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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 03.05.2005
Aktenzeichen: 2 L 483/03
Rechtsgebiete: LSA-BauO, DDR-BaulandG, DDR-BevBauwVO, DDR-BauO


Vorschriften:

LSA-BauO § 6 I 2
LSA-BauO § 6 XI Nr 1
DDR-BaulandG § 17
DDR-BevBauwVO § 3
DDR-BauO § 6
1. § 6 Abs. 1 S. 2 und Abs. 11 Nr. 1 BauO LSA sind nicht anwendbar, wenn das Gebäude in das Nachbargrundstück hinein gebaut worden ist (Überbau).

2. Ein "Überbau" war auch nach dem Baurecht der Deutschen Demokratischen Republik nicht zulässig.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 483/03

Datum: 03.05.2005

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1 S. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

I.

Die Kläger wenden sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung zur Beseitigung eines Nebengebäudes auf ihrem Grundstück. Sie sind Eigentümer des Grundstücks ... Das Grundstück ist in seinem südlichen Bereich straßenseitig zur "...-straße" mit einem Wohngebäude bebaut. Im nördlich rückwärtigen Bereich befand sich ursprünglich ein Stallgebäude, das grenzständig an der westlichen Grenze des Grundstücks errichtet worden war.

Mit Bescheid vom 06.08.1985 verfügte der Leiter der staatlichen Bauaufsicht im Kreis Naumburg, dass dieses Stallgebäude "für die Nutzung bauaufsichtlich gesperrt, ... abzusichern, zu sanieren oder gegebenenfalls abzureißen" sei. Zur Begründung führte er aus, das Stallgebäude weise an der "vorderen Ecke" und in der Zwischendecke erhebliche Standsicherheitsschäden auf.

In der Folgezeit ließen die Kläger dieses ursprüngliche Stallgebäude bis auf das Fundament abreißen und errichteten an dieser Stelle im Zeitraum von etwa 1986 bis 1994 wiederum ein Nebengebäude. Hierbei handelt es sich um ein Gebäude mit Satteldach, bestehend aus Hohlblocksteinen, das eine Grundfläche von etwa 13,9 m x 6,4 m und eine Fristhöhe von etwa 7,35 m aufweist und u. a. als Pferdestall und Garage genutzt wird. Eine Baugenehmigung für diese Gebäude hatten die Kläger weder jemals beantragt noch erhalten. Am 08.12.1998 führte ein öffentlich bestellter Vermessungsingenieur einen Grenztermin zur Grenzfeststellung und Abmarkung der Grenzen des westlich an das klägerische Grundstück angrenzenden Grundstücks ... durch. Aus der Niederschrift über den Grenztermin ergibt sich, dass das Stallgebäude der Kläger um etwa 60 cm auf dem Nachbargrundstück errichtet ist. Mit Bescheid vom 17.10.2000 gab der Beklagte den Klägern auf, das Stallgebäude mit Ablauf von 6 Monaten nach Bestandskraft dieses Bescheids zu beseitigen. Zur Begründung führte er aus, das ohne erforderliche Baugenehmigung errichtete Nebengebäude sei auch nicht genehmigungsfähig, weil es im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sei, insbesondere die gemäß § 6 BauO LSA erforderliche Abstandsfläche nicht einhalte und darüber hinaus die gemeinsame Grundstücksgrenze überschreite. Dagegen betrieben die Kläger erfolglos das Widerspruchsverfahren und erhoben Klage beim Verwaltungsgericht Halle.

Dieses wies die Klage mit Urteil vom 25.08.2003 mit folgender Begründung ab: Es könne dahin stehen, ob das ohne Baugenehmigung errichtete Nebengebäude auch formell baurechtswidrig sei. In jedem Fall sei es Zeit seines Bestehens materiell baurechtswidrig. Das Gebäude sei in Bezug auf die westliche Grundstücksgrenze nicht nur ohne Grenzabstand errichtet worden, sondern überbaue diese auch noch um etwa 60 cm. Dies ergebe sich aus der bestandskräftigen Grenzfeststellung des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs vom 08.12.1998. Selbst wenn der Grenzverlauf zwischen den Punkten I und H gerade verlaufen würde, würde dies nichts daran ändern, dass das klägerische Gebäude über dies Grenze hinausrage. Aufgrund des Überbaus ergebe sich eine Ausnahme von dem Erfordernis de Einhaltung von Abstandsflächen auch nicht aufgrund der Vorschriften des § 6 Abs. 1 S. 2 und des § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO LSA, weil nach diesen Vorschriften eine Abstandsfläche nur dann nicht erforderlich sei, wenn ein Gebäude "an die Nachbargrenze" gebaut sei, nicht jedoch, wenn es darüber hinaus reiche. Selbst wenn das Gebäude in der Zeit zwischen 1987 und Oktober 1990 errichtet worden sei, sei es nicht materiell legal gewesen, da auch das damals geltende Baurecht einen "Grenzüberbau" nicht ermöglichte. Der angefochtene Bescheid weise auch keine Ermessensfehler auf. Der Beklagte habe seine Befugnis zum Erlass einer Abbruchverfügung nicht verwirkt, weil er bereits mehrere Jahre vor Erlass der streitgegenständlichen Beseitigungsverfügung von dem Stallgebäude Kenntnis gehabt habe. Die schlichte Duldung einer formell und materiell rechtswidrigen baulichen Anlage auch über längere Zeit hinweg habe selbst dann auf seine Befugnis zum Erlass einer Beseitigungsverfügung keine Auswirkungen, wenn er die Anlage kenne und es keine sachgerechten Gründe für sein Zuwarten gebe. Soweit die Kläger auf eine Verwirkung seitens des betroffenen Nachbarn abstellten, hätten sie mit dem Einwand bereits deshalb keinen Erfolg, weil es vorliegend nicht um eine Anfechtung einer Baugenehmigung, sondern um eine Beseitigungsverfügung gehe. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg auf den Gleichheitsgrundsatz berufen, weil auf dem Nachbargrundstück ebenfalls "baurechtswidrige Zustände" vorhanden seien. Es sei nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um Fälle handle, die ebenfalls Überbauten beträfen. Die Kläger könnten auch nicht mit Erfolg einwenden, sie benötigten das Stallgebäude als Garage für einen PKW zur Beförderung ihres behinderten Kindes. Es sei weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass es für das Abstellen eines solchen PKW gerade eines Überbaus auf das Nachbargrundstück bedürfe.

