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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 08.12.2003
Aktenzeichen: 2 L 28/01
Rechtsgebiete: LSA-BrSchG, LSA-SOG, LSA-WG, GG, BGB


Vorschriften:

LSA-BrSchG § 1 I
LSA-BrSchG § 3
LSA-BrSchG § 22 III
LSA-BrSchG § 22 IV
LSA-SOG § 7
LSA-SOG § 8 I 1
LSA-SOG § 8 II 1
LSA-SOG § 9 II 1
LSA-WG § 170 III
LSA-WG § 171 I
GG Art. 14 I 2
BGB § 854
BGB § 855
1."Unglücksfall" i. S. des Brandschutzrechts ist jedes Ereignis, das mit einer gewissen Plötzlichkeit eintritt und eine erhebliche Gefahr für Menschen oder Sachen bewirkt oder zu bewirken droht. Unerheblich ist, ob die Gefahrensituation durch schuldhaftes Verhalten Dritter versucht worden ist. Diese Voraussetzungen sind bei der Einleitung von Quecksilber in ein Gewässer zu bejahen, unabhängig davon, ob dies auf der Mitwirkung Dritter beruht.

2.Wird der Landkreis als untere Wasserbehörde tätig, so handelt die Feuerwehr in Trägerschaft einer Gemeinde im Rahmen dieses wasserbehördlichen Rechtsverhältnisses. Die Aufwendungen für die Hilfeleistung fallen nicht unter § 1 Abs. 1 BrSchG LSA.

3.Maßnahmen gegenüber dem Zustandsstörer i. S. des § 8 SOG LSA halten sich in der Regel im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Zustandsverantwortlichkeit beruht auf der durch die rechtliche bzw. tatsächliche Sachherrschaft vermittelten spezifischen Verbindung zur Gefahrenquelle, die den Inhaber der tatsächlichen Gewalt in die Lage versetzt, auf die Gefahr abwehrend einzuwirken.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 28/01

Datum: 08.12.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 124a; 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, geändert durch Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl I 1626) und zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.07.2001 (BGBl I 1543) - wegen der durch das Änderungsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) als § 194 Abs. 1 VwGO eingefügten Übergangsregelung auf diesen Fall noch anwendbar -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO (Kosten) und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), (Streitwert).

I. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

1. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass hier nicht der Anwendungsbereich des Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - BrSchG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.06.2001 (LSA-GVBl., S. 190), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.12.2001 (LSA-GVBl., S. 540), eröffnet ist, sondern sich die Kostenerstattungspflicht der Klägerin aus § 9 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - SOG LSA - i. d. F. d. Bek. v. 16.11.2000 (LSA-GVBl., S. 594), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [142 <Nr. 117>]), ergibt.

Die Leistungen, für die der Beklagte von den Klägern Kostenersatz fordert, sind nicht im Rahmen der Pflichtaufgaben erbracht worden, die der Feuerwehr gemäß § 1 Abs. 1 BrSchG kraft Gesetzes obliegen und grundsätzlich nur nach Maßgabe einer Satzung kostenerstattungspflichtig sind (§ 22 Abs. 3, 4 BrSchG), sondern auf Anforderung des Beklagten im Rahmen der diesem gemäß §§ 171 Abs. 1; 170 Abs. 3 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt - WG LSA - in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.04.1998 (LSA-GVBl., S. 186), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.08.2002 (LSA-GVBl., S. 372) obliegenden Aufgabe, Gefahren für Gewässer abzuwehren.

Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, dass das Abpumpen des Quecksilbers aus dem M-Bach durch die Feuerwehr der Stadt H. auch eine Hilfeleistung bei einem Unglücksfall im Sinne des § 1 Abs. 1 BrSchG sein kann; denn unter einem Unglücksfall ist jedes Ereignis zu verstehen, das mit einer gewissen Plötzlichkeit eintritt und eine erhebliche Gefahr für Menschen oder Sachen bewirkt oder zu bewirken droht (OVG NW, Urt. v. 05.09.1985 - 2 A 3119/83 -, DÖV 1986, 120). Das Einbringen von Quecksilber in ein Gewässers ist ein in diesem Sinne plötzliches Ereignis, das unmittelbar zu einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Trinkwasserversorgung und damit bedeutender Rechtsgüter der Allgemeinheit zu werden drohte. Dabei ist es für die Einordnung eines Unglücksfalls unerheblich, ob die Gefahrensituation durch ein schuldhaftes Verhalten eines Dritten verursacht worden ist (vgl. zur Beseitigung von Verunreinigungen des Wassers mit Öl: OVG NW, a. a. O.; HessVGH, Urt. v. 25.03.1992 - 5 UE 3288/88 -, NVwZ-RR 1992, 624).

Allerdings ist der Beklagte hier nicht im Rahmen seines ihm gemäß § 3 BrSchG zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig geworden, sondern als untere Wasserbehörde gemäß § 170 Abs. 3 WG LSA, der gemäß § 171 Satz 1 WG LSA die Aufgabe obliegt, Gefahren für Gewässer abzuwehren. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe hat der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Anordnungen, zu denen ggf. auch der Einsatz der mit den notwendigen Hilfsmitteln ausgestatteten Feuerwehren gehört, einschließlich der Maßnahmen nach dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr zu treffen. Der Leistungsbescheid betrifft mithin keinen Aufwendungsersatzanspruch für einen Feuerwehreinsatz gemäß § 1 Abs. 1 BrSchG (insoweit wäre auch die Stadt Halberstadt als Trägerin der örtlichen Feuerwehr Kostengläubigerin), sondern einen Kostenerstattungsanspruch des Beklagten gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA für sein Tätigwerden im Rahmen der wasserbehördlichen Gefahrenabwehr.

2. Weiter hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klägerin zwar nicht als Eigentümerin des Quecksilbers gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA (2.1.), aber als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über das beseitigte Quecksilber gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA (2.2.) zustandsverantwortlich ist.

2.1. § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA, wonach Maßnahmen auch gegen den Eigentümer gerichtet werden können, knüpft an die aus der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft des Eigentümers hergeleitete Rechtspflicht an, dafür zu sorgen, dass von seinen Sachen keine Störungen oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Sie stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil sie Ausdruck der dem Sacheigentum nach Art. 14 Abs. 2 GG immanenten Sozialbindung ist (vgl. zu ähnlichen ordnungsrechtlichen Regelungen: BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - BVerwG 1 B 229.97 -, NJW 1999, 231; BVerwG, Beschl. v. 14.11.1996 - BVerwG 4 B 105.96 -, NVwZ 1997, 577 [578]).

Vorliegend geht die zu beseitigende Gefahr nicht von dem Grundstück der Klägerin selbst aus, sondern von dem dort gelagerten Quecksilber, dessen Herkunft umstritten ist. Vor diesem Hintergrund ist die Klägerin nicht als Zustandsstörer im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA verantwortlich; denn für die Zustandsverantwortlichkeit kommt es allein auf die rechtliche oder tatsächliche Sachherrschaft des Eigentümers über seine Sache - hier über das Quecksilber - und die sich daraus ergebende Pflicht an, für die Störungsfreiheit zu sorgen (BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998, a. a. O.).

2.2. Allerdings ist die Klägerin als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über das in ihren Hallen gelagerte Quecksilber Zustandsstörerin im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA; denn sie hat durch die Übernahme der Hallen des VEB ... im Dezember 1991 zugleich die tatsächliche Gewalt und damit jedenfalls den Besitz der in den Hallen lagernden Sachen im Sinne der §§ 854, 855 BGB erlangt (vgl. allgemein dazu: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 329).

