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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.11.2008
Aktenzeichen: 2 M 218/08
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK
Vorschriften:
AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1 | |
AufenthG § 25 Abs. 5 S. 2 | |
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2 | |
AufenthG § 60a Abs. 2 | |
EMRK Art. 8 |
Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Abschiebung des Antragstellers sei nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Auf die Beziehung zu seiner - möglicherweise psychisch schwer erkrankten - Mutter könne er sich als mittlerweile Volljähriger nicht berufen, da nicht dargelegt sei, dass sie zur Bewältigung ihrer Krankheit oder ihres Alltagslebens auf die Unterstützung und Lebenshilfe des Antragstellers angewiesen sei. Eine Abschiebung sei auch unter Berücksichtigung der Gewährleistungen des Art. 8 EMRK nicht rechtlich unmöglich, insbesondere sei eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht erkennbar. Von entscheidender Bedeutung sei insoweit, dass der seit August 2008 volljährige Antragsteller einen großen Teil seines bisherigen Lebens - etwa 8 Jahre - in seinem Heimatland verbracht habe und ohne weiteres erwartet werden könne, dass er sich in die dortigen Lebensverhältnisse wieder integriere, zumal er sich mit seiner Familie von 2003 bis 2006 wieder in seinem Heimatstaat aufgehalten habe und er offenbar auch seine Heimatsprache beherrsche. Zudem sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass seitens des Antragstellers keine Verbindungen zum Land seiner Staatsangehörigkeit mehr bestehen, zumal sein Vater während seiner am 27.04.2006 durchgeführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dargelegt habe, dass noch mehrere Verwandte in Serbien lebten und auch die 1989 geborene Schwester des Antragstellers erst vor wenigen Monaten dorthin abgeschoben worden sei.
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller hiergegen ein, er sei auf Grund der von ihm durchlaufenen Entwicklung als faktischer Inländer anzusehen, so dass eine Abschiebung den in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletze und daher auch im Sinne von § 25 Abs. 5 und § 60a Abs. 2 AufenthG rechtlich unmöglich sei.
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Zielt das Begehren eines Ausländers - wie hier - letztlich auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise, so führt die Annahme, dass dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, zu einem Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung aus § 60a Abs. 2 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (vgl. OVG NW, Beschl. v. 01.08.2006 - 18 B 1539/06 -, Juris). Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Völkervertragsrecht, etwa aus Art. 8 EMRK, herzuleiten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 [197]). Nach Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Absatz 2 ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieser Rechte nur dann statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden hat (vgl. Entsch. v. 07.10.2004 - 33743/03 [Dragan] -, NVwZ 2005, 1043; Entsch. v. 16.09.2004 - 11103/03 [Ghiban] -, NVwZ 2005, 1046) folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich noch kein Recht des Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten; die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Der EGMR hat in den genannten Entscheidungen weiter betont, Entscheidungen der Staaten könnten zwar in bestimmten Fällen in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen; diese Vorschrift dürfe aber nicht so verstanden werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deshalb, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet aufgehalten habe. Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt indes bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; vgl. auch EGMR; Entsch. V. 16.06.2005 - 60654/00 - [Sisojeva] -, InfAuslR 2005, 349). Im Einzelfall lassen sich daraus möglicherweise auch die Unzumutbarkeit der Ausreise und damit ein Anspruch auf Legalisierung eines langjährigen Aufenthalts eines Ausländers im Bundesgebiet ableiten (vgl. hierzu im Einzelnen: Burr in: GK AufenthG, II - § 25 RdNrn. 143 ff.).
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse v. 17.07.2006 - 2 M 182/06 -, Juris, u. v. 29.08.2008 - 2 O 76/08 -, Juris, jew. m. w. Nachw.) ist ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Eigenschaft als "faktischer Inländer" neben der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, ob der Ausländer ein Alter erreicht hat, in dem ihm ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staats seiner Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen kann, wobei gerade auch die Kenntnisse der Sprache im Herkunftsland des Betroffenen bzw. dessen sprachliche Integrationsfähigkeit im Heimatland in Betracht zu ziehen sind. Weitere Gesichtspunkte sind gute deutsche Sprachkenntnisse, wirtschaftliche und soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, Innehaben eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes sowie ein fester Wohnsitz.
Bei einer Gesamtschau der genannten Gesichtspunkte kann der Antragsteller nicht als "faktischer Inländer" angesehen werden, dem eine Rückkehr in sein Heimatland auf Grund seiner persönlichen Entwicklung nicht zuzumuten wäre.
