendung von Besetzungsvorschriften führt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer nach § 138 Nr. 1 VwGO vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts nur, wenn sich der Gesetzesverstoß gleichzeitig als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (BVerwG, Urt. v. 09.02.1988 - BVerwG 9 C 256.86 -, NVwZ 1988, 724; Beschl. v. 13.06.1991 - BVerwG 5 ER 614.90 -, Buchholz 310 [VwGO] § 138 Nr. 1, Nr. 28). Nach dem (verfassungsrechtlichen) Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist das Gericht allerdings nur dann nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind (BVerwG, Beschl. v. 13.06.1991, a. a. O.) oder eine sonstige gegen das Willkürverbot verstoßende Handhabung der Besetzungsvorschriften vorliegt.

Von einer Manipulation der Besetzungsvorschriften kann im vorliegenden Fall keine Rede sein; dies wird auch von dem Kläger nicht behauptet. Durch das von dem Einzelrichter am 04.04.2003 gefällte Urteil ist der Kläger aber auch nicht "willkürlich" seinem gesetzlichen Richter entzogen worden.

Die Frage des willkürlichen Verfahrensverstoßes richtet sich bei Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Anwendungsfall bzw. Ausprägung des im allgemeinen Gleichheitssatz enthaltenen Willkürverbots maßgeblich nach objektiven Kriterien (vgl. Maunz, in: Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 101 RdNrn. 14, 52); auf die subjektiven Beweggründe des Handelnden kommt es nicht in erster Linie an. Zwar vermag die rechtsirrige Auslegung und Anwendung der für die Besetzung des Gerichts maßgeblichen Vorschriften ("error in procedendo") nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z. B. grundsätzlich BVerfG, Beschl. v. 30.06.1970 - 2 BvR 48/70 -, BVerfGE 29, 45) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. die schon zitierten Entscheidungen) ein willkürliches Handeln auszuschließen. Das gilt aber nur, soweit sich diese rechtsirrige Auslegung oder Rechtsanwendung noch in einem objektiv vertretbaren Rahmen hält. Entfernt sich die Entscheidung des Gerichts bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, ist sie - ungeachtet der subjektiven Vorstellungen der handelnden Personen - willkürlich. Dementsprechend wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur bei subjektiv manipulativer Handhabung der Besetzungsvorschriften, sondern auch dann verletzt, wenn die gerichtliche Entscheidung "bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist" (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.06.1970, a. a. O.; ferner BVerwG, Beschl. v. 13.06.1991, a. a. O., das im Übrigen ausdrücklich darauf hinweist, es komme für das Vorliegen willkürlicher oder manipulativer Erwägungen nicht entscheidend darauf an, ob ein vorsätzliches Fehlverhalten festgestellt werden könne).

Eine in diesem Sinne willkürliche Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG ist hier nicht erkennbar. Nach Nr. 2.1 i. V. m. Nr. 1.2 des kammerinternen Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts vom 12.12.2002 für das Jahr 2003 wird von dem Dezernenten A das Asylland Togo u. a. mit der Endziffer 2 bearbeitet, so dass der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG diesem Dezernenten als Einzelrichter zu übertragen ist. Einen entsprechenden Übertragungsbeschluss hat die 1. Kammer auch am 10.03.2003 gefasst. Damit ist der gesetzliche Richter nach dem Geschäftsverteilungsplan der 1. Kammer i. V. m. § 76 Abs. 1 AsylVfG bestimmbar, insbesondere im Hinblick auf die detailliert geregelte Verantwortlichkeit für die Dezernatsgeschäfte (Nrn. 1.2 und 2.2) ist jegliche Einflussnahme des Vorsitzenden auf die Bestimmung des jeweiligen Berichterstatters bzw. Einzelrichters ausgeschlossen. Einer ausdrücklichen Regelung im Geschäftsverteilungsplan, dass der jeweilige Berichterstatter auch zum Einzelrichter zu bestimmen ist, bedarf es entgegen der Auffassung des Klägers bei dieser Sachlage nicht.

2. Die von dem Kläger erhobene Rüge einer Verletzung der Begründungspflicht (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO) ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt nämlich erst und nur dann vor, wenn eine Begründung ganz unterblieben ist oder die der Entscheidung beigegebenen Gründe, dem Kernanliegen des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, die tragenden Entscheidungsgründe knapp, aber verständlich zu vermitteln, nicht mehr genügen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Begründung des Urteils gänzlich unverständlich, verworren oder widersprüchlich ist (BVerwG, Beschl. v. 04.02.2000 - BVerwG 9 B 5545/99 -, zitiert nach juris). Ein solcher grober Formmangel ist erst dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. So liegt der Fall hier aber nicht; denn das erstinstanzliche Urteil verweist ohne Rechtsverstoß mit Hilfe von § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 19.02.2002. Es trifft zwar zu, dass das Bundesamt davon ausgegangen ist, dass der Kläger nicht Mitglied in der UFC und sein Mitgliedsausweis unecht sei. Indes hat es das Bundesamt nicht allein bei dieser Feststellung belassen, sondern weiter ausgeführt, dass es selbst bei einer unterstellten Mitgliedschaft des Klägers in der UFC diesem seine Verfolgungsgeschichte nicht glaube und davon ausgehe, dass er sein Heimatland unverfolgt verlassen habe. Ist aber ein Urteil, das auf einen Bundesamtsbescheid Bezug nimmt, nur hinsichtlich einer Erwägung möglicherweise unrichtig oder unvollständig, tragen aber die übrigen Ausführungen den Urteilstenor - wie hier -, kann von einem Begründungsmangel i. S. d. § 138 Nr. 6 VwGO nicht die Rede sein (BVerwG, Urt. v. 13.06.1998 - BVerwG 4 C 4.88 -, NVwZ-RR 1989, 334).

Ende der Entscheidung

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