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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.07.2003
Aktenzeichen: 2 M 220/03
Rechtsgebiete: VwGO, BImSchG
Vorschriften:
VwGO § 80 II Nr 4 | |
VwGO § 80 III | |
VwGO § 80 V 1 | |
VwGO § 3 | |
BImSchG § 4 | |
BImSchG § 16 I | |
BImSchG § 20 II |
2. Der Sofort-Vollzug einer Stilllegungsverfügung ist am Maßstab des § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend begründet, wenn er mit Nachbarbeschwerden und mutmaßlichen Belästigungen gerechtfertigt wird.
3. Die Stilllegungsverfügung des § 20 Abs. 2 BImSchG ist in der Regel gerechtfertigt, wenn das nach Immissionsschutzrecht genehmigungspflichtige Vorhaben nicht genehmigt worden ist. Ausnahmen gelten nur für den "atypischen Fall".
4. Ist für die Erzeugung von "Erdsubstraten", bei der auch kommunaler Klärschlamm verwertet wird, die Mischung innerhalb eines Hallenbaus genehmigt, so handelt es sich bei einem tatsächlich im Freien durchgeführten Mischvorgang um eine "wesentliche" Änderung i. S. des § 16 Abs. 1 BImSchG. Maßgeblich ist dabei nicht, ob die Änderung im Betriebsablauf tatsächlich schädliche Umwelteinwirkungen hervorruft - das ist Gegenstand der Genehmigung -, sondern allein, ob sie geeignet ist, solche Wirkungen hervorzurufen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 M 220/03
Datum: 23.07.2003
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.
Die Beschwerde dürfte - was nicht endgültig entschieden werden muss - (noch) zulässig sein (1.); sie ist aber jedenfalls unbegründet (2.).
1. Obgleich der Antragsgegner vorträgt, die angefochtene Verfügung werde befolgt, muss dem nicht nachgegangen werden; denn das Rechtsschutzinteresse dürfte dadurch nicht entfallen sein. Wer sich nämlich "unter dem Druck einer Vollziehungsanordnung" dem Gebot des Verwaltungsakts unterwirft, verliert sein Recht nicht, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verlangen, wie der Blick auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO belegt; denn inzwischen eingeleitete Vollzugsmaßnahmen könnten rückgängig gemacht werden. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme nur dann zulässig, wenn die Umstände ergeben, dass der von der Verfügung Betroffene diese endgültig freiwillig befolgen will. Dies bedarf indessen keiner weiteren Aufklärung, weil die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist.
2. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Die angefochtene Verfügung des Antragsgegners ist - was den Sofortvollzug des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeht -, weder in formeller (2.1.) noch in materieller Hinsicht (2.2.) zu beanstanden.
2.1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist am Maßstab des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend begründet worden. Der Antragsgegner hat nicht allein auf den die Verfügung selbst tragenden Grund formeller Illegalität abgestellt, sondern den Sofort-Vollzug mit den besonderen Gefahren für die Allgemeinheit vor Geruchsbelästigungen - Hintergrund: für das Wohngebiet, aus dem heraus sich Anlieger beschwert hatten - begründet. Dies erfüllt die strengeren Voraussetzungen, die der Senat seiner Kontrolle bislang zu Grunde gelegt hat (vgl. insbes.: OVG LSA, Beschl. v. 23.11.1992 - 2 M 148/92 -; vgl. ferner: Beschl. v. 04.09.1995 - 2 M 29/95 - [Ausländerrecht]; Beschl. v. 10.03.2000 - 2 M 18/00 - [Baurecht]).
