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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 04.07.2007
Aktenzeichen: 2 M 171/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 113
StGB § 130
StGB § 185
Bei mehrdeutigen Äußerungen ist der zur Bejahung des Straftatbestandes (hier: §§ 130 und 185 StGB) führenden Deutung nur dann der Vorzug zu geben, wenn andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2002, - 1 BvR 232/97 - NJW 2003, 599).
Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Die vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts durfte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Verwendung der streitgegenständlichen Aufschrift ("Nur ein Toter Bull ist ein Guter Bull - BSE") auf seinem PKW nicht untersagen, weil diese keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 13 SOG LSA darstelle, insbesondere weder den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) noch den der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfülle. Die dagegen vorgebrachten Einwände führen nicht zum Erfolg.

Den Tatbestand der Beleidigung hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung verneint, der zitierte Ausspruch ziele nicht auf konkrete Polizeibeamte, sondern nur auf die Polizei in ihrer Gesamtheit; diese sei jedoch keine beleidigungsfähige Personengesamtheit, und der Inhalt des Aufklebers stelle auch keine Beleidigung aller Polizeibeamten unter einer Kollektivbezeichnung dar (vgl. BayObLG, Urt. v. 22.12.1989 - RReg. 1 St 193/89 - NJW 1990, 1742). Die Antragsgegnerin macht hiergegen geltend, der Ausspruch ziele nicht nur auf die gesamte Polizei bzw. alle Polizisten, sondern treffe je nach der konkreten Situation auch einzelne Beamte vor Ort, etwa dann, wenn der Antragsteller seinen PKW vor einem Polizeirevier oder in der Nähe einer Verkehrskontrolle abstelle und damit seinen Unmut gerade gegenüber den Beamten vor Ort zum Ausdruck bringe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) gilt zwar nicht vorbehaltlos, sondern findet seine Schranken in dem Recht der persönlichen Ehre, zu dem auch § 185 StGB gehört. Doch ist diese Vorschrift wiederum im Licht des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte auch auf der Ebene der Auslegung und Anwendung des Strafrechts Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.09.1993 - 1 BvR 584/93 - NZV 1994, 486). Bei der rechtlichen Würdigung einer Äußerung, die mehrere Deutungen zulässt, dürfen die Gerichte sich deshalb nur dann für die zur Bestrafung führende entscheiden, wenn sie die anderen Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausschließen. Das gilt auch bei diskriminierenden Äußerungen gegenüber der Polizei, bei denen die Verwirklichung des Tatbestandes der Beleidigung davon abhängt, ob die Äußerung den tätigen Beamten vor Ort oder lediglich der Polizei insgesamt gegolten hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.09.1993 - a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze lässt sich die Gefahr einer (auch künftigen) Verwirklichung des § 185 StGB nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen. Die streitgegenständliche Äußerung ist für sich genommen - wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat - nicht gegen konkrete Polizeibeamte, sondern allenfalls gegen die Polizei insgesamt gerichtet. Eine andere Deutung kann zwar nach den Umständen des Einzelfalles gerechtfertigt sein, etwa wenn der Antragsteller bei einem Polizeieinsatz seinen PKW gezielt und demonstrativ so abstellt, dass der zitierte Ausspruch erkennbar gerade auf die Dienst tuenden Beamten gerichtet ist. Lässt sich aber ein solcher Individualbezug nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, ist im Zweifel eine andere Deutung vorzugswürdig. Das gilt auch für die von der Antragsgegnerin angeführten Beispiele (Abstellen des PKW vor einem Polizeirevier oder in der Nähe einer Polizeikontrolle). Die Deutungspräferenz zugunsten des rechtmäßigen Verhaltens gilt auch im Rahmen der Prüfung des § 13 SOG LSA. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Vorschrift lässt sich deshalb nicht schon damit begründen, dass eine provozierende Meinungsäußerung, die als solche den Schutz des Art. 5 GG genießt, in zukünftig möglichen Einzelfällen bei Hinzutreten weiterer Umstände allein die Deutung einer Beleidigung zulässt.

Die Antragsgegnerin kann mit ihren Einwänden auch insoweit nicht durchdringen, als das Verwaltungsgericht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit Blick auf den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) verneint hat. Nach § 130 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, - 1. - zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder - 2. - die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Ebenso wie § 185 StGB ist auch § 130 StGB eine Vorschrift, die die Meinungsfreiheit einerseits beschränkt, andererseits aber auch im Lichte dieses Grundrechts auszulegen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2002 - 1 BvR 232/97 - NJW 2003, 599; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 130 RdNr. 12a). Bei mehrdeutigen Äußerungen ist daher auch im Rahmen des § 130 StGB der zur Bejahung des Straftatbestandes führenden Deutung nur dann der Vorzug zu geben, wenn andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.2002, a.a.O.). Ein solcher Deutungsausschluss ist hier indessen auch mit Blick auf § 130 StGB nicht möglich.

Aussagen nach dem Muster "Nur ein toter (x) ist ein guter (x)" begegnen (insbesondere im Internet) unter Verwendung verschiedenster Konstanten und in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, sei es im Rahmen von Zeitschriftenartikeln, privaten Kommentaren oder auch als Titel eines (verfilmten) Bestsellerromans. Ihre Bedeutung ist nicht nur von der Konkretisierung der Variablen, sondern auch vom jeweiligen Zusammenhang der Äußerung, der Art der Darstellung, der Person des Äußernden, des geschichtlichen Hintergrundes und weiterer Umstände abhängig und eröffnet daher regelmäßig eine große Deutungsvielfalt. Die Deutung kann zu dem Ergebnis führen, dass Äußerungen nach dem genannten Muster als völlig harmlos, unter Umständen aber auch als im Sinne des § 130 StGB zum Hass aufstachelnd oder in sonstiger Weise volksverhetzend einzustufen sind. Eine sachgerechte Deutung lässt sich deshalb auch nicht einfach dadurch herbeiführen, dass - wie es die Antragsgegnerin vorgeschlagen hat - die Variable (x) durch andere als die vorliegende Konstante ersetzt und daraus ohne weiteres auf die strafrechtliche Relevanz des streitgegenständlichen Ausspruches geschlossen wird.

Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der genannten Rechtsprechungsgrundsätze lässt sich die streitgegenständliche Äußerung jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit unter § 130 StGB subsumieren, so dass im Ergebnis anderen Deutungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben ist. Das gilt bereits für die Verwendung des Begriffes "Bull" in Verbindung mit dem Zusatz "BSE". Es kann in der Tat nicht ausgeschlossen werden, dass der solchermaßen zusammengesetzte Ausspruch in erster Linie, wenn auch unter bewusster Inkaufnahme von "Fehldeutungen", eine ironisch-sarkastische Auseinandersetzung mit der Rinderkrankheit BSE darstellt, wobei möglicherweise zugleich auf ähnliche Zitate wie etwa das des besagten Bestsellerromans angespielt werden soll. Bei einer solchen Auslegung, die sich jedenfalls nicht durch die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Argumente ausschließen lässt, ist aber ein volksverhetzender Charakter des Ausspruchs zu verneinen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO (Kosten) und auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG (Streitwert).

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