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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 26.03.2009
Aktenzeichen: 2 M 14/09
Rechtsgebiete: AufenthG, GG, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 11 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
VwVfG § 48
1. Unter "Ausreise" im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG wird nur die erstmalige Ausreise verstanden; ein Ausländer, der unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erneut in das Bundesgebiet eingereist ist, ist daher nicht in jedem Fall verpflichtet, erneut auszureisen, ehe einem Antrag auf Befristung der Wirkung einer Ausweisung entsprochen werden kann.

2. Der Umstand, dass ein Ausländer nach seiner Ausweisung unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, schließt es zwar nicht aus, dass die Ausländerbehörde eine ihr erwünscht oder geboten erscheinende erneute Ausreise im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkung der Ausweisung herbeiführt; es ist jeweils individuell zu beurteilen, welche Schlüsse aus dem Einreiseverstoß für den Wiederholungsfall oder für ein Abschreckungsbedürfnis zu ziehen sind. Dabei sind jedoch auch die einschlägigen höherrangigen Schutzzwecke und verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) zu beachten und dem öffentlichen Interesse gegenüberzustellen.

3. Auf der Grundlage einer Ermessensabwägung hat die Ausländerbehörde auch darüber zu entscheiden, ob die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis rückwirkend oder mit Wirkung für die Zukunft verfügt werden soll. Dies kann, wenn die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG eingreifen, im Einzelfall dazu führen, dass die Behörde die Überlegung anzustellen hat, ob früheres Verhalten des Ausländers (hier: unrichtige Angaben im Erlaubnisantrag) - auch in Ansehung spezial- und generalpräventiver Erwägungen - nicht auch in der Weise angemessen sanktioniert werden kann, dass eine noch gültige Aufenthaltserlaubnis nur für die Vergangenheit zurückgenommen wird.


Gründe:

I.

Die Antragstellerin, russische Staatsangehörige, reiste am 13.07.2005 ohne Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und ging der Prostitution nach. Seinerzeit führte sie den Familiennamen " ...". Mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.07.2005 wies die Antragsgegnerin sie wegen Verstoßes gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Am 01.08.2005 reiste die Antragstellerin aus der Bundesrepublik aus.

Am 23.09.2006 heiratete die Antragstellerin in Russland einen deutschen Staatsangehörigen. Am 22.11.2006 beantragte sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Form eines Visums zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland. Auf dem Antragsformular gab sie als Geburtsnamen den Namen "S." an; die Frage, ob sie aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden sei, verneinte sie. Nach Befragung der Eheleute zur ehelichen Lebensgemeinschaft erhielt sie nach Zustimmung der Antragsgegnerin am 26.02.2007 ein bis zum 26.05.2007 befristetes Visum. Am 06.03.2007 erteilte ihr die Antragsgegnerin eine bis zum 06.03.2008 befristete Aufenthaltserlaubnis, die am 14.01.2008 bis zum 08.03.2010 verlängert wurde. In den zugrunde liegenden Anträgen gab die Antragstellerin wiederum den Geburtsnamen "S." an, und im Erlaubnisantrag vom 06.03.2007 verneinte sie wiederum die Frage nach einer vorherigen Ausweisung.

Nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung der Antragstellerin am 24.07.2008 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zunächst dazu an, dass eine Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis und der Verlängerung beabsichtigt sei. Mit Schriftsatz vom 23.09.2006 beantragte die Antragstellerin, die Wirkung der Ausweisungsverfügung vom 28.07.2005 ab sofort zu befristen. Darin gab sie u. a. an, sie habe im Juli 2007 und im Juni 2008 zwei Fehlgeburten erlitten. Dies habe zu einer schweren reaktiven Depression geführt, weshalb sie auf den besonderen Halt ihres Ehemannes angewiesen sei.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17.11.2008 nahm die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung mit Wirkung für die Vergangenheit und Zukunft zurück, forderte die Antragstellerin auf, das Bundesgebiet spätestens bis zum 14.01.2009 zu verlassen und drohte ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die russische Föderation an. Zur Begründung gab sie an, die Aufenthaltserlaubnis und ihre Verlängerung seien rechtswidrig, weil sie wegen der Sperrwirkung der Ausweisung nicht hätten erteilt werden dürfen. Diese Wirkung werde zwar auf Antrag in der Regel befristet; die Frist beginne aber (erst) mit der Ausreise. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sprächen zwar für das private Interesse der Antragstellerin die weitaus besseren, insbesondere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Bundesgebiet im Vergleich zu denen im Heimatland. Dem gegenüber stehe jedoch das öffentliche Interesse an der Beendigung des rechtswidrigen Zustands und Aufenthalts. Die Antragstellerin habe bewusst falsche Angaben gemacht habe, um den Aufenthaltstitel zu erhalten. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen überwiege, weil ausländische Staatsangehörige in zunehmendem Maße versuchten, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Über den am 02.12.2008 erhobenen Widerspruch, mit dem sie vorsorglich nochmals die Befristung der Wirkung der Ausweisung beantragte, ist noch nicht entschieden.

Auf den von der Antragstellerin am 08.12.2008 gestellten Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestünden Zweifel, ob die Entscheidung der Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei ergangen sei. Sie habe darin keinerlei Erwägungen zur Bedeutung der ehelichen Lebensgemeinschaft, zur Zeitdauer der Ehe in der Bundesrepublik, zum Verhalten der Antragstellerin seit ihrer erneuten Einreise in das Bundesgebiet und zu ihren in einer fachärztliche Bescheinigung dargestellten gesundheitlichen Problemen angestellt. Auch müsse nicht zwingend das Befristungs- und Visumverfahren abgewartet werden. Die Befristungsregelungen erforderten nicht in jedem Fall die erneute Ausreise der Antragstellerin. Ob und unter welchen Voraussetzungen auf eine erneute Ausreise verzichtet werden könne, sei eine im Hauptsacheverfahren zu klärende Rechtsfrage, deren Beantwortung möglicherweise auch vom Gesundheitszustand der Antragstellerin abhänge. Angesichts des demnach offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens habe die Schaffung vollendeter Tatsachen durch eine erzwungene Ausreise zu unterbleiben.

Mit Bescheid vom 19.01.2009 befristete die Antragsgegnerin die Wirkung der Ausweisung auf einen Monat nach Ausreise aus dem Bundesgebiet.

Mit ihrer am 26.01.2009 erhobenen Beschwerde rügt die Antragsgegnerin, sie habe die Bedeutung des Art. 6 GG bei ihrer Entscheidung hinreichend gewichtet; dies ergebe sich schon daraus, dass sie die Antragstellerin nicht (erneut) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen habe. Bei der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis komme es auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 AufenthG nicht an. Außerdem habe sie in der Antragserwiderung vom 08.01.2009 diesbezügliche Ausführungen gemacht. Nach der Ausreise bestehe für die Antragstellerin die Möglichkeit, im regulären Visumverfahren zwecks Familienzusammenführung erneut in das Bundesgebiet einzureisen. Dies sei für die Antragstellerin zumutbar. Eine während der Sperrwirkung geschlossene Ehe verleihe für sich genommen noch keinen Rechtsanspruch auf unverzügliche Beendigung der Sperrwirkung. Die Dauer der gelebten ehelichen Lebensgemeinschaft könne nicht dazu führen, dass das private Interesse der Antragstellerin überwiege, weil sie das Aufenthaltsrecht durch Täuschung erlangt habe. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung könne nicht anerkannt werden, insbesondere weil diese keinen Kopfbogen, keinen Stempel und keine (leserliche) Unterschrift enthalte. Zudem ergebe sich daraus nicht, dass bei einer nur vorübergehenden Aus- und Wiedereinreise ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko zu erwarten sei. Im Übrigen habe das Ursprungsschreiben des damaligen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 23.09.2008 zum Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheids nicht vorgelegen, sondern sei erst am 17.12.2008 nochmals abgefordert worden.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der angegriffene Rücknahmebescheid rechtlichen Bedenken unterliegt.

