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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 25.08.2006
Aktenzeichen: 2 M 228/06
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 6
AuslG § 60a Abs. 2
1. Eine Abschiebung ist rechtlich unmöglich, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen.

2. Hat ein Ausländer die Vaterschaft über ein deutsches Kind den Formerfordernissen des BGB entsprechend anerkannt und die Kindesmutter dem formrecht zugestimmt, können auch die Behörden und Verwaltungsgerichte das Berufen auf eine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB - seien Zweifel daran auch noch so berechtigt - nicht als rechtsmissbräuchlich ansehen und sie für unbeachtlich halten; Abhilfe könnte nur der Gesetzgeber schaffen (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 01.10.2004 - 2 M 441/04 -, InfAuslR 2006, 56). Ob der Ausländer tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, hat in diesem Zusammenhang rechtlich keinerlei Bedeutung, so dass die Ausländerbehörde auch nicht die Beibringung einer DNA-Analyse fordern kann.

3. Die Abschiebung eines Ausländers, der mit seinem deutschen Kind zwar nicht in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebt, aber auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs verantwortungsvoll eine Eltern-Kind-Beziehung lebt, verstößt gegen den in Art. 6 GG verankerten Schutz der Familie. Es ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht.

4. Bei einem kleinen Kind kann auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein (vgl. BVerfG. Beschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59).


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 228/06

Datum: 25.08.2006

Gründe:

I.

Der am ....1984 geborene Antragsteller, vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste eigenen Angaben zufolge am 25.11.2003 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen am 07.01.2004 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.01.2004 ab. Wegen Passlosigkeit und Erkrankung wurde die Abschiebung des Antragstellers mehrfach ausgesetzt.

Am 15.07.2005 beantragte er beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da er Vater eines noch nicht geborenen nichtehelichen Kindes sei. Hierzu legte er eine notarielle Urkunde vom 14.07.2005 vor, in der er die Vaterschaft über das noch nicht geborene Kind der deutschen Staatsangehörigen J. S. anerkennt, die Kindesmutter hierzu ihre Zustimmung erteilt und beide Eltern erklären, die elterliche Sorge für das Kind gemeinsame übernehmen zu wollen. Am 19.10.2005 wurde das Kind Lisa My S. geboren. Nach einem Aktenvermerk sprach die Kindesmutter am 08.12.2005 bei der Ausländerbehörde des Antragsgegners vor und gab an, den Antragsteller später einmal heiraten zu wollen. Zu dem Vater ihres ersten Kindes, der ebenfalls Vietnamese sei, habe sie keinen Kontakt mehr, dieser kümmere sich aber um sein Kind. Nach dem Aktenvermerk soll eine Nachfrage beim Landkreis B. ergeben haben, dass der vietnamesische Staatsangehörige C. T. Tr. die Vaterschaft über das erste Kind der Frau S. anerkannt habe und die Kindesmutter bei einer Vorsprache beim Landkreis B. am 06.12.2005 angegeben habe, mit Herrn Tr. zusammenzuleben.

Mit Bescheid vom 10.01.2006 lehnte der Antragsgegner die beantragte Aufenthaltserlaubnis ab und gab zur Begründung an, in Anbetracht der Gesamtumstände bestünden erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller der Vater des zweiten Kindes der Frau S. sei. Diese Zweifel habe der Antragsteller nicht mit Hilfe des angeforderten DNA-Gutachtens ausgeräumt. Über den fristgerecht erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden. Im März 2006 erfolgte die Ausschreibung des Antragstellers zwecks Abschiebung, die für den 04.04.2006 vorgesehen war.

Am 27.04.2006 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und zur Begründung angegeben, die vom Antragsgegner gehegten Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vaterschaftsanerkenntnisses seien rechtlich irrelevant. Für die Forderung, eine DNA-Analyse beizubringen, gebe es keine Rechtsgrundlage.

