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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 19.06.2006
Aktenzeichen: 2 M 216/06
Rechtsgebiete: LSA-SOG


Vorschriften:

LSA-SOG § 7 I
LSA-SOG § 36 I
LSA-SOG § 88 I 3
1. Die Polizei- oder Verwaltungsbehörde kann nach § 88 Abs. 1 Satz 3 SOG LSA im Einzelfall eine Platzverweisung gegenüber einer in ihrem Bezirk wohnenden Person auch auf Bereiche außerhalb ihres Bezirks erstrecken, wenn zu befürchten ist, dass diese Person (auch) an anderer Stelle im Land Sachsen-Anhalt die öffentliche Sicherheit gefährden wird. Sinn und Zweck dieser Regelung über die außerordentliche örtliche Zuständigkeit ist es, eine möglichst effektive Gefahrenabwehr zu erreichen.

2. Der im Rahmen des § 36 Abs. 1 SOG LSA erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Verwaltungs- und Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war; anhand dieses Tatsachenwissens muss aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer Gefahr bejaht werden können (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 14.06.2006 - 11 ME 172/06, m. w. Nachw.).

3. Zu einer Prognose der Sicherheitsbehörde, von einer Person, die bisher noch nicht im Zusammenhang von Gewalttätigkeiten bei Sportveranstaltungen in Erscheinung getreten ist, aber auf andere Weise eine "Gewaltaffinität" bekundet habe, gehe bei im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft stattfindenden "Public-Viewing-Veranstaltungen" eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 216/06

Datum: 19.06.2006

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers ist höher zu bewerten als das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der mit der angefochtenen Verfügung vom 06.06.2006 auferlegten Platzverweisung und der Meldeauflagen (§ 80 Abs. 5 VwGO); denn die Verfügung erweist sich nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig.

Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin sei für die Platzverweisung außerhalb ihres Stadtgebiets örtlich nicht zuständig. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 3 SOG LSA ist, wenn eine Gefahr, die sich in anderen Bezirken auswirkt, von einer Person verursacht wird, auch diejenige Sicherheitsbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die Person wohnt, sich aufhält oder ihren Sitz hat. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, eine möglichst effektive Gefahrenabwehr zu erreichen. Die Gefahr, dass gewaltbereite Personen im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören, lässt sich am effektivsten dadurch abwehren, dass die Sicherheitsbehörde am Wohnsitz oder Aufenthaltsort der jeweiligen Person tätig wird, da es mehrere sog. "Public-Viewing-Veranstaltungsorte" im Land Sachsen-Anhalt gibt. Zudem kann die Sicherheitsbehörde am Wohnort des (potenziellen) Störers die Meldeauflage und die Art und Weise ihrer Erfüllung am besten überwachen.

Das Verwaltungsgericht hat aber zu Recht angenommen, dass die angefochtene Platzverweisung - und damit auch die darauf beruhende Meldeauflage - aus materiellen Gründen aller Voraussicht nach keinen Bestand haben wird.

Nach § 36 Abs. 1 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten des Ortes verbieten. Die Platzverweisung ist nur zulässig zur Abwehr einer im Einzelfall dem Adressaten zuzurechnenden konkreten Gefahr (vgl. Meixner/Martell, SOG LSA, 2. Aufl., § 36 RdNr. 9). Dies setzt eine Sachlage voraus, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (§ 3 Nr. 3a) SOG LSA). Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Verwaltungs- und Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war; anhand dieses Tatsachenwissens muss aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer Gefahr bejaht werden können (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 14.06.2006 - 11 ME 172/06, m. w. Nachw.).