Diese Zustandsverantwortlichkeit beruht auf der durch die rechtliche bzw. tatsächliche Sachherrschaft vermittelten spezifischen Verbindung zur Gefahrenquelle, die den Inhaber der tatsächlichen Gewalt in die Lage versetzt, auf die Gefahr abwehrend einzuwirken (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.10.1985 - BVerwG 4 C 76.82 -, DVBl. 1986, 360; Drews/Wacke/Vogel/Martens, a. a. O., S. 318 f.). Es ist daher unerheblich, auf welche Weise der polizeiwidrige Zustand entstanden ist, also im konkreten Fall, ob die Begründung der Sachherrschaft über das Quecksilber und das Verbringen in den M-Bach dem Willen der Klägerin entsprach. Für die Zustandsverantwortlichkeit kommt es allein auf ihre rechtliche oder tatsächliche Sachherrschaft über das auf ihrem Grundstück gelagerte Quecksilber und die sich daraus ergebende Pflicht an, für die Störungsfreiheit zu sorgen (OVG NW, Urt. v. 30.05.1996 - 20 A 2640/94 -, NVwZ 1997, 507). Er hafte insbesondere auch dann, wenn - wie hier - Dritte die Sache in den gefährlichen Zustand versetzt haben. Zwar dürfte unstreitig sein, dass die Kinder die eigentliche Gefahr durch ihr Verhalten verursacht und sie gemäß § 7 SOG LSA eine Verhaltenshaftung trifft. Dies ändert aber nichts an der Zustandsverantwortlichkeit der Klägerin im Zeitpunkt des ordnungsbehördlichen Einschreitens, da das Quecksilber selbst unmittelbar die Gefahrenquelle bildete. Insoweit besteht auch in der Rechtsprechung weitgehend Übereinstimmung (Drews/Wacke/Vogel/Martens, a. a. O., S. 320 m. w. N.).

II. Diese Gesichtspunkte führen gleichzeitig dazu, dass sich auch die Zulassungsgründe der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht mit Erfolg begründen lassen, da sich die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen zur Anwendbarkeit des BrSchG und zur Zustandsverantwortlichkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SOG LSA nach dem Landesrecht eindeutig beantworten lassen. Angesichts der unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen zum Brandschutz und zum Recht der Gefahrenabwehr führt auch die von der Klägerin geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung anderer Obergerichte nicht zu der begehrten Zulassung. III. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Das "Übergehen" der schriftsätzlich angekündigten Beweisanträge verletzt das rechtliche Gehör der Klägerin nicht, weil die Anträge nicht vorab beschieden werden mussten und sie in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden sind. Auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann sich aber nur berufen, wer darlegt, zunächst selbst alles ihm Mögliche versucht zu haben, um sich Gehör zu verschaffen (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 138 RdNr. 19 [m. w. Nachw.]; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, § 138 RdNr. 48 [m. w. Nachw.]; vgl. auch: OVG LSA, Beschl. v. 16.01.1995 - 2 L 10/95 -; Beschl. v. 04.05.1995 - 2 L 54/95 -).

Etwas Anderes gilt auch dann nicht, wenn man die Einlassung der Klägerin dahin versteht, das Verwaltungsgericht sei seiner Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen, indem es von einer weiteren Beweisaufnahme abgesehen habe.

Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO ergeben, hat die Klägerin mit ihren schriftsätzlich aufgezeigten "Beweisermittlungsansätzen" eine weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO lediglich angeregt. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist unter diesen Umständen nur dann begründet, wenn sich dem Gericht von Amts wegen eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschl. v. 09.12.1997 - BVerwG 9 B 505.97 - [juris]). Dem Verwaltungsgericht musste sich vorliegend eine weitere Beweisaufnahme schon deswegen nicht aufdrängen, weil es nach seiner - zutreffenden - Rechtsauffassung für die Zustandsverantwortlichkeit nicht maßgeblich darauf ankommt, wie das Quecksilber auf das Grundstück gelangt ist.

Ende der Entscheidung

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