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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 2 L 468/04
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 127 II Nr. 1
1. Ob eine Anbaustraße selbständig ist, beurteilt sich nicht allein danach, ob es sich um eine Sack-gasse handelt. Maßgeblich ist vielmehr die natürliche Betrachtungsweise, wie sie sich einem unbefangenen Betrachter darstellt.

2. Eine Straße von ca. 170 m Länge, von welcher noch eine knapp unter 100 m lange Stichstraße abzweigt, ist selbständig.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 468/04

Datum: 30.09.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO <Kosten> und auf § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

I. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 16.01.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2002 rechtmäßig ist und den Kläger zu 2. nicht in seinen Rechten verletzt. Ohne Erfolg wendet der Kläger zu 2. ein, sein Eckgrundstück werde nicht durch die Planstraße B erschlossen, weil es sich hierbei nicht um eine eigenständige Anbaustraße handele.

Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach (vgl. Urt. v. 09.11.1984 - BVerwG 8 C 77.83 - , DVBl 1985, 297; Urt. v. 23.06.1995 - BVerwG 8 C 33.94 -, NVwZ-RR 1995, 695 m. w. N.) entschieden hat, kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine Verkehrsanlage erschließungsrechtlich selbständig oder unselbständig ist, auf den Gesamteindruck an, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln; besondere Bedeutung kommt ihrer Ausdehnung und ferner ihrer Beschaffenheit, der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke sowie vor allem dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße zu, in die sie einmündet (vgl. u.a. Urt. v. 23.03.1984 - BVerwG 8 C 65.82 -, Buchholz 406.11 [BBauG] § 127 Nr. 42, S. 19 [23]). Das Maß der Abhängigkeit ist deshalb von erheblichem Gewicht, weil eine Verkehrsanlage ohne Verbindungsfunktion (Sackgasse) ausschließlich auf die Straße angewiesen ist, von der sie abzweigt, sie darin einer (unselbständigen) Zufahrt ähnelt und deshalb der Eindruck der Unselbständigkeit häufig noch bei einer Ausdehnung erhalten bleibt, bei der eine Anlage mit Verbindungsfunktion schon den Eindruck der Selbständigkeit vermittelt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass grundsätzlich alle abzweigenden befahrbaren Verkehrsanlagen als erschließungsrechtlich unselbständig zu qualifizieren sind, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, d.h. die (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Da eine Zufahrt typischerweise ohne Weiterfahrmöglichkeit endet, typischerweise nur eine bestimmte Tiefe aufweist und ebenso typischerweise gerade, also nicht in Kurven verläuft, hat das Bundesverwaltungsgericht erkannt, es könne davon ausgegangen werden, dass eine öffentliche, für das Befahren mit Kraftfahrzeugen aller Art vorgesehene, etwa 100 m lange und nicht verzweigte Sackgasse (Stichstraße), die eine ihrer Ausdehnung angemessene Anzahl von Grundstücken erschließt und im zeitlichen Zusammenhang mit der Anbaustraße endgültig hergestellt worden ist, in die sie einmündet, regelmäßig als erschließungsrechtlich unselbständig zu qualifizieren ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.11.1984, a. a. O.).

Mithin ist bei der Beurteilung der Eigenständigkeit einer Anbaustraße entgegen der Auffassung des Klägers zu 2. nicht allein maßgeblich, dass es sich bei der streitgegenständlichen Erschließungsanlage schlicht um eine Sackgasse handelt, sondern ausschlaggebend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, der Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Anlage vermitteln.

Bei Anwendung dieser Grundsätze bestehen auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine Zweifel, dass die von der Planstraße A abzweigende Sackgasse (Planstraße B) als erschließungsrechtlich selbständig anzusehen ist. Dafür spricht zum einen ihre Länge von ca. 170 m und zum anderen der Umstand, dass von ihr noch eine knapp unter 100 m lange Stichstraße, die Planstraße C, abzweigt. Bestätigt wird die Annahme der Selbständigkeit der Sackgasse durch die Anzahl der durch sie im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 des Baugesetzbuchs - BauGB - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.06.2004 (BGBl I 1359), erschlossenen Grundstücke; diese Anzahl steht in einem angemessenen Verhältnis zur Ausdehnung der zu beurteilenden Verkehrsanlage.

2. Soweit die Klägerin zu 1. einwendet, das Verwaltungsgericht habe ihre Klage zu Unrecht mangels der nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Klagebefugnis als unzulässig erachtet, führt auch dies nicht zu der begehrten Zulassung; denn die Klägerin zu 2. legt nicht dar, dass das Gericht bei Vermeidung des gerügten Fehler zu einer anderen, für sie positiven Entscheidung gelangt wäre. Selbst wenn nämlich davon auszugehen wäre, dass die Klage der Klägerin zu 1. zulässig wäre, was der Senat offen lassen kann, wäre die Klage aus den oben genannten Gründen jedenfalls unbegründet, weil der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 16.01.2002 rechtmäßig ist. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist auf das Entscheidungsergebnis und nicht auf die einzelnen Begründungselemente bezogen. Wenn - wie hier - ohne Weiteres erkennbar ist, dass das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung nicht vor. Dies gilt auch dann, wenn ein Urteil möglicherweise zu Unrecht mit der Unzulässigkeit der Klage begründet worden ist (so auch BayVGH, Beschl. v. 06.11.2003 - 22 ZB 03.2602 -, NVwZ-RR 2004, 223).

II. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen; denn der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

In der Sache machen die Kläger mit ihrem Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei der Planstraße B um eine Sackgasse handele, obwohl diese Tatschen bereits in erster Instanz vorgelegen hätten, eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend (Art. 103 Abs. 1 GG; § 138 Nr. 3 VwGO).

Der Senat hat allerdings wiederholt entschieden (vgl. z. B.: OVG LSA, Beschl. v. 01.08.1996 - A 2 S 332/96 -), schon einfaches Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2; 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verlange nicht, dass sich die Entscheidungsgründe mit jeder Einzelheit des Vorbringens befassten; es genüge die Angabe der Gründe, "die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet dem Gericht gleichfalls nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 - 1 BvR 168,1509/89, 638,639/90 -, BVerfGE 87, 363 [392 f]). Art. 103 Abs. 1 GG fordert allein, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [145]). Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn das Gericht gegen diesen Grundsatz erkennbar verstoßen hat; das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass ein Gericht dem Verfassungsgebot entsprochen hat (BVerfGE 86, 133 [146]; 87, 363 [392]). Als Indiz für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst anzusehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Parteivortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung nicht eingegangen ist, sofern das Vorbringen vom Gericht nicht für unerheblich oder offensichtlich unsubstanziiert gehalten wird (BVerfGE 86, 133 [146]).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht das rechtliche Gehör der Kläger nicht verletzt; denn es hat die Frage des Erschlossenseins des klägerischen Grundstücks durch eine hinzutretende Anbaustraße geprüft und festgestellt, dass auch diese Anbaustraße den Klägern einen Erschließungsvorteil vermittele. Mehr verlangt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht.

Ende der Entscheidung

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