Bei Anlegung dieses Maßstabs liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Antragsteller als Verhaltensstörer nach § 7 Abs. 1 SOG LSA im Zusammenhang mit der zurzeit in Deutschland stattfindenden Fußballweltmeisterschaft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Nach den - im Bescheid vom 07.06.2006 aktualisierten - Erkenntnissen der Antragsgegnerin sind zwar gegen den Antragsteller in der Vergangenheit Strafverfahren eingeleitet worden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht aber darauf hingewiesen, dass diese Straftaten in keinerlei Zusammenhang zu Sportveranstaltungen standen. Dies liegt hinsichtlich der Verfahren wegen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz und wegen Computerbetrugs ohne weiteres auf der Hand. Hinsichtlich des Vorwurfs des Computerbetrugs ist der Antragsteller im Übrigen mit Urteil des Jugendrichters des Amtsgerichts Schwerin vom 17.01.2006 freigesprochen worden. Aber auch soweit die Antragsgegnerin auf den "Altbestand von 2000-2002" verweist, der aus der (dem Senat nicht vorgelegten) Kriminalakte ersichtlich sei und aus der sich Einträge wegen Körperverletzung und Erpressung ergeben sollen, lässt sich der erforderliche Bezug zu Gewaltdelikten bei Sportveranstaltungen nicht erkennen. Den fehlenden Bezug stellt letztlich auch die Antragsgegnerin nicht in Abrede. Sie macht lediglich geltend, die Gefahr, dass der Antragsteller nunmehr auch anlässlich der Fußballweltmeisterschaft gewalttätig werde, ergebe sich aus einer Gesamtschau der vom Antragsteller in der Vergangenheit bereits bekundeten Gewaltbereitschaft und seiner Anwesenheit bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen "ausgewählten Angehörigen der Türsteher-, Rocker-, und Hooliganszene" am 27.11.2005 zwischen den Orten B. und M. (Brandenburg). Dem vermag sich der Senat indes nicht anzuschließen.

Zweifelhaft ist bereits, ob sich aus den von der Antragsgegnerin herangezogenen "Altdelikten" eine solche (allgemeine) "Gewaltaffinität" des Antragstellers herleiten lässt. In seinem Widerspruch hat der Antragsteller vorgetragen, es seien (nur) Strafverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (Schießen mit einem Luftdruckgewehr am 26.07.2000) und wegen gefährlicher Körperverletzung im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung bzw. Streitigkeit im privaten Umfeld am 26.07.2001 eingeleitet worden; diese bereits fünf bzw. sechs Jahre zurückliegenden Verfahren seien nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt worden. Dem ist die Antragsgegnerin nicht (substanziiert) entgegen getreten, sondern hat nur pauschal vorgetragen, die Altdelikte belegten, dass der Antragsteller (nach wie vor) zur gewaltsamen Lösung von Konflikten neige und er über einen langen Zeitraum durch kriminelle Energie auffalle. Letzteres hat die Antragsgegnerin allerdings durch keine weiteren konkreten Tatsachen glaubhaft gemacht.

Entscheidend ist, dass, selbst wenn beim Antragsteller (auch heute) eine grundsätzliche Bereitschaft "zur gewaltsamen Lösung von Konflikten" vorhanden sein sollte, keine genügenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er Veranstaltungen im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft aufsuchen wird, um sich an einer möglichen gewalttätigen Auseinandersetzung zu beteiligen. Allein der Umstand, dass er nach Beendigung der erwähnten gewalttätigen Auseinandersetzung nahe B. angetroffen wurde, lässt einen solchen Schluss noch nicht zu. Ohne konkrete Feststellungen darüber, ob und in welcher Form (etwa aktiv oder nur als Zuschauer) der Antragsteller an dieser "Drittortauseinandersetzung" beteiligt war, ist eine solche Prognose nicht tragfähig. Allein die Tatsache des "Dabeiseins" dürfte entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin noch nicht belegen, dass der Antragsteller selbst gewaltbereit ist. Unabhängig davon ließe sich auch für den Fall, dass der Antragsteller sich aktiv an dieser Auseinandersetzung beteiligt oder die Absicht dazu gehabt haben sollte, nicht ohne weiteres der Schluss ziehen, es bestehe die Gefahr, dass er die während der Fußballweltmeisterschaft stattfindenden "Public-Viewing-Veranstaltungen" nutzen wird, um erneut gewalttätig zu werden. Gegen einen solchen Zusammenhang spricht im Übrigen, dass an jener Auseinandersetzung nahe B. nicht nur Hooligans, sondern auch Angehörige der "Türsteher- und Rockerszene" teilgenommen haben sollen, die nicht ohne weiteres der gewaltbereiten Szene bei Fußballspielen zugeordnet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

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