Der Antragsteller hat (sinngemäß) beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 10.01.2006 anzuordnen,

hilfsweise,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auszusetzen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen

und zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 08.06.2006 hat das Verwaltungsgericht sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sei unzulässig, weil es sich um einen Verpflichtungswiderspruch handele und mit dem Ablehnungsbescheid keine kraft Gesetzes bestehende Erlaubnis- oder Aussetzungsfiktion beendet worden sei. Der Hilfsantrag sei unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe. Dem stehe bereits entgegen, dass der Antragsteller unerlaubt bzw. ohne Visum eingereist sei und das Ermessen des Antragsgegners, von Visumserfordernis abzusehen, nicht auf Null reduziert sei. Zudem könne dem Antragsteller als abgelehntem Asylbewerber vor einer Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden.

Mit der fristgerecht eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Hilfsantrag weiter und macht geltend, der Umstand, dass er als abgelehnter Asylbewerber und ohne Visum eingereist sei, stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen; denn er habe auf Grund der familiären Bindung zu seiner deutschen Tochter einen Rechtsanspruch auf diesen Aufenthaltstitel. Dass eine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung bestehe, sei nunmehr durch eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter glaubhaft gemacht.

II.

Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihm ist nach derzeitiger Sachlage ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bis zu einer Entscheidung über den gegen den Versagungsbescheid erhobenen Widerspruch zuzubilligen, weil seine Abschiebung derzeit rechtlich unmöglich ist.

Eine Abschiebung ist dann rechtlich unmöglich, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf, etwa weil ein Abschiebungsverbot oder ein zwingendes Abschiebungshindernis aufgrund vorrangigen Rechts, namentlich der Grundrechte, gegeben ist. Ein zwingendes Abschiebungshindernis liegt insbesondere vor, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch Ausreise zu unterbrechen (BVerwG, Urt. v. 04.06.1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, InfAuslR 1997, 355). Ein solches Abschiebungshindernis dürfte sich hier auf Grund der Beziehung des Antragstellers zu seiner deutschen Tochter aus Art. 6 GG ergeben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682, u. v. 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, m. w. N.) gewährt Art. 6 GG zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bedingungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen.

Das von Frau J. S. am 19.10.2005 geborene Kind ist deutsche Staatsangehörige (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StAG). Nach dem mit dem In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl I 2942) geltenden Kindschaftsrecht gilt es als Kind des Antragstellers, da er die Vaterschaft über das minderjährige Kind durch die am 14.07.2005 beurkundete Erklärung anerkannt und die (damals 17-jährige) Mutter und deren Mutter als gesetzliche Vertreterin dem zugestimmt haben. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet war (Nr. 1 der Vorschrift), der die Vaterschaft anerkannt hat (Nr. 2 der Vorschrift) oder dessen Vaterschaft nach § 1600d BGB gerichtlich festgestellt worden ist (Nr. 3 der Vorschrift). Die vom Antragsteller bei der Notarin Drosd in B. abgegebene Vaterschaftsanerkennung genügt den Formerfordernissen des § 1597 Abs. 1 BGB. Diesem Formerfordernis entsprechen auch die Zustimmungserklärungen der damals beschränkt geschäftsfähigen Kindesmutter und ihrer gesetzlichen Vertreterin gemäß §§ 1595 Abs. 1, 1596 Abs. 1 BGB. Daher ist von der Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung auszugehen.

Ob der Antragsteller tatsächlich der biologische Vater des Kindes ist, hat in diesem Zusammenhang rechtlich keinerlei Bedeutung, so dass der Antragsgegner vom Antragsteller auch nicht die Beibringung einer DNA-Analyse fordern kann. Die von dem Antragsgegner aufgeworfenen Zweifel an der Vaterschaft des Antragstellers vermögen an der zivilrechtlichen Rechtslage nichts zu ändern (Beschl. d. Senats v. 01.10.2004 - 2 M 441/04 -, InfAuslR 2006, 56). Die Zivilgerichte vertreten in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass das Nichtbestehen der Vaterschaft einschließlich sonstiger Mängel der Anerkennung oder Zustimmung (z. B. bewusste Wahrheitswidrigkeit oder Nichtigkeitsgründe nach § 134 BGB) ausschließlich im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden kann. Einwendungen gegen die inhaltliche Richtigkeit einer nach den §§ 1594 ff. BGB wirksamen Vaterschaftsanerkennung außerhalb der Vaterschaftsanfechtungsklage sind daher auch bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit nicht zugelassen (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 11.12.2001 - 1 W 193/01 -, FamRZ 2002, 1725 m. w. N.). Angesichts dieser zivilrechtlichen Rechtslage können auch die Behörden und Verwaltungsgerichte das Berufen auf eine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB - seien Zweifel daran auch noch so berechtigt - nicht als rechtsmissbräuchlich ansehen und sie für unbeachtlich halten; Abhilfe könnte nur der Gesetzgeber schaffen (Beschl. d. Senats v. 01.10.2004, a. a. O.).