Aus dem Gesetz folgt für die Ansicht der Antragstellerin nichts, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache über das Schicksal des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz entscheiden. Der Zusammenhang zwischen § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO legt vielmehr im Gegenteil nahe, dass - jedenfalls in erster Linie - eine Abwägung zwischen den unterschiedlichen Interessen vorzunehmen ist. Dem Erfolg des Rechtsmittels der Hauptsache kann deshalb nur im Rahmen dieser Abwägung und nur dann Bedeutung zukommen, wenn die Aussichten nach der einen oder anderen Seite "offensichtlich" sind, weil nach der herrschenden Auffassung davon auszugehen ist, dass ein nach Auffassung des Gerichts offenkundig rechtmäßiger Verwaltungsakt auch sofort durchgesetzt werden soll, während an der Vollziehung einer offenkundig rechtswidrigen Behördenentscheidung kein öffentliches Interesse bestehen kann. Diesen Ausgangspunkt hat das Verwaltungsgericht nicht verkannt.
2.2. Die Verfügung ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht sind von einer zutreffenden Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff ausgegangen (2.2.1.). Die Antragstellerin betreibt den Mischvorgang außerhalb der Halle, ohne dass dieser durch die Genehmigung gedeckt wäre (2.2.2.). Der so angezeigte tatsächliche Betriebsablauf ist - verglichen mit dem genehmigten - auch als "wesentliche" Änderung anzusehen, die einer besonderen, bislang nicht erteilten Genehmigung bedürfte (2.2.3.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird nicht verletzt (2.2.4.).
2.2.1. Der Vorwurf, der Antragsgegner und das Gericht seien von unterschiedlichen Ermächtigungsgrundlagen ausgegangen, geht fehl; denn sowohl im Bescheid (dort S. 1) als auch im Beschluss (dort S. 4) sind die Rechtsfolgen aus § 20 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - i. d. F. d. Bek. v. 26.09.2002 (BGBl I 3830) abgeleitet. Mit der maßgeblichen Formulierung des Satzes 1 will der Gesetzgeber die zuständige Behörde nicht lediglich in die Lage versetzen, Maßnahmen zu treffen, sondern er fordert sogar für den Regelfall, dass die Behörde Anlagen, die ohne Genehmigung betrieben werden oder die wesentlich geändert worden sind, stilllegt (vgl. "soll" in dieser Bestimmung).
2.2.2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der tatsächliche Betriebsablauf nicht durch den Bescheid vom 25.10.2002, der an die A.-GmbH gerichtet ist, genehmigt worden. Dieser beschreibt unter Abschnitt I nähere Modalitäten der erteilten Genehmigung, darunter außer dem Produktionsumfang auch den Ort der Produktion: Auf Seite 2 dieses Abschnitts I wird festgelegt, dass die Produktion in einer Halle mit bestimmten Größenmaßen herzustellen ist, dass diese Halle mit einer sog. "Geruchsschleuse" versehen und dass außerdem ein Biofilter verwendet wird, weil sichergestellt werden soll, dass eine Geruchsbelästigung "weitestgehend" vermieden wird. Zu Unrecht verweist die Antragstellerin auf Antragsunterlagen, welche angeblich auch Mischvorgänge im Freien zur Genehmigung gestellt haben sollen; denn maßgeblich ist nicht der Antrag, sondern der Bescheid. Dieser verweist auf die Antragsunterlagen nur, soweit nicht anderes bestimmt worden ist (Abschnitt III Nr. 1.1 des Bescheids), und lässt überdies durch Verwendung des Worts "nachstehend" die zuvor im Abschnitt I getroffene Regelung über den Produktionsvorgang völlig unberührt.
Dass sich die hier streitige Verfügung an einen anderen richtet als den Genehmigungsinhaber, ist unschädlich; denn die Behörde darf sich gerade erst recht an den tatsächlichen Betreiber wenden, der seine Betriebsrechte aus der einem anderen erteilten Genehmigung ableitet. Der Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG enthält insoweit keine Einschränkung; der Sinn der Regelung, Umweltschäden aus genehmigungspflichtigen, aber nicht kontrollierten Anlagen zu verhindern, verlangt diese Ausweitung geradezu.
