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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 18.06.2004
Aktenzeichen: 2 L 354/03
Rechtsgebiete: LSA-BauO, VwGO
Vorschriften:
LSA-BauO § 6 VI | |
LSA-BauO § 6 XIV | |
LSA-BauO § 75 | |
VwGO § 86 I | |
VwGO § 86 II |
2. Für die Einhaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück sind die Grenzen des Buchgrundstücks maßgeblich.
3. Das Gericht verletzt seine Aufklärungspflicht nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine von einem Rechtsanwalt vertretene Partei nicht beantragt hat.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 L 354/03
Datum: 18.06.2004
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1, S. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.
1. Die von der Zulassungsschrift geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.
Mit Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das "16-m-Privileg" und das Wahlrecht des Bauherrn auch dann im vollen Umfang erhalten bleiben, wenn auf (bis zu) zwei weiteren Außenwänden aufgrund anderer Vorschriften - zum Beispiel einer Ausnahme gemäß § 6 Abs. 14 BauO LSA oder einer Abweichung gemäß § 75 BauO LSA - eine Reduzierung der Abstandsflächentiefe gewährt wurde. Die Gegenansicht des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschl. v. 17.04.200 - Gr.S. 1/1999 - VGHE BY 53, 89), auf die die Zulassungsschrift sich im Wesentlichen stützt, teilt der Senat nicht. Die teleologische Auslegung des Abstandsflächenrechts im Verhältnis zu den Abweichungsregelungen in Sachsen-Anhalt stützt die Auffassung des Verwaltungsgerichts. Die Abweichungsregelungen (§ 6 Abs. 14 und § 75 BauO LSA) sind nicht Bestandteil des Abstandsflächenrechts, sondern setzen auf die geltende abstrakt-generelle Rechtslage, das Abstandsflächenrecht, auf und ermöglichen es, im Einzelfall richtige und vernünftige Lösungen über diese Rechtslage hinaus zu finden (so auch Dirnberger, in: Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, § 6 RdNr. 110a). Die Auffassung des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Grundregel, die "Tiefe der Abstandsflächen beträgt 0,8 H, mindestens 3 m", dem "Schmalseitenprivileg" lediglich zwei Abweichungen von der Grundregel erlaube und sonst stets die Einhaltung der Grundregel einfordere, findet im Gesetz keine Grundlage (so auch BayVGH, Urt. v. 01.04.1993 - 26 B 91.3591 -, nach juris). Das Schmalseitenprivileg findet seine Grundlage nicht im Nachbarschutz, sondern in dem Gebot der weitestmöglichen Ausnutzung des Eigentums. Der Gesetzgeber ging bei Schaffung des "Schmalseitenprivilegs" davon aus, das von Außenwänden bis zu 16 m keine erheblichen Störungen bzw. Belästigungen für das Nachbargrundstück ausgehen, und wollte mit dem "Schmalseitenprivileg" eine optimale Ausnutzung des Baugrundstücks ermöglichen (vgl. Dirnberger, a. a. O., § 6 RdNr. 106). Für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen § 6 Abs. 5 S. 1 und § 6 Abs. 6 S. 1 BauO LSA, dass der Große Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs den vergleichbaren Vorschriften der BauO BY entnehmen will, gibt es im Gesetz keine Anhaltspunkte.
Soweit die Zulassungsschrift meint, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht sein Vorbringen, der Verlauf der sich aus den Bauvorlagen ergebenden gemeinsamen Grenze zwischen seinem und dem Grundstück der Beigeladenen entspreche im Bereich der B.-Straße nicht der tatsächlichen Eigentumslage, nicht berücksichtigt, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht maßgeblich auf § 77 Abs. 4 BauO LSA abgestellt, wonach die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. Für die Einhaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück sind die Grenzen des Buchgrundstücks maßgeblich, wie sie katastermäßig ausgewiesen sind. Die Billigkeitserwägungen sowie der Verweis auf den Brandschutz, die die Zulassungsschrift dagegen anführt, vermögen keine "ernstlichen Zweifel" zu begründen. Der Brandschutz spricht eher gegen den Kläger. Er wird nämlich durch die Einhaltung der gesetzlichen Abstände gewährleistet und diese wiederum werden in der Baugenehmigung festgelegt, die unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird.
2. Soweit die Zulassungsschrift sich auch auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruft, formuliert sie schon keine Rechtsfrage, die für die Rechtsmittelentscheidung erheblich, klärungsbedürftig und insbesondere höchst- oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärt ist.
3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers des Verwaltungsgerichts zuzulassen.
Das Verwaltungsgericht war nicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Der Kläger meint, die Frage der Standsicherheit des Gebäudes der Beigeladenen hätte weiter aufgeklärt werden müssen. Insoweit sei das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung nicht nachgekommen, indem es von einer weiteren (angekündigten oder allenfalls hilfsweise beantragten) Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen habe. Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines unbedingt gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO ergeben, wird mit einem fürsorglich oder hilfsweise gestellten Beweisantrag nur eine weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist unter diesen Umständen nur dann begründet, wenn sich dem Gericht von Amts wegen eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschl. v. 09.12.1997 - BVerwG 9 B 505.97 - [juris]).
Ein Gericht verstößt deshalb grundsätzlich nicht gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine von einem Rechtsanwalt vertretene Partei nicht beantragt hat (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. u. a. Beschl. v. 22.02.1988 - BVerwG 7 B 28.88 -, NVwZ 1988, 1019; Beschl. v. 24.11.1977 - BVerwG VI B 16.77 -, Buchholz 310 [VwGO] § 132 Nr. 161, VGH BW, Beschl. v. 30.04.1997 - 8 S 1040/97 -, DVBl 1997, 1343).
Es gibt keine Gesichtpunkte, die die von dem Kläger vermisste Beweisaufnahme dem Verwaltungsgericht hätten aufdrängen müssen.
Ende der Entscheidung
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