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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 06.07.2004
Aktenzeichen: 2 M 232/04
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 80 III | |
VwGO § 80 V |
2. Bei baurechtlichen Eingriffsverfügungen muss das allgemeine Interesse, durch effektiven Rechtsschutz eine unangemessene Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, nur zurücktreten, wenn es um die Abwehr schwerwiegender konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geht. Gleiches kann gelten, wenn die Beseitigung einem Nutzungsverbot gleichgestellt werden kann und das illegale Vorhaben wegen seiner Vorbildwirkung eine Ausweitung von baurechtswidrigen Zuständen befürchten lässt.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 M 232/04
Datum: 06.07.2004
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs.1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Soweit der angefochtene Bescheid eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung zum Rückbau der von dem Antragsteller erhöhten Grenzmauer enthält, ist die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO wiederherzustellen. Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse geht zu Gunsten des Antragstellers aus, weil die Vollziehung des angeordneten Rückbaus die für eine Vollzugsanordnung im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erforderliche Dringlichkeit nicht erkennen lässt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist von der Behörde nicht nur in einer den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise zu begründen. Sie erfordert darüber hinaus gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO - in materieller Hinsicht - das Vorliegen eines besonderen öffentlichen oder privaten Interesses an der Vollziehung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 RdNr. 90 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen), das über das allgemeine Interesse am Verwaltungsakt selbst hinausgehen muss und das von der Behörde in der Regel "schlüssig" zu rechtfertigen ist (OVG LSA, Beschl. v. 16.08.2001 - 2 M 462/00 -, unter Hinweis auf OVG LSA, Beschl. v. 08.10.1996 - B 2 S 240/96 - [Nachahmungsgefahr]). An die Voraussetzungen der sofortigen Vollziehbarkeit einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung - wie hier - ist dabei wegen des regelmäßig schwerwiegenden Eingriffs in das Eigentum, mit dem ebenso regelmäßig vollendete Tatsachen geschaffen werden, ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 22.03.2000 - 4 TG 4287/99 -, BRS 63 Nr. 213). Daraus folgt zugleich, dass das Interesse des Ordnungspflichtigen an der Erhaltung des Suspensiveffektes regelmäßig das öffentliche Interesse daran überwiegt, die Bausubstanz sofort beseitigen und den früheren Zustand wiederherstellen zu lassen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 12.01.1998 - 10 B 3025/97 -, NVwZ 1998, 977). Das hinter dieser Bewertung stehende Gebot, durch effektiven Rechtsschutz eine unangemessene Vorwegnahme der Hauptsache zu vermeiden, muss in der Regel nur dann und insoweit zurücktreten, als es um die Abwehr schwerwiegender konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geht (vgl. OVG NW, Beschl. v. 12.01.1998, a. a. O.; HessVGH, Beschl. v. 22.03.2000, a. a. O.). Dass eine derartige schwerwiegende Gefahr von der streitgegenständlichen Mauer ausgeht, lässt sich weder der Begründung des Bescheides noch sonstigen Umständen entnehmen.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann zwar auch in bestimmten anderen Fallkonstellationen gerechtfertigt sein, etwa wenn die Beseitigung einem Nutzungsverbot gleichgestellt werden kann, weil die Beseitigung ohne Substanzverlust und andere hohe Kosten zu bewerkstelligen ist, oder wenn die Vorbildwirkung eines illegalen Vorhabens eine Nachahmung in solchem Maße schon bis zum bestandskräftigen oder rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache befürchten lässt, dass der Ausweitung des baurechtswidrigen Zustandes vorgebeugt werden muss (vgl. HessVGH, Beschl. v. 30.05.1984 - 4 TH 61/83 -, BRS 42 Nr. 220). Auch diese Gründe liegen hier aber nicht vor.
