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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 2 M 224/06
Rechtsgebiete: GG, LSA-SOG
Vorschriften:
GG Art. 11 | |
LSA-SOG § 36 |
2. Zur Beurteilung der Gefahr der Begehung von Gewaltdelikten bei "Public-Viewing-Veranstaltungen" durch eine Person, die als führender Kopf der "Rechten Szene" gilt, nicht aber der sog. "Hooliganszene" angehört.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 M 224/06
Datum: 27.06.2006
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Die vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers ist höher zu bewerten als das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der mit der angefochtenen Verfügung vom 09./13.06.2006 auferlegten Platzverweisungen und der Meldeauflagen (§ 80 Abs. 5 VwGO); denn die Verfügung erweist sich nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig.
Nach § 36 Abs. 1 SOG LSA können die Sicherheitsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten des Ortes verbieten. Die Platzverweisung ist nur zulässig zur Abwehr einer im Einzelfall dem Adressaten zuzurechnenden konkreten Gefahr (vgl. Meixner/Martell, SOG LSA, 2. Aufl., § 36 RdNr. 9). Eine solche Platzverweisung greift allerdings in die nach Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Freizügigkeit ein. Art. 11 Abs. 1 GG schützt das Recht, am selbst gewählten Ort Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen; damit zielt das Aufenthaltsverbot bei objektiver Betrachtung auf eine dahingehende Einschränkung ab (vgl. VGH BW, Urt. v. 22.07.2004 - 1 S 2801/03 -, NJW 2005, 88). Nach Art. 11 Abs. 2 GG darf das Recht auf Freizügigkeit nur in den dort ausdrücklich aufgeführten Fällen eingeschränkt werden, insbesondere wenn - was hier allein in Betracht kommt - einer strafbaren Handlung vorgebeugt werden soll; hingegen reicht es nicht aus, dass die Voraussetzungen einer allgemeinen polizeilichen Gefahr im Sinne von §§ 1, 3 SOG LSA vorliegen (vgl. VGH BW, Urt. v. 22.07.2004, a. a. O.). Maßgeblich ist, ob die Begehung entsprechend gewichtiger Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und ob eine Einschränkung der Freizügigkeit erforderlich ist, um die Begehung zu verhindern (OVG Bremen, Urt. v. 24.03.1998 - 1 BA 27/97 -, NVwZ 1999, 314; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 11 Anm. 17, m. w. Nachw.). Der damit erforderlichen Gefahrenprognose ist das Tatsachenwissen zugrunde zu legen, das der Verwaltungs- und Polizeibehörde zum Zeitpunkt ihres Einschreitens bekannt war; anhand dieses Tatsachenwissens muss aus Sicht eines objektiven, besonnenen Amtswalters das Vorliegen einer solchen (spezifischen) Gefahr bejaht werden können (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 14.06.2006 - 11 ME 172/06, m. w. Nachw.). Die Anforderungen an diese Prognose können nicht wegen der zurzeit stattfindenden Fußballweltmeisterschaft geändert werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.06.2006 - 1 BvR 1429/06).
Bei Anlegung dieses Maßstabs dürften die angegriffenen Platzverweisungen und die Meldeauflagen keinen Bestand haben; denn es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller bei den in Rede stehenden "Public-Viewing-Veranstaltungen", die zurzeit im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft stattfinden, entsprechend gewichtige Straftaten begehen oder andere Personen dazu bewegen wird.
