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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 01.02.2006
Aktenzeichen: 2 M 215/05
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 6
AufenthG § 60
AufenthG § 60a
1. Auch nach In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, dass die beabsichtigte Ehe mit einem deutschen Ehepartner nur dann sog. Vorwirkungen des Art. 6 GG haben kann, wenn mit einem positiven Abschluss des standesamtlichen Eheschließungsverfahrens zu rechnen ist und der Termin der Eheschließung alsbald bevorsteht.

2. Genitalverstümmelung kann eine geschlechtsspezifischen Verfolgung iSv § 60 Abs. 1 und 3 AufenthG darstellen.

3. Beruft sich ein Ausländer gegenüber der Ausländerbehörde auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, so beschränkt sich die Prüfung der Ausländerbehörde darauf, ob das Bundesamt eine solche Verfolgung formal festgestellt hat; eine darüber hinaus gehende materielle Prüfungsbefugnis hat die Ausländerbehörde nicht.

Eine andere Beurteilung kommt nur dann in Betracht, wenn der Ausländer nach seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würde.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 215/05

Datum: 01.02.2006

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten>.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. In Anlehnung an Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.) bemisst der Senat die sich aus dem Antrag der Antragsteller für sie ergebende Bedeutung der Sache mit 2.500,- € pro Person. Im vorläufigen Rechtsschutz ist dieser Betrag zu halbieren. Eine Vorwegnahme der nun Hauptsache, die den vollen Streitwert rechtfertigen könnte, ist mit der Vollzugsfolgenbeseitigung nicht verbunden.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Die von der Antragstellerin innerhalb der Beschwerdefrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die begehrte vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vom 30.07.2004 (BGBl I 1950).

1. Nach § 60a Abs. 2 AufenthG ist zwar die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Die Abschiebung der Antragstellerin ist nicht im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG rechtlich unmöglich. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zwar unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung angenommen, dass sich aus Art. 6 GG zum Schutz von Ehe und Familie rechtliche Verbote für eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung ergeben können. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass mit Hilfe einer Duldung die Abschiebung nur zeitweise ausgesetzt werden kann, während der Nachzug von Familienangehörigen in der Regel dauerhaft besteht. Der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) kommt daher nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.08.2005 - 2 M 65/05 -, m. w. Nachw. sowie zu § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 35 [43]). Die Frage, ob gegebenenfalls auch eine längerfristige Trennung von Familienangehörigen im Hinblick auf Art. 6 GG zulässig ist, ist daher grundsätzlich im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nachzugehen, das in der Regel nicht vom Inland aus betrieben werden kann (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, II § 60a RdNr. 87).

Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist allerdings dann geboten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen überhaupt zu unterbrechen, und zwar auch nicht nur vorübergehend für die Dauer eines - dann vom Ausland zu betreibenden - Visumsverfahrens; für diesen Fall muss eine Prognose über die voraussichtliche Dauer des Verfahrens angestellt und mit dem Gewicht der Folgen einer Trennung abgewogen werden (vgl. Funke-Kaiser, a. a. O.). Von einer solchen Unzumutbarkeit kann hier indes nicht ausgegangen werden.

Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Insbesondere begründet der Umstand, dass die Antragstellerin mit einem Deutschen verlobt und zur alsbaldigen Eheschließung mit diesem gewillt ist, entgegen dem Beschwerdevorbringen keinen rechtlichen Unmöglichkeitsgrund im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG.

Der Senat hat auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 AuslG in ständiger Rechtsprechung vertreten, ein Verlöbnis und eine bloß beabsichtigte Eheschließung lösten noch keinen Anspruch auf Duldung aus. An dieser Rechtsprechung (vgl. hierzu die folgenden Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 07.06.2004 - 2 M 359/04) hält er auch auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 AufenthG fest:

"In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Verlöbnis (§ 1297 BGB) mit einem Deutschen nicht den aufenthaltsrechtlichen Schutz auslöst, der sich für ausländische Ehegatten Deutscher aus Art. 6 Abs. 1 GG herleitet. Es beeinträchtigt grundsätzlich auch nicht die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit, wenn dem Ausländer eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis in Fällen versagt wird, in denen der Zeitpunkt der geplanten Eheschließung völlig ungewiss ist. In diesen Fällen ist die Eheschließungsfreiheit in der Regel gewahrt, wenn dem Ausländer das kurzfristige Betreten des Geltungsbereichs des Ausländergesetzes zum Zwecke der Eheschließung ermöglicht wird. Erst nach der Eheschließung mit dem deutschen Staatsangehörigen hat der Ausländer, wenn die Ehe im Geltungsbereich des Ausländergesetzes geführt werden soll, Anspruch darauf, dass ihm der Aufenthalt erlaubt wird (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit: Beschl. v. 02.10.1984 - BVerwG 1 B 114.84 - InfAuslR 1985, 130, m. w. N.).

