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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 11.08.2004
Aktenzeichen: 2 M 154/03
Rechtsgebiete: LSA-KAG, AO, BGB, GG


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 I 1
LSA-KAG § 6 VI 1
LSA-KAG § 6 VIa
LSA-KAG § 13 I Nr. 2 b
LSA-KAG § 13 I Nr. 4 b
AO § 38
AO § 170 I
BGB § 242
GG Art. 20 III
GG Art. 31
1. Bis zum 21.04.1999 (In-Kraft-Treten der Rechtsänderung zu § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA) entstand die sachliche Beitragspflicht, wenn die beitragsfähige Maßnahme tatsächlich beendet war, der Aufwand festgestellt werden konnte und eine wirksame Beitragssatzung die Verteilung ermöglichte. Die Satzung musste nicht bereits bei Beginn der Ausbauarbeiten vorliegen.

Die Rechtsänderung von 1999 hat keine Rückwirkung.

Die durch § 6 Abs. 6a KAG LSA im Jahr 2000 vorgenommene "authentische Interpretation" war verfassungswidrig.

2. Soweit § 13 KAG LSA auf die (bundesrechtliche) Abgabenordnung verweist, wird diese materiell zu Landesrecht; sie geht deshalb nicht nach Art. 31 GG anderen Bestimmungen des Kommunalabgaben-gesetzes vor.

3. Fehlte es bei Beginn der Ausbaumaßnahmen bis zum 21.04.1999 an einer wirksamen Satzung, so können sich die später aufgrund einer wirksamen Satzung herangezogenen Beitragspflichtigen nicht auf "Verwirkung" berufen. Rechte können nur verwirken, wenn sie zuvor entstanden waren.

4. Da das Kommunalabgabenrecht die Gemeinden seit 1991 ermächtigte, Beiträge zu erheben, konnten die Bürger aus dem Umstand, dass längere Zeit lang keine Satzung bestand, nicht herleiten, der satzungslose Zustand werde fortdauern.

5. Die Forderung der Beitragsschuld kann allenfalls verwirkt werden, wenn die Gemeinde besondere Tatsachen gesetzt hat - wie die Erklärung eines Vorausverzichts -, welche nach den Grundsätzen von Treu und Glauben den gerechtfertigten Eindruck haben entstehen lassen, Beiträge würden für eine bestimmte Maßnahme nicht erhoben werden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 154/03

Datum: 11.08.2004

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen den angegriffenen Beitragsbescheid zu Recht abgelehnt, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheids bestehen. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass die Festsetzungsverjährung im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses noch nicht eingetreten war. Die vierjährige Verjährungsfrist des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b) des Kommunalabgabengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 405) - KAG-LSA 1996 - beginnt nach der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG LSA 1996 entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 170 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Abgabe entstanden ist. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Beschl. v. 04.11.1999 - B 2 S 433/99 -, VwRR MO 2000, 26), entstand im Straßenausbaubeitragsrecht in Sachsen-Anhalt nach der bis zum 21.04.1999 geltenden Rechtslage die sachliche Beitragspflicht, wenn eine beitragsfähige Maßnahme tatsächlich beendet war, der Aufwand festgestellt werden konnte und eine wirksame Beitragssatzung ermöglichte, den Aufwand auf die bevorteilten Grundstücke umzulegen; dabei war es unerheblich, ob die maßgebliche Satzung vor oder nach Beendigung der Ausbaumaßnahme wirksam geworden war, weil der Gesetzgeber keine bestimmte Reihenfolge zwischen der Beendigung des technischen Ausbaus und dem In-Kraft-Treten der Satzung vorgeschrieben hatte. Mit § 6 Abs. 6 Satz 1 der am 22.04.1999 in Kraft getretenen Novelle des Kommunalabgabengesetzes vom 15.04.1999 (LSA-GVBl. 1999, S. 150) - KAG LSA 1999 - hat der Gesetzgeber diese Rechtslage zwar geändert und geregelt, dass die Beitragspflicht nur entsteht, wenn vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme eine Satzung vorliegt. Auf den vorliegenden Fall findet diese Neuregelung aber keine Anwendung, weil sie nur mit Wirkung für die Zukunft gilt (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 04.11.1999, a. a. O.; Urt. v. 16.12.1999 - A 2 S 335/98 -, VwRR MO 2000, 103; Beschl. v. 12.04.2002 - 2 L 153/01 -). Die in § 6 Abs. 6a des Änderungsgesetzes vom 15.08.2000 (LSA-GVBl., S. 526) - KAG LSA 2000 - vorgenommene "authentische Interpretation" hat hieran im Ergebnis nichts geändert, nachdem das Landesverfassungsgericht diese Regelung für nichtig erklärt hat (vgl. Urt. v. 15.01.2002 - LVG 3,5/01 -, LKV 2002, 328 ff.). War also - wie hier - die Ausbaumaßnahme bereits vor dem 22.04.1999 beendet und lag zu diesem Zeitpunkt eine wirksame Beitragssatzung vor, hindert § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1999 nicht das Entstehen der Beitragspflicht (OVG LSA, Beschl. v. 12.04.2002, a. a. O.).