Festzuhalten ist zunächst, dass der Antragsteller nicht der so genannten "Hooligan-Szene" angehört, die bekanntermaßen durch gewalttätige Auseinandersetzungen bei oder im Umfeld von Fußballspielen in Erscheinung getreten ist. Nach den Erkenntnissen des Antragsgegners sind zwar gegen den Antragsteller, der als einer der führenden Köpfe der rechtsextremistischen Szene im Land gilt, in der Vergangenheit zahlreiche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dazu zählen neben Verfahren wegen Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz, das Urheberrechtsgesetz und das Versammlungsgesetz auch Verfahren wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch. Diese Feststellungen tragen aber nicht die Prognose des Antragsgegners, der Antragsteller werde bei den "Public-Viewing-Veranstaltungen" mit hinreichender oder gar hoher Wahrscheinlichkeit anlassbezogene Straftaten, insbesondere Gewaltdelikte an Besuchern begehen. Die Befürchtung des Antragsgegners, der Antragsteller könne diese von vielen Menschen besuchten Veranstaltungen als Forum für solche Handlungen nutzen, lässt sich nicht auf die bezeichneten Delikte stützen. Diese erfolgten - bis auf das bereits mehr als vier Jahre zurückliegende Ereignis auf einem Festplatz in T. am 26.05.2002 (der Ausgang des Ermittlungsverfahrens ist bislang unbekannt) - gerade nicht im Rahmen von Veranstaltungen mit unbeteiligten Dritten und durchweg erst nach Einsätzen der Polizei, die zu einem großen Teil auf dem Grundstück des Antragstellers stattfanden. Die übrigen Delikte ("Propagandadelikte im weiteren Sinne"), lassen keinerlei Rückschlüsse auf ein gewalttätiges Verhalten zu. Das vom Antragsgegner ins Feld geführte "typische Verhaltensmuster" des Antragstellers ist mithin gerade dadurch gekennzeichnet, dass Gewalt (in aller Regel) als Reaktion auf polizeiliches Einschreiten eingesetzt wurde. Soweit der Antragsgegner allgemein geltend macht, die Gewaltbereitschaft der rechten Szene sei erheblich angestiegen und rechtsextremistische Gewalttäter griffen bei jeder sich bietenden Gelegenheit Menschen an oder bedrohten diese zumindest, sofern diese Ziel ihrer ausländerfeindlichen Gesinnung seien, vermag dies eine konkrete, auf die Person des Antragstellers und die hier in Rede stehenden Veranstaltungen bezogene Gefahrenprognose nicht zu ersetzen. Gewaltdelikte rechtsextremistisch motivierter Täter insbesondere auch gegenüber Ausländern finden im Übrigen zumeist an Orten statt, an denen mit Hilfe von Dritten nicht zu rechnen ist.
Soweit der Antragsgegner darauf verweist, zum Kreis der "treu ergebenen Kameradschaft" des Antragstellers gehörten auch vier "Gewalttäter Sport", die im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei Fußballspielen bzw. zwischen "Fußballfans" anderer Vereine auffällig geworden seien, ist dem entgegenzuhalten, dass, soweit die Begehung von Gewaltdelikten durch diese Personen zu befürchten sein sollte, in erster Linie Platzverweisungen gegenüber diesen Personen als geeignete Mittel zur Verhinderung solcher Straftaten nahe liegen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den beiden vom Antragsgegner zitierten Entscheidungen des VG Saarlouis vom 19.06.2006 (6 F 27/06) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 09.06.2006 (24 CS 06.1521). Diese Entscheidungen betrafen Angehörige der "Hooligan-Szene". Die Gerichte haben angenommen, allein die Zugehörigkeit zu dieser Szene reiche aus, um die Gefahr der Begehung von künftigen Straftaten annehmen zu können, da auf Grund dieser Zugehörigkeit die Gewaltbereitschaft dieser Personen gefördert und deren Gewaltanwendung psychologisch unterstützt werde. Diese Würdigung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Angehörige der "rechten Szene" übertragen. Wie bereits dargelegt, fanden die Gewalttätigkeiten, die bislang im rechtsextremistischen Umfeld des Antragstellers festgestellt wurden, ganz überwiegend bei rechtsextremistischen Veranstaltungen und zu einem erheblichen Teil auf dem Grundstück des Antragstellers statt, nachdem die Polizei dagegen eingeschritten war. Es sind hingegen keine Tatsachen dargelegt, die den Schluss nahe legen, dass die "Public-Viewing-Veranstaltungen" als Gelegenheit zur Begehung von Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund genutzt werden könnten. Auf die Frage, ob der Antragsteller die Veranstaltung "zu Zwecken der Agitation" besucht, soll es nach dem Vortrag des Antragsgegners nicht ankommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Ende der Entscheidung
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