Allerdings reicht die Vaterschaft allein für einen Grundrechtsschutz nach Art. 6 GG nicht aus. Vielmehr ist weiter erforderlich, dass der Vater und sein minderjähriges Kind in einer tatsächlichen familiären Lebensgemeinschaft zusammenleben. Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist in der Regel durch eine gemeinsame Lebensführung in der Form der Beistandsgemeinschaft gekennzeichnet, in der den Familienangehörigen dauernde Hilfe und Unterstützung zuteil wird; in Bezug auf die in der Familie lebenden minderjährigen und heranwachsenden Kinder hat die Familie überdies die Funktion einer Erziehungsgemeinschaft, die von der elterlichen Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.12.1997 - BVerwG 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13). Sie ist in der Regel anzunehmen, wenn der Vater mit seinem minderjährigen Kind dauerhaft in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Eine familiäre Lebensgemeinschaft mit dem minderjährigen Kind ist aber auch dann möglich, wenn der Vater mit seinem Kind nicht in einer häuslichen Gemeinschaft lebt; dies gilt insbesondere mit Rücksicht auf die mit dem In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes in §§ 1626 Abs. 3, 1684 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gekommenen Bedeutung des Umgangsrechts und der Umgangverpflichtung eines Vaters mit seinem Kind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, 849). Maßgeblich ist dann, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind aufgrund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.06.2005 - 2 M 76/05 -; HessVGH, Beschl. v. 15.11.2002 - 9 TG 2990/02 -, AuAS 2003, 86). Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Beziehung lässt sich nicht nur quantitativ etwa nach Datum und Uhrzeit des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen; die Entwicklung eines Kindes wird vielmehr auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.01.2002, a. a. O.). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23.01.2006 (a. a. O.) nochmals betont, dass maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen sei, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei; dabei sei zu berücksichtigen, dass bei einer Vater-Kind-Beziehung der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich werde, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben könne.

Die Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung im dargestellten Sinn - verbunden mit entsprechenden Betreuungsleistungen - sind in einer den Anforderungen des einstweiligen Anordnungsverfahrens genügenden Weise durch die eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter vom 22.06.2006 glaubhaft gemacht. Danach habe der Antragsteller in den ersten neun Monaten das Kind regelmäßig mehrere Male im Monat für drei bis vier Tage besucht, sei aber teilweise auch eine Woche geblieben. Er habe Geschenke mitgebracht und eingekauft. Sein Verhältnis zu seiner Tochter sei sehr gut, das Kind erkenne ihn und freue sich über sein Kommen. Die eidesstattliche Versicherung kann im vorliegenden Beschwerdeverfahren auch nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 01.02.2005 - 2 M 14/05 - ) grundsätzlich die Beschwerde mit "neuem Vorbringen" insoweit nicht geführt werden kann, als damit eine Änderung der Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage dargetan wird, und "neue" Umstände - dazu gehören auch nachträglich erst zur Verfügung stehende Beweismittel (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 80 RdNr. 67) - beim vorläufigen Rechtsschutz in Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO oder in Änderungsverfahren zu Beschlüssen nach § 123 Abs. 1 VwGO beim Gericht der Hauptsache einzubringen sind. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme zu machen, wenn die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dies erfordert, insbesondere wenn - wie hier auf Grund der Ausschreibung des Antragstellers zur Festnahme zwecks Abschiebung - eine Abschiebung unmittelbar droht (vgl. Beschl. d. Senats v. 11.07.2005 - 2 M 106/05 -).

