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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: 2 L 246/08
Rechtsgebiete: SGB V
Vorschriften:
SGB V § 95 |
2. Das Führen einer Praxis in rechtlicher Hinsicht hängt nicht in jedem Fall von der Kassenarztzulassung bzw. vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Zulassung ab.
Gründe:
I.
Mit Bescheid vom 10.07.2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie dauerhaft nicht in der Lage sei, eine zahnärztliche Tätigkeit nachhaltig auszuüben. Gegenwärtig bestehe zwar ein Erkrankungszustand, dieser lasse aber nicht die "absolute Prognose" der dauernden Unfähigkeit zur Ausübung einer zahnärztlichen Tätigkeit zu. Außerdem müsse die zahnärztliche Praxis aufgegeben sein.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin beginnend mit dem Monat Mai 2006 eine Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren. Zur Begründung hat es aufgeführt, aus den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin berufsunfähig im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 des Versorgungsstatuts der Beklagten (VSt) sei. Darüber hinaus habe die Klägerin auch - wie es § 17 Abs. 3 Satz 2 VST verlange - ihre Praxis aufgegeben, denn diese sei nach dem Auslaufen der bis April 2006 vereinbarten Vertretungen seit Mai 2006 geschlossen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei hierfür ohne Belang, ob die Klägerin auf ihre Kassenzulassung verzichtet habe. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut der Regelung, die den Verzicht auf die Zulassung nicht verlange, als auch daraus, dass nach § 17 Abs. 8 UAbs. 2 VST der Verwaltungsausschuss im Falle einer gewährten Berufsunfähigkeitsrente den Nachweis fordern könne, dass das Mitglied - in dieser Zeit - keiner nachhaltigen zahnärztlichen Tätigkeit nachgegangen sei.
II.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn eine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage aufgeworfen wird, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist. Die Rechtsfrage muss für eine Vielzahl, jedenfalls Mehrzahl von Verfahren bedeutsam sein; jedoch reicht allein der Umstand nicht aus, dass der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse sein könnte oder sich vergleichbare Fragen in einer unbestimmten Vielzahl ähnlicher Verfahren stellen (OVG LSA, Beschl. v. 04.04.2003 - 2 L 99/03 -; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 132 RdNr. 12). Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass der Rechtsmittelführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.06.2006 - 5 B 99.05 -, Juris, m. w. Nachw.).
a) Die Beklagte hält für grundsätzlich bedeutsam, "wann der Nachweis der Aufgabe der Praxistätigkeit erbracht ist". Damit wirft sie keine verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage auf. Wann das Vorliegen einer Tatbestandsvoraussetzung nachgewiesen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und daher keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich.
b) Auch die weiter aufgeworfene Frage, ob erst dann von der Aufgabe der Praxis ausgegangen werden kann, wenn auch die Voraussetzungen für die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit nicht mehr vorliegen, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Die "Aufgabe der Praxis" stellt das rechtliche und tatsächliche Korrelat zu der Nichtausübung der zahnärztlichen Tätigkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 VSt dar. Erforderlich ist deshalb, dass der die Berufsunfähigkeitsrente beantragende Zahnarzt tatsächlich und rechtlich nicht mehr eine eigene Zahnarztpraxis führt und aus dieser keine nachhaltigen Einkünfte aus zahnärztlicher Tätigkeit bezieht (vgl. zur entsprechenden Regelung in Niedersachsen: NdsOVG, Beschl. v. 05.07.2002 - 8 LB 45/02). Dass die Klägerin tatsächlich keine eigene Praxis mehr führt, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede. Das Führen einer Praxis in rechtlicher Hinsicht hängt indes nicht in jedem Fall von der Kassenarztzulassung bzw. vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Zulassung ab.
Unter "Arztpraxis" versteht man die Gesamtheit dessen, was die gegenständliche und personelle Grundlage der Tätigkeit des in freier Praxis tätigen (Zahn-)Arztes bei der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben bildet. Nach § 9 der Berufsordnung der A. (BOZÄ LSA) ist die Berufsausübung des selbstständigen Zahnarztes an einen Praxissitz gebunden. Die Niederlassung beinhaltet die Einrichtung von Praxisräumen zur Ausübung zahnärztlicher Tätigkeit (vgl. Narr, Ärztliches Berufsrecht, Bd. 2, RdNr. B 383). Gemäß § 9 Abs. 3 BOZÄ LSA muss die zahnärztliche Praxis die für eine ordnungsgemäße Behandlung und für einen Notfall erforderliche Einrichtung enthalten und sich in einem entsprechenden Zustand befinden. Die Praxis ist räumlicher Mittelpunkt der Tätigkeit des frei praktizierenden Arztes (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 24 RdNr. 1). Mit der Niederlassung ist zunächst nur die Berechtigung zur Behandlung von Privatpatienten, nicht auch die Erlaubnis zur Behandlung von Kassenpatienten und der Ersatzkassenpatienten verbunden (Narr, a. a. O., RdNr. B 384). Der Dienst als zugelassener Kassenarzt ist nur eine besondere Ausübungsform des allgemeinen Berufs des frei praktizierenden Arztes (Laufs/Uhlenbruck, a. a. O., RdNr. 5). So kann ein Zahnarzt eine Praxis auch als sog. "Privatpraxis" zunächst ohne Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit betreiben und diese Praxis nach Erhalt der Zulassung als Vertragsarztpraxis weiterführen (vgl. BSG, Urt. v. 29.09.1999 - B 6 KA 1/99 R., - BSGE 85, 1 [4]). Der Zahnarzt kann auch nach Verzicht auf die Zulassung als Kassenarzt zahnärztlich tätig sein, da er weiterhin befugt ist, Privatpatienten zu behandeln (vgl. HessLSG, Urt. v. 07.07.1994 - L 14 Kr 2/94 -, Breith 1994, 894). Von der Zulassung und dem Vertragsarztsitz als öffentlich-rechtlicher Berechtigung bzw. Zuordnung ist die "Arztpraxis" als Gesamtheit der gegenständlichen und personellen Grundlagen der Tätigkeit des in freier Praxis niedergelassenen Arztes als Vermögensgegenstand zu unterscheiden. Die Arztpraxis als solche ist - im Gegensatz zu Zulassung und Vertragsarztsitz - auch Gegenstand des Privatrechtsverkehrs und kann insbesondere durch Rechtsgeschäft (Unternehmenskauf) übertragen werden (vgl. BSG, Urt. v. 29.09.1999, a. a. O., m. w. Nachw.).