Eine ernsthaft beabsichtigte Eheschließung kann ein einer Ausreiseverpflichtung entgegenstehendes zeitweiliges Bleiberecht eines Asylbewerbers für die Dauer seines Eheschließungsverfahrens begründen (BVerfG, Beschl. v. 16.05.1979 - 1 BvR 442/79 -), weil Art. 6 Abs. 1 GG auch das Recht schützt, eine Ehe zu schließen und das Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG bei Aufenthaltsentscheidungen mit zu würdigen ist (BVerfG, Beschl. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 - BVerfGE 31, S.58). Dieses Bleiberecht hebt die Ausreiseverpflichtung für einen Zeitraum auf, den üblicherweise das standesamtliche Verfahren bei einer Eheschließung braucht (Beschl. des Senats v. 22.11.1993 - 2 M 50/93 -; im Anschluss an BayVGH, Beschl. v. 11.03.1987 - Nr. 5 B 86.00226 -). Deshalb darf eine Behörde eine Abschiebung nicht durchsetzen und dem Antragsteller ist eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, wenn die Eheschließung sicher erscheint und unmittelbar bevorsteht (ständige Rechtsprechung des Senats seit: Beschl. v. 22.11.1993, a. a. O.). Dies setzt aber voraus, dass mit einem positiven Abschluss des standesamtlichen Eheschließungsverfahrens zu rechnen ist und der Termin der Eheschließung alsbald bevorsteht (Beschl. v. 27.07.1995 - 2 M 17/95 -)."

Die o. g. Voraussetzungen sind entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht erfüllt. Weder haben die Antragstellerin und ihr Verlobter schon sämtliche Unterlagen beim Standesamt eingereicht noch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht noch ist es ersichtlich, dass ein Termin der Eheschließung alsbald bevorsteht.

2. Soweit die Antragstellerin weiterhin geltend macht, bei Rückkehr in die Elfenbeinküste drohe ihr eine lebensgefährdende Klitorisbeschneidung, führt dies ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.

Damit macht sie der Sache nach geltend, es liege ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) wegen politischer Verfolgung vor. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (Satz 1). Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft (Satz 3). Die Verfolgung kann ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter lit. a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (Satz 4). Die Anforderungen an die notwendige Verfolgungsprognose sind insoweit deckungsgleich mit Art. 16 a GG. Hiernach ist darauf abzustellen, ob jemand "in absehbarer Zeit" mit gegen ihn gerichteten Maßnahmen ernsthaft rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteile vom 31.03.1981, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 27, und vom 27.04.1982, BVerwGE 65, 250).

Eine drohende Genitalverstümmlung kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG darstellen.

Ob die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr in die Elfenbeinküste tatsächlich geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 3 AufenthG zu gewärtigen hätte, kann in diesem Beschwerdeverfahren indes nicht geklärt werden. .

Die Entscheidung der Frage, ob ein Ausländer politisch verfolgt ist, obliegt nämlich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG allein dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Beruft sich daher ein Ausländer gegenüber der auf einen Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, so beschränkt sich die Prüfung der darauf, ob das Bundesamt eine solche Verfolgung formal festgestellt hat; eine darüber hinaus gehende materielle Prüfungsbefugnis hat die nicht (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 05.12.2000 - 3 BS 34/00 -, SächsVBl 2001, 120; OVG NW, Urt. v. 24.02.1992 - 18 A 1262/91.A -, NWVBl 1992, 294). Die ist an die negative Statusfeststellung ebenso gebunden wie bei Bundesamtsentscheidungen, die sich auf Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG bzw. Abschiebungsverbote im Sinn des § 60 Abs 2 bis 7 AufenthG beziehen (VGH BW, Beschl. v. 15.07.2005 - 13 S 1103/05 -, Juris). Da das Bundesamt in den ablehnenden (nach erfolglosem verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestandskräftigen) Bescheiden vom 30.11.1999 festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen, konnte der Antragsgegner diesbezüglich kein Abschiebungshindernis annehmen.

Etwas anders ergibt sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Mit der (bestandskräftigen) Ablehnung des Asylbegehrens der Antragstellerin wurde nämlich zugleich festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Damit gilt für die Antragstellerin die auf Dauer angelegte Feststellung des Bundesamts über das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG fort; eine Änderung dieser Entscheidung, für die ausschließlich das Bundesamt zuständig wäre, liegt nicht vor. Auch diese Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entfaltet gemäß § 42 Satz 1 AsyVfG Bindungswirkung für die Ausländerbehörden (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 07.09.1999 - BVerwG 1 C 6.99 -, NVwZ 2000, 204; Urt. v. 21.09.1999 - BVerwG 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206).

Eine andere Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn die Antragstellerin nach ihrer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würden (vgl. Beschl. d. Senats v. 12.04.2005 - 2 M 68/05 -; OVG B-Stadt, Beschl. v. 02.04.2003 - 3 Bs 439/02 -, NordÖR 2003, 414, m. w. Nachw.). Dafür trägt die Beschwerdeschrift indes nichts vor. Sie verweist lediglich pauschal auf das "Update" der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 13.10.2005 - ELF00062138 - darin wird zur Frage der Genitalverstümmlung von Frauen in der Elfenbeinküste Folgendes ausgeführt:

"Frauen und Mädchen. In den von Rebellen besetzten Gebieten sind Frauen sexueller Ausbeutung und Vergewaltigung durch Rebellen ausgesetzt. Immer jüngere Mädchen werden zur Prostitution gezwungen, insbesondere in der Stadt Bouaké. Frauen sind gefährdet, Opfer von Genitalverstümmelung zu werden, vor allem in ländlichen Gegenden wie den Rebellengebieten im Norden und im Westen, in geringerem Ausmaß aber auch im Zentrum und Süden des Landes".

Die Beschwerdeschrift legt schon nicht dar, dass die Antragstellerin zur oben angesprochenen Gruppe von gefährdeten Frauen gehört.

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