Der Einwand der Antragsteller, durch die den Gemeinden eingeräumte Möglichkeit, auch nach Beendigung einer Ausbaumaßnahme eine Beitragssatzung zu erlassen, werde "auf kommunaler Ebene Bundesrecht ausgehebelt", trägt schon deshalb nicht, weil die bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 169 ff. AO über die Festsetzungsverjährung nicht unmittelbar gelten, sondern über die landesrechtliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG LSA 1996 nur entsprechende Anwendung finden, soweit das KAG LSA 1996 oder andere Bundes- oder Landesgesetze keine besonderen Vorschriften enthalten. Unabhängig davon treffen die Vorschriften der §§ 169 ff. AO gerade keine Aussage darüber, wann die sachliche Beitragspflicht entsteht. Lediglich § 38 AO, der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) KAG LSA 1996 für Kommunalabgaben ebenfalls entsprechend gilt, enthält eine allgemeine Regelung über das Entstehen der Abgabeschuld, bestimmt aber nur, dass Ansprüche aus dem Abgabeschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist indessen - wie bereits dargelegt - in § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA 1996 als der insoweit maßgeblichen gesetzlichen Vorschrift geregelt. Die Fälligkeit der Beitragsschuld, die von den Antragstellern ins Feld geführt wird, ist für den Beginn der Festsetzungsverjährung indessen ohne rechtliche Bedeutung. Soweit die Antragsteller geltend machen, die Satzung könne zulässigerweise nur innerhalb der Verjährungsfrist erlassen werden, kann dies schon deshalb nicht zutreffen, weil nach den dargelegten Grundsätzen die Festsetzungsverjährung überhaupt erst beginnen kann, wenn eine wirksame Satzung vorliegt.

Die Beitragsforderung der Antragsgegnerin ist auch nicht verwirkt. Da ein Recht grundsätzlich erst verwirkt werden kann, wenn es entstanden ist, scheidet eine Verwirkung in aller Regel aus, solange es an einem Recht der Gemeinde fehlt, einen Beitrag zu erheben (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.05.1975 - BVerwG IV C 73.73 -, BVerwGE 48, 247 [250]; VGH BW, Beschl. v. 27.11.1989 - 2 S 2097/89 -, VBlBW 1990, 306 [307]). Solange die Antragsgegnerin noch über keine wirksame Straßenausbaubeitragssatzung verfügte, war sie rechtlich gehindert, Beiträge zu erheben. Zwar mögen schon vor Entstehen des Rechts im Einzelfall besondere Umstände eintreten können, die nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben einem Beitragsanspruch entgegengesetzt werden können; derartige Umstände mögen in einem bestimmten Verhalten der Gemeinde - etwa der Abgabe einschlägiger Erklärungen - begründet sein, die den Abgabepflichtigen in einer Zeit, zu der die Gemeinde einen Beitragsbescheid noch nicht erlassen darf, gleichwohl berechtigten Anlass gibt, auf die spätere Nichterhebung von Beiträgen zu vertrauen (BVerwG, Urt. v. 23.05.1975, a. a. O.). Solche Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Antragsgegnerin bei Durchführung der streitigen Ausbaumaßnahme im Jahr 1992 noch über keine Straßenausbaubeitragssatzung verfügte, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen dahin gehend entstehen lassen, die Antragsgegnerin werde für bereits begonnene oder abgeschlossene Ausbaumaßnahmen keine Beiträge mehr erheben (vgl. VGH BW, Beschl. v. 27.11.1989, a. a. O.). Nachdem das Kommunalabgabengesetz in der ursprünglichen Fassung vom 13.06.1991 (LSA-GVBl., S. 105) - KAG LSA 1991 -, das erstmals eine Beitragserhebung in Sachsen-Anhalt ermöglichte, am 15.06.1991 in Kraft getreten war, mussten die Antragsteller damit rechnen, dass die Antragsgegnerin eine Beitragssatzung erlassen und für die in Rede stehende Maßnahme Beiträge erheben würde. Allenfalls ein ausdrücklicher und wirksam erklärter Vorausverzicht könnte eine Gemeinde daran hindern, von ihrem Beitragserhebungsrecht aufgrund einer nachträglich erlassenen gültigen Beitragssatzung Gebrauch zu machen (BVerwG, Urt. v. 21.10.1983 - BVerwG 8 C 174.81 -, NJW 1984, 2113; VGH BW, Beschl. v .27.11.1989, a. a. O.). Es ist aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragsgegnerin einen solchen Vorausverzicht erklärt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]). In Streitigkeiten, die - wie hier - auf bezifferte Geldleistungen gerichtete Verwaltungsakte betreffen, ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes anzusetzen (vgl. Abschnitt I. Nr. 7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Januar 1996, DVBl. 1996, 606).

Ende der Entscheidung

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