Wie der Antragsgegner zu Recht untersucht und festgestellt hat, liegt bei dem Umfang der tatsächlichen Produktion im Verhältnis zu der durch den Genehmigungsbescheid gedeckten auch kein bloßer "Probebetrieb" vor, welcher eine Ausnahme i. S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG evtl. zu rechtfertigen vermöchte.
Die Antragsgegnerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht pauschal darauf berufen, Geruchsbelästigungen könnten ihrem Betrieb nicht sicher zugerechnet werden oder sie hielten sich jedenfalls unterhalb einer Schwelle, bei deren Überschreiten erst eingeschritten werden müsse. Maßgeblich sind nämlich nicht die tatsächlichen Verhältnisse, sondern der Betrieb muss sich auf eine Genehmigung zurückführen lassen. "Was nicht genehmigt ist, ist verboten" (BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 - BVerwG 7 C 35.87 -, BVerwGE 84, 220 ff; Urt. v. 28.01.1992 - BVerwG 7 C 22.91 -, BVerwGE 89, 357 ff). Dabei muss in Rechnung gestellt werden, dass eine Genehmigung i. S. des § 4 BImSchG bereits dann erforderlich wird, wenn der Betrieb der Anlage geeignet ist, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen; dass die Anlage tatsächlich umweltschädigend arbeitet, muss nicht bereits feststehen (BVerwGE 84, 220 ff).
2.2.3. Der tatsächliche Betriebsvorgang, den der Genehmigungsbescheid nicht deckt, ist auch nicht später genehmigt worden.
Die Antragstellerin kann sich insbesondere nicht auf die Antwort des Antragsgegners vom 08.11.2002 stützen, die auf die Anzeige vom 07.11.2002 hin ergangen ist. Die Antwort ist schon der Form nach weder als Ergänzung der bisherigen noch als neue Genehmigung anzusehen. Abgesehen davon war nur eine "Teil-In-Betrieb-Nahme" angezeigt worden, welche nach dem Empfängerhorizont voraussetzen musste, dass sie sich innerhalb der Genehmigung bewegte, so dass der Hinweis auf die (zusätzlichen) Nebenbestimmungen, insbesondere zum Schutz der ...-Siedlung, nicht so verstanden werden konnte, als werde eine Abweichung von der ursprünglichen Genehmigung begehrt. Diesem Ergebnis kann die Antragstellerin nicht mit einer grammatischen Auslegung des Antwortschreibens (Hinweis auf die Verwendung des Futurs) entgehen.
Auch die Erörterungen im Anhörungsverfahren zur streitbefangenen Verfügung (Protokoll vom 13.02.2003 über die Anhörung vom 12.02.2003) oder der "interne Vermerk" zur Anhörung vom 12.02.2003 enthalten keinerlei abweichende Genehmigungen, sondern haben die Frage des Eingriffs wegen ungenehmigten Betreibens zum Gegenstand.
Ähnliches gilt für den (internen) Bericht des Antragsgegners an das Ministerium vom 24.02.2003, in welchem die Abweichung von der erteilten Genehmigung im Mittelpunkt steht und die Antragstellerin auf ein Änderungs-Genehmigungsverfahren verwiesen wird.
Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der tatsächliche Betriebsablauf als i. S. des § 16 Abs. 1 BImSchG wesentliche Änderung angesehen werden muss.
Auch hierbei ist - wie im Fall des § 4 BImSchG - unerheblich, ob nachgewiesen werden kann, dass durch den konkreten Betrieb schädliche Umwelteinwirkungen entstehen (werden). Maßgeblich ist allein, dass der Betrieb geeignet ist, solche Einwirkungen hervorzurufen. Diese Frage ist uneingeschränkt deshalb zu bejahen, weil die Halle mit Schleuse und Biofilter gerade besondere Sicherheiten zum Schutz der Bevölkerung insbesondere in der ...-Siedlung hatte schaffen sollen. Dass diese Bedingungen für den Betrieb hingenommen worden sind und dass die erteilte Genehmigung nicht angefochten worden ist, wirkt insoweit zu Lasten der Antragstellerin, als diese nicht mehr geltend machen kann, die damalige Regelung sei übermäßig sicher ausgefallen.