Die geforderte Maßnahme kommt nicht lediglich einem Nutzungsverbot gleich; denn die streitgegenständliche Mauer kann nicht ohne Substanzverlust und einen nicht nur unerheblichen wirtschaftlichen Aufwand zurückgebaut werden. Auch für das Vorliegen einer Nachahmungsgefahr, die allerdings sowohl von dem Antragsgegner in der Begründung des angefochtenen Bescheides als auch von dem Verwaltungsgericht bejaht wurde, bietet der vorliegende Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Eine Nachahmungsgefahr kann insbesondere bei bestimmten baulichen Anlagen im Außenbereich bestehen, die aufgrund ihrer weithin sichtbaren Lage in einer reizvollen Landschaft geeignet sind, eine typische Breiten- und Nachahmungswirkung zu erzeugen, was zum Beispiel bei Wohnwagen, Gartenhütten und Einfriedungen der Fall sein kann (vgl. Jäde/Dirnberger, BauO LSA, § 84 RdNr. 112 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Mit einer derartigen Situation ist der vorliegende Fall aber nicht gleichzusetzen. Der streitgegenständlichen Maßnahme - Erhöhung einer 3 m hohen Grenzmauer um etwa 60 cm auf einer Länge von etwa 1,50 m - fehlt bereits die erforderliche Breitenwirkung. Aufgrund der Geringfügigkeit der baulichen Änderung und der umliegenden verhältnismäßig dichten Bebauung ist diese Maßnahme gerade nicht weithin sichtbar. Es gibt auch keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass die bauliche Änderung andere Grundstückseigentümer dazu verleiten könnte, ebenfalls ihre Einfriedungen zu erhöhen. Die Baumaßnahme hat ihre Ursache vielmehr in der konkreten baulichen und persönlichen Ausprägung des streitgegenständlichen Nachbarschaftsverhältnisses.
2. Hinsichtlich der in Nr. 3 des angefochtenen Bescheides enthaltenen Zwangsgeldandrohung ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 9 AG VwGO anzuordnen. Auch insoweit überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse. Von einem derartigen Überwiegen des Aussetzungsinteresses ist regelmäßig dann auszugehen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist; denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann ein vorrangiges öffentliches Vollzugsinteresse nicht bestehen. Ein derartiger Fall ist hier gegeben.
Die angefochtene Zwangsgeldandrohung im Sinne des § 59 SOG LSA erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig. Sie leidet unter einem Ermessensfehler, weil der Antragsgegner - wie dargelegt - zu Unrecht von der Dringlichkeit des Vollzugs der angeordneten Beseitigung und damit insoweit von einem falschen Sachverhalt ausging. Die Entscheidung über die Anwendung sowie die Auswahl von Art und Umfang eines Zwangsmittels steht gemäß § 53 Abs. 1 SOG LSA im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen ist bereits bei der Zwangsmittelandrohung auszuüben (vgl. ThürOVG, Beschl. v. 22.04.2002 - 1 EO 184/02 -, NVwZ-RR 2002, 280; SchlHOVG, Beschl. v. 25.02.1992 - 2 M 4/92 -, SchlHA 1992, 68). Maßgebliches Kriterium für die Ausübung dieses Ermessensspielraums, also die Frage, welches Zwangsmittel in welchem Umfang angedroht werden soll, ist hierbei unter anderem die Dringlichkeit der Verwirklichung der Ordnungsverfügung (vgl. SchlHOVG, Beschl. v. 25.02.1992, a. a. O.). Diese Dringlichkeit schätzte der Antragsgegner, wie sich aus seiner Anordnung der sofortigen Vollziehung der gegenüber dem Antragsteller verfügten Beseitigung ergibt, als hoch ein. Diese Einschätzung ist jedoch unzutreffend, weil - wie dargelegt -die Vollziehung der Beseitigungsverfügung nicht in besonderem Maße eilbedürftig ist. Insbesondere fehlt es an der von dem Antragsgegner angenommenen Nachahmungsgefahr.
Ende der Entscheidung
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