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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 2 M 172/07
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 123
AufenthG § 18
AufenthG § 39
1. Regelmäßig kommt die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Wege der einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, weil dies eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde.

2. Für die Frage, ob das "erforderliche" Visum vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer bei der Einreise irgendein Visum, sondern das Visum eingeholt hatte, das den jetzigen Aufenthaltszweck und die angestrebte Aufenthaltsdauer abdeckt.

3. Bei der ersten Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG muss es sich um einen strikten Rechtsanspruch handeln; die Fälle der Ermessensreduzierung auf "Null" fallen nicht darunter (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.07.2007 - 2 M 170/07 -, m. w. Nachw.).

4. Der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 10.10.2006 - 2 M 294/06 -, Juris, m. w. Nachw.) nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu. Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und ist demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus. Aus diesem Grund scheitert regelmäßig ein Anordnungsgrund, und zwar unabhängig davon, wie der Antrag nach § 123 VwGO formuliert ist.

5. Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist nur in besonderen Fällen geboten, etwa wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumsverfahrens zu unterbrechen.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet; denn die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt. Es kann allerdings dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach §§ 18, 39 AufenthG vorliegen.

Soweit der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, kann der Antrag schon deshalb keinen Erfolg haben, weil dies eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde, die nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist (vgl. hierzu Kopp/Schnke, VwGO, 14. Aufl., § 123 RdNrn 13 ff.). Eine derartige Ausnahme kann geboten sein, wenn der Rechtsschutzsuchende eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann oder für ihn ohne eine den geltend gemachten Anspruch vorab befriedigende Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage sein würde (vgl. zur Aufenthaltserlaubnis: OVG Hamburg, Beschl .v 25.11.2003 - 2 Bs 217/03 -; Juris). Derartige Umstände fehlen hier. Der Einwand des Antragstellers, im Fall der Nichterteilung der Aufenthaltserlaubnis drohe ihm der Verlust des bestehenden Arbeitsverhältnisses bei der Firma EDEKA, verfängt schon deshalb nicht, weil nicht erkennbar ist, weshalb im Fall eines Erfolgs im Hauptsacheverfahren eine Neueinstellung des Antragstellers nicht möglich sein sollte. Der Antragsteller hat selbst vorgetragen, bereits bei früheren Aufenthalten in Deutschland habe sich herausgestellt, dass es für die von ihm erlernte Tätigkeit als Obst- und Gemüseschnitzer einen Bedarf in Verkaufsmärkten der EDEKA-Gruppe gegeben habe.

Die Vorwegnahme der Hauptsache ist zudem nur zulässig, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. KoppSchenke, a. a. O., RdNr. 14). So liegt es hier aber nicht.

Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung nach § 42 oder zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Da die vom Antragsteller ausgeübte Tätigkeit als "Obst- und Gemüseschnitzer" keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, darf gemäß § 18 Abs. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn dies durch zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist oder wenn auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 42 die Erteilung der Zustimmung zu einer Aufenthaltserlaubnis für diese Beschäftigung zulässig ist. Eine solche zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heimatstaat des Antragstellers, der Dominikanischen Republik, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Nach § 17 Abs. 1 der auf der Grundlage des § 42 AufenthG ergangenen Verordnung über die Zulassung von neueinreisenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung vom 22.11.2004 (BGBl I 2937) - BeschV - kann die Bundesagentur für Arbeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Beschäftigung, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, nur nach den Vorschriften dieses - zweiten - Abschnitts gemäß § 39 AufenthG zustimmen.