Der Antragsgegnerin ist zwar darin zu folgen, dass die Aufenthaltserlaubnis vom 06.03.2007 und deren Verlängerung vom 14.01.2008 rechtswidrig waren, weil nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG einem Ausländer, der ausgewiesen worden ist, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Die Rücknahme dürfte aber - jedenfalls soweit sie sich Wirkung für die Zukunft beimisst - ermessensfehlerhaft sein. Die Antragsgegnerin hat bei ihrer Ermessensentscheidung die sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen für die eheliche Lebensgemeinschaft der Antragstellerin mit ihrem deutschen Ehemann nicht hinreichend berücksichtigt. Sie hat insbesondere nicht erwogen, ob - was bei der hier gegebenen Sachlage nahe liegt - durch ein milderes Mittel, nämlich durch eine Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis nur für die Vergangenheit, verbunden mit einer sofortigen Befristung der Wirkungen der Ausweisung, rechtmäßige Zustände geschaffen und damit dem Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft besser Rechnung getragen werden kann.

Die Antragsgegnerin ist bei ihrer Ermessensentscheidung unzutreffend davon ausgegangen, dass eine Befristung der Wirkung der Ausweisung erst für einen Zeitraum nach der (erneuten) Ausreise der Antragstellerin aus dem Bundesgebiet ausgesprochen werden könne. Eine solche Rechtsfolge ergibt sich insbesondere nicht aus § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, wonach die Frist mit der Ausreise beginnt. Unter "Ausreise" im Sinne dieser Regelung wird nur die erstmalige Ausreise verstanden; ein Ausländer, der - wie die Antragstellerin - unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erneut in das Bundesgebiet eingereist ist, ist daher nicht in jedem Fall verpflichtet, erneut auszureisen, ehe einem Befristungsantrag entsprochen werden kann (OVG Hamburg, Beschl. v. 15.08.1991 - Bs VII 67/91 -, EZAR 017 Nr. 2; Hailbronner, Ausländerrecht, § 11 RdNr. 32; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 11 RdNr. 13). Mit dieser bereits vom Verwaltungsgericht dargelegten Rechtsauffassung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie kann sich insoweit nicht auf eine andere Entscheidung des OVG Hamburg (Beschl. v. 12.04.2007 - 1 So 26/07 -, NVwZ-RR 2007, 712) berufen; denn in jener Entscheidung war die betroffene Ausländerin nach ihrer Ausweisung und vor der Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde zu keinem Zeitpunkt aus dem Bundesgebiet ausgereist. Im Übrigen kann nach der (neueren) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 [237], RdNr. 28) ausnahmsweise der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG im Einzelfall die Befristung der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG selbst dann gebieten, wenn der Ausländer das Bundesgebiet nach der Ausweisung noch nicht verlassen hat.

Der Umstand, dass ein Ausländer nach seiner Ausweisung unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, schließt es zwar nicht aus, dass die Ausländerbehörde eine ihr erwünscht oder geboten erscheinende erneute Ausreise im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkung der Ausweisung herbeiführt, beispielsweise die Frist so bemisst, dass der Ausländer wieder ausreisen muss (OVG Hamburg, Beschl. v. 15.08.1991, a. a. O.). Bei der Ausweisung und Abschiebung kommt es für die Fristbemessung maßgeblich auf das Verhalten des Ausländers nach seiner Ausreise oder Abschiebung an. So kann etwa eine unerlaubte Wiedereinreise belegen, dass der spezialpräventive wie der generalpräventive Zweck der Sperrwirkung noch nicht erreicht ist, die Sperrfrist deshalb aus öffentlichem Interesse noch eine gewisse Zeit fortzudauern hat. Allerdings kann bei der Befristungsentscheidung nicht schematisch vorgegangen werden, vielmehr ist jeweils individuell zu beurteilen, welche Schlüsse aus dem Einreiseverstoß für den Wiederholungsfall oder für ein Abschreckungsbedürfnis zu ziehen sind (vgl. zum Ganzen: VGH BW, Urt. v. 26.03.2003 - 11 S 59/03 -, InfAuslR 2003, 333 [337]). Zweck der Befristungsregelung ist es, dem Ausländer einen neuen Aufenthalt zu ermöglichen, wenn sich der Sachverhalt verändert hat, insbesondere die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke erreicht sind; ist also beispielsweise die Wiederholungsgefahr entfallen, derentwegen der Ausländer ausgewiesen wurde, sind grundsätzlich die Ausweisungswirkungen zu befristen (BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 [147]). Schließlich sind auch bei der Bemessung der Sperrfrist die einschlägigen höherrangigen Schutzzwecke und verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK) zu beachten und dem öffentlichen Interesse gegenüberzustellen (VGH BW, Urt. v. 26.03.2003, a. a. O.; OVG Hamburg, Beschl. v. 15.08.1991, a. a. O.).