Dem Anordnungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass mit Hilfe einer Duldung die Abschiebung nur zeitweise ausgesetzt werden kann, während der Nachzug von Familienangehörigen in der Regel dauerhaft besteht. Der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) kommt nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.08.2005 - 2 M 65/05 -, m. w. Nachw.; sowie zu § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 35 [43]). Die Frage, ob gegebenenfalls auch eine längerfristige Trennung von Familienangehörigen im Hinblick auf Art. 6 GG zulässig ist, ist daher grundsätzlich im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nachzugehen, das wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Regel nicht vom Inland aus betrieben werden kann (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, II § 60a RdNr. 87). Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist aber dann geboten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumsverfahrens zu unterbrechen; für diesen Fall muss eine Prognose über die voraussichtliche Dauer des Verfahrens angestellt und mit dem Gewicht der Folgen einer Trennung abgewogen werden (vgl. Funke-Kaiser, a. a. O.).

Von einer solchen Unzumutbarkeit ist hier auszugehen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass ein noch sehr kleines Kind wie die derzeit 10 Monate alte Tochter des Antragstellers den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, Beschl. v. 23.01.2006, a. a. O.). Daher kann gerade bei einem kleinen Kind auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein (BVerfG, Beschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59). Es spricht Vieles dafür, dass der Antragsteller im Falle seiner Ausreise nach Vietnam über einen nicht nur unerheblichen Zeitraum von seiner Tochter getrennt würde. Angesichts der aufseiten der Ausländerbehörde geäußerten Zweifel an der Vaterschaft des Antragstellers erscheint es unwahrscheinlich, dass ihm - auch im Falle einer freiwilligen Ausreise - zeitnah im Visumsverfahren eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Darüber hinaus müsste der Antragsteller erst die für eine Wiedereinreise in die Bundesrepublik erforderlichen finanziellen Mittel aufbringen. Hinzu kommt, dass der Antragsteller nach derzeitigem Sach- und Streitstand im Widerspruchsverfahren zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber hat, ob ihm auch ohne Durchführung eines Visumsverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Sollten sich im Widerspruchsverfahren trotz weiterer Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die in der eidesstattlichen Versicherung der Kindesmutter gemachten Angaben nicht (mehr) zutreffen, hätte der Antragsteller nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 27 Abs. 1 AufenthG einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. In diesem Fall sieht § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vor, dass der Aufenthaltstitel abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auch dann erteilt werden kann, wenn der Ausländer ohne das erforderliche Visum eingereist ist. Bei dieser Ermessensentscheidung, die bislang nicht getroffen wurde, hat die Ausländerbehörde abzuwägen, ob die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der Einreisevorschriften das private Interesse an der Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inlandsverfahren überwiegen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 06.02.1996 - 13 M 460/96 -, NVwZ-RR 1997, 68 [69]). Im Falle einer Ausreise des Antragstellers würde dieser Anspruch gegenstandslos werden. Die vom Verwaltungsgericht ins Feld geführte, für abgelehnte Asylbewerber geltende Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG findet nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung.

Mit Blick auf die drohende Abschiebung besteht auch ein Anordnungsgrund.

Die Beschwerde bleibt dagegen ohne Erfolg, soweit der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aussetzung der Abschiebung "bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens" begehrt. Dieses Begehren beinhaltet, dass die Aussetzung der Abschiebung auch während eines sich an das Widerspruchsverfahren möglicherweise anschließenden Klage- und ggfs. Rechtsmittelverfahrens andauern soll. Für einen derart weit reichenden vorläufigen Rechtsschutz besteht jedoch kein Anlass, da sich die Umstände, die gegenwärtig für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 2 AufenthG maßgebend sind, im Verlauf des anhängigen Widerspruchsverfahrens jederzeit - etwa auf Grund weiterer Ermittlungen des Antragsgegners oder der Widerspruchsbehörde - ändern können. Das gilt namentlich für die Frage, ob der Antragsteller eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Kind aufrechterhält (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.05.2006 - 4 Bs 129/06 - Juris). Zweifel hieran bestehen insbesondere auf Grund der widersprüchlichen Angaben der Kindesmutter vor den Ausländerbehörden des Antragsgegners und des Landkreises Bittelfeld.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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