Dagegen haben die Kläger rechtzeitig den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte die Berufung nicht zulassen, da die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124a Abs. 1 S. 4 VwGO), nämlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und ein Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruht (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), nicht vorliegen.

1. Die Entscheidung des Verwaltungsgericht gibt weder vom Ergebnis noch von der Begründung her Anlass zur Beanstandung oder gar zu ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit. Dieses Ergebnis vermag die Zulassungsschrift nicht zu erschüttern. Sie wiederholt lediglich erfolglos die bereits im Klageverfahren erhobenen Einwände.

Soweit die Kläger behaupten, das Stallgebäude bereits in der Zeit zwischen 1987 und Oktober 1990 errichtet zu haben, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Nach dem früheren "DDR-Baurecht" war gemäß § 3 der Verordnung über die Verantwortung der Räte der Gemeinden, Stadtbezirke und Städte bei der Errichtung und Veränderung von Bauwerken durch die Bevölkerung (Verordnung über Bevölkerungsbauwerke) vom 08.11.1984 (DDR-GBl. I S. 433) die Errichtung oder Veränderung von Bauwerken nur zulässig, wenn der für den Standort des Bauwerks zuständige Rat seine Zustimmung erteilt hatte. Auf eine solche Zustimmung, die nach § 6 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke schriftlich zu erfolgen hatte, können die Kläger sich nicht berufen.

Im Übrigen war auch in der Zeit vor dem 03.10.1990 der Überbau eines fremden Grundstücks nicht genehmigungsfrei möglich. Das "DDR-Baurecht" kannte nicht einmal die genehmigungsfreie Mitbenutzung eines benachbarten Grundstücks wie sich aus § 17 des Gesetzes über die Bereitstellung von Grundstücken für Baumaßnahmen - Baulandgesetz vom 15.06.1984 (DDR-GBl. I Nr. 17 S.201) ergibt. Nach § 17 war mit Zustimmung des Rates der Stadt, des Stadtbezirks oder der Gemeinde eine Vereinbarung zu treffen zwischen dem Bauauftraggeber sowie den Rechtsträgern, Eigentümern oder Verfügungsberechtigten und den Nutzungsberechtigten der Grundstücke, Gebäude oder baulichen Anlagen, wenn die planmäßige Vorbereitung von Baumaßnahmen, insbesondere die Prüfung des Bauzustands von Gebäuden und baulichen Anlagen, die Prüfung des Baugrundes und die Vermessung sowie die planmäßige Durchführung von Baumaßnahmen und die Vermessung sowie die Durchführung von Baumaßnahmen die zeitweilige Mitbenutzung von Grundstücken, Gebäuden und baulichen Anlagen oder die Einhaltung von Nutzungsbedingungen auf benachbarten Grundstücken erforderte. Die Kläger können weder eine schriftliche Zustimmung des zuständigen Rates noch der Nachbarn auf Gestattung des Überbaus vorlegen.

Auch nach der späteren Rechtlage war ein genehmigungsfreier Überbau des benachbarten Grundstücks nicht möglich. Das Gesetz über die Bauordnung (BauO-DDR) vom 20.07.1990 (DDR-GBl. I. S. 929) enthielt in § 6 bereits das Abstandsflächengebot.

2. Soweit die Zulassungsschrift sich auch auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen will, fehlt es bereits an der erforderlichen Darlegung. Hierbei genügt es nicht, dass die Zulassungsschrift nur einen Sachverhalt schildert, sie muss einen Verfahrensmangel auch in rechtlicher Hinsicht substantiiert darlegen (BVerwG, Besch. v. 10.11.1992 - BVerwG 3 B 52.92 -, Buchholz 303 [ZPO] § 314 Nr. 5). Die Berufung ist dann nur zuzulassen, wenn der Verfahrensfehler zum einen auch tatsächlich vorliegt und zum anderen der Mangel nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ursächlich für das Ergebnis seiner angefochtenen Entscheidung gewesen sein kann. Das Berufungsgericht ist aber dann immer noch zu der Prüfung befugt, ob der Verfahrensmangel seiner eigenen Rechtsauffassung nach für den Ausgang des angestrebten Berufungsverfahrens von Bedeutung wäre (BVerwG, Beschl. v. 28.01.2003 - BVerwG 4 B 4.03 -, Buchholz 310 § 132 Nr. 281).

Hier fehlt es schon am Geltendmachen und Benennen eines Verfahrensfehlers.

Ende der Entscheidung

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