Gerade weil auch kommunaler Klärschlamm verarbeitet wird, liegt auf der Hand, dass dessen Durchmischung mit anderen Materialien im Freien in weit größerem Umfang Geruchsstoffe freizusetzen vermag als wenn der Arbeitsvorgang abgeschirmt in einer Halle stattfindet. Verglichen mit dem Standard der Genehmigung ist die Verlegung des Betriebs ins Freie deshalb geeignet, andere Anforderungen zu stellen, so dass sich die Genehmigungsfrage erneut stellt.
Dass und in welchem Umfang Abteilungen des Antragsgegners die tatsächliche wesentliche Änderung für genehmigungsfähig halten, bleibt in diesem Verfahren ohne Belang, weil die Änderungsgenehmigung noch nicht erteilt ist und weil es deshalb allein um die Frage geht, ob der tatsächliche Betrieb noch auf die bestehende Genehmigung zurückgeführt werden kann. Das ist nicht der Fall.
2.2.4. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verletzt die Untersagungsverfügung auch nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabei ist davon auszugehen, dass - anders als bei den üblichen Ermessensermächtigungen - durch § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG bereits vorgegeben wird, den formell illegalen Betrieb in der Regel zu versagen ("soll"); Satz 2 derselben Bestimmung, der eine Verpflichtung zur Stilllegung enthält, macht zusätzlich deutlich, dass bei der Ermessensbildung maßgeblich nicht die Interessen des Betreibers, sondern in erster Linie diejenigen der Allgemeinheit, vor allem der Nachbarschaft, zu berücksichtigen sind. Dieser Vorrang der "Fremd-Interessen" ist auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Regelungen einen hohen Rang beigemessen und deshalb eine Ausnahme von der Soll-Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG nur zugelassen, wenn ein sog. "atypischer Fall" anzunehmen ist (BVerwG, Beschl. v. 04.11.1992 - BVerwG 7 B 160.92 -, Buchholz 406.25 [BImSchG] § 20 Nr. 3; BVerwGE 84, 220 ff).
Ein solcher "atypischer" Fall liegt nicht vor; denn der tatsächliche Betrieb stellt eine wesentliche Änderung i. S. des § 16 Abs. 1 BImSchG dar, ohne dass bereits offensichtlich wäre, dass die inzwischen beantragte Änderungsgenehmigung auch erteilt werden muss. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingt nicht dazu, die Prüfung der Änderung gleichsam vorwegzunehmen, sondern soll gerade umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen vor der Stilllegung vermeiden (BVerwG, Buchholz 406.25 § 20 Nr. 3). Davon ist insbesondere auszugehen, wenn - wie hier - Gutachten einzuholen oder zu bewerten sind. Die regelmäßig vorhandene Möglichkeit der Stilllegung nach § 20 Abs. 2 BImSchG soll die Prüfung der Unbedenklichkeit gerade den Verfahren nach §§ 4 und 16 BImSchG vorbehalten. Dazu gehört auch die Frage, ob die in der Siedlung festgestellten Gerüche, welche die Beschwerden ausgelöst hatten, dem Betrieb der Antragstellerin zugeordnet werden können, ob sie bei einem Freilandbetrieb entständen und ob sie durch den bislang genehmigten Hallenbetrieb vermieden werden könnten.
Die angefochtene Verfügung hält sich an diese Leitlinie. Sie untersagt den Betrieb der Anlage nicht schlechthin, sondern verlangt die Fertig-Stellung der in der Genehmigung vorausgesetzten Halle sowie den Einsatz des Biofilters. Dies ist ermessensgerecht, weil sich die Anordnung als das mildeste Mittel erweist, die Genehmigung durchzusetzen.
Ende der Entscheidung
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