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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.02.2004
Aktenzeichen: 2 L 927/03
Rechtsgebiete: EV, DDR-BauO, LSA-VwVfG


Vorschriften:

EV § 19 1
EV § 19 2
EV § 19 3
DDR-BauO § 62
DDR-BauO § 63
LSA-VwVfG § 35
1. Von Organen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erteilte Genehmigungen bleiben in der Regel wirksam (Art. 19 Satz 1 EV). Dies betrifft nicht nur die äußere Wirksamkeit, sondern auch die inhaltlich, d. h. die intendierten Rechtswirkungen.

2. In dieser Wirkung dauern sie über den 03.10.1990 mit der Folge fort, dass das baurechtliche ge-nehmigte Bauwerk nicht nur formell, sondern auch in der genehmigten Funktion materiell legal ist.

In der materiellen Variante begründet die Genehmigung Bestandsschutz.

3. Jedenfalls seit dem 01.08.1990 bedurfte eine Nutzungsänderung nach den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen der DDR-Bauordnung der Genehmigung.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 927/03

Datum: 12.02.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1 S. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Der Zulassungsantrag benennt schon keinen der denkbaren Gründe, welche allein die Zulassung der Berufung rechtfertigen würden (§ 124 Abs. 2 VwGO).

Selbst wenn sich der Kläger auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen wollte, so würde seine Antragsschrift nicht den Darlegungsanforderungen genügen.

Die geltend gemachten "ernstlichen Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht hinreichend dargelegt.

Genügte allein die herkömmliche Art der Rechtsmittelbegründung, dann bedürfte es der Zulassungsgründe nicht. Der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist vor der Zulassung des Rechtsmittels noch nicht, die angegriffene Entscheidung auf ihr Ergebnis hin zu kontrollieren, sondern ausschließlich die Frage, ob das Rechtsmittel zugelassen werden kann. Ob dies der Fall ist, prüft das Gericht nicht von Amts wegen; auch wenn nach der Zulassung im Rechtsmittelverfahren die "Amtsmaxime" des § 86 Abs. 1, 3 VwGO entsprechend gilt (vgl. § 125 Abs. 1 VwGO), hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelführer für das vorgeschaltete Antragsverfahren die besondere "Darlegungslast" nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auferlegt. Aus dem deutlichen Unterschied dieser Regelung im Vergleich zu der über die Berufungsbegründung (§ 124a Abs. 3 S. 1, 4 VwGO 02) folgt, dass sich die "Gründe" i. S. des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO 02 auf die Zulassungsfragen beziehen müssen und nicht lediglich die angefochtene Entscheidung selbst in Frage stellen dürfen; erst die Berufungsbegründung des § 124a Abs. 3 VwGO 02 ist mit der früheren Art einer Rechtsmittelrechtfertigung vergleichbar.

Das gilt auch für § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; er hat nicht etwa die Bedeutung, Anträgen, welche aus anderen Gründen nicht zur Zulassung führen, sozusagen auffangweise zur Zulassung zu verhelfen, sondern ist Teil des Systems, das grundsätzlich keine Rechtsmittelinstanz eröffnet und die Zulassung nur ausnahmsweise ermöglicht, indem es die Durchführung des Rechtsmittels von dessen Zulassung abhängig macht. Auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann sich nicht schon berufen, wer die angefochtene Entscheidung mit Hilfe einer "Rechtsmittelbegründung alten Rechts" in Frage stellen will, indem er sich mit der Entscheidung auseinander setzt und Gegenpositionen bezieht. Der Darlegungslast genügt vielmehr nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt.

Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Antragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre.

Die Antragsschrift ist insoweit nach Art einer Rechtsmittelschrift verfasst, wie sie ohne Zulassungspflicht statthaft war.

Im Übrigen gibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Beanstandungen keinen Anlass.

Für die Bestandskraft von zu DDR-Zeiten erteilten Baugenehmigungen gilt folgendes:

Nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (BGBl 1990 II 885 = DDR-GBl 1990, Teil I, Nr. 46, S. 1629; Verfassungsgesetz vom 20.09.1990 [DDR-GBl I Nr. 46 S. 1627]) - EV - bleiben vor dem 03.10.1990 ergangene Verwaltungsakte der DDR wirksam. Unter Art. 19 Satz 1 EV fallen jedenfalls solche Verwaltungsentscheidungen von Behörden der DDR, die die Tatbestandsmerkmale eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 VwVfG erfüllen (BVerwG, Beschl. v. 25.01.1994 - BVerwG 11 B 53.93 -, LKV 1994, 219). Das ist bei einer Baugenehmigung der Fall.