Die Antragsgegnerin hat insoweit keine (ausreichenden) Erwägungen angestellt, sondern fehlerhaft angenommen, auf Grund der gesetzgeberischen Intention könne hier die Frist nicht mit dem Ziel, eine (erneute) Ausreise zu erübrigen, auf Null gesetzt werden.

Dem Verwaltungsgericht ist ferner darin beizupflichten, dass die Antragsgegnerin den Schutzwirkungen des Art. 6 GG nicht das ihnen zukommende Gewicht beigemessen hat. Allein durch das Absehen von einer erneuten Ausweisung wegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge getan. Der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staats zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung auch über ein Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, AuAS 2006, 26, m. w. Nachw.). Dem entsprechend ist die Entscheidung des Gesetzgebers für einen besonderen Ausweisungsschutz, mit dem der Auftrag zum Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 GG, Art. 8 EMRK konkretisiert wird, auch im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Versagung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu beachten (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.07.2002 - 1 C 8.02 -, 116, 378 [386]) und kann deshalb auch bei der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis und bei der Entscheidung über die Befristung der Wirkung der Ausweisung nicht unberücksichtigt bleiben.

Auch mit den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nachgeschobenen Erwägungen hat die Antragsgegnerin das aufgezeigte Ermessensdefizit nicht beseitigt. Weiterhin hält sie eine Befristung der Wirkung der Ausweisung nur nach erneuter Ausreise für möglich und geht damit von einer unzutreffenden Rechtslage aus. Soweit sie vorgetragen hat, die Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft werde nicht vereitelt oder in unzumutbarer Weise erschwert, sondern nur vorübergehend eingeschränkt, hat auch der Senat erhebliche Zweifel, ob sie damit die besonderen Umstände des Falles genügend berücksichtigt hat. Zwar mag es auch bei Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Einzelfall sachgerechter Ermessensausübung entsprechen, wenn die Ausländerbehörde eine durch Täuschung erlangte Aufenthaltserlaubnis zurücknimmt, auch wenn später die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wieder möglich erscheint (vgl. BayVGH Beschl. v. 08.05.2006 - 24 CS 06.908 -, Juris). Im vorliegenden Fall, in dem die Antragstellerin auf Grund der geltend gemachten gesundheitlichen Probleme möglicherweise auf den besonderen Beistand ihres deutschen Ehemanns angewiesen ist, bedarf es jedoch einer sorgfältigen Prüfung, ob es ihr zuzumuten ist, den Antrag auf Befristung der Wirkung der Ausweisung aus dem Ausland zu stellen, und ob eine bestehende Aufenthaltserlaubnis auch für die Zukunft zugenommen werden soll. Dem kann sich die Antragsgegnerin nicht mit dem bloßen Hinweis auf formale Mängel der vorgelegten fachärztlichen Bescheinigung vom 01.12.2008 und die unterbliebene Übersendung des im Schriftsatz vom 23.09.2008 genannten fachärztlichen Befundberichts entziehen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass auch die Dauer der in Deutschland geführten ehelichen Lebensgemeinschaft und das Verhalten der Antragstellerin seit ihrer erneuten Einreise in das Bundesgebiet angemessen zu würdigen sind.