Daraus folgt auf der einen Seite, dass der Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt noch nicht (zwangsläufig) bedeutet, dass der Zahnarzt seine Praxis aufgegeben hat. Die rechtliche Trennung von Zahnarztpraxis und Zulassung als Vertragsarzt hat aber auf der anderen Seite auch zur Folge, dass die Praxis - als Vermögensgegenstand - nicht zwingend erst dann aufgegeben wird, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr vorliegen oder auf die Zulassung verzichtet wird. So kann ein Zahnarzt seine Praxis auch in der Weise rechtlich aufgeben, dass er sie als Gesamtheit oder - wenn eine Veräußerung insgesamt wegen einer Zulassungsbeschränkung nach § 103 SGB V ohne vorherigen Verzicht auf die Zulassung kaum Aussicht auf Erfolg hat - wesentliche Betriebsgrundlagen, etwa die für eine ordnungsgemäße Behandlung erforderlichen Einrichtungsgegenstände, veräußert. Der Umstand, dass ein Zahnarzt auf die Zulassung als Vertragsarzt nicht verzichtet hat, mag im Einzelfall als Indiz dafür zu werten sein, dass er seine Praxis noch nicht aufgegeben hat, etwa dann, wenn - anders als hier - das Ausscheiden eines Zahnarztes aus einer Gemeinschaftspraxis, die von den übrigen Zahnärzten weitergeführt wird, in Rede steht (zu dieser Fallkonstellation: VG A-Stadt, Urt. v. 28.02.2007 - 5 A 1432/05). Die Annahme, eine fortbestehende Zulassung schließe stets die Aufgabe einer Praxis aus, kann aber nicht angenommen werden. 2. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ohne Erfolg wendet die Beklagte ein, das Verwaltungsgericht habe bei der Auslegung des Merkmals "Aufgabe der Praxis" Bestimmungen des SGB V und der Zulassungsverordnung für Zahnärzte nicht berücksichtigt. Wie oben bereits ausgeführt, genügt für die Annahme, ein Zahnarzt führe seine Praxis in rechtlicher Hinsicht fort, nicht in jedem Fall der Umstand, dass er auf seine Kassenarztzulassung (noch) nicht verzichtet hat. Den Darlegungen der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, weshalb im konkreten Fall der fehlende Verzicht auf die Kassenzulassung genügen soll. Dem angefochtenen Urteil lässt sich auch nicht - wie die Beklagte rügt - entnehmen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächliche Aufgabe der zahnärztlichen Praxistätigkeit hat genügen lassen. Es hat lediglich die Auffassung vertreten, dass ein Verzicht auf die Kassenzulassung für die Praxisaufgabe nicht erforderlich sei.
3. Die Sache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf.
Besondere Schwierigkeiten liegen vor bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache, im Tatsächlichen besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, wenn der Sachverhalt schwierig zu überschauen oder zu ermitteln ist, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen (Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 RdNrn. 27, 28).
Solche Schwierigkeiten hat die Beklagte nicht dargelegt. Insbesondere lassen sich besondere rechtliche Schwierigkeiten nicht damit begründen, das Verwaltungsgericht habe sich unzureichend mit den vertragszahnärztlichen Vorschriften auseinandergesetzt. Unabhängig davon, dass es auf die Frage der Zulassung als Kassenarzt nach den oben dargelegten Gründen nicht in jedem Fall ankommt, lässt allein der Umstand, dass sich das erstinstanzliche Gericht mit bestimmten Fragen nicht (näher) befasst hat, keinen Schluss darauf zu, ob die Rechtssache eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Komplexität aufweist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Auch der Senat bemisst die sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebende Bedeutung der Sache nach der Empfehlung in Nr. 14.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 [1329]), die als Streitwert den dreifachen Jahresbetrag der Rente vorsieht.
Ende der Entscheidung
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