Mit 18 Jahren hat der Antragsteller zwar ein Alter erreicht, in dem regelmäßig ein Hineinwachsen in die Lebensumstände im Heimatland nur unter gewissen Schwierigkeiten gelingen dürfte. Hinzu kommt, dass Volkszugehörige der Roma-Minderheit, zu der der Antragsteller gehört, in Serbien besonderen Problemen ausgesetzt sind (vgl. hierzu den Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Serbien vom August 2008, S. 14 f.). Jedoch spricht gegen eine völlige "Entwurzelung" in seinem Heimatland, dass er dort insgesamt acht Jahre seines Lebens als Kind bzw. Jugendlicher in verbracht hat, zuletzt von 2003 bis 2006, und er insbesondere auch nach den Angaben seines Vaters im Asylverfahren Verwandte, insbesondere einen Onkel und eine Tante in Serbien hat. Mit dem zuletzt genannten Umstand, den das Verwaltungsgericht hervorgehoben hat, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die Eltern des Antragstellers die serbische Sprache beherrschen (vgl. das Anhörungsprotokoll des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27.04.2006), bestehen - auch wenn ihm in Serbien in den Jahren 2003 bis 2006 der Schulbesuch verweigert worden sein sollte - keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass er nicht über ausreichende Kenntnisse in dieser Sprache verfügt, um sich in Serbien eine - wenn auch vielleicht bescheidene - Existenz aufbauen zu können.
Auch eine weitgehende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ist bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Positiv ins Gewicht fällt sicherlich, dass der Antragsteller - soweit ersichtlich - strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Für den Antragsteller spricht ferner, dass er, nachdem ihm in der zuletzt erteilten Duldung vom 08.08.2008 die Erwerbstätigkeit gestattet wurde, im Herbst 2008 Arbeitsverhältnisse bei einem Telekommunikationsunternehmen und einem Sicherheitsdienst in B-Stadt aufgenommen hat, so dass er seit dem 15.09.2008 nicht mehr auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen ist. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das derzeit bestehende Arbeitsverhältnis (zunächst) auf ein Jahr befristet ist und der Antragsteller sich noch in der Probezeit befindet. Ob der Antragsteller auch im Übrigen in die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland eingebunden ist, lässt sich auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht feststellen. Näheres zu seiner sozialen Eingebundenheit hat er nicht dargelegt. Auch dass er - wie er geltend macht - fließend deutsch spricht und auch sonst über gute Deutschkenntnisse verfügt, ist bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar hat er vom 5. bis 13. Lebensjahr und damit in einem für die Sprachentwicklung wichtigen Lebensabschnitt in Deutschland gelebt. Auch ergibt sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen, dass er vom 01.01.1998 bis zum 02.07.2003 eine Grundschule in B-Stadt besucht und in der dort zuletzt besuchten 5. Klasse gute bis befriedigende Leistungen insgesamt und auch im Fach Deutsch gezeigt hat. Wie sich seine deutschen Sprachkenntnisse danach weiter entwickelt haben, ist allerdings offen. Aus der von ihm vorgelegten Stellungnahme der Sozialarbeiterin Wohlrabe ergibt sich, dass der Antragsteller in Deutschland offenbar nicht wieder eingeschult wurde, weil er nach der Wiedereinreise in das Bundesgebiet das 16. Lebensjahr bereits überschritten hatte.
Der Antragsteller kann sich zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs nicht auf § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG stützen. Nach dieser Vorschrift soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist. Zwar war die Abschiebung des Antragstellers seit mehr als achtzehn Monaten ausgesetzt. Die Regelung in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG stellt aber keine in den Fällen der sog. Kettenduldung anzuwendende selbständige Anspruchsgrundlage dar. Sie knüpft vielmehr an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG an. Nur wenn diese vorliegen und zusätzlich die Voraussetzungen des Satzes 2 hinzutreten, "soll" die Ausländerbehörde - in Fortführung und Ergänzung der Kann-Regelung des Satzes 1 - eine Aufenthaltserlaubnis erteilen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 27.06.2006, a. a. O., S. 200). Da der Antragsteller aus den dargelegten Gründen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt, kann ihm auch nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden.
Entgegen der Annahme des Antragstellers kommt auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht in Betracht, weil es an einem rechtmäßigen (Vor-)Aufenthalt im Bundesgebiet fehlt. Die Vorschrift regelt nämlich die von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG abweichende Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis; sie setzt daher zwingend voraus, dass der Ausländer bereits über eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis verfügt (VGH BW, Urt. v. 18.01.2006 - 13 S 2220/05 -, VBlBW 2006, 200; NdsOVG, Beschl. v. 27.06.2005 - 11 ME 96/05 -, InfAuslR 2005, 381). Dies war jedoch beim Antragsteller nicht der Fall. Ihm wurden nach Ablehnung seines Asylantrags lediglich Duldungen erteilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
Ende der Entscheidung
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