Auch wenn - wie der Antragsteller geltend macht - die Tätigkeit eines Obst- und Gemüseschnitzers von § 23 Nr. 1 BeschV (künstlerische oder artistische Beschäftigung oder Beschäftigung als Hilfspersonal, das für die Darbietung erforderlich ist), erfasst und deshalb die Erteilung ein Zustimmung möglich sein sollte, wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht kommen; denn der Antragsteller ist ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Für die Frage, ob das "erforderliche" Visum vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer bei der Einreise irgendein Visum, sondern das Visum eingeholt hatte, das den jetzigen Aufenthaltszweck und die angestrebte Aufenthaltsdauer abdeckt (vgl. VGH BW, Beschl. v. 30.03.2006 - 13 S 389/06 -, InfAuslR 2006, 323, m. w. Nachw.; SaarlOVG, Beschl. v. 18.11.2005 - 2 W 21/05 -, Juris; Hailbronner, a. a. O., § 5 RdNr. 54). Dies ist hier nicht der Fall. Für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder für einen Aufenthalt im Bundesgebiet für länger als drei Monate bedurfte der Antragsteller als Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik eines entsprechenden (nationalen) Visums mit vorheriger Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde (vgl. § 6 Abs. 4 AufenthG, §§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, 39 bis 41 AufenthV i. V. m. Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001). Der Antragsteller ist indes nicht mit dem für eine Erwerbstätigkeit "erforderlichen" Visum, sondern lediglich mit einem "Schengen-Visum" nach § 6 Abs. 1 bis 3 AufenthG für Besuchs- und Geschäftsreisen nach Deutschland eingereist. Das ihm erteilte Besuchsvisum enthielt im Übrigen den ausdrücklichen Vermerk "Erwerbstätigkeit nicht gestattet". Die Frage, ob der Ausländer dann mit dem "erforderlichen" Visum eingereist ist, wenn sich der Aufenthaltszweck und/oder die Aufenthaltsdauer nach der Einreise ändern und der Ausländer die dafür sprechenden Umstände plausibel geltend macht (so Hailbronner, a. a. O., RdNrn. 50, 64), ist hier nicht von Belang. Ein Ausländer, der nicht von der Visumspflicht befreit ist, ist jedenfalls dann ohne das "erforderliche" Visum eingereist, wenn er bereits bei der Einreise einen durch das Visum nicht abgedeckten längeren Aufenthalt und/oder Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Deutschland anstrebt (Hailbronner, a. a. O., § 5 RdNrn. 51, 53). So liegt es hier. Der Antragsteller hat vorgetragen, nachdem sich in Verkaufsmärkten der EDEKA-Gruppe ein Bedarf für seine Tätigkeit als Obst- und Gemüseschnitzer gezeigt habe, habe er im August 2006 in Santo Domingo die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis beantragt, welche ihm jedoch unverzüglich verweigert worden sei; daraufhin habe er im September 2006 die Erteilung eines Besuchervisums beantragt.

Von der vorherigen Einholung eines Visums kann zwar nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs gegeben sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Bei der ersten Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG muss es sich um einen strikten Rechtsanspruch handeln; die Fälle der Ermessensreduzierung auf "Null" fallen nicht darunter (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.07.2007 - 2 M 170/07 -, m. w. Nachw.). Dem Antragsteller stünde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 und 3 AufenthG nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu, der selbst bei einer Ermessensreduzierung auf "Null" einem Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleichzusetzen wäre. Es sind auch keine besonderen Umstände vorgetragen oder sonst erkennbar, die die Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen lassen. Die vom Antragsteller vorgetragene drohende Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma EDEKA genügt aus den bereits dargelegten Gründen ebenso wenig wie der Umstand, dass ihm bei einer Wiedereinreise (Mehr-)Kosten entstehen; zumal er nach seinem Vortrag innerhalb der letzten beiden Jahre die mehrmalige Ein- und Ausreise finanzieren konnte. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem vom Antragsteller im Schriftsatz vom 12.02.2007 ferner gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung "seines Widerspruchs bzw. seiner Klage" gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nicht befasst. Da der Antragsteller dies in seiner Beschwerde nicht angreift, bedarf es keiner Entscheidung, ob ein solcher Antrag zulässig gewesen wäre, weil sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hatte.

Die Beschwerde hat auch insoweit keinen Erfolg, als der Antragsteller begehrt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, ihn bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht abzuschieben. Insoweit ist bereits ein Anordnungsgrund zu verneinen. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, seine Abschiebung sei wegen rechtlicher Unmöglichkeit auszusetzen. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Beschl. v. 10.10.2006 - 2 M 294/06 -, Juris, m. w. Nachw.), kommt der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. zu § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 35 [43]). Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und ist demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen darüber hinaus auch die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus; denn die Erteilung einer Duldung widerspräche der in den genannten Vorschriften zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren (vgl. OVG NW, Beschl. v. 11.01.2006 - 18 B 44.06 - AuAS 2006, 144; Beschl. v. 07.06.2004 - 18 B 596/04 - Juris; OVG Berlin, Beschl. v. 26.11.2003 - 6 S 343.03 -, Juris). Aus diesem Grund scheitert regelmäßig ein Anordnungsgrund, und zwar unabhängig davon, wie der Antrag nach § 123 VwGO formuliert ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 81 RdNr. 51; OVG BBg, Beschl. v. 28.02.2006 - 7 S 65.05 -, Juris, m. w. Nachw.). Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist nur in besonderen Fällen geboten, etwa wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumverfahrens zu unterbrechen (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 -; Juris, m. w. Nachw). Eine solche Unzumutbarkeit ist hier aber - wie bereits dargelegt - nicht erkennbar.

Unabhängig davon ist aus den bereits genannten Gründen auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Ein Reduzierung des Streitwerts im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hält der Senat nicht für angemessen, weil der Antragsteller die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt hat, was eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 [NVwZ 2004, 1327]).

Ende der Entscheidung

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