"Wirksam" bleiben solche Verwaltungsakte nach Art. 19 Satz 1 EV nicht nur im Sinne ihrer bloß äußeren Wirksamkeit oder Existenz, sondern auch in dem Sinne, dass die mit ihnen intendierten Rechtswirkungen fortbestehen. Von Bedeutung ist dies vor allem bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung. Im Falle einer von Behörden der DDR erteilten Baugenehmigung heißt das, dass die durch die Baugenehmigung begründeten Rechtsfolgen, insbesondere die formelle Legalität und der dadurch begründete Bestandsschutz für die bauliche Anlage und die Erlaubnis zur genehmigten Nutzung dieser Anlage über den 3. Oktober 1990 hinaus bestehen bleiben.

Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 19 Satz 1 EV im systematischen Zusammenhang mit Art. 19 Satz 2 und 3 EV, dass auch die verfahrensrechtlichen "Eigenschaften", die ein Verwaltungsakt der DDR-Behörden am 03.10.1990 hatte, bestehen bleiben und nach Maßgabe der neuen verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessrechtlichen Vorschriften fortwirken. Das gilt insbesondere für die Bestandskraft des Verwaltungsaktes. Ein rechtsstaatlich ausgeformter Begriff von Bestandskraft war zwar dem Verwaltungsrecht der früheren DDR fremd (vgl. dazu das Lehrbuch Verwaltungsrecht, Staatsverlag der DDR, 2. Auflage, Berlin 1988, Abschnitt 5.6.3. "Rechtswirksamkeit der Einzelentscheidungen und Voraussetzungen für ihre Aufhebung", S. 137 ff.). Bei der Überleitung der verfahrensrechtlichen Wirkungen der Verwaltungsakte von DDR-Behörden, die durch Art. 19 Satz 1 EV bewirkt wird, kann daher nur eine sinngemäße Übersetzung der nach dem Verfahrens- und Prozessrecht der DDR eingetretenen Rechtswirkungen in die entsprechenden verfahrensrechtlichen Wirkungen des neuen Rechts in Betracht kommen.

Die sinngemäße Überleitung auch der verfahrensrechtlichen Wirkung der Bestandskraft rechtfertigt sich zum einen aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis von Art. 19 Satz 1 und Satz 2 EV. Die Aufhebung von Verwaltungsakten der früheren DDR ist die nach Art. 19 Satz 2 EV an enge Voraussetzungen gebundene Ausnahme. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass im Regelfall eine Aufhebung nicht erfolgt. Zum anderen sieht Art. 19 Satz 3 EV vor, dass im übrigen die Vorschriften über die Bestandskraft unberührt bleiben. Das heißt, dass auch auf die nach Art. 19 Satz 1 EV wirksam bleibenden Verwaltungsakte der DDR vom 03.10.1990 an die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten anzuwenden sind.

Zu Unrecht geht der Kläger daher davon aus, dass die Regeln des bauordnungsrechtlichen Bestandschutzes auf das hier strittige Gebäude keine Anwendung finden. Dass für die Nutzungsänderung seit dem 01.09.1990 (§ 1 des [DDR-]Gesetzes zur Einführung der Bauordnung vom 20.07.1990 [DDR-GBl. I Nr. 50 S 950]) eine (neue) Genehmigung erforderlich war, ergab sich zudem aus § 62 des (DDR-)Gesetzes über die Bauordnung vom 20.07.1990 (DDR-GBl. I Nr. 50 S. 929) - DDR-BauO -, weil eine Genehmigungsfreiheit nach § 63 DDR-BauO nicht in Betracht kam.

Die zur Errichtung eines Gebäudes erteilte Baugenehmigung enthält regelmäßig die Baufreigabe und stellt gleichzeitig fest, dass die von der Genehmigung mitumfasste und bezweckte Nutzung der baulichen Anlage nach den öffentlichrechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Entscheidung zulässig ist. Gegenstand der Baugenehmigung ist die bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion als Einheit (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.01.1997 - BVerwG 4 B 172.96 -, BRS 59 Nr. 81). Mit der endgültigen Aufgabe ihrer Nutzung geht der Bestandsschutz einer baulichen Anlage verloren; denn für den Bestandsschutz ist kennzeichnend, dass er die bauliche Anlage nur in ihrer jeweiligen Funktion deckt (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.1974 - BVerwG 4 C 32.71 -, BVerwGE 47,185, m. w. N.).

Sollte die aus dem Jahre 1955 herrührende Baugenehmigung Bestandsschutz für eine KFZ-Werkstatt vermittelt haben, so ist dieser spätestens im Jahre 1971 mit der Nutzung des Grundstücks zum Handel mit Mineralölen, technischen Bedarfsartikeln, Arbeitsschutz, Autopflege-Zubehör, Schweiß- und Schmiertechnik untergegangen.

Die Nutzung des Grundstücks als DEKRA-Stelle für die Untersuchung von Kraftfahrzeugen ist daher, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, formell illegal.

Ende der Entscheidung

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