Gerade in Fällen der vorliegenden Art drängt sich die Überlegung auf, ob das frühere Verhalten der Antragstellerin - auch in Ansehung spezial- und generalpräventiver Erwägungen - nicht auch in der Weise angemessen sanktioniert werden kann, dass die noch gültige Aufenthaltserlaubnis nur für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Eine Rücknahme nur für die Vergangenheit ist auch bei Aufenthaltstiteln möglich (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2005 - 1 C 9.04 -, NVwZ 2005, 1329 [1331]). An der Beseitigung eines rechtswidrigen Aufenthaltstitels kann ein öffentliches Interesse auch dann bestehen, wenn dieses nicht zugleich darauf gerichtet ist, dass der betroffene Ausländer Deutschland verlässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.05.1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298 [305]). Auf der Grundlage einer Ermessensabwägung hat die Ausländerbehörde dem entsprechend auch darüber zu entscheiden, ob die Rücknahme rückwirkend oder mit Wirkung für die Zukunft verfügt werden soll (vgl. Meyer, Befristungen nach dem Ausländergesetz und die allgemeinen Widerrufs- uns Rücknahmeregelungen, ZAR 2002, 13 [16]), sowie allgemein Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 RdNr. 113). Dabei ist zu berücksichtigten, dass sich auch bei einer Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis nur für die Vergangenheit für die Antragstellerin nachteilige aufenthaltsrechtliche Folgen ergeben, weil die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts in der Vergangenheit entfällt. Dieser Umstand gewinnt insbesondere dann Bedeutung, wenn es darum geht, eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG oder eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erhalten zu können.

Der Senat sieht allerdings keinen Grund, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nur hinsichtlich der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis für die Zukunft wiederherzustellen. Für einen Sofortvollzug der Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist ein besonderes öffentliches Interesse nicht dargelegt. Die Antragsgegnerin hat ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Rücknahmebescheids im Wesentlichen damit begründet, dass die Störung der öffentlichen Sicherheit in Gestalt des rechtswidrigen Besitzes eines Aufenthaltstitels nur dann Erfolg versprechend ausgeräumt werden könne, wenn eine eventuelle aufenthaltsbeendende Maßnahme sofort vollzogen werden könne. Die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis nur für die Vergangenheit begründet indes keine Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG, die vollzogen werden könnte. Zwar erlischt der Aufenthaltstitel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG im Fall seiner Rücknahme, allerdings nur im zeitlichen Umfang der Rücknahme. Die sonstigen Wirkungen der Rücknahme, insbesondere der Wegfall der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in der Vergangenheit, bestehen ungeachtet der aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 84 Abs. 2 AufenthG).

Die Entscheidung der Antragsgegnerin stellt sich auch nicht deshalb als ermessensfehlerfrei dar, weil der Befristungsantrag vom 23.09.2008 der Antragsgegnerin - aus welchen Gründen auch immer - im Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheids noch nicht vorlag und eine Befristungsentscheidung auf Grund des Antragserfordernisses deshalb erst auf der Grundlage des im Widerspruch gestellten Antrags getroffen werden konnte. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rücknahmeverfügung ist hier maßgeblich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20), nach dem bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung einheitlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, dieser Zeitpunkt auch für Entscheidungen über die Rücknahme von Aufenthaltstiteln maßgeblich ist, oder ob insoweit (weiterhin) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung - also des Widerspruchsbescheids - abzustellen ist (so NdsOVG, Urt. v. 10.09.2008 - 13 LB 82/07 -, Juris). Steht nämlich - wie hier - die Widerspruchsentscheidung noch aus, kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (vgl. Beschl. d. Senats v. 18.10.2006 - 2 M 234/06 -, Juris, m. w. Nachw.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